Konflikte und Entscheidungsblockaden bei der nuklearen Entsorgung. Effekte deliberativer Verfahren in international vergleichender Perspektive
- Projektteam:
Hocke, Peter (Projektleitung); Sophie Kuppler; Melanie Mbah
- Starttermin:
2010
- Endtermin:
2015
- Forschungsgruppe:
Beschreibung des Projekts
Bei Konflikten um den Einsatz komplexer Technologien, bei denen Stakeholder sich ebenso beteiligen wie zivilgesellschaftliche Akteure und Regierungsorganisationen, sind verhandlungsorientierte Formen des Konfliktmanagements inzwischen ein anerkanntes Instrument. Die Anwendung dieser Formen des Konfliktmanagements und die Umsetzung ihrer Ergebnisse in belastbare Entscheidungen sind jedoch häufig anspruchsvoll und können selten garantiert werden. Die Auseinandersetzung über die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle ist in diesem Zusammenhang seit mehr als 30 Jahren ein ungelöstes Thema. Bei Mustern und Effekten der Entscheidungsfindung verweist der Forschungsstand auf die Konflikte zwischen Stakeholdern und anderen beteiligten Akteuren und die damit verbundenen Schwierigkeiten, die verschiedenen inhaltlichen Positionen in Formen der Interessenaggregation einzubinden. Diese Schwierigkeiten lassen sich auch in der deutschen und der Schweizer Endlagerpolitik feststellen.
Mittels eines Zwei-Länder-Vergleichs werden die Effekte der verschiedenen Entscheidungsmodi der offiziellen Endlagerpolitik in den beiden Ländern analysiert und mit dem Diskurs der interessierten Öffentlichkeit und der Energiewirtschaft in Verbindung gesetzt. Darauf aufbauend werden die eingesetzten deliberativen Elemente studiert, die dialogorientiert die öffentlich vorgetragenen Sorgen aufarbeiten sollen. Durch die Notwendigkeit, eine breit unterstützte Endlagerpolitik unter Bedingungen scharfer öffentlicher Auseinandersetzungen zwischen zentralen Stakeholdern (politische Parteien, NIMBY-Politik bei einigen Stakeholdern etc.) anzustreben, besitzen dialogorientierte Formen politischer Verhandlung ein hohes Maß an Überzeugungskraft.
Konzeptionell setzt das Forschungskonzept auf Argumenten der Governance-Forschung und der Öffentlichkeitssoziologie an.
Als offene Frage muss behandelt werden, ob die dialogorientierten Formen politischer Deliberation positive Effekte auf die Interessenaggregation und die Entscheidungsfindung in diesem hochpolitisierten Konflikt um die nukleare Entsorgung haben und ob sie zu qualitativ hochwertigen Entscheidungsfindungsprozessen beitragen können. Eine Analyse des dabei angestrebten politischen Reformkonzeptes in zwei mitteleuropäischen Ländern mit nennenswerten Quoten an Nuklearstrom, verschiedenen politischen Kulturen und professioneller Expertise in diesem Themenfeld erlaubt es, die Effekte der angestrebten Prozesse argumentativer Interessenabwägung bei der Entscheidungsvorbereitung und den Effekten daran anschließender politischer Entscheidungen zu untersuchen. Eine zentrale Frage ist dabei, ob die Versuche, die wichtigen Stakeholder in die Entscheidungsvorbereitungen zu integrieren, die Interessenaggregation beeinflussen und in einem stufenweisen Vorgehen jeweils die verschiedenen Entscheidungsalternativen verdeutlichen und systematisch aufeinander beziehen. Integrierende Formen der Interessenaggregation sind in diesem Kontext als eine notwendige Voraussetzung einzustufen, um die Entscheidungsblockaden konstruktiv aufzunehmen und in ihrer Eigenlogik Beratungsprozessen zugänglich zu machen.
Forschungskooperationen sind vorgesehen mit der ETH Zürich, der Freien Universität Berlin und dem Öko-Institut Darmstadt.
Dieses Forschungsvorhaben ist aktuell lose verknüpft mit einer Aktivität wissenschaftlicher Politikberatung, die von ITAS geleistet wird. Seit 2006 ist Dr. Peter Hocke Mitglied der "Expertengruppe Schweizer Tiefenlager" (EschT), die im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die südwestdeutsche Begleitkommission (BeKo) und das BMU innerhalb des Schweizer Sachplanverfahrens für ein nukleares Endlager mit Stellungnahmen und Beratungsleistungen unterstützt (siehe www.escht.de).
Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang auch die ITAS-Aktivitäten innerhalb der nationalen Endlagerkontroverse. Auf nationaler Ebene unterstützte ITAS vom März 2008 bis Dezember 2010 mehrere dialogorientierte Aktivitäten des BMU, die einen Beitrag zur zivilen Bearbeitung des deutschen Endlager-Konflikts leisteten (Forum Endlager-Dialog, Internationales Endlager-Symposium Berlin 2008). mehr
Stand der Arbeiten:
Aktuell erfolgt die Weiterentwicklung des Konzepts und des theoretischen Rahmens sowie der Arbeitsteilung innerhalb des Vorhabens; besondere Berücksichtigung finden dabei die Endlagertechnologien und die dabei für die Technikfolgenabschätzung relevanten Dimensionen. Weitere Veröffentlichungen sind in Vorbereitung.
Das Promotionsprojekt von Sophie Kuppler (ITAS) ist eng in das Eigenprojekt eingebunden (Start: Januar 2010).
Veröffentlichungen
Hocke, P.; Renn, O.
Concerned public and the paralysis of decision-making: nuclear waste management policy in Germany. In: Journal of Risk Research 12/7+8(2009)7-8, S. 921-940
Hocke, P.; Grunwald, A.
Wohin mit dem radioaktiven Abfall? Perspektiven für eine sozialwissenschaftliche Endlagerforschung, Berlin (Reihe: Gesellschaft - Technik - Umwelt, Neue Folge Bd. 8). Neuauflage als Elektronisches Buch (Verlag: edition sigma; erschienen: 26.02.2009) (1.A.: 2006
Publikationen
Die Entsorgung hoch-radioaktiver Abfälle - ein ganz normales Problem? Ergebnisse eines sozialwissenschaftlichen 2-Länder-Vergleichs
2015. Veranstaltungsreihe “Junge Talente - Wissenschaft und Musik” (2015), Eggenstein-Leopoldshafen, Deutschland, 22. Januar 2015
Merkpunkte für die Beurteilung komplexer Verfahren wie des Sachplans und hochwertiger Bürgerbeteiligung
2014. Fachgruppe Sicherheit der Regionalkonferenz Zürich Nordost, Zürich, CH, 10. September 2014
Risks of the modern technological civilization: social-political context and consequences of the development of ’peaceful uses of nuclear power’
2013. Efremenko, D.V. [Hrsg.] Modern Scientific-Technological Development and its Consequences: Problems of the Adaptation of Social Systems Moscow : INION RAN, 2013 (in russ.Sprache), 90–109
Endlagerung hochradioaktiver Abfälle
2013. Grunwald, A. [Hrsg.] Handbuch Technikethik Stuttgart : Metzler’sche Verlagsbuchhandlung, 2013, 263–268
Rising challenges in modern nuclear waste management: Complex political decision making processes not only in societies in transition
2013. Modern scientific-technological development and its consequences: Problems of the adaptation of social systems. Hrsg.: D.V. Efremenko, Efremenko, D.V. [Hrsg.] Modern Scientific-Technological Development and its Consequences: Problems of the Adaptation of Social Systems Moscow : INION RAN, 2013 (in russ.Sprache), 110–121, Inion ran
Vorstellung des AP 2.1 “Governance zwischen Wissenschaft und öffentlichem Protest” im Projekt ENTRIA (Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe)
2013. 2. Projekttreffen der Forschungsplattform ENTRIA (2013), Karlsruhe, Deutschland, 21.–23. November 2013
Public participation in nuclear waste management in Germany and Switzerland - Research process and methodology of an empirical case study
2013. Vortrag im Rahmen des Seminars ’Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und die empirische Sozialforschung’, Karlsruhe, 14. März, 2013
Castor
2012. Marquardt, N. [Hrsg.] Ortsregister : Ein Glossar zu Räumen der Gegenwart Bielefeld : transcript Verl., 2012, 57–63
Guaranteeing Transparency in Nuclear Waste Management: Monitoring as Social Innovation. Introduction to the Thematic Focus
2012. Technikfolgenabschätzung, Theorie und Praxis, 21 (3), 10–14. doi:10.14512/tatup.21.3.10
Gewährleistung von Transparenz bei der Entsorgung nuklearer Abfälle: Monitoring als soziale Innovation. Enführung in den Schwerpunkt
2012. Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis, 21 (3), 5–10
Rising challenges in modern nuclear waste management. Complex political decision-making processes not only in societies in transition
2012. Filosofskije Nauki, 3, 119–130
From government to governance? (Non-) effects of deliberation on decision-making structures for nuclear waste management in Germany and Switzerland
2012. Journal of integrative environmental sciences, 9 (2), 103–122. doi:10.1080/1943815X.2012.688752
Monitoring in einem Pilotlager. Kontrollierte Deponierung von Nuklearabfällen im Konzept eines Schweizer Tiefenlagers
2012. Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis, 21 (3), 43–51
Risiko, Risikowahrnehmung und Konsequenzen für eine Entscheidung bei der Endlagerung. Zur Perspektive der Technikfolgenabschätzung
2012. 84.Sitzung des Arbeitskreises HAW-Produkte, Karlsruhe, 30.März 2012
Conflictual issues in nuclear waste disposal as discussed in major print-media in Germany and Switzerland
2012. Biennial Conf.of the European Association for the Study of Science and Technology (EASST), Copenhagen, DK, October 17-20, 2012
Concerned public and the paralysis of decision-making: Nuclear waste management policy in Germany
2011. Nuclear waste management in a globalised world. Ed.: M. Strandberg, 43–62, Routledge
Der gesellschaftliche Umgang mit hochradioaktiven Abfällen. Analytische Grundlagen eines Ländervergleichs
2011. Entscheidungen mit Umweltfolgen zwischen Freiheit und Zwang. Tagungsband der 7. Tagung Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie (NGU) der Universität Freiburg, Institut für Forstökonomie: Arbeitsbericht 55-2011. Hrsg.: F. Faber, Faber, F. [Hrsg.] Entscheidungen mit Umweltfolgen zwischen Freiheit und Zwang : Tagungsband der 7.Tagung der Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie (NGU), Freiburg, 16.-18.September 2010 Freiburg : Albert Ludwigs Univ., 2011 (Arbeitsberich / Institut für Forstökonomie ; 55), 31–43, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Lösungsansätze und Konflikte bei der nuklearen Endlagerung in der Schweiz und in Deutschland: Zur sozialwissenschaftlichen Perspektive auf ein vertracktes Problem
2011. IKET-Kolloquium, KIT, Karlsruhe, 13.Dezember 2011, Kolloquium des Instituts für Kern- und Energietechnik am KIT (2011), Karlsruhe, Deutschland, 13. Dezember 2011
Die soziale Dimension des Konflikts um die nukleare Entsorgung in Deutschland: Konzeptionelle Grundlagen TA-orientierter Forschung
2011. 3.SE-Seminar des Bundesamts für Strahlenschutz zu Sozialwissenschaftlichen Aspekten, Salzgitter, 5.Juli 2011, 3. SE-Seminar des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS 2011), Salzgitter, Deutschland, 5. Juli 2011
Experiences from Germany in public involvement. Conflicts and challenges during siting processes of nuclear waste repositories
2011. Public Involvement in Siting Nuclear Facilities : OECD-NEA Conf., Paris, F, February 15-16, 2011
Societal approaches to conflict management in nuclear waste disposal. Lessons learned from the German case
2011. Societal Approaches to Nuclear Waste Management : Stockholm Spring Talks, Stockholm, S, May 3-4, 2011
Democratic innovation in the decision-making process on a nuclear waste disposal. Lessons learned from the German ans Swiss case
2011. ECPR Joint Sessions 2011, St.Gallen, CH, April 12-17, 2011
Lehren aus dem Endlagerkonflikt in Deutschland: Merkpunkte für ein ziviles Auswahlverfahren
2011. 3. SE-Seminar des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS 2011), Salzgitter, Deutschland, 5. Juli 2011
Die politische Regulierung nuklearer Abfälle. Zur Analyse eines komplexen Forschungsgegenstandes
2011. Institutskolloquium, INE, KIT, 22.Juni 2011
Deliberation as a tool in mitigating the social conflict on nuclear waste? A case study on the governance of nuclear waste disposal in Germany and Switzerland
2011. 10th Conf.of the European Sociological Association: Social Relations in Turbulent Times, Geneve, CH, September 7-10, 2011
Schlüsselentscheidungen und -maßnahmen für einen gehaltvollen Dialogprozess
2010. Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis, 19 (3), 91–97
Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Gesellschaftliche Erwartungen und Anforderungen an die Langzeitsicherheit : Tagungsdokumentation zum „Internationalen Endlagersymposium Berlin, 30.10. bis 01.11.2008“
2010. Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Stellungnahme der ESchT zur ersten Etappe des Schweizer Standortauswahlverfahrens für ein geologisches Tiefenlager
2010. Informationsveranstaltung zum geplanten geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle in der Schweiz, Singen, 28.September 2010
Partizipation und Standortdefinition, bisherige Planungen zu raumordnerischen und sozio-ökonomischen Auswirkungen. Nicht-technische Aspekte der ESchT-Stellungnahme
2010, Mai 11. ESchT-Informationsveranstaltung Schweizerischer Sachplan geologische Tiefenlager (Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager 2010), Bad Säckingen, Deutschland, 11. Mai 2010
Die Endlagerung radioaktiver Abfälle als soziales Problem
2010. Tag der Offenen Tür, KIT Campus Nord, Karlsruhe, 25.September 2010
Endlagerung - ein technikwissenschaftliches oder ein soziales Problem?
2010. Kernenergie - vielleicht doch? : Vortragsreihe der Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung, Karlsruhe, 9.März 2010
Dialog- und Beteiligungsmaßnahmen bei der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle
2010. 42.Kraftwerkstechnisches Kolloquium, Dresden, 12.-13.Oktober 2010
Der gesellschaftliche Umgang mit hochradioaktiven Abfällen. Ein Ländervergleich
2010. Entscheidungen mit Umweltfolgen zwischen Freiheit und Zwang : 7.Tagung der Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie (NGU), Freiburg, 16.-18.September 2010
Managing Nuclear Waste in Modern Societies : A Comparative Perspective
2010. EASST-Conference (EASST 2010), Trient, Italien, 2.–4. September 2010
Concerned public and the paralysis of decision-making: nuclear waste management policy in Germany
2009. Journal of Risk Research, 12, 921–40. doi:10.1080/13669870903126382
Nuclear waste storage in Germany - a technological or a social problem?
2009. Workshop ’Nuclear Waste Management Policy: Lessons from the German Debate’, Lisboa, P, October 13, 2009
Pfade mit und ohne Wiederaufarbeitung. Zentrale Fragen der Risikoabwägung
2009. Vortr.: Evangelische Akademie Tutzing, 27.Februar 2009
Wohin mit dem radioaktiven Abfall? Perspektiven für eine sozialwissenschaftliche Endlagerforschung
2006. edition sigma
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