Objektivität als Geltungsanspruch wissenschaftlicher Erkenntnis
- Projektteam:
Krüger, Marcel (Dissertation)
- Starttermin:
2016
- Endtermin:
(aus ITAS ausgetreten)
- Forschungsgruppe:
Philosophie der Technik, Technikfolgenabschätzung und Wissenschaft
Projektbeschreibung
In verschiedenen Hinsichten scheint neuerdings die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis wieder in Frage gestellt, und zwar sowohl im sogenannten öffentlichen Diskurs als auch in wissenschaftsinternen Auseinandersetzungen und in wissenschaftstheoretischen Metareflexionen selbst. Die Debatten um die Reichweite, die Verallgemeinerbarkeit und die Verbindlichkeit der Resultate wissenschaftlicher Forschung lassen sich sodann auch als auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Fokussierungen geführt begreifen. So ist etwa die vorausgesetzte oder wünschenswerte Objektivität der in wissenschaftlichen Prozessen involvierten Forscher zweifach ins Wanken geraten: zum einen durch eine erneute Diskussion um die Wertbehaftetheit wissenschaftlichen Tuns; zum anderen durch eine Diskussion der Interessengeleitetheit der beteiligten Akteure. Die erste, wissenschaftsphilosophisch geführte Diskussion erhellt, dass im Forschungsprozess Wissenschaftler immer wieder vor Entscheidungen stehen, in denen sie sich auch von Werten leiten lassen müssen, die sich nicht wissenschaftsimmanent ergeben. Diese Perspektive unterstreicht hinsichtlich der Forschungspraxis und der Deutung der Forschungsresultate eine zwangsläufige Orientierung an und damit Parteinahme für Werte, deren Kontext die außerwissenschaftliche Lebenswelt ist. Die zweite, wissenschaftssoziologisch geführte Diskussion hebt hervor, dass Forschungsprozesse Teile umfassenderer sozialer Gebilde seien, in denen politische, ökonomische und andere Interessen oder Erwägungen Einfluss ausüben darauf, ob Forschung überhaupt stattfindet, ob sie und wie sie gefördert wird, welche Forschung forciert und welche behindert wird, zu welchem Zweck geforscht wird und wer forscht. Eine fundamentaler angesiedelte Kritik stellt dagegen die Möglichkeit von Objektivität bereits auf der Ebene der Zugänglichkeit zur als solcher vermeinten objektiven Welt in Frage: Menschen sei es prinzipiell verwehrt, tatsächlich sicheres Wissen und damit unbedingte Wahrheiten über die Dinge in der Welt zu erlangen. Begründet wird diese Unmöglichkeit letztlich immer mit Variationen der spezifischen menschlichen Perspektivität, während Absoluturteile, in die Objektivität münden müsse, nur von einem Gottesstandpunkt aus gefällt werden können. Das Ideal einer objektiv arbeitenden Wissenschaft gerät also stark unter Druck. Besorgniserregender als einen in Teilen anzutreffenden voraufgeklärten Weltbezug scheint es einigen Autoren denn auch, dass sich ganz grundsätzlich ein postmoderner Relativismus als Haltung durchzusetzen scheint, dem im Gefolge eines philosophischen Skeptizismus die Fakten liefernde und bestimmende Realität nichts mehr gilt.
Objektivität wird auf diese Weise von ihren Kritikern wie von ihren Verfechtern als das von Menschen Unabhängige modelliert, genauer: objektiv zu sein ist der Geltungsanspruch, der sich mit Urteilen über das von Menschen Unabhängige verbindet. Entsprechend müssen in diesem Sinne Urteile, die objektiv sein sollen, unabhängig der Perspektivität gefällt werden, die Menschen überhaupt oder je individuell einnehmen. Bestreitet man nun die Möglichkeit objektiver Urteile, ist damit nicht zuletzt auch die wissenschaftliche Praxis in ihrem Geltungsanspruch herausgefordert und man muss konstatieren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse gegenüber anderen Formen von Urteilen über die Welt, z.B. Meinungen, keinen gesonderten Stellenwert haben. So weit gehen freilich die wenigsten Kritiker. Sie können es gar nicht. Denn auch die Kritik der Objektivität beansprucht, nicht bloß subjektiv zu gelten, also gerade nicht perspektivabhängig zu sein. Aber statt von Objektivität sprechen die Objektivitätsanspruchs-Kritiker in solchen Fällen häufig von Intersubjektivität: Ob Aussagen über die Welt wahr und was die Dinge in der Welt sind, entscheide sich demnach diskursiv, also in Aushandlungsprozessen zwischen den Beteiligten. Diese würden zwar nicht willkürlich geführt, aber sie geschähen weder mit äußerer Notwendigkeit, noch fände sich der Wahrmacher, also das, was die Geltung eines Urteils durchsetzt, auf der Objektseite. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind dann als Urteile eines besonderen Diskurszusammenhangs zu verstehen.
In diese Auseinandersetzung über Objektivitätsansprüche möchte nun das Promotionsprojekt intervenieren. Dabei geht es dem Verdacht nach, dass wissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich auszeichnet, auf besondere Weise objektive Urteile zu sein, allerdings von den skizzierten Positionen noch nicht angemessen verstanden wird, was es heißt, dass ein Urteil objektiv sei. Denn weder ist darunter eine absolute Wahrheit zu verstehen, noch ist gänzlich erfasst, was wissenschaftliche Urteile objektiv macht, wenn man sie als intersubjektiv gewonnene Diskursprodukte begreift. Objektivität wird stattdessen als Titelwort für nicht-essentialistische Strukturen vorgestellt, die es ohne die Menschen zwar nicht „gäbe“, die aber weder Ergebnis intersubjektiver Verständigung sind, noch von Einzelnen beliebig anerkannt oder missachtet werden können. Entsprechend wäre Objektivität zunächst kein erst anzustrebendes Ideal, das zu erreichen sei, indem von persönlicher Involviertheit abgesehen werde. Vielmehr müsste zu zeigen sein, dass die Objektivität von Strukturen immer schon in Anspruch genommen wird, wenn etwas praktisch zur Geltung gebracht wird, z.B. wenn man davon ausgeht, im Gespräch verstanden werden zu können, oder davon, dass partikulare Handlungen zum Ziel führen, d.h., dass sie innerhalb vorfindbarer Praktiken Sinn machen. Urteile über Beliebiges zeichneten sich also dann als objektiv aus, wenn in ihnen die von allen immer schon gemeinsam gemachten Voraussetzungen zur Geltung kommen, d.h., dass sie verstanden, überprüft und reproduziert werden können. Stimmt das, müssten sich Wissenschaften gegenüber anderen Urteilspraktiken in besonderer Weise als objektiv arbeitend auszeichnen, da das Wissenschaftliche an Wissenschaften ist, dass sie die Strukturen ihrer Gelingensbedingungen reflektieren und methodologisieren und damit die Erkenntnisgewinnung transparent machen. Weder die als an sich existierend angenommene Objektseite noch der intersubjektive Einigungsprozess sind dann der Wahrmacher wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern der Reproduktionserfolg der wissenschaftlichen Praxis selbst. Dabei kommen sowohl Objekte als auch Diskurse zu ihrem Recht, nämlich als Momente der wissenschaftlichen Praxis, die aber als Objekte und Diskurse nur innerhalb dieser Praxis auftreten.
Administrative Daten
Referent: | Prof. Dr. Dr. Rafaela Hillerbrand |
Ko-Referent: | N.N. |
Doktoranden bei ITAS: | siehe Promovieren am ITAS |