technik.kontrovers 2014 / 2015
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Veranstaltungsart:
Themenabende
- Tagungsort:Karlstraße 11, 76133 Karlsruhe
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Datum:
2014 / 2015
Stadtzukünfte. Zwischen Smart City und Blackout
Wie sieht das Leben in der Stadt von morgen aus? Dieser Frage gingen Jens Schippl, Dr. Witold-Roger Poganietz und Ulrich Riehm in anschaulichen Vorträgen zu Visionen der zukünftigen Energieversorgung und Mobilität im städtischen Raum nach.
Jens Schippl, Experte für (städtische) Mobilitätsysteme am ITAS, stellte vier unterschiedliche, aber doch zusammenhängende Entwicklungsmöglichkeiten in den Raum. Zunächst ging er auf das Thema Elektromobilität ein, welches derzeit in seinen Zuwachsraten durch Probleme wie die hohen Kosten und langen Ladezeiten noch stärker eingeschränkt ist, als es sich die Bundesregierung mit ihren ambitionierten Zielen, so Schippl, wünscht. Hier zeigt Norwegen, dass es durch entsprechende Förderpolitik dennoch machbar ist, den Anteil der Elektrofahrzeuge am Verkehr zu steigern. Eine weitere Entwicklung der Mobilität in der Stadt, welche oft mit Elektrofahrzeugen verknüpft wird, ist die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen im Individualverkehr, beispielsweise mit Carsharing. Eine weitere Vision für die Mobilität der Zukunft ist die Frage, ob Straßenverkehr denn nicht auch ohne Fahrer funktioniert. Teilautonome Systeme, die vom Fahrer jedoch noch ständig überwacht werden, sind bekanntlich bereits in Serie. Bis vollautonome Systeme auf den Markt kommen können, bedarf es jedoch noch weiterer Forschung und Entwicklung. Zudem ist fraglich, ob diese visionäre Form des Individualverkehrs von der breiten Bevölkerung gewünscht wird. Die nächste Stufe wäre, dass Fahrzeuge nicht mehr nur auf der Straße, sondern auch in der Luft verkehren. Mit diesem möglichen Zukunftsbild der Personal Air Vehicles schloss Jens Schippl seine Präsentation ab.
Irgendwo muss jedoch die Energie für die Fortbewegung herkommen und an diesem Punkt stieg Dr. Witold-Roger Poganietz in den Themenabend mit ein. Er referierte zur städtischen Energieversorgung und zeigte unterschiedliche Lösungen sowie Akteure auf, die die Zukunft der Energieversorgung in der Stadt mitgestalten könnten. Die Produktion der Energie in Zukunft sieht er als deutlich dezentraler, was die lokalen Erzeuger vor Herausforderungen stellt. Diese seien unter anderem die Versorgungssicherheit bei zeitlich schwankender Nachfrage und die technische Umsetzung, da die verschiedenen Energiequellen untereinander abgestimmt werden müssen. Dazu notwendig sind sogenannte intelligente Stromnetze (smart grids), die jedoch eine gewisse Sammlung und Auswertung von Daten benötigen. Hier stellt sich die Frage, ob der Verbraucher das möchte, da es Bedenken gibt, diese privaten Daten zur Verfügung zu stellen. Poganietz fuhr fort, indem er zusätzlich zur technischen Abstimmung auch die organisatorische Herausforderung der Dezentralisierung der Stromproduktion ansprach. Die Dezentralisierung könnte hier zu einer „Demokratisierung“ des Angebots führen, welche eine individuelle Einflussnahme von mehr Personen fördern würde.
Und was ist, wenn die Energie mal ausbleibt? Diese Frage beschäftigte Ulrich Riehm im Rahmen einer vielbeachteten Studie zu den Folgen eines langandauernden Stromausfalls. Er ist langjähriger Mitarbeiter des Instituts und des vom ITAS betriebenen Büros für Technikfolgen- Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Beispiele in der Geschichte für einen langandauernden und großflächigen Stromausfall gibt es nur wenige. Als Beispiel nannte Riehm einen fünf Tage andauernden Stromausfall 2003, der insgesamt 250 000 Menschen im Münster- und Emsland betraf. Grund dafür war ein „Schneechaos“. Doch was sind die Folgen eines solchen Ereignisses? Hier ging Riehm vor allem auf den Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik ein. Im Bereich der mobilen Telefonie zeigte er, dass es häufig nicht die Endgeräte, sondern die Basisstationen sind, die zuerst, manche bereits nach wenigen Minuten ohne Strom, ausfallen. Durch den Ausfall des DSL- Routers, kommt es heutzutage in den meisten Haushalten bei der Festnetztelefonie zuerst zum Versagen. Als ausfallsicherste Kommunikationsmöglichkeit stellte Riehm den Hörfunk dar, welcher zum Beispiel in PKWs angehört werden kann.
Im Anschluss an eine spannende Diskussion präsentierte Jens Hahn eine Zusammenfassung des Gesagten, geleitet von seinem während der Veranstaltung gezeichneten Visual Recording.
Zum Abschluss möchten wir uns nochmal bei allen Beteiligten, den Vortragenden Jens Schippl, Dr. Witold-Roger Poganietz und Ulrich Riehm, Jens Hahn und dem Publikum bedanken.
Was essen wir morgen? Von Retortenfleisch, Ökobauernhöfen und anderen Geschichten
Die Philosophin Arianna Ferrari und der Agrarwissenschaftler Rolf Meyer gaben am dritten technik.kontrovers Abend einen Einblick in ihre Forschungsfelder. Vor ca. 100 interessierten Bürgerinnen und Bürgern kritisierte Ferrari den aktuellen Fleischkonsum unserer Gesellschaft und stellte mögliche zukünftige Alternativen vor, die sich momentan noch im Entwicklungsstadium befinden. Sie ging auf In-vitro-Fleisch ein, das aus Stammzellen im Labor gezüchtet werden kann, präsentierte das Start-up Muufri, das vegane Milch herstellt und die Methode Biofabrication der Firma Modern Meadow, die die Herstellung von Leder entwickeln will, ohne dass Tiere getötet werden müssen. Nebeneffekte dieser zukünftigen tierfreundlicheren Methoden sind, so hoffen zumindest die Innovatoren, die reduzierte Nutzung von Agrarland, Wasser, Energie sowie Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Ferrari hob hervor, dass Essen Teil der menschlichen Kultur ist. Die Akzeptanz des Einsatzes von Technologien im Essensbereich hängt also auch von den Wertvorstellungen der Menschen ab.
Meyer knüpfte mit seiner Präsentation an die kulturelle Sichtweise von Ferrari an und präsentierte eine sozial-ökologische Perspektive auf die Landwirtschaft und Ernährung. Er arbeitete heraus, wie mit agrarökologischen Ansätzen (z.B. ökologischer Landbau) die Umweltprobleme der Landwirtschaft angegangen werden. Außerdem sollte in einer sozialen Perspektive der Fokus stärker auf Kleinbauern gelegt werden, die global die große Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe darstellen. Großbetriebe wie sie in Deutschland und den USA üblich sind, sind nicht so weit verbreitet wie vielfach angenommen wird. Des Weiteren führte er aus, dass in dieser alternativen Perspektive mehr auf Vielfalt und Ernährungssouveränität gesetzt und eine ökonomische Globalisierung als nicht zielführend angesehen wird.
In der anschließenden Diskussion wurde darüber debattiert, ob Technologien eine Lösung für einen ethischen Umgang mit Tieren bringen könnten oder ob wir unser Ernährungsverhalten ändern müssen. Das Publikum zeigte sich zwar interessiert daran einen In-vitro-Burger zu probieren, der Großteil jedoch plädierte für einen reduzierten Fleischkonsum. Darüber hinaus wurde über das Kräfteverhältnis zwischen Nahrungsproduzenten und -konsumenten diskutiert, welches nach Ferrari und Meyer nicht überall gleich ist, sondern abhängig von der Kultur und Werten. In der Zukunft wird es höchstwahrscheinlich keine einheitliche Lösung geben sondern es werden verschiedene Ansätze koexistieren. Und neben ökologischen Problemen gilt auch, das in der Diskussion angesprochene Problem der Verteilungsgerechtigkeit von Lebensmitteln anzugehen, welches in technischen Ansätzen oft ausgeblendet wird.
Zum Abschluss der Veranstaltung präsentierte Jens Hahn wieder seine Sichtweise auf die Vorträge und die Diskussion anhand des von ihm gezeichneten Visual Recording, welches diesmal besonders umfangreich wurde.
Wir bedanken uns noch einmal bei unseren Vortragenden Arianna Ferrari und Rolf Meyer, bei unserem Visual Recorder Jens Hahn, der die vielen kontroversen Ideen und Debatten künstlerisch festgehalten hat und ganz besonders bei unserem diskussionsfreudigen Publikum.
Wir freuen uns bereits jetzt auf unseren vierten technik.kontrovers Abend im Oktober mit dem Thema „Zukunftsstadt oder Stadtzukünfte?“.
YouTube: Launch of burger made from Cultured Beef on 5 August 2013
Smart. Vernetzt. Gläsern? | Leben in der Datenwolke
An unserem zweiten technik.kontrovers Abend „Smart. Vernetzt. Gläsern? | Leben in der Datenwolke“ führten Reinhard Heil und René König die knapp 70 Interessierten mittels eines inszenierten Streitgesprächs zwischen einem Digitalisierungsdystopisten und einem Digitalisierungsutopisten in das Thema des Abends ein. Die Beiden debattierten über Themen wie Anonymität im Internet, Metadaten, der Kunde als Produkt und das Internet der Dinge. Einig werden konnten sie sich natürlich nicht, lieferten jedoch den Zuschauerinnen und Zuschauern eine differenzierte Sichtweise auf die sehr aktuelle Debatte zur Digitalisierung unserer Gesellschaft.
Abgerundet wurde das Streitgespräch durch einen Impulsvortrag von Reinhard Heil, in dem er die wichtigsten Punkte der Debatte noch einmal zusammenfasste und eine gemäßigtere Sichtweise präsentierte. Der Designer Jens Hahn stellte eine künstlerische Zusammenfassung in Form eines Visual Recordings vor, das seine ganz eigene Sichtweise auf die Thematik und den Abend widerspiegelt.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass Big Data und das Internet of Everything von vielen eher als Bedrohung denn als Bereicherung wahrgenommen wird. Wo fallen überall Daten an, wer darf sie wie benutzen? Die Intransparenz der Datenerhebung und Verarbeitung, sowie die als unzureichend empfundenen Möglichkeiten die Daten zu kontrollieren wurden kritisiert. In der Diskussion wurde ein allgemeines Unbehagen, der Technologie und der Wirtschaft ausgeliefert zu sein, deutlich. Die rege Debatte hätte sicherlich noch bis spät in die Nacht gehen können.
Das ITAS wird sich in den nächsten vier Jahren zusammen mit mehreren universitären Partnern im Projekt ABIDA – Assessing Big Data diesen und weiteren Herausforderungen, mit denen die Gesellschaft durch die zunehmende Digitalisierung konfrontiert ist, widmen.
Mensch, Maschine | Maschinen-Mensch?
Zum Auftakt der Reihe gehen Forscher des ITAS der Frage nach, was es bedeutet, wenn insbesondere digitale Technologien zu einem immer größeren Teil unseres Lebens werden. Sie skizzieren Spannungsfelder und Berührungspunkte zwischen Mensch und Maschine aus folgenden Perspektiven und binden dabei auch die Besucher mit ein:
- „Robotik: Ersetzt Du mich ersetz‘ ich Dich…“ - Michael Decker, ITAS
- „Den Menschen verbessern?“ - Christopher Coenen, ITAS
- „Mündigkeit statt Technisierung“ - Bettina Krings, ITAS
YouTube: Kraftwerk - The Man Machine (live)
YouTube: Compressorhead Fingers and Stickboy TNT
Der Auftakt der Öffentlichen Reihe mit dem Thema „Mensch, Maschine | Maschinen-Mensch?“ war mit ca. 70 Besuchern ein großer Erfolg. Die drei Referenten sorgten mit ihren unterschiedlichen Ansätzen für einen breiten Zugang zum Thema Robotik am ITAS. Michael Decker erläuterte in seinem Vortrag „Ersetzt du mich, ersetz ich Dich“ inwiefern Roboter Aufgaben übernehmen können, die sonst von Menschen übernommen werden müssten. Darüber hinaus erklärte er, welche Zwecke humanoide Roboter besser als Menschen erfüllen können und er ging hierbei auch auf die juristische Dimension der Robotik ein. Bettina-Johanna Krings brachte dem Publikum mit ihrem Vortrag „Mündigkeit statt Technisierung“ eine kritische Sichtweise auf die Grenzziehung zwischen Mensch und Maschine näher, untermauerte ihre Thesen mit Beispielen aus Produktionsprozessen, die in sämtliche Lebensbereiche des Menschen reichen und appellierte für die Emanzipation des Menschen von dieser Form des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Den Abschluss machte Christopher Coenen mit „Verbesserung des Menschen“, der sich mit Human Enhancement und Cyborgs befasst. Nach einem kurzen historischen Rückblick stellte er einzelne Hackeraktivisten und Cyborgkünstler vor.
In Anschluss an die Impulsvorträge war viel Zeit für Nachfragen und zur Diskussion. Ergänzt wurden die Vorträge und Diskussion nicht nur durch Videos, die die kontroverse Thematik noch einmal unterstrichen, sondern auch von dem Designer Jens Hahn, der die Vorträge parallel in einem Visual Recording festhielt. Am Ende der Veranstaltung rekapitulierte er anhand seiner Zeichnung die Vorträge und die Diskussion.
Mit der Öffentlichen Reihe sucht das ITAS den Dialog mit der Gesellschaft und möchte Technikfolgenabschätzung für interessierte Bürgerinnen und Bürger begreifbar machen.
technik.kontrovers
In der Reihe „technik.kontrovers“ präsentiert das ITAS gesellschaftlich brisante Technikthemen, zu denen am Institut geforscht wird. Die vierteljährlich stattfindenden Veranstaltungen haben das Ziel, vernetzend, interaktiv und vielfältig vorzugehen. Die Forscherinnen und Forscher skizzieren mit kurzen Impulsen unterschiedliche Positionen zur gesellschaftlichen Dimension bestimmter Technikbereiche und suchen damit den unmittelbaren – und gerne auch kontroversen – Austausch mit der Öffentlichkeit.
Veranstaltungen aus den Jahren 2014/2015 - 2016 - 2017 - 2018 - 2019 - 2020 - 2021 - 2022 - 2023 - 2024