Explanatorische Herausforderungen in der Chemie in Bezug auf maschinelles Lernen, der Effekt prävalenten reduktionistischen Denkens und daraus hervorgehende epistemische Risiken

Projektbeschreibung

Begriffe wie „naturwissenschaftliche Erklärung“ (scientific explanation) oder „naturwissenschaftliches Verstehen“ (scientific understanding) sind von zentraler Bedeutung in den (Natur-)Wissenschaften. Und auch jenseits der Wissenschaften wird Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen oft an ihrem Beitrag zu Erklärung und Verständnis festgemacht. Um dies besser nachvollziehen zu können und neue wissenschaftliche Ansätze nicht vorschnell als unwissenschaftlich abzutun, gilt es zunächst, diese Begriffe in den klassischen Wissenschaften zu analysieren. Als Beispiel dient in dieser Arbeit die (physikalische) Chemie, insbesondere ihre Ansätze, chemische Bindung mit Hilfe der Quantenmechanik zu erklären bzw. zu verstehen. Das vorliegende Projekt ist sowohl in der Wissenschaftstheorie/Wissenschaftsphilosophie als auch speziell in der Philosophie der Chemie angesiedelt und arbeitet mit Mitteln und Methoden der (analytischen) Philosophie.

Die Konzepte der so zentralen Begriffe Erklärung und Verstehen erfahren durch neue Entwicklungen in der Fachwissenschaft Veränderungen bzw. Herausforderungen. Neu aufkommende Methoden des maschinellen Lernens, wie z. B. neuronale Netze, eröffnen eine Vielzahl neuer Forschungsmöglichkeiten. Daher ist eine Untersuchung, ob klassische Erklärungen teilweise in den Hintergrund treten naheliegend. Die neuen Methoden beeinflussen auch die Genese naturwissenschaftlicher Theorien, die Synthese neuer Verbindungen oder die Vorhersage von Eigenschaften von Stoffen. Das Dissertationsprojekt ist dem interdisziplinären DFG-Graduiertenkolleg „Maßgeschneiderte Multiskalenmethoden für Computersimulationen von nanoskaligen Materialien“ (GRK 2450) zugeordnet und nutzt zum einen die dortige Forschung im Bereich der Materialwissenschaften als Ausgangspunkt philosophischer Untersuchungen. Zum anderen soll im direkten Kontakt mit Fachwissenschaften ein interdisziplinärer Austausch stattfinden. Ein weiteres Forschungsfeld bildet die didaktische Literatur, wie etwa Grundlagenliteratur in Form von Lehrbüchern. Mit deren Hilfe sollen hintergründige Annahmen in der Argumentation chemischer Theorien aufgedeckt und kritisch eingeordnet werden. So kann der Einfluss der Ausbildung auf die theoretische Arbeit in der Chemie und umgekehrt der Einfluss der aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse und Debatten auf die Ausbildung untersucht werden.

In den Projekten des Graduiertenkollegs und in der Chemie im Allgemeinen sind verschiedene Skalen (Zeit, Größe, ...) von großer Bedeutung. Ein zu synthetisierendes Material kann auf makroskopischer, mikroskopischer oder Nanoebene mit unterschiedlichen Methoden und den zugrunde liegenden Theorien untersucht werden. In ähnlicher Weise stehen naturwissenschaftliche Theorien miteinander in Beziehung, was als sog. (Theorien-)reduktion beschrieben wird. Der Einfluss reduktionistischer Beziehungen wird im vorliegenden Projekt ebenfalls untersucht. Darüber hinaus werden damit verbundene epistemische Risiken betrachtet und eingeordnet.

Administrative Daten

Referent: Prof. Dr. Dr. Rafaela Hillerbrand
Koreferent: Prof. Dr. Marcus Elstner
Bezugnehmende Projekte: DFG Graduiertenkolleg 2450: Maßgeschneiderte Multiskalenmethoden für Computersimulationen von nanoskaligen Materialien
Doktoranden bei ITAS: siehe Promovieren am ITAS

Kontakt

Oliver Bott, M.Ed.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe