Deepen Genomics – Chancen und Herausforderungen der Konvergenz von künstlicher Intelligenz, moderner Humangenomik und Genom-Editierung

Projektbeschreibung

Hintergrund und Ziel des Projekts

Die zunehmende Verfügbarkeit umfangreicher und komplexer Daten hat auch die Lebenswissenschaften, die Humangenomik und ihre Anwendungsbereiche in der (Bio-)Medizin zu einem Einsatzfeld für künstliche Intelligenz (KI) in Form fortgeschrittener Verfahren des maschinellen Lernens (ML), wie insbesondere dem sogenannten Deep Learning (DL), werden lassen. Hierbei spielen Sequenzdaten des menschlichen Erbguts (Genoms) sowie Daten zu Genen, die in verschiedenen Körperzellen und Organen abgelesen werden, oder zu dort hergestellten Proteinen eine entscheidende Rolle. Zunehmend wichtiger werden dabei auch Daten zu Funktionen von Genomsequenzen, die über neue Genom-Editierungsverfahren (wie dem CRISPR/Cas-Ansatz) und den damit ermöglichten gezielten genomweiten Veränderungen generiert wurden. Darüber hinaus gibt es immer mehr klinische Daten zu Krankheiten und ihren Verläufen aus Biobanken oder elektronischen Patientenakten (z. B. medizinische Bilddaten oder Blutwerte und andere Biomarker), die mit den Genomdaten kombiniert werden können.

Ziel des Vorhabens war es, die zunehmende Konvergenz der Entwicklungen von KI und Humangenomik sowie das Innovationssystem, das sie befördert und formt, einer interdisziplinären Analyse zu unterziehen. Dabei sollten sowohl die Art bzw. neue Qualität des durch diese Entwicklungen tatsächlich erlangbaren Wissens als auch die dadurch möglichen Anwendungen in den Blick genommen werden. Damit sollten kurz- bis mittelfristig realistische Anwendungsmöglichkeiten mit ihren Chancen und spezifischen ethischen, sozialen, ökonomischen und regulatorischen Herausforderungen aufgezeigt werden. Des Weiteren sollte die Analyse dieser Chancen und Herausforderungen die Grundlage für die Ausweisung von politischen Handlungsfeldern sowie Handlungsempfehlungen, mit besonderem Fokus auf die Forschungs- und Innovationspolitik, bilden.

Zusammenfassung der Ergebnisse

A. Entwicklung des Feldes

Die weltweit sehr dynamische Entwicklung der Publikations- und Patentaktivitäten an der Schnittstelle von KI und Humangenomik in den letzten sechs, sieben Jahren kann als Indiz für die Herausbildung eines neuen Innovationssystems gewertet werden. Im Verhältnis zu den jeweiligen gesamten Aktivitäten in den Bereichen KI und Humangenomik handelt es sich zwar (noch) um eine Nische. Wenn sich die beobachtete Dynamik allerdings fortsetzt, wird die Forschung und Entwicklung (FuE) in der Humangenomik bereits im kommenden Jahrzehnt stark durch KI beeinflusst sein. Zu den wichtigen Akteuren im Feld gehören derzeit – neben großen internationalen akademischen und klinischen Forschungskonsortien – Risikokapital- und große IT-Firmen sowie zunehmend große Pharmaunternehmen, die häufig mit innovativen Start-up-Unternehmen zusammenarbeiten.

B. Potenziale und Erwartungen

Potenziale und die damit verknüpften Erwartungen wurden über Evidenzkartierungen aus Publikations- und Patentdaten erstens in der Grundlagenforschung identifiziert. Dort sind erste KI/ML-basierte Verfahren für die schnelle und umfangreiche (d. h. genomweite) Vorhersage von ursächlichen genetischen Veränderungen insbesondere für komplexe (d. h. von vielen Genen und Umwelteinflüssen abhängende) Krankheiten entwickelt worden. Diese können dazu beitragen, mögliche Krankheitsursachen und pathophysiologische Mechanismen zu erkennen. Zweitens wird solches Wissen in Kombination mit weiteren KI-basierten Verfahren für die gezieltere und schnellere Entwicklung oder die Umnutzung von Medikamenten genutzt. Schließlich werden neue Diagnose- und Prognoseverfahren für Krankheiten, Therapieverläufe oder Erkrankungsrisiken möglich. Hierzu gehören beispielsweise die Diagnose von seltenen genetischen Erkrankungen oder Ansätze zur Früherkennung von Krebs sowie zu Vorhersagen oder Anpassungen entsprechender Therapien durch die Analyse kleinster Mengen von DNA im Blut („Liquid Biopsies“).

C. Herausforderungen und Handlungsfelder

Die zukünftige Entwicklung ist mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden, die nicht zuletzt im Einflussbereich öffentlicher Forschungs- und Innovationspolitik liegen. Dazu gehören insbesondere die Generierung umfangreicher und hochwertiger Genom- und Gesundheitsdaten und deren Austausch und Zugänglichkeit über Grenzen und verschiedene Regulierungsbedingungen hinweg, der Auf- oder Umbau entsprechender Forschungs- und Dateninfrastrukturen, die Förderung von Forschung und Start-up-Unternehmen sowie soziokulturelle Aspekte wie Akzeptanz seitens der Anwender*innen und der Öffentlichkeit und die Berücksichtigung gesellschaftlicher Normen und Werte.

D. Forschungs- und innovationspolitische Implikationen

Angesichts dieser Herausforderungen und vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung des Feldes, insbesondere in China und den USA, sollte ein stakeholderbasierter forschungs- und innovationspolitischer Strategieprozess aufgesetzt werden. Dieser sollte reflektieren, wie Deutschland und Europa ihre Position bei der verantwortungsbewussten und werteorientierten Entwicklung von KI-Innovationen in der genomischen Medizin und ihre Attraktivität für internationale Kooperationen, Talente und Investitionen stärken können, und darauf aufbauend auf die Umsetzung von Maßnahmen hinwirken, die über die bereits laufenden oder geplanten forschungs- und innovationspolitischen Aktivitäten hinausgehen. Handlungsbedarf besteht insbesondere bei der experimentellen Validierung und klinischen Bewertung von KI-basierten Vorhersagen, der Initiierung großer und diverser Genomdaten- und Biobanken, der Entwicklung konkreter Leitlinien für akademische Forscher*innen und Unternehmen zur Regelkonformität mit komplexen nationalen oder supranationalen Regulationen sowie bei der Initiierung eines möglichst breiten gesellschaftlichen Diskurses unter systematischer Beteiligung diverser gesellschaftlicher Akteure und der Öffentlichkeit.

Publikationen


2021
Forschungsberichte/Preprints
König, H.; Heyen, N. B.; Baumann, M.; Schmoch, U.; Bachlechner, D.; Heil, R.; Hüsing, B.
Künstliche Intelligenz in der genomischen Medizin – Potenziale und Handlungsbedarf
2021. Karlsruher Institut für Technologie (KIT). doi:10.5445/IR/1000130255VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument
Vorträge
König, H.
Governing CRISPR: What Science and Technology Assessment Can and Can’t Contribute
2021, Mai 18. CRISPR and society. CRISPR/Cas for genome editing – today and tomorrow (2021), Online, 18. Mai 2021 

Kontakt

Dr. Harald König
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe

Tel.: 0721 608-23293
E-Mail