Ökonomische Prinzipien und wissenschaftliche Praxis. Fallstudienbasierte Untersuchung von Materialforschungsgruppen
- Projektteam:
Schleisiek, Anna (Dissertation)
- Starttermin:
2010
- Endtermin:
(aus ITAS ausgetreten)
- Forschungsgruppe:
Wissensgesellschaft und Wissenspolitik
Projektbeschreibung
Die Autonomie sozialer Felder zeichnet sich nach Pierre Bourdieu durch die Unabhängigkeit eines Feldes von den Zwängen der es umgebenden sozialen Welt aus und äußert sich in der Fähigkeit der Akteure des Feldes, äußere Zwänge oder Anforderungen zu brechen oder in eine feldspezifische Form zu bringen. Das wissenschaftliche Feld lässt sich nach Pierre Bourdieu dadurch charakterisieren, dass die Akteure in ihm einer anti-ökonomischen Ökonomie folgen, die sich als eine feldspezifische Illusio ausdrückt, die Bourdieu auch das „wissenschaftliche Interesse“ nennt. Eigenschaften dieser Illusio sind beispielsweise Uneigennützigkeit und Unentgeltlichkeit ebenso wie die Fähigkeit der Akteure prestigeträchtige Forschungsthemen zu antizipieren und das Streben nach Anerkennung durch andere Akteure im Feld. Akteure einer im Bourdieuschen Sinne autonome Wissenschaft wären in der Lage, Anforderungen an ihre Praxis wieder in Form des wissenschaftlichen Interesses, als der feldspezifischen Illusio, zu bringen.
Während der letzten 20 Jahre hat sich die Governance der Forschung in Europa gewandelt. Deutschland ist ein aktueller Fall in diesem Transformationsprozess, der zu einer stärker Markt orientierten Forschungsgovernance führt. Alle Organisationen des öffentlich finanzierten Forschungssystems in Deutschland, Universitäten ebenso wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sind von diesem Prozess betroffen. Getrieben wird dieser Prozess von Reformvorhaben und Restrukturierungen, die hauptsächlich auf Initiativen des politischen Feldes zurückgehen und in zwei Richtungen wirken: zum einen in Hinblick auf die Organisation von Wissenschaft. Basierend auf der Prämisse, dass eine markförmige Organisation das beste Organisationsprinzip sei, um wissenschaftliche Exzellenz durch Wettbewerb zu erreichen, werden ökonomische Prinzipien auf der Ebene der Organisation von Forschung implementiert. Zum anderen wirken die Reformvorhaben und Restrukturierungen in Hinblick auf die Verwertung von Forschungsergebnissen. Diese sollen stärker kommerzialisiert werden, um ökonomisches Wachstum für die Gesellschaft durch Innovationen zu erreichen. Ein populäres Beispiel für diese neue Governance der Forschung ist die Einführung von Managementinstrumenten aus betriebswirtschaftlichen Kontexten nach dem Leitbild des New Public Management an wissenschaftlichen Einrichtungen.
Forschungsgruppen müssen ihren Alltag in diesem gewandelten organisationalen Kontext gestalten. Welche Rolle spielen ökonomische Prinzipien für den wissenschaftlichen Alltag in Forschungsgruppen? Orientiert sich das Alltagshandeln der Akteure am wissenschaftlichen Interesse einer antiökonomischen Ökonomie oder sind andere Muster zu beobachten?
Mit diesem Dissertationsvorhaben werden diese Forschungsfragen in einer mikrosoziologischen Studie aufgegriffen, bei der Methoden der qualitativen Forschung in einem komparativen Fallstudienansatz zum Einsatz kommen. Durch die Rekonstruktion des Alltags von Forschungsgruppen werden die Handlungsprinzipien der Forschungsgruppen rekonstruiert. Als Fall wird das Feld der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik ausgewählt. Durch die anwendungsorientierte Ausrichtung der Forschungsarbeiten sind die Forscher hier intensiv mit den Anforderungen an die kommerzielle Verwertbarkeit ihrer Arbeiten konfrontiert. Dabei werden Forschungsgruppen aus drei außeruniversitären Forschungsorganisationen (Max-Planck-Institute, Fraunhofer Gesellschaft und der Helmholtz Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren) und einer Universität vergleichend betrachtet.
Administrative Daten
Referent: | Prof. Dr. Uwe Schimank, Universität Bremen |
Koreferent: | Bettina Krings |
Bezugnehmende Projekte: | Wissenspolitik |
Doktoranden bei ITAS: | siehe Promovieren am ITAS |