technik.kontrovers 2017
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Veranstaltungsart:
Themenabende
- Tagungsort:ITAS, Karlstraße 11, 76133 Karlsruhe
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Datum:
2017
- Links:
Wissen|schaf(f)t Wahrheit?
Ganz gleich, ob im persönlichen Umfeld oder in der „großen Politik“: Unsicheres Wissen macht Entscheidungen schwierig. Wie lässt sich angesichts derartiger Ungewissheiten überhaupt handeln? An welchen Fakten soll man sich orientieren? Und welche Rolle kann dabei die Forschung für Gesellschaft und Politik übernehmen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der zehnten Ausgabe von technik.kontrovers zum Thema „Wissen|schaf(f)t Wahrheit?“.
Den Anfang machte Rafaela Hillerbrand, Professorin für Technikethik und Wissenschaftsphilosophie, indem sie den „Trump-Effekt“ einführte, der erleichtert durch Unsicherheiten, Wissenschaft als eine Meinung unter vielen degradiert. Laut Hillerbrand seien wissenschaftliche Aussagen gerade wissenschaftlich, weil sie unsicher sind. Der Umgang mit Unsicherheiten wird erschwert, wenn es um die Gesellschaft als Ganzes geht wie zum Beispiel bei Fragen des Klimawandels. Hier stehe man vor ethischen Problemen, da man im Begriff ist, Schaden auf andere abzuwälzen. Während die Mehrheit dann in diesem Fall die Vorteile einer sauberen Klimapolitik genieße, müssten die Menschen in der Nähe von Windräder und Co. auch mit Nachteilen wie beispielsweise Lärm leben. Nach einer Einführung in die Entscheidungstheorie mahnte Hillerbrand, sich nicht nur stärker mit Unsicherheiten, sondern auch mit wissenschaftlichen Methoden auseinanderzusetzen, um rational mit wissenschaftlichen Ergebnissen umgehen zu können.
Der Soziologe Christian Büscher legte seinen Fokus auf die Frage, wie wir entscheiden. Ganz wichtig für Entscheidungen sei die soziale Absicherung. Man sei oft gezwungen Informationen anderer zu übernehmen, ohne Zeit und Ressourcen zu besitzen, diese ausreichend zu überprüfen. Deswegen sei es wichtig sich absichern zu können. Dies gelinge nur indem man den Informationsgebern Autorität zuschreibe und Vertrauen schenke.
Zum Ende seines Beitrages stellte Büscher die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometer 2017 vor, die zeigen, dass die Hälfte der Befragten der Wissenschaft misstrauisch gegenüber stehen. Was sind die Gründe für dieses Misstrauen? Der Wissenschaft werde unterstellt nicht neutral zu agieren. Außerdem stehe die Wissenschaft unter Druck, gute und spektakuläre Ergebnisse zu liefern, sodass die Daten teilweise auch der eigenen Erwartung angepasst würden.
Dass es zwischen Wissenschaft und Gesellschaft (bzw. den sie vertretenden Politikern) aber doch ein enges Vertrauensverhältnis geben kann, zeigte der Vortrag von Constanze Scherz, stellvertretende Leiterin der ITAS. Der Beitrag illustrierte wie Unsicherheiten durch spezifische „TA-Mechanismen“ in der Politikberatung absorbiert werden. Am Beispiel des TAB, dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, das seit 1990 den Bundestag berät, wird deutlich, dass Gewissheiten Aushandlung und Zeit benötigen – deshalb wird an einer TAB-Studie bis zu zwei Jahre gearbeitet. Die Kontinuität dieser beratenden Institution schaffe Vertrauen und durch interdisziplinäre Projektteams werde eine Vielfalt an Methoden und Herangehensweisen genutzt. Durch die zusätzliche Einbeziehung der Expertise von Dritten, biete eine TAB-Studie ein gutes Fundament für das Treffen von Entscheidungen innerhalb der Politik.
AUTO(NOM)MOBIL - Selbstfahrend oder selbst fahren?
Werden wir in Zukunft noch selbst fahren? Oder sind Lenkräder und Gaspedale schon bald ein Fall fürs Museum? Fachleute vertreten hier unterschiedliche Positionen. Drei dieser Positionen wurden von den ITAS Wissenschaftlern Linda Brandl, Torsten Fleischer und Silke Zimmer-Merkle beim Themenabend „Auto(nom)mobil“ in der Reihe technik.kontrovers dargestellt und in kurzen Statements vertreten. Linda Brandl vertrat die Rolle der Visionäre. Sie schwärmte davon, dass in Zukunft jeder Auto fahren kann und auch Kinder und körperlich eingeschränkte Personen sich selbstständig mit dem Auto bewegen können. An dieser Stelle griff Silke Zimmer-Merkle, die die Thematik deutlich kritischer betrachtete, ein. Sie betonte, dass es sich eben bislang nur um Fahrassistenzsysteme handelt und dass ein Überschätzen der aktuellen Technik auch zu Unfällen führen kann wie im Jahr 2016 bei einem Fahrer, der dem Autopiloten seines Tesla zu sehr vertraute. Vor allem mit komplexeren Situationen, wie sie im Stadtverkehr oder bei Überlandfahrten auftauchen, können die Systeme heute noch nicht umgehen. Genau in solchen Situationen kommt es mit herkömmlichen Fahrzeugen aber besonders häufig zu Unfällen mit Toten und Schwerverletzten, wie Torsten Fleischer darstellte.
Das Besondere an diesem Abend war, dass das Publikum nach jedem Themenblock direkt mitdiskutieren konnte. Konfrontiert wurde das Publikum auch mit unterschiedlichen ethischen Fragen, die jeder für sich auf später eingesammelten Zetteln beantwortete: Soll ein Auto entscheiden dürfen, ob es mit einer Person oder mit fünf Personen kollidiert? Und wie ist das bei Kindern oder Rentnern? Die Mehrheit im Saal sprach sich für rein zufällige Entscheidungen aus. Jedoch waren die Ansichten sehr heterogen. Vor der abschließenden Diskussion machte Linda Brandl noch einmal Mut, dass die Bevölkerung sich mit so vielen technischen Innovationen arrangiert hat und die Stadt der Zukunft viel besser an autonome Fahrzeuge angepasst ist. Zudem berichtete Silke Zimmer-Merkle von den ersten Gedanken von Menschen an autonomes Fahren, die bereits vor etwa 100 Jahren aufgezeichnet wurden. Abschließend wurde diskutiert, ob man den autonomen Verkehr komplett separieren kann oder ob autonome Autos nicht sehr anfällig für Hackerangriffe sein werden. Insgesamt wurde deutlich, dass auch unter Expertinnen und Experten noch viele Fragen ungeklärt sind und in Zukunft noch viel diskutiert und erforscht werden muss. Wir bedanken uns bei den Referierenden und dem diskussionsfreudigen Publikum und freuen uns bereits auf die 10. Ausgabe, die Jubiläumsausgabe, von technik.kontrovers.
Visionen für die Gesellschaft von morgen
Sollten wir uns von Wachstums- und Leistungsdenken verabschieden, um mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen zu können? Könnten wir selbstbestimmter Leben, wenn uns Roboter und autonome Technik die Arbeit abnähmen? Helfen uns neue digitale Technologien dabei, künftig gemeinschaftlich neue Produkte herzustellen und zu entwickeln? Um diese und weitere Fragen drehte sich die achte Ausgabe unserer Reihe technik.kontrovers, in der sich ForscherInnen im Austausch mit dem Publikum mit „Visionen für die Gesellschaft von morgen“ beschäftigten. Die ZuschauerInnen wurden hierzu auf eine Reise ins Jahr 2038 mitgenommen. Sie besuchten drei Länder deren BotschafterInnen, dargestellt von WissenschaftlerInnen des ITAS, sich die Zeit nahmen, dem Publikum von ihrer aus heutiger Sicht außergewöhnlichen Lebensweise zu berichten.
Den ersten Halt machte die Reise in der Republic of Making, in der Christoph Schneider das Publikum empfing. Die Digitalisierung wurde dort zur Blutader der Gesellschaft und ihre Erfolge werden gemeinschaftlich genutzt und entwickelt. Jedes Grundschulkind lernt hier bereits programmieren, was dazu führt, dass sich jeder seine Nutzgegenstände selbst gestalten und produzieren kann. Einen starken Kontrast dazu bildet Freiland. Botschafterin Linda Nierling stellt dessen Konzept von freier Zeit für freie Bürger vor. Den BewohnerInnen von Freiland ist es zum einen wichtig die ökologischen Grenzen zu respektieren, zum anderen möchten sie den hohen Leistungsdruck und den Stress der heutigen Gesellschaft für ihr eigenes Leben vermeiden. Daher ist die Produktion von Gütern wieder lokaler und weniger spezialisiert. Zudem fokussieren sich die BewohnerInnen auf das Wesentliche und entschleunigen dadurch ihr Leben. Der letzte Teil der Reise führte das Publikum nach Automatia. In Automatia, so erklärt dessen Botschafter Philipp Frey, haben die Menschen erkannt, dass sie mit Robotern nicht konkurrieren müssen, sondern diese nutzen können, um weniger zu arbeiten und dennoch ihre Bedürfnisse zu befriedigen. So wurde die wöchentliche Arbeitszeit verringert und der Mindesturlaub erhöht, damit die verbleibende menschliche Arbeitszeit besser aufgeteilt wird. Zudem bekommt dort jeder eine Grundsicherung von 1000€, damit auch Arbeitslose und Rentner unter menschenwürdigen Bedingungen leben können.
Im Anschluss an die Reise gaben die ZuschauerInnen ein Stimmungsbild für jede Vision ab: Ist die Zukunftsvision wünschenswert? Und ist die auch umsetzbar? Die Mehrheit des Publikums konnte sich ein Leben in Freiland vorstellen, während sie Automatia für am umsetzbarsten erachteten. In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde deutlich, dass eine Kombination der einzelnen Visionen von vielen angestrebt wird. Falls Sie sich die Veranstaltung selbst anschauen und mehr über die Länder erfahren möchten, finden Sie hier sowie auf unserem YouTube Channel bald eine Video-Aufzeichnung. Wir bedanken uns beim Publikum und den ReferentInnen und freuen uns bereits auf die nächste Veranstaltung von technik.kontrovers.
technik.kontrovers
In der Reihe „technik.kontrovers“ präsentiert das ITAS gesellschaftlich brisante Technikthemen, zu denen am Institut geforscht wird. Die vierteljährlich stattfindenden Veranstaltungen haben das Ziel, vernetzend, interaktiv und vielfältig vorzugehen. Die Forscherinnen und Forscher skizzieren mit kurzen Impulsen unterschiedliche Positionen zur gesellschaftlichen Dimension bestimmter Technikbereiche und suchen damit den unmittelbaren – und gerne auch kontroversen – Austausch mit der Öffentlichkeit.
Veranstaltungen aus den Jahren 2014/2015 - 2016 - 2017 - 2018 - 2019 - 2020 - 2021 - 2022 - 2023 - 2024