ITAS-Kolloquium 2011

  • Veranstaltungsart:Vortragsreihe
  • Tagungsort:

    Karlsruhe

  • Datum:2011

Montag, 24.01.2011, 14:00 Uhr

Jun.-Prof. Dr. Gregor Betz, Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Philosophie

Die dialektische Landschaft der Climate-Engineering-Kontroverse

Der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen schlägt in seinem 2006 erschienen Artikel "Albedo Enhancement by Stratospheric Sulfur Injection: A Contribution to Resolve a Policy Dilemma?" vor, den anthropogenen Klimawandel durch gezielte, großtechnische Eingriffe in das Klimasystem zu kompensieren. Solche sogenannten Climate-Engineering-Maßnahmen (CE-Maßnahmen) wurden zwar vereinzelt auch schon vor Crutzens Veröffentlichung diskutiert. Mit Crutzens vorsichtigem Plädoyer für die Erforschung solcher Maßnahmen ist diese Kontroverse aber vollends in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften und öffentlichen Medien angekommen. In diesem Vortrag stelle ich eine argumentationstheoretische Analyse der CE-Kontroverse vor. Anhand dieser Analyse wird deutlich, dass die verschiedenen CE-Maßnahmen sehr differenziert zu beurteilen sind. Über eine Bewertung von CE-Maßnahmen hinaus soll in diesem Vortrag aber auch die Technik der Argumentkartierung selbst - verstanden als eine Methode der Technikfolgenabschätzung und -bewertung - vorgestellt und thematisiert werden.

Montag, 16.05.2011, 14:00 Uhr

Prof. Dr. Arnim von Gleich, Universität Bremen, FG Technikgestaltung und Technologieentwicklung

Innovations- und Technikanalyse schon im Forschungsprozess? Das Beispiel Synthetische Biologie

In den technologiepolitischen Auseinandersetzungen der 1970er und 80er Jahre hieß es, die Technikfolgenabschätzung komme in der Regel zu spät. Sie setze ein, wenn die Anlagen schon gebaut und die Produkte auf dem Markt seien. Doch die modernen Industriegesellschaften haben gelernt. Sie entwickeln eine 'neue Innovationskultur', wie Wolf-Michael Catenhusen es als Vorsitzender der Nanokommission der Bundesregierung ausdrückte. Die Debatte über Chancen, Risiken und die wissenschaftliche Innovations- und Technikanalyse (ITA) setzt immer früher im Innovationsprozess an. Dies eröffnet einerseits wesentlich größere Handlungsspielräume, weil viele Entscheidungen noch nicht gefallen sind, weitreichende Investitionen noch nicht getätigt wurden, also Pfadabhängigkeiten noch nicht greifen. Ein derart frühes Einsetzen sieht sich andererseits mit immensen Unsicherheiten konfrontiert. Viele Chancen und Risiken konkretisieren sich erst im Zuge der Produktentwicklung und entlang des Produktlebenszykluß. Es kommt also darauf an, Instrumente für eine ITA zu entwickeln, die sich bei der Abschätzung von Chancen und Risiken auf dasjenige konzentrieren, das in derartig frühen Innovationsphasen schon bekannt ist: Die Funktionalitäten, die die Technologie interessant machen, oder noch weiter 'vorne' im Innovationsprozess die wissenschaftlichen Paradigmen und die experimentellen 'Erfolge'.

Die 'Synthetische Biologie' ist derzeit vor allem noch ein Forschungsgebiet. Sie beschäftigt sich ihrem Selbstverständnis gemäß mit der Anwendung von Ingenieursprinzipien der Systemgestaltung auf biologische Systeme mit dem Ziel vorhersagbare und robuste Systeme herzustellen mit neuen Funktionalitäten, die bisher in der Natur nicht vorkommen (Definition in Anlehnung an NEST 2005). Mit großem Selbstbewusstsein grenzt sie sich gegenüber der Gentechnik ab, die über ein Herumprobieren im Überkomplexen nicht hinausgekommen sei und auch gegenüber der natürlichen Evolution, die viel zu sehr in ihre selbsterzeugten Pfadabhängigkeiten (Baupläne) verstrickt sei. Mit der Synthetischen Biologie wird also eine eindeutig reduktionistische Form des Umgangs mit Komplexität favorisiert.

Interessante Chancen und Nachhaltigkeitspotenziale der Synthetischen Biologie werden derzeit (neben wichtigen Beiträgen zur biologischen Grundlagenforschung) v. a. auf den Gebieten Medizin (Diagnostik, Pharmazeutika, künstliches Gewebe), neue biomimetische Werkstoffe (künstliche Zähne, Knochen, Perlmutt, Spinnenseide), erneuerbare Energien (Biofuels, künstliche Photosynthese) und biochemische Stoffsynthesen (green chemistry) erwartet. Unser vom BMBF gefördertes Projekt "ITA - Innovations- und Technikanalyse im Vorhaben Synthetische Biologie" (http://www.synbiota.uni-bremen.de) beschäftigt sich sowohl mit den Chancen als auch mit den Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsaspekten der bisherigen und erwartbaren Entwicklungen der Synthetischen Biologie. Nicht zuletzt mit Hilfe der von uns mitentwickelten 'vorläufigen Chancen und Gefährdungsabschätzung' als auch mit Hilfe einer 'leitbildorientierten Technologiegestaltung' soll ein Beitrag geleistet werden, aufbauend auf den technischen Potenzialen die Chancen der Synthetischen Biologie tatsächlich zu realisieren und die teilweise auf denselben technischen Potenzialen aufbauenden Gefährdungen zu minimieren.

Montag, 06.06.2011, 14:00 Uhr

Prof. Dr. Thomas Kohl, Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Angewandte Geowissenschaften, Abt. Geothermie

Geothermische Energieversorgung - Chancen und Risiken in Bezug auf nachhaltige

Die Rolle der Geothermie reicht historisch sehr weit zurück: Thermalbäder stellen die ersten Nutzungen der Geothermie seit der Antike dar. Heisse Thermalquellen spielten bis weit ins Mittelalter hinein eine wesentliche Rolle für militärische Eroberungen in Mitteleuropa. Die eigentliche geothermische Stromerzeugung begann 1913 in der Toskana mit der Erstellung eines 220 kW Kraftwerks durch Graf Conti. Heute sind weltweit Anlagen mit einer Kapazität von über 10 GW installiert, die teilweise über 20 Jahre in Betrieb sind, ohne negative Umwelteinflüsse wie Seismizität zu verursachen. In der aktuellen Diskussion um die verstärkte Nutzung Erneuerbarer Energien scheint das Interesse an der Geothermie wieder neu zu erstarken. Ihr Vorteil liegt in der Grundlastfähigkeit, im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energieträgern. Weitere Eigenschaften der Geothermie sind ihr geringer Schadstoffausstoss, ihr riesiges Energiepotenzial, geringer Oberflächenbedarf und die kombinierte Wärme-Stromproduktion. Der natürliche geothermische Wärmefluss speist sich durch den Zerfall radioaktiver Isotope und erreicht einen Wert von 40 Millionen MWt.

Geothermische Energie wird als erneuerbar betrachtet, wobei die Ressource im Gegensatz zu Bergbauaktivitäten durch den natürlichen Wärmefluss immer wieder neu aufgefüllt werden kann. Eine Bewirtschaftung dieser Ressource kann in einer nachhaltigen Art und Weise erfolgen. Die Bewirtschaftung steht im Gegensatz zu kurzfristigen Renditezielen, in der ein Reservoir schnell erschöpft wird (Bsp. The Geysers, USA). Diese Art der konventionellen Geothermie-Nutzung wird jedoch in Mitteleuropa nicht mehr angewandt. In dem sogenannten EGS Konzept stehen Förderung und Verpressung der Thermalwässer im Gleichgewicht. Die Regenerierung der geothermischen Ressourcen erfolgt jedoch in einer unterschiedlichen Zeitskala, die vom jeweiligen Nutzungstyp abhängt. So hat sich der Untergrund bei Erdwärmesondensystemen bereits nach der doppelten Nutzungsdauer wieder erholt (ca. 30 Jahre nach einer 30 jährigen Nutzungsdauer), wohingegen Hochenthalpie-Reservoire ca. 1000 Jahre zu einer Erholung benötigen. Eine entsprechende Erholzeit ist somit für alle Systeme wesentlich. Die Auffüllung der thermischen Energie des Reservoirs erfolgt mit einem asymptotischen Verhalten und wird typischerweise nach 95% als erfüllt angesehen. Numerische Berechnungen zeigen positive Langzeiteffekte auf, die dazu führen, dass eine nachhaltige Produktion ergiebiger als eine verstärkte Kurzzeitnutzung ist.

Betrachtet man die strengste Definition von Nachhaltigkeit ("Der Verbrauch eines Rohstoffes muss im Gleichgewicht mit der Erzeugung dieses Rohstoffes stehen"), so darf Geothermie nicht als nachhaltigen Energieträger bezeichnet werden. Mit einer zeitgemässen Definition gemäss dem New Zealand Resource Management Act (1995) gilt dieser Begriff für geothermische Energie, da deren Nutzung den Bedürfnissen der heutigen Bevölkerung entspricht und die Umwelt für zukünftige Generationen bewahrt. Dies entspricht ebenfalls dem Sinn der World Commission on Environment and Development (1987), die eine nachhaltige Energienutzung entsprechend den Bedürfnissen der gegenwärtigen und zukünftiger Generationen definiert.

Montag, 27.06.2011, 14:00 Uhr

Dr. John Weckert, Centre for Applied Philosophy and Public Ethics (CAPPE) / Charles Sturt University / Australian National University / University of Melbourne

Playing God: What is the problem?

To play god is supposedly to do something wrong and is a charge not uncommonly leveled at researchers in the biological sciences, especially genetics, and now also at research and development in nanotechnology, geo-engineering and other new technologies. While it is easy to mock those who accuse scientists and technologists of playing god, the charge is worth some examination. An attempt will be made to understand what it means, primarily in a non-religious context. In a religious context it can be taken to mean that some action is wrong because it is something that only god should do. From a secular standpoint it can mean that an action is interfering with nature. One difficulty with this view is that if we accept that humans are part of the natural world then everything that we do is as natural as birds building nests or wombats dig-ging burrows. The charge of course implies changing nature in a way that is potentially dangerous. It is thus a rhetorical device that is unhelpful unless supported with evidence. The argument here however is that it can be more than empty rhetoric and can help to highlight something important. The manipulation of life and of matter at the atomic and molecular level is thrusting humans into situations where new decisions must be made. This is not necessarily wrong but the conse-quences of dramatically changing the parameters within which we have evolved should be taken into account when con-sidering new technologies and their applications. Talk of "playing god" can draw attention to this. The examination will take account of a number of arguments that have appeared in the recent literature.

Montag, 12.09.2011, 14:00 Uhr

Dr. Beate Adam, Institut für angewandte Ökologie, Kirtorf-Wahlen

Die dunkle Seite der erneuerbaren Energien - Beispiele aus dem Wassersektor

Spätestens seit der Energie-Wende der Bundesregierung kommt den regenerativen Energien eine neue, eine tragende Rolle bei der nationalen Energieversorgung zu. Technikfolgenabschätzung bedeutet auch in diesem Fall, nicht nur die beabsichtigten Effekte sondern auch und insbesondere die nicht beabsichtigten Nebeneffekte zu analysieren und zu bewerten. Die Gewinnung von regenerativer Energie aus Wasserkraft spielte schon immer eine bedeutende wirtschaftliche Rolle.

Deshalb verlief die technische Entwicklung vom antiken Wasserrad bis hin zu modernen Turbinen rasant und erlangt angesichts des Klimawandels neuerliche Bedeutung. Allerdings blieben die mit der Wasserkraftnutzung einher gehenden Auswirkungen auf die Fließgewässer und die in ihnen lebenden Organismen weitgehend unbeachtet: Flussbegradigungen, Stauhaltungen, Wasserentnahmen und andere Veränderungen des Abflussgeschehens haben die Morphologie und Dynamik der meisten Fließgewässer Deutschlands gravierend verändert. Dies hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Landschaftsästhetik und andere - nicht selten konkurrierende - anthropogene Gewässernutzungen, sondern insbesondere auch auf die Habitat- und damit die Lebensqualität der Gewässerbewohner. Da sich diese jedoch einer Direktbeobachtung weitgehend entziehen, sind die Folgen von Aufstau und Ausleitung sowie die Unterbrechung der Wanderkorridore erst ansatzweise untersucht und verstanden. In Konsequenz aus den fehlenden Kenntnissen, fehlen auch Instrumente zur Minimierung solcher Schäden und zum Erhalt bzw. zur Wiederherstellung des von der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie geforderten guten ökologischen Zustands der Gewässer. Vor diesem Hintergrund wird eine neue Denk- und Forschungsrichtung vorgestellt, mit der es möglich ist, das benötigte Instrumentarium zu erarbeiten, mit dem die sozio-ökonomischen Bedürfnisse des Menschen einerseits und ökologische Notwendigkeiten andererseits durch eine nachhaltigere Wasserkraftnutzung gemeinsam befriedigt werden können.

Montag, 17.10.2011, 14:00 Uhr

Dr. Peter Biegelbauer, Institute for Advanced Studies, Wien

Von der Theorie für die Praxis oder von der Praxis für die Theorie lernen? Die Beurteilung von (partizipativer) Technikfolgenabschätzung in umstrittenen Fällen von Wissenschaft und Technologie

Kontroversen über verschiedene Modelle von Technikfolgenabschätzung beruhen oft auf unterschiedlichen Annahmen darüber was demokratische Prozeduren in der Regulation von Wissenschaft und Technologie beinhalten sollten. Im Rahmen des Vortrages werden zunächst auf der Basis verschiedener Demokratietheorien Kriterien zur Beurteilung von Technikfolgenabschätzung gebildet. In einem zweiten Schritt werden sie auf eine Reihe von Fällen der Regulation einer umstrittenen Technologie angewendet, in denen unterschiedliche Instrumentarien der Einschätzung dieser Technologie zum Einsatz gekommen sind. Die Daten dazu stammen aus dem EU-FP7 Forschungsprojekt CIT-PART, in dem die Regulation von Xenotransplantation in 10 OECD-Ländern, der EU und der OECD untersucht wird.

Hinweis

Die Vorträge des ITAS-Kolloquiums finden im Kolloquiumsraum des ITAS statt, Gebäude 451, 2. OG, Raum 412.
Externe Teilnehmer bitte einen gültigen Personalausweis für den Einlass an der Pforte mitbringen!
Hinweise für die Anfahrt zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Campus Nord sowie einen Lageplan der Gebäude gibt es hier