Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) – Analyse der technischen und gesamtgesellschaftlichen Aspekte und Visionen von In-vitro-Fleisch
Wie ernähren wir uns eigentlich in der Zukunft? In den letzten Jahren haben sich die Fragen zu dem, was auf unseren Tellern landet, deutlich verändert. Während es vergangenen Generationen vorwiegend um Aspekte wie Verfügbarkeit und Geschmack ging, denken wir heute auch über ethische Gesichtspunkte nach. Was löse ich damit aus, wenn ich ein bestimmtes Produkt kaufe? Ist es überhaupt noch vertretbar, alles zu essen, was im Supermarkt angeboten wird? Und wie sehen mögliche Alternativen aus? Gerade der Konsum von Fleisch wird in der öffentlichen Diskussion immer stärker thematisiert. Sowohl das Töten von Tieren, die Frage nach der artgerechten Haltung als auch die Auswirkungen von Nutztierhaltung auf die Umwelt treten immer stärker in unser Bewusstsein.
Mit unserem Projekt wollen wir einerseits herausfinden und darstellen, was In-vitro-Fleisch ist, wie der Stand der Forschung aussieht, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind und wer die Akteure sind, die diese Innovation vorantreiben. Andererseits wollen wir auch wissen, welche Visionen mit In-vitro-Fleisch in Verbindung zu bringen sind: Wie stehen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands zu dieser Entwicklung, welche Wertvorstellungen von Ernährung, Landwirtschaft und Tierhaltung verbinden sie damit? Wird In-vitro-Fleisch überhaupt gesellschaftlich akzeptiert? Um das herauszufinden, beinhaltet VIF einige partizipative Verfahren (Fokusgruppen und Citizens' Jury), die mit der Unterstützung interessierter Bürgerinnen und Bürger durchgeführt werden.
Über VIF
Was ist VIF?
Visionen von In-vitro-Fleisch – Analyse der technischen und gesamtgesellschaftlichen Aspekte und Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Projekt im Rahmen der Initiative „Innovations- und Technikanalyse (ITA)“. ITA ist eine informative und partizipative Plattform, auf der wissenschaftliche Erkenntnisse auf praktische Anwendungen hin überprüft werden können.
Wo ist VIF?
VIF ist ein interdisziplinäres Projekt, das am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durchgeführt wird. Technikfolgenabschätzung (TA) erforscht wissenschaftliche und technische Entwicklungen in Bezug auf systemische Zusammenhänge und Technikfolgen und entwirft Handlungs- und Gestaltungsoptionen. Im Projekt VIF geht es insbesondere um die Analyse der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Aspekte der Visionen der heutigen In-vitro-Fleisch-Forschung.
Projektbeschreibung
Die heutige und zukünftige Ernährung steht vor neuen Herausforderungen. Mit zunehmender wissenschaftlicher Evidenz zeigt sich, dass die Haltung und Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft in ihrer derzeitigen Form nicht nachhaltig gestaltet werden kann, sodass eine Änderung im Konsum von tierischen Produkten erforderlich ist (u.a. FAO 2014). In den letzten Jahren ist die Herstellung von In-vitro-Fleisch aus tierischen Muskelstammzellen, die durch eine Muskelbiopsie gewonnen werden, möglich geworden. Der Durchbruch innerhalb der Forschung gelang im August 2013: Mark Post und seine Forschungsgruppe an der Universität Maastricht stellten in einer Pressekonferenz den ersten In-vitro-Fleisch-Burger vor, welcher aus Rinder-Stammzellen hergestellt wurde.
Obwohl In-vitro-Fleisch heutzutage noch nicht für eine großskalige Produktion geeignet ist, wird sie in den letzten Jahren von einer wachsenden wissenschaftlichen Gemeinschaft enthusiastisch begrüßt: In-vitro-Fleisch wird als Innovation für eine nachhaltige Entwicklung präsentiert, die jedermann einen verantwortungsvollen Umgang mit kommenden Generationen, der Umwelt und den Tieren ermöglicht.
Die naturwissenschaftliche Forschung zu In-vitro-Fleisch nimmt global zu, dessen ethische, soziale und politische Aspekte bleiben aber wenig erforscht. Vor allem im deutschsprachigen Raum existiert kaum Publikation zu diesem Thema und insbesondere von Seiten der TA liegen bislang keine Studien vor. Viele Aspekte bezüglich dieser Innovation bleiben unklar. So sind etwa die tatsächlichen ökologischen Vorteile dieses Wechsels, die gesellschaftlichen Bedingungen der Akzeptanz dieser Innovation und die kulturellen Auswirkungen auf Landwirtschaft, Ernährung sowie auf das Mensch-Tier-Verhältnis nicht bekannt bzw. nicht erforscht. In-vitro-Fleisch ist eine neue und emergierende Technologie in einer sehr frühen Phase eines Innovationsprozesses, die nicht nur forschungspolitisch relevant ist, sondern auch das Potenzial für eine große Veränderung von Essgewohnheiten aufweist. Die Angemessenheit und Robustheit dieser Vision sind im Sinne der Politik eines innovativen Deutschlands erstmals zu überprüfen. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, Wissen zu generieren, um die Relevanz dieser Innovation für eine nachhaltige Landwirtschaft und somit eine gerechte Gesellschaft abzuschätzen.
Herstellung
Tissue Engineering
Das sogenannte Tissue Engineering (Tissue = Gewebe), das heißt die künstliche Herstellung biologischer Gewebe durch die gerichtete Kultivierung von Zellen, wird innerhalb der Forschung größtenteils in der regenerativen Medizin eingesetzt. Diese befasst sich mit der Wiederherstellung von zerstörtem Gewebe bzw. funktionsgestörten Zellen und Organen. Beim Tissue Engineering werden einem Spender-Organismus Zellen entnommen und im Labor in vitro vermehrt. Diese können, abhängig von der Art der Zellen, zweidimensional oder mithilfe von Gerüsten auch dreidimensional kultiviert werden. Tissue Engineering ist eine mögliche Technik zur Herstellung von In-vitro-Fleisch.
Der Herstellungsprozess
Durch eine Muskelbiopsie werden einem Tier Muskelstammzellen entnommen [1]. Muskelstammzellen sind multipotente Zellen. Das heißt, dass sie sich zu verschiedenen Muskelzellen entwickeln können. Diese Zellen werden in einem Nährmedium kultiviert und vermehren sich. Diesen Prozess der Vermehrung durch Zellteilung nennt man Proliferation [2]. Die Stammzellen bilden sich anschließend zu Muskelzellen (Myoblasten) aus. Diesen Prozess nennt man Differenzierung. Die mononuklearen Myoblasten wachsen zu multinuklearen Myotuben und bilden dann Myofibrillen bzw. Muskelfasern. Diesen Prozess nennt man Myogenese (Muskelentwicklung) [3]. Ca. 20.000 dieser kleinen Fasern werden benötigt, um einen Hamburger zu formen.
Das Team um Mark Post an der Universität Maastricht hat ein Video veröffentlicht, das recht anschaulich die Herstellung erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=3LKsSEbSrUQ&t=8s
Jedoch ist dies nicht der einzige mögliche Weg zur Herstellung von In-vitro-Fleisch. In anderen Forschungsgruppen wurde und wird mit unterschiedlichen tierischen Zellen gearbeitet oder mit einem anderen Produktionsprozess. Auch die Vorstellung eines Bioprinters, also eines speziellen 3D-Druckers, der bestimmte Zellstrukturen oder Gewebe aus einzelnen Zellen herstellen soll, um daraus beispielsweise Organe oder eben In-vitro-Fleisch zu „drucken“, wird von einigen Forschern (hauptsächlich aber im Bereich der regenerativen Medizin) verfolgt.
Herausforderungen für die Herstellung von In-vitro-Fleisch
Für die Herstellung von In-vitro-Fleisch bleiben noch einige Fragen offen. Diese betreffen vor allem oben vorgestellten Elemente des Herstellungsprozesses. Eine weitere Forschung und Entwicklung ist notwendig, um die Produktion von In-vitro-Fleisch in einem großen Maßstab zu ermöglichen.
- Welche Zelllinien und Zelltypen sollen bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch verwendet werden?
- Welches Nährmedium soll bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch verwendet werden? Welche Nährstoffzusammensetzung wird benötigt?
- Welche Gerüste eignen sich für die Herstellung von In-vitro-Fleisch? Aus welchem Material können diese bestehen?
- Wie kann der Stoffwechsel innerhalb der Zellkultur gewährleistet werden?
Außerdem ist die Entwicklung von Bioreaktoren mit ausreichender Größe erforderlich. Momentan wird mit Bioreaktoren mit einem Volumen von bis zu 10 Litern gearbeitet. Dass man für die Produktion von In-vitro-Fleisch in einem größeren Maßstab größere Bioreaktoren benötigt, kann man sich leicht vorstellen. Diese Bioreaktoren sollten aber, um der erhofften Entlastung der Umwelt durch In-vitro-Fleisch nicht entgegenzuwirken, wenig Energie verbrauchen. Des Weiteren spielen die Herstellungskosten eine entscheidende Rolle, damit In-vitro-Fleisch in Zukunft zu akzeptablen Preisen hergestellt und verkauft werden kann. Neben den Energiekosten für Bioreaktoren spielt das Nährmedium hier eine große Rolle, das momentan noch sehr teuer ist (sowohl fetales Kälberserum als auch Alternativprodukte).
Chancen und Risiken
Umwelt - Gesundheit - Tierschutz - Mensch-Tier-Beziehung - Welternährung - Technisierung
Die aktuelle Fleischproduktion sowie der wachsende Fleischkonsum verschärfen den Welthunger und haben negative Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und das Wohl der Tiere. Daher ist es erforderlich, Alternativen zur herkömmlichen Fleischproduktion und zum Fleischkonsum zu finden. Diskutiert werden auf unterschiedliche Art und Weise Optionen wie andere tierischen Proteinquellen (z.B. Insekten), Optimierung von pflanzlichen Fleischersatzprodukten (z.B. Tofu, Seitan, etc.) bis hin zu sozialen oder persönlichen Reformen, wie z.B. die Reduktion oder der Verzicht von Fleischkonsum. In-vitro-Fleisch stellt eine mögliche technische Alternative dar. Dabei ergeben sich Chancen und Risiken, die bei der Entscheidung, ob wir in Zukunft In-vitro-Fleisch essen, gleichermaßen Beachtung finden sollten.
Von Seiten der Innovatoren (derjenigen, die an In-vitro-Fleisch forschen oder diese Forschung unterstützen) werden viele Chancen genannt – vor allem steht das Versprechen im Vordergrund, In-vitro-Fleisch sei eine plausible technologische Lösung für die aktuell bestehenden Probleme der heutigen Fleischproduktion. In-vitro-Fleisch sei umweltfreundlicher, tierfreundlicher, gesünder und sicherer.
Unsere Aufgabe ist es daher, mögliche Chancen und Risiken weitestgehend vollständig aufzuführen und so Bürgerinnen und Bürgern als auch politischen Entscheidern eine Grundlage zur Meinungsbildung zu bieten.
Umwelt
Das Problem: Spätestens seit der Veröffentlichung des Berichtes der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO „Livestock’s Long Shadow“ im Jahre 2006 gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ein wachsendes Bewusstsein, dass das aktuelle Niveau des Konsums tierischer Produkte (und insbesondere von Fleischprodukten) gravierende Auswirkungen auf die Umwelt hat und auch langfristig haben wird. Die landwirtschaftliche Haltung von Tieren trägt weltweit mit 18% zu den durch menschliche Handlungen verursachten Treibhausgasemissionen bei, insbesondere durch CO2 aus Brandrodung von (Tropen-)Wäldern für Futtermittelanbau und Weideland, Lachgas aus dem Einsatz von Düngemitteln zum Futtermittelanbau sowie Methan aus dem Verdauungsapparat der Wiederkäuer. Bei den Schadstoffemissionen steht unter besonderer Aufmerksamkeit die Nutzung von Stickstoff-Düngemitteln, die höhere Erträge ermöglichen, aber über die Austräge in Boden und Wasser schwerwiegende Folgen für die Gesundheit von Menschen haben können. Laut dem Bericht des European Nitrogen Assessment von 2014 stehen 79-88% der gesamten Emissionen von Ammoniak, Nitraten und Distickstoffoxid der europäischen Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Haltung von Tieren. Sie beansprucht außerdem 8% des globalen Wasserverbrauchs, wobei 7% auf die Produktion der Tiernahrung entfallen. Für die Produktion von 1 kg Fleisch werden über 15.000 Liter Wasser benötigt, während die Produktion von 1 kg Kartoffeln nur 255 Liter verbraucht. Darüber hinaus wird bei der Produktion und dem Transport von Futtermitteln sowie bei der Aufzucht und Verarbeitung der Tiere viel Energie verbraucht. Last but not least werden für die Produktion von Fleisch immense Flächen zum Anbau von Futtermitteln sowie als Weideland benötigt. Diese Flächen können nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln für Menschen genutzt werden und der große Flächenbedarf führt u.a. zur Zerstörung von geschützten Naturgebieten, wie beispielsweise von Tropenwäldern.
Die tatsächlichen Vorteile von In-vitro-Fleisch für die Umwelt sind wissenschaftlich kontrovers, da die Analysen der Wissenschaftler auf teilweise unterschiedliche Parameter beruhen. Solche Kalkulationen basieren in der Tat auf hypothetischen Szenarien , da es bis jetzt keine Methode zur großskalige Produktion von In-vitro-Fleisch gibt. Besonders umstritten sind die tatsächlichen Werte des Energieverbrauches in dem Vergleich zwischen In-vitro- und herkömmlichem Fleisch. Dagegen erscheint bis jetzt Konsens, dass die Produktion von In-vitro-Fleisch einen geringeren Land- und Wasserverbrauch als herkömmliches Fleisch benötigt. Insbesondere zeigt In-vitro-Fleisch eine geringere ökologische Auswirkung auf dem Land zu haben, was die Produktion von Nitrogenen und Phosphaten (zwei wichtige Quellen von Land-Verschmutzung) darstellt.
- Die Studie von Hannah Tuomisto und Joost Teixeira de Mattos aus dem Jahr 2011 wird in der Debatte viel zitiert. Sie zeigt, dass die Produktion von 1000 kg In-vitro-Fleisch einen geringeren Land-, Wasser- und Energieverbrauch hat.
- Carolyn Mattick (und Kollegen) kommen 2015 zu unterschiedlichen Ergebnissen als Tuomisto und Teixeira de Mattos: Mattick und Kollegen kalkulieren, dass In-vitro-Fleisch bezüglich des potenziellen Beitrages zur Erderwärmung mehr Strom als die industrielle Produktion von Geflügel- und Schweinefleisch benötigt. Im Vergleich zu traditionellen Produktionsmethoden von Rindfleisch jedoch erscheint In-vitro-Fleisch vorteilhafter.
- Eine Herausforderung für die In-vitro-Fleisch-Forschung ist es, energieeffiziente Bioreaktoren zu entwickeln, die eine Produktion von In-vitro-Fleisch im großen Stil ermöglichen.
- Es muss ein Produktionssystem entwickelt werden, in dem alle Komponenten zu einem umweltverträglichen Herstellungsprozesses beitragen.
- Es müssen weitere wissenschaftliche Studien gemacht werden, um die möglichen Umweltauswirkungen der Produktion von In-vitro-Fleisch abschätzen zu können.
Gesundheit
Das Problem: In den letzten Jahren stellen immer mehr Studien einen Zusammenhang her zwischen übermäßigem Fleischkonsum und Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2. Im Oktober 2015 wurde eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht, die verarbeitetes Fleisch (z.B. Hackfleisch) als krebserregend und rotes Fleisch (Rind, Kalb, Schwein, Schaf, Lamm, Ziege) als wahrscheinlich krebserregend einstuft.
- In-vitro-Fleisch könnte andere Eigenschaften haben als herkömmliches Fleisch. So könnten diejenigen Bestandteile des Fleisches, die z.B. Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen (z.B. Fette) bzw. krebserregend sind, durch andere Stoffe ersetzt werden. Dies hängt vor allem davon ab, ob in Zukunft neue Erkenntnisse über die einzelnen Bestandteile und ihrer möglichen gesundheitsschädlichen Wirkung gewonnen werden.
- In-vitro-Fleisch könnte ein Nahrungsmittel werden, das mit zusätzlichen Nährstoffen angereichert wird und einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben soll (Functional Food). Es könnten beispielsweise Vitamine oder Omega-3-Fettsäuren zugesetzt werden. Jedoch sind die gesundheitlichen Wirkungen, die Functional Food zugeschrieben werden, wissenschaftlich kaum bewiesen (z.B. gesättigte durch ungesättigte Fettsäuren).
Die zunehmende Belastung von Fleisch mit Antibiotika, die den Tieren „vorsorglich“ verabreicht werden, führt zu resistenten Krankheitserregern, die nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden können.
- Es gibt Vermutungen, dass In-vitro-Fleisch solche Probleme nicht verursachen würde.
- Allerdings wurde bei der Herstellung des ersten in vitro-Burgers, der im August 2013 in London präsentiert wurde, Antibiotika verwendet, weil Zellkulturen kein Immunsystem haben. Laut Aussage des Forschers Mark Post sei dies jedoch nicht mehr nötig, sobald eine großskalige Produktion von In-vitro-Fleisch unter sterilen Bedingungen möglich ist. Es bleibt also vorerst unklar, ob und inwieweit Antibiotika notwendig für die Herstellung von In-vitro-Fleisch ist.
Es besteht die Gefahr von Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die vom Menschen aufs Tier als auch vom Tier auf den Menschen übertragen werden können (z.B. BSE, MKS, SARS, etc.).
- Bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch gibt es keinen bzw. wenig Kontakt mit Tieren; dies reduziert die Gefahr von Zoonosen.
Ein gesundheitliches Risiko von In-vitro-Fleisch stellt der Wachstumsfaktor dar. Der derzeit effizienteste Wachstumsfaktor ist fötales Kälberserum. Dieses kann aufgrund der schweren Kontrollierbarkeit des Gesundheitszustands und der Haltungsbedingungen der Mutter-Kühe ansteckende Krankheiten enthalten. Die Forschung ist bemüht, eine tierfreie Alternative zu finden.
- Anderweitige gesundheitliche Auswirkungen des Konsums von In-vitro-Fleisch sind noch nicht absehbar (vgl. gentechnische Veränderungen).
- Es muss herausgefunden werden, wie Fleisch zusammengesetzt ist: Welche Bestandteile von Fleisch sind krankheits- bzw. krebserregend?
- Wäre der übermäßige Konsum von In-vitro-Fleisch möglicherweise auch gesundheitsschädlich?
Schutz von Tieren
Das Problem: Durch die zunehmende Technisierung der Fleischproduktion verstärken sich die ethischen Probleme bezüglich der Haltung und Tötung von Tieren. Diese reichen von der Kastrierung ohne Betäubung, über die Entfernung der Hörner von Kälbern oder die Kürzung der Schnäbel von Küken und Mastputen, bis hin zu überzüchteten Tieren mit gesundheitlichen Problemen. Kurz gesagt: Tiere müssen mehr leiden, damit wir Fleisch in den von uns gewünschten Mengen (und zu einem geringen Preis) zu uns nehmen können. Auch in der sogenannten ökologischen Haltung werden Tiere in ihre Unversertheit eingeschränkt: Kühe werden beispielsweise künstlich befruchtet und die Säugezeit der Ferkel wird häufig bereits am 18. Tag unterbunden. Am Ende müssen alle Tiere sterben, um Fleisch zu werden.
- Für In-vitro-Fleisch müssen keine Tiere sterben (wenn als Nährmedium nicht das fötale Kälberserum verwendet wird).
- Ein einziges Tier könnte viele Menschen ernähren, weil es viele (somatiaschen Stamm-)Zelle weitergeben könnte: „A single farm animal may be used to produce the world’s meat supply.“ Die massenhafte Haltung von Tieren wäre somit überflüssig.
- Es bestehen noch Unklarheiten darüber, ob die Tierhaltung tatsächlich stark reduziert oder unnötig werden würde.
- Das für eine Zellkultivierung notwendige Nährmedium besteht heute noch größtenteils aus fetalem Kälberserum, welches aus den noch schlagenden Herzen ungeborener und nicht betäubter Kälber gewonnen wird. Über den leidvollen Tod der Kälber hinaus können fragwürdige Produktionsbedingungen auch zu Gefahren für die menschliche Gesundheit führen.
- Bei der Entwicklung von Verfahren zur Herstellung von In-vitro-Fleisch bzw. bei Grundlagenforschung im Bereich der Zellkultivierung oder regenerativen Medizin kommen Tierversuche zum Einsatz.
- Die Entnahme von Muskelstammzellen (Muskelbiopsie) könnte Leiden beim Spendertier verursachen.
- Alternativen zu fetalem Kälberserum müssten vor allem für eine leidfreie, aber auch für eine günstigere Herstellung von In-vitro-Fleisch entwickelt werden.
- Welche Auswirkungen hat In-vitro-Fleisch auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier?
Mensch-Tier-Beziehung
Das Problem: Die menschliche Ernährung ist viel mehr als ein Akt des biologischen Überlebens. Essen ist von Kultur und damit von Werten geprägt, von denen auch der Einsatz von Technologien im Essensbereich abhängt. Die großen Fragen, die hinter dem Verhältnis zwischen Essen und Technik stehen, sind letztlich Fragen über die Rolle des Menschen in der Natur. Innovationen wie In-vitro-Fleisch, die das sensible Feld der Ernährung betreffen, wirken sich auf ethische Vorstellungen, Konzeptionen des guten Lebens, Weltanschauungen und soziale Identitätsphänomene aus. Solche Auswirkungen lassen sich nicht nur einfach als Chancen und Risiken einordnen, sondern haben mit der Antizipation bzw. Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen sowie mit der ethischen Begründung dieser Innovation zu tun.
- Der Gründer von Modern Meadow, Andras Forgacs, sieht in In-vitro-Fleisch eine Innovation, die der Gesellschaft einen moralischen Fortschritt bringen kann. Er betont beispielsweise in einigen Vorträgen, dass die Menschheit der Zukunft durch die Nutzung von In-vitro-Leder und In-vitro-Fleisch zurückblicken und unsere Zeit der (industriellen) Tierhaltung und Tiertötung als Barbarei empfinden wird.
- Hopkins und Dacey (2008) sehen in der Innovation keine Instrumentalisierung von Tieren, sondern von Zellen oder Geweben: die Einstellung zu Tieren werde auf diese Weise genauso respektvoll, wie sie auch Menschen gegenüber ist, die Blut, Zellen oder Geweben spenden. Sie bewerten die Abkopplung von Tier und Fleisch durch In-vitro-Fleisch positiv: Es kann sein, dass In-vitro-Fleisch für einige ethisch ansprechend ist, weil es weit weg von empfindungsfähigen Tieren ist. Für andere kann In-vitro-Fleisch ethisch ansprechend sein, weil es sich um Gewebe von Tieren handelt. In-vitro-Fleisch ist ein tierisches Produkt ohne Tiere.
- In einer in den Niederlanden durchgeführten Studie mit Bürgerinnen und Bürgern wurden drei „moralische Profile“ bestimmt, die unterschiedliche Einstellungen zu dieser Innovation ausdrücken. In dem so genannten „vegetarischen Profil“ resultiert die positive Einstellung aus der Tatsache, dass sie eine Alternative zu der Tötung und massenhafter Haltung von Tieren anbietet. Diese Möglichkeit wird aus pragmatischen Gründen begrüßt, dar der Fleischkonsums in der Gesellschaft trotz der Anwesenheit von (pflanzlichen) Alternativen nicht abreißen werde. Das „Nachhaltigkeitsprofil“ drückt eine positive Einstellung gegenüber dieser Innovation aus, weil ihre Ökobilanz besser ist, als die der herkömmlichen industriellen Fleischerzeugung. In dem dritten moralischen Profil, das als „Schwein im Hinterhof“ bezeichnet wird, geht es um die Möglichkeit, Tiere im Hinterhof zu halten, damit sie als Quelle von Zellen für die Produktion von In-vitro-Fleisch dienen können. Die Funktion der Technik ist in diesem Profil positiv: Sie wird nicht als Entfremdung gesehen, sondern sogar als Mittel, um tiefere und engere Beziehungen mit den Tieren aufzubauen.
In vitro-Fleisch kann aber auch als Innovation gesehen werden, die sich negativ auf die Mensch-Tier-Beziehungen auswirkt, nämlich wenn sie die Herrschaft und die Machteinstellung des Menschen gegenüber anderen Tieren verstärkt.
- Simon Fairlie betont in seinem Buch „Meat. A Benign Extravagance“ die Gefahr einer Ausrottung unseres Verhältnisses mit den Tieren durch diese Innovation, weil sie eine Entfernung des Menschen von der Natur durch die Abschaffung der Zucht unterstützen könnte. Ähnlich wie Umweltorganisationen wie Friends of the Earth und Greenpeace meint Fairlie, dass die Gefahren für eine nachhaltige Lebensweise nicht wirklich vom Fleischkonsum kommen, sondern eher von der Art und Weise der Fleischproduktion und des Volumens des Konsums. Er plädiert für ein Zurückbesinnen auf traditionellere Formen der Tierhaltung und für eine damit verbundene Reduktion des Fleischkonsums.
- AutorInnen innerhalb der so genannten Critical Animal Studies sehen in der Innovation In-vitro-Fleisch die Gefahr einer Verstärkung der zentralen Rolle von Fleisch in der menschlichen Ernährung und damit eben keine Überwindung des Fleischparadigmas, also der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit und Normalität, Fleisch zu konsumieren. Für John Miller gilt In-vitro-Fleisch als weiteres Symptom einer gewaltigen Unterjochung der Tiere. Es überträgt die Ideologie der menschlichen Herrschaft auf alle Tiere und geht gleichzeitig einen Schritt weiter, weil es die Botschaft von Vegetarismus bzw. Veganismus untergräbt: Die Wahl, ob man Fleisch konsumiert oder nicht, wird weniger wichtig. Ähnlich argumentiert Rasmus Simonsen, indem er betont, dass ein wichtiges Merkmal des ethischen Veganismus in seiner sozial störenden Funktion besteht: Veganismus als Einstellung richtet sich gegen das Fleischparadigma und ist Ausdruck des Unbehagens gegenüber tierischen Produkten – ein Unbehagen, das Motor für eine radikale Veränderung sein kann. In-vitro-Fleisch hebt dieses Unbehagen auf. Ein relevantes Merkmal des ethischen Veganismus hebt sich somit mit auf, nämlich die perfekte Abschaffung von Leid, die in starkem Zusammenhang steht mit einer Gesellschaftskritik an der Tierausbeutung. Simonsen geht auch auf die Problematik des fötalen Kälberserums als Wachstumsfaktor ein. Er sieht in der Tendenz, dieses zu unterspielen bzw. nicht zu thematisieren, ein Zeichnen der heutigen biopolitischen Neigung, Leben als Material zu verstehen, das problemlos wiedergestaltet werden kann. Mal gilt In-vitro-Fleisch als tatsächliches Fleisch aus Tieren, mal als ein von den Tieren abgetrenntes Produkt – je nachdem, was strategisch klüger erscheint. Wenn In-vitro-Fleisch die industrielle Produktion erreichen wird, dann wird eine große Menge von fötalem Kälberserum benötig. Wenn dagegen ein anderer Wachstumsfaktor erfunden und verwendet werden kann, ist das fötale Kälberserum kein Nebenprodukt der Fleischindustrie mehr.
- Eine immer noch nicht adäquat beantwortete Frage in der Debatte betrifft die Zukunft der Tiere in einer Welt von In-vitro-Fleisch: Wie werden sie leben? Werden sie im Freien leben oder als optimierte Quelle von Zellen speziell dafür gezüchtet werden?
Welternährung
Das Problem: In den kommenden Jahrzehnen wird die globale Bevölkerungsdichte weiter ansteigen. Schon jetzt leiden weltweit 795 Millionen Menschen, das heißt jeder Neunte, an Hunger. Die weltweit wachsende Nachfrage nach Fleisch verschärft dieses Problem. Laut des UN-Umweltprogramms UNEP könnten die Kalorien, die bei der Umwandlung von pflanzlichen in tierische Lebensmittel verloren gehen, theoretisch 3,5 Milliarden Menschen ernähren. Darüber hinaus wird auf die ineffiziente Umwandlung von Nahrungskalorien (in Form von pflanzlichem Futter) in Fleisch hingewiesen sowie auf das Problem der Übernutzung von Weideland.
- Für die Produktion von In-vitro-Fleisch werden weniger Tiere benötigt. Weniger Tiere benötigen weniger Futter – dies würde zu einer starken Reduktion des Futtermittelbedarfs führen und Verteilungsprobleme entschärfen.
- Durch eine effizientere Umwandlung von Nahrungskalorien könnten mehr Menschen ernährt werden; außerdem würde durch die geringere Anzahl benötigter Tiere weniger Weideland benötigt.
- In-vitro-Fleisch könnte unter geringem Einsatz von Ressourcen regional produziert werden und könnte sich somit ebenfalls positiv auf die gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln auswirken.
- Greenpeace und Friends of the Earth zweifeln daran, dass die Ernährungsprobleme durch In-vitro-Fleisch zu lösen sind. Im Gegenteil könnten Investitionen in In-vitro-Fleisch weitere Investitionen in kleinbäuerliche Betriebe, die eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft verfolgen, verhindern, die aus Sicht dieser Organisationen die eigentliche Lösung für das Welternährungsproblem bieten.
Technisierung
Das Problem: Wir leben in einer Gesellschaft, die stark durch Technologien geprägt wird. Auch die Produktion von Nahrungsmitteln ist weitgehend technologisiert worden. Die meisten Produkte, die wir im Supermarkt kaufen können, sind Ergebnisse eines komplexen Herstellungsprozesses, den wir als Verbraucher selten in seiner Gesamtheit überblicken können. Auch Fleisch ist zu einem Produkt geworden, dass nur noch wenig mit dem Tier, das dafür geschlachtet wurde, zu tun hat.
- Eine weitere Technologisierung der Herstellung von Fleisch in einem Labor könnte uns noch mehr von Tieren und der Natur entfernen.
- Eine der größten Herausforderungen für In-vitro-Fleisch ist die Frage nach seiner Akzeptabilität und Akzeptanz. Sollen und wollen wir in Zukunft In-vitro-Fleisch essen?
Visionen
Wie stellen wir uns eine Zukunft mit In-vitro-Fleisch vor?
In-vitro-Fleisch ist eine Technologie. Und eine Vision. Die Befürworter dieser Technologie sehen in ihr das Potenzial, die Welt zu verbessern: Es müssten keine Tiere mehr sterben, ohne dass die Menschheit auf Fleischkonsum verzichtet. Die Abschaffung der Massentierhaltung würde sich positiv auf die Umwelt auswirken. Und das Fleisch könnte sogar gesünder für den Menschen werden, als es herkömmliches Fleisch ist. Doch wie verstehen wir Visionen?
Visionen als analytisches Konzept in der Technikfolgenabschätzung (TA)
Die Zukunftsorientierung ist ausschlaggebend für jeden Innovationsprozess. Insbesondere die sogenannten neuen und emergierenden Technologien (new and emerging science and technologies, NEST) orientieren sich an der Herstellung und Entwicklung von Produkten bzw. technischen Feldern, die zum Teil weit in der Zukunft liegen und für die man nicht viele konkrete und messbare Daten hat. Deswegen werden zusammen mit den Technologien auch Bilder von einer künftigen Gesellschaft entworfen (wie man mit oder ohne diese Technologie leben wird, was die Chancen und Risiken sind, wie unsere ethischen Werte sich dadurch ändern werden usw.). Die Technikfolgenabschätzung hat bis jetzt auf die Herausforderungen der Zukunftsorientierung von NEST mit der sogenannten „Vision Assessment“-Methode (von Armin Grunwald) geantwortet: Dabei geht es um die Analyse und Abschätzung von Diskursen in der Fachliteratur sowie in den Medien (es wird auch von einer „Hermeneutik der Visionen“ gesprochen). Das Ziel des Vision Assessment ist einerseits die Aufklärung von Politik und Öffentlichkeit über die Inhalte und Werte dieser Vision, andererseits aber auch die Abschätzung ihrer potenziellen Folgen. Somit konstruieren Visionen von Technologien ihre eigenen Zukünfte.
VIF wird ein Vision Assessment anbieten und gleichzeitig ein Stück weiter gehen. VIF verfolgt das Konzept von „Visionen als sozio-epistemische Praktiken“, das im Rahmen eines ITAS-Projektes weiterentwickelt wird. Dabei geht es nicht nur um die Analyse der Inhalte von Visionen in den Diskursen, sondern auch um die Erarbeitung des praktischen Einflusses dieser Visionen in Innovations- und Transformationsprozessen; also beispielsweise, ob und inwieweit die Visionen die forschungspolitische Agenda beeinflussen oder ob sie etablierte Denkmuster oder sogar Gewohnheiten ändern können. In VIF stellen sich Fragen wie: Was sind die sozio-technischen Visionen, die In-vitro-Fleisch zu einem zukünftigen Nahrungsmittel machen? Mit welchen Leitbildern und Visionen konkurriert In-vitro-Fleisch bezogen auf die Erreichung der intendierten Nachhaltigkeitsziele?
Darüber hinaus ist im Projekt ein empirischer Teil geplant: Dabei werden einerseits Akteure (Expertinnen und Experten in der Forschung und Entwicklung von In-vitro-Fleisch) interviewt, um ihre Absichten, ethischen Motive und Zukunftsvorstellungen, d.h. ihre Visionen zu ermitteln. Andererseits werden in Deutschland wohnende Bürgerinnen und Bürger in sogenannte Fokusgruppen und eine Citizens' Jury involviert, um ihre Vorstellungen über die Akzeptabilität von In-vitro-Fleisch zu erfahren. Die Expertenvisionen sollen dann mit den Vorstellungen der Öffentlichkeit verglichen werden und abschließend die politischen Optionen ausgearbeitet und die Ergebnisse verbreitet werden.
Die Visionen in der bisherigen Diskussion
Die konkreten Visionen, die derzeit mit In-vitro-Fleisch verknüpft sind, haben verschiedenste Ursprünge: Die Idee des eigenen Schweins im Garten kam beispielsweise bei einem Workshop in den Niederlanden auf. Das In-vitro-Fleisch-Kochbuch und das damit zusammenhängende Bistro In Vitro entstanden ebenfalls in den Niederlanden als philosophisch-künstlerische Designprojekte. Der Bioreaktor für den eigenen Haushalt und der Einsatz des 3D-Druckers zur In-vitro-Fleisch-Produktion fußen allerdings auf Ideen aus der Forschung; sie sind Weiterführungen von medizinischen Ansätzen zur Gewebeherstellung.
- Der eigene Bioreaktor in der Küche: Fleisch einfach selbst herstellen? In der eigenen Küche mal eben heranzüchten? Ein eigener kleiner Bioreaktor für den Hausgebrauch könnte das möglich machen. Nur die benötigten Muskelzellen, Nährmedien und Wachstumsstränge zusammensetzen und dann im Reaktor stimulieren lassen – und schon ist die gewünschte Hauptzutat für das Abendessen fertig.
- 3D-Drucker: Die Idee des 3D-Druckers ist nicht unbedingt neu und in vielen Bereichen ist er bereits im Einsatz. Im Restaurant, der Kantine oder in der eigenen Küche hat er bislang aber noch keine Verwendung gefunden. Mit In-vitro-Fleisch könnte sich das ändern: Auf Knopfdruck druckt sich die Mahlzeit direkt in die Pfanne oder auf den Teller. Dafür muss der 3D-Drucker nur gefüttert werden mit den einzelnen Bestandteilen, aus denen das In-vitro-Fleisch zusammengesetzt ist.
- Das eigene Schwein im Garten: Bioreaktor und 3D-Drucker müssen also nur noch gefüttert werden? Warum sich nicht auch um die Muskelstammzellen selbst kümmern? Mit einem eigenen Schwein im Garten, dem durch eine Muskelbiopsie bei Bedarf die Zellen entnommen werden, könnte auch dieser Vorgang im Privathaushalt erledigt werden. Bei dieser Vision geht es weniger um die Idee von In-vitro-Fleisch, sondern um die Veränderung, die im Verhältnis von Mensch und Tier dadurch eingeleitet würde: Das Schwein würde, mehr als Haustier denn als Nutztier, ein unbedarftes Leben unter Menschen führen.
- Das In-vitro-Fleisch-Kochbuch: The In Vitro Meat Cook Book ist ein Kochbuch für die Zukunft. Die darin enthaltenen Gerichte kann man noch gar nicht nachkochen – aber das kann sich bald ändern. Die Beiträge unter der Herausgeberschaft von Koert van Mensvoort und Hendrik-Jan Grievink setzen die Idee von In-vitro-Fleisch als Nahrung auf eine recht kreative Weise um: Für sie sind gestricktes Hack, direkt an den Spieß gezüchtetes Kebab oder Fleischpulver ebenso vorstellbar wie beispielsweise durchscheinende Sashimi-Scheiben oder urzeitliche Dodo-Nuggets und Dinosaurier-Wings.
- Bistro In Vitro: Das Bistro In Vitro ist das erste Restaurant der Welt, in dem die Speisekarte aus In-Vitro-Gerichten besteht. Es gibt nicht nur In-vitro-Fleisch, sondern auch In-vitro-Austern, In-vitro-Eiscreme und The Meaty B-52 Cocktail. Außerdem auf der Karte: Celebrity Cubes, die es einem ermöglichen, das gezüchtete Fleisch berühmter Personen zu kosten – heute vielleicht Lust auf Albert Einstein? Das Ganze hat nur einen Haken: Das Bistro In Vitro gibt es eigentlich noch gar nicht… Eine Reservierung kann man aber schon heute vornehmen.
Akteure
Innovatoren - Wissenschaftler - Kunstprojekte - Tierrechte - Alternativen - Sonstige
Ein wichtiger Teil unseres Projektes ist die sogenannte Akteursanalyse: Welche Personen, Organisationen, Institutionen und Firmen beschäftigen sich mit dem Thema In-vitro-Fleisch? Wir möchten Ihnen auf dieser Seite einen kleinen Überblick geben.
Innovatoren und Start-ups
Als Innovatoren bezeichnen wir diejenigen Akteure, die an In-vitro-Fleisch forschen oder die Forschung und Entwicklung an In-vitro-Fleisch fördern. Dazu zählen auch Start-ups, also neu gegründete Unternehmen, die die Produktion und Vermarktung von In-vitro-Fleisch zum Ziel haben. Es gibt auch eine Reihe von gemeinnütizgen Organisationen bzw. Non-Profit-Organisationen, die Forschungsprojekte unterstützen.
Cultured Beef & Mosa Meat | Mark Post & Peter Verstrate (Maastricht, Niederlande)
Unter der Leitung von Mark Post wurde an der Universität Maastricht in den vergangenen zehn Jahren die Forschung zu In-vitro-Fleisch massiv vorangetrieben. 2013 gelang dem wissenschaftlichen Team der große Durchbruch und der erste In-vitro-Fleisch-Burger der Welt konnte öffentlich verkostet werden. Cultured Beef sagt über sich selbst, den ersten ausschlaggebenden Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Alternative zur herkömmlichen Fleischproduktion gemacht zu haben.
Um den Weg zu einem marktreifen Produkt schneller gehen zu können, haben Mark Post & Peter Verstrate ein Start-up gegründet – Mosa Meat (lat. ‚mosa‘ = Maas). Mit Mosa Meat soll es einfacher gelingen, Gelder zu bekommen und so die Forschung zu beschleunigen.
https://culturedbeef.org/
https://www.brightlands.com/companies-institutes/maastricht-health-campus/mosameat
Cultured Steak & Future Farm Lab | Abi Glencross (King’s College London, GB)
Abi Glencross ist derzeit Doktorandin am King’s College der Universität London. Den ersten Kontakt mit In-vitro-Fleisch hatte die studierte Chemieingenieurin bei einem Projekt zusammen mit Dr. Marianne Ellis vom Zentrum für Regenerative Medizin der Universität Bath. Ab diesem Zeitpunkt begeisterte sich Glencross für das Forschungsthema. Mit der Hilfe von In-vitro-Fleisch-Pionier Mark Post und Lucy Di-Silvio vom King’s College sammelte sie Fördergelder für ihr Forschungsprojekt. Finanziert von New Harvest forscht sie am Department Tissue Engineering & Biophotonics des King’s College an Cultured Steak. Glencross arbeitet an einer Methode, um Muskelgewebe einfacher größer als 0,5 Milimeter wachsen zu lassen
Zusammen mit einer Biologin und einer Wissenschaftsjournalistin gründete sie das Kollektiv Future Farm Lab. Das inzwischen sehr vielfältige Team besteht aus „scientists, artists, farmers, engineers and experience designers whose aim is to reshape the food system by putting farmers back at the centre of it.“ (siehe auch unser Blogbeitrag über Future Farm Lab).
http://www.futurefarmlab.com/
Memphis Meats (San Francisco Bay Area, USA)
Uma Valeti, Nicholas Genovese und Will Clem sind die Gründer des Start-ups Memphis Meats aus San Francisco. Das 2015 ins Leben gerufene Unternehmen stellt bereits in kleinen Mengen In-vitro-Fleisch aus Stammzellen von Kühen, Schweinen und Hühnern her. Sie möchten ihre Produkte – Burger, Würstchen, Hot Dogs und Fleischbällchen – zusammen mit Rezepten von preisgekrönten Köchen entwickeln.
Auf ihrer Website präsentieren sie sich als führende Mitglieder der „clean meat“-Bewegung, die Lösungen für Umweltschädigungen, Tierleiden sowie mit Antibiotika und Fäkalien verunreinigte Nahrungsmittel finden möchte. Unterstützt werden sie unter anderem von der Non-Profit-Organisation The Good Food Institute (GFI).
Im Februar 2016 zeigten die jungen Unternehmer in einem Video das erste Fleischbällchen aus dem Labor und im März 2017 die Verkostung des ersten In-vitro-Geflügelfleisches:
http://www.memphismeats.com/
Modern Meadow | Gabor & Andras Forgacs (New York, USA)
Modern Meadow ist ein Start-up, das sich auf die Produktion von In-vitro-Tierprodukten spezialisiert hat und diese mit umweltschonenden Methoden umsetzen will. Unter anderem arbeitet das Team an der Herstellung von In-vitro-Leder.
http://www.modernmeadow.com/
New Harvest | Isha Datar (New York, USA)
New Harvest ist eine Non-Profit-Organisation, die sich auf die Förderung der Produktion von tierfreien Fleisch- und Milchprodukten spezialisiert hat. Laut eigener Aussage ist die Vision der Non-Profit-Organisation eine Zukunft, in der Massentierhaltung durch wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt abgeschafft ist. Geschäftsführerin von New Harvest ist Isha Datar, die die Vision von New Harvest auch in die Öffentlichkeit trägt. Sie wirbt für eine „post-animal bioeconomy“, eine Wirtschaft, in der tierische Lebensmittel nachhaltig aus Zellkulturen gezüchtet werden, statt Tiere dafür schlachten zu müssen. Dazu möchte New Harvest ein neues Forschungsfeld erschließen und fördern: Die „cellular agiculture“ („Zelluläre Landwirtschaft“), welche die herkömmliche Landwirtschaft der Massentierhaltung ersetzen soll.
Auf der Website von New Harvest finden sich in der Rubrik ‚Berater‘ auch einige bekannte Gesichter aus der In-vitro-Fleisch-Forschung wieder, wie zum Beispiel Mark Post von Cultured Beef oder Andras Forgacs von Modern Meadow.
http://www.new-harvest.org/
Shojinmeat Project (Japan)
Shojinmeat Project ist eine japanische Non-Profit-Organisation, die daran arbeitet, In-vitro-Fleisch preiswert im industriellen Maßstab produzierbar zu machen. Das Team besteht aus fünf sogenannten „Biohackern“ – (nicht unbedingt ausgebildeten) Biologen mit selbst aufgebauten Laboren –, einem Chemiker und mehreren Beratern sowie Experten verschiedener Disziplinen. Es kooperiert mit anderen Organisationen, um der Öffentlichkeit die Idee einer „cellular agriculture“ näherzubringen: Einer Landwirtschaft, die durch Züchtung von Zellen im Labor stattfindet. Die Organisation finanziert sich größtenteils über Kunstprojekte und Spenden.
Bisher ist es Shojinmeat Project gelungen, die Kosten von zuvor teurem Nährmedium für die Herstellung von Leberzellen drastisch zu reduzieren. Weitere Interessen des Projektteams reichen von regenerativer Medizin bis hin zu Landwirtschaft im Weltraum. Mehr darüber können Sie im Blogbeitrag zu Shojinmeat Project nachlesen.
https://www.shojinmeat.com/
SuperMeat (Tel Aviv, Irsael)
Das Team um die Gründer Koby Barak, Ido Savir und Yaakov Nahmias ist ein israelisches Start-up, das an regenerativen Technologien arbeitet, mit denen aus von Hühnern entnommenen Zellen Hühnerfleisch herangezüchtet werden soll. Mit ihrem Ansatz möchte SuperMeat die Fleischindustrie revolutionieren und ein Produktionsnetzwerk aufbauen: Sie arbeiten an der Entwicklung kleiner Fleischproduktionsmaschinen, die irgendwann in Restaurants, Supermärkten oder sogar bei den Konsumenten Zuhause aufgestellt werden könnten, um das Hühnerfleisch lokal herzustellen.
Mit einer Online-Spendenkampagne werben sie für ihre Vision und haben damit bis jetzt rund 230.000 US-Dollar Spenden gesammelt. Ihr offizielles Ziel ist es, schon im Juli 2021 erste Hühnerfleischprodukte auf den Markt zu bringen.
https://www.supermeat.com/
The Good Food Institute | Bruce Friedrich (Washington D.C., USA)
The Good Food Institute (GFI) ist eine gemeinnützige Organisation, die sich auf die Entwicklung von In-vitro-Fleisch und pflanzlichen Alternativen fokussiert. Zusammen mit der Risikokapitalfonds-Gesellschaft New Crop Capital (NCC) fördern sie seit Februar 2016 etablierte Unternehmen oder investieren in Start-ups, die diese Vision teilen, und unterstützen sie etwa im Marketing, Design oder unternehmerischen Anliegen.
Der Geschäftsführer von The Good Food Institute, Bruce Friedrich, ist gleichzeitig Gründungspartner von New Crop Capital. Unter anderem fördert die Organisation das Start-up Memphis Meats in San Francisco.
http://www.gfi.org/
The Modern Agriculture Foundation (Tel Aviv, Israel)
The Modern Agriculture Foundation unterstützt die Forschung an In-vitro-Fleisch und anderen Formen moderner Nahrungsmittelproduktion. Zusammen mit Wissenschaftlern untersuchten die Non-Profit-Organisation beispielsweise, wie realisierbar eine kommerzielle Produktion von In-vitro-Hühnerfleisch ist.
https://www.futuremeat.org/
Wissenschaftler
Neben den Innovatoren gibt es auch eine Reihe von Wissenschaftlern, die sich im Rahmen ihrer Forschung mit der Weiterentwicklung oder den bisherigen und möglichen Auswirkungen der In-vitro-Fleisch-Technologie beschäftigen. Sie kommen aus den verschiedensten Disziplinen von Bioingenieurwesen bis hin zu Soziologie.
Carolyn Mattick (Arizona State University, USA)
Carolyn Mattick forscht an der Arizona State University zu den Themen Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien. In diesem Zusammenhang veröffentlichte sie bereits einige Studien und Berichte über In-vitro-Fleisch. In einer ihrer Studien, „An Anticipatory Social Assessment of Factory-Grown Meat“ (2015), analysierte sie mithilfe von Gruppeninterviews mit Experten aus verschiedenen Disziplinen die möglichen Auswirkungen der Technologie auf die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Insgesamt sehen die dabei ergründeten Zukunftsszenarien eher durchwachsen aus.
“Given the potential impact of global consumption, it’s worth exploring the opportunities and drawbacks of new products and technologies before we start building factories, designing logos, and getting late-night cravings for dodo nuggets.”
Clemens Driessen (Universität Wageningen, Niederlande)
Clemens Driessen ist Wissenschaftler am Institut für Kulturelle Geographie der Unviersität Wageningen. Der promovierte Philosoph veröffentlichte 2014 den Forschungsartikel „Pig Towers and In Vitro Meat: Disclosing Moral Worlds by Design“, der den Moral-enthüllenden Charakter von Technologie-Visionen behandelt. Er forschte speziell an den Visionen von In-vitro-Fleisch sowie von vertikaler Landwirtschaft – eine Technologie, die durch mehrstöckige Gebäude Landwirtschaft in Ballungsgebieten von Städten möglich machen soll. Driessen untersuchte, wie solche Visionen soziale Bedenken und Diskussionen auslösen und die politische und moralische Debatte verändern.
“Even before fully entering our world as actually realized systems or commercially viable products, these technologies disclosed societal concerns over animal agriculture.”
Cor van der Weele (Universität Wageningen, Niederlande)
Cor van der Weele ist eine niederländische Wissenschaftlerin und Professorin, die an der Universität Wageningen lehrt und forscht. Ihre Fachgebiete sind Ethik, angewandte Philosophie und Biologie. Sie interessiert sich vor allem für die ethischen Aspekte des Fleischkonsums und der In-vitro-Fleischtechnologie. So arbeitete van der Weele bereits an mehreren Studien und Aufsätzen, in welchen sie zum Beispiel die entgegengesetzten Gefühle und dabei erzeugten Spannungen untersuchte, die der Fleischkonsum und die Art der Fleischproduktion bei Menschen hervorrufen.
Eine ihrer Studien aus dem Jahr 2016, „When Indifference is Ambivalence“, zeigt etwa, dass viele Konsumenten die problematischen Aspekte verbunden mit Fleisch gezielt ausblenden oder ignorieren. In In-vitro-Fleisch sieht sie eine Lösung dieser Spannungen. Van der Weele setzte sich außerdem mit dem Einfluss auseinander, den die Technologie auf die Gefühle und das Verhalten der Menschen haben könnte. Demnach hält sie In-vitro-Fleisch mit ethischen Zielen vereinbar, vorausgesetzt, die Herstellung gelänge mit einem Nährmedium, das frei von tierischen Komponenten ist.
In einem Interview spricht sie über ihre Forschung und setzt sich mit kritischen Argumenten von Veganern auseinander.
“We need to use our imagination now that eating meat is becoming more and more problematic from an ethical perspective.”
Hanna Tuomisto (London School of Hygiene and Tropical Medicine, GB)
Die Wissenschaftlerin Hanna Tuomisto forscht derzeit an der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) und beschäftigt sich mit Themen wie nachhaltige Ernährung und Umweltveränderungen.
2011 veröffentlichte sie zusammen mit Joost Teixeira de Mattos eine Studie über die möglichen Auswirkungen einer Massenproduktion von In-vitro-Fleisch auf die Umwelt. Unter anderem zeigt die Studie beim Vergleich des Energie- und Wasserverbrauchs einer Erzeugung von 1000 kg in vitro hergestelltem Rindfleisch mit der gleichen Menge an herkömmlichem Fleisch einen geringeren Verbrauch an diesen Ressourcen. Ihre Studie „Environmental Impacts of Cultured Meat Production“ (2011) wird innerhalb der Debatte um In-vitro-Fleisch viel zitiert.
Marianne Ellis (Universität Bath, GB)
Marianne Ellis forscht und lehrt an der Fakultät für Ingenieurwesen und Design an der Universität Bath in Großbritannien. Zudem ist sie stellvertretende Direktorin des Zentrums für Regenerative Medizin. In einer Forschungsgruppe zu Bioverfahrenstechnik arbeitet sie an der Entwicklung und Optimierung von speziellen Bioreaktoren und Zellgerüsten, um damit etwa auch Muskelzellen von Tieren in großem Maßstab züchten zu können. Sie ist Mitglied bei New Harvest und widmet daher einen Teil ihrer Forschung der In-vitro-Fleischherstellung.
Auf der Website von New Harvest erzählt sie in einem Interview unter anderem über ihre Forschungsarbeit.
Neil Stephens (Brunel Universität London, GB)
Der Soziologe Neil Stephens arbeitet am Institut für Umwelt, Gesundheit und Gesellschaften der Brunel Universität in London. Sein Forschungsfeld deckt die Bereiche Wissenschafts- und Technikforschung sowie kulturelle Soziologie ab. Seit 2008 arbeitet er an einem Projekt über In-vitro-Fleisch: Es erforscht die Art und Weise, wie Auffassungen und Ideen über die Bedeutung von In-vitro-Fleisch entstehen, die mit den sozialen Welten zusammenhängen, in denen es eine Rolle spielt. Hierfür führte er bereits über 40 Interviews mit verschiedenen Experten des Forschungsfelds durch und besuchte Konferenzen. Außerdem ist Neil Stephens Mitherausgeber des Buches „What is In Vitro Meat? Food Phreaking“ aus dem Jahr 2015.
“Exploring the promises of what in vitro meat (IVM) can do is an interesting business. […] I want to show that each of these promises contains a particular vision for what IVM is. My interest is not in being pro or anti IVM, instead I want to write a history of the present, recording what happens in a sociologically interesting way.”
Vim Werbeke (Universität Gent, Niederlande)
Der Chef des Instituts für Landwirtschaftliche Ökonomie der Universität Gent in den Niederlanden, Vim Werbeke, ist Professor für Ernährungswissenschaften. Er war bereits Herausgeber mehrerer Forschungsartikel, die die Reaktionen und Haltungen von Konsumenten gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln behandeln. In einer der Studien aus dem Jahr 2015 mit dem Titel „Would you eat cultured meat?“ befragte er in Zusammenarbeit mit weiteren Forschern etwa 180 Konsumenten in Belgien, Portugal und Großbritannien nach ihrer Bereitschaft, In-vitro-Fleisch zu essen. In einer weiteren Studie untersuchte Werbeke, ob Verbraucher einer westlichen Gesellschaft Insekten als Alternative zu Fleisch akzeptieren könnten.
“Initial reactions when learning about cultured meat were underpinned by feelings of disgust and considerations of unnaturalness. Consumers saw few direct personal benefits but they were more open to perceiving global societal benefits relating to the environment and global food security.”
Kunstprojekte
Auch einige Künstler beschäftigen sich mit der Vision von In-vitro-Fleisch. So reflektieren sie etwa über ethische und gesellschaftliche Aspekte oder die Technologie an sich und setzen ihre Ideen zu kreativen Zukunftsszenarien künstlerisch um.
Chloé Rutzerveld (Eindhoven, Niederlande)
Die niederländische Food-Designerin Chloé Rutzerveld vermittelt mit ihren Kunstprojekten Ideen, wie mit neuen Technologien unser Essen zukünftig gesünder und nachhaltiger gestaltet werden könnte.
Nachdem sie ihr Bachelorstudium des Industriellen Designs an der Technischen Universität Eindhoven abschloss, begann die Künstlerin 2013 unter anderem das Kunstprojekt „In Vitro ME“: In Ausstellungen zeigt sie ein Amulett, in welchem – angeschlossen an den eigenen Blutkreislauf – aus dem Körper entnommenes Muskelgewebe für den Verzehr kultiviert wird. Es soll Fleischessern die Verantwortung aufzeigen, die ihr Fleischkonsum, aber auch ganz allgemein ihre Ernährungsweise, auf ihren Lebensstil hat. Außerdem soll es ein Bewusstsein schaffen für ethische Fragen zu Kannibalismus sowie zur Zukunft des Fleisches.
Ihre Kunstprojekte wurden bereits in diversen Museen ausgestellt. Rutzerveld ist Mitglied der Naturorganisation Next Nature Network, die „In Vitro ME“ in ihrem In Vitro Meat Cookbook verewigten. Zudem hält die Food-Designerin regelmäßig Vorträge über ihre Vision von einer zukünftigen Ernährung.
http://www.chloerutzerveld.com/
The Tissue Culture and Art Project | Ionat Zurr und Oron Catts (Perth, Australien)
Das Künstlerpaar Ionat Zurr und Oron Catts gründete 2000 das künstlerische Forschungslabor „SymbioticA“ an der Universität von West-Australien. Dort setzten sie bereits das „Tissue Culture & Art Project“ (TC&A) und weitere Projekte um, bei denen es darum geht, mit der Biotechnologie Tissue Engineering im Labor gewachsene Gewebe in ein künstlerisches Umfeld zu bringen. In mehreren Ausstellungen präsentierten Zurr und Catts unter anderem Flügel aus Zellen von Schweineknochen, eine Lederjacke aus Mäusegewebe oder ein „halblebendiges“ Steak aus Froschzellen, das in einem Bioreaktor kultiviert wurde.
Das Ziel der Künstler ist es, etablierte Vorstellungen vom Leben und der Identität zu hinterfragen und die ethischen Aspekte hinter den streitigen Zukunftsszenarien aufzuzeigen.
“These evocative objects are a tangible example that brings into question deep rooted perceptions of life and identity, concept of self, and the position of the human in regard to other living beings and the environment.”
http://lab.anhb.uwa.edu.au/tca/
Next Nature Network (Amsterdam, Niederlande)
Technologie als unsere „nächste Natur“ – so beschreibt das Next Nature Network den heutigen Zustand, in welchem die Menschen rundherum von Technologie umgeben sind. Die Naturorganisation möchte nach vorne schauen in eine Zukunft, in der Technologie und Natur eins geworden sind. Gründer ist der niederländische Philosoph Koert van Mensvoort. Das internationale Netzwerk organisiert unter anderem Ausstellungen und regt Debatten über das Ausmaß an, das die Technologie in unserem Alltag bereits hat und in Zukunft noch haben wird.
In ihrer Kunstausstellung „Meat the Future“ setzt sich das Team mit der Essenskultur auseinander, die mit In-vitro-Fleisch entstehen könnte. Die Exponate sind im Cube Design Museum in Kerkrade, Niederlande, zu betrachten. Daneben stellte das Team des Netzwerks ein Kochbuch zusammen, das aus 45 Rezepten besteht. All diese Rezepte können derzeit noch nicht gekocht werden – stattdessen wird damit eine kulinarische Zukunftswelt offenbart, in der In-vitro-Fleisch ein gewöhnliches Nahrungsmittel auf unseren Speiseplänen geworden ist.
Diese Vision wird in einem weiteren Projekt des Next Nature Networks weitergeführt: Das Bistro In Vitro, das bisher fiktive und weltweit erste Restaurant, das In-vitro-Fleisch anbietet. Vier Chefköche sollen die Gerichte zukünftig kochen. Von tierleidfreiem Foie Gras als Aperitif über Dodo-Nuggets als Hauptspeise bis hin zu In-vitro-Eiscreme als Dessert dürfen sich die Besucher der Webseite des Bistros verschiedenste Menüs zusammenstellen. Und sofern sie rechtzeitig reservieren, können Mutige noch für das Jahr 2028 einen Tisch reservieren, um die Gerichte zu probieren. Mehr über die Projekte des Next Nature Networks erfahren Sie in unserem Blogbeitrag.
https://www.nextnature.net/
The Future of Meat (Niederlande)
Die Installation „The Future of Meat“ haben die Geschwister Madelaine und Anna Berlis aus den Niederlanden ins Leben gerufen. Sie soll bald in Deutschland und den Niederlanden gezeigt werden. In der Ausstellung wird in fünf Räumen jeweils ein Ernährungsszenario vorgestellt: Wie könnte die Welt im Jahr 2050 aussehen, wenn sich die Menschen von Insekten, In-vitro-Fleisch, weniger und ausschließlich lokalem Fleisch oder fleischfrei ernähren würden oder wenn sich am Fleischkonsum nichts ändern würde? Mit diesen Szenarien wollen die Künstler den Besuchern die möglichen Auswirkungen auf die Natur, Landwirtschaft und den Menschen aufzeigen. Statt künftiges Handeln vorzuschreiben, soll die „The Future of Meat“-Installation zum Nachdenken und zu Diskussionen über nachhaltige Ernährung anregen.
Also, by clarifying some of the possible roads that meat consumption may take, we hope that we can motivate people to act in a way that will help make their ideal future a reality.
Mehr dazu finden Sie in unserem Blogbeitrag über die Ausstellung.
http://thefutureofmeat.com/
Tierrechtsorganisationen
Hier finden Sie Organisationen und Stiftungen, die sich mit den ethischen Aspekten von In-vitro-Fleisch auseinandersetzen. Entsprechend ihrer Überzeugungen und Interessen sprechen sie sich für oder gegen eine Förderung von In-vitro-Fleisch aus.
PETA – People for the Ethical Treatment of Animals (weltweit)
Die internationale Tierschutzorganisation PETA unterstützt die Vision von In-vitro-Fleisch, was sich unter anderem an der regelmäßigen Berichterstattung über den aktuellen Stand der Forschung zeigt. 2008 hat sie einen Wettbewerb zur Herstellung von In-vitro-Hühnchen ausgeschrieben. Dieser ging 2014 ohne Gewinner aus, wurde von der Organisation selbst aber trotzdem als Erfolg gewertet. Als April-Scherz wurden 2008 „victimless“ Newkirk-Nuggets aus den Stammzellen von PETA-Präsidentin Ingrid Newkirk präsentiert.
https://www.peta.org/
Sentience Politics (Berlin, Deutschland; Basel, Schweiz)
Sentience Politics, ein Projekt der Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS), veröffentlichte 2016 ein Positionspapier, in welchem sich die Gruppe für eine Förderung und Beschleunigung der Produktion von In-vitro-Fleisch ausspricht. Sentience Politics ist antispeziesistisch ausgerichtet und engagiert sich für eine Gesellschaft, in der die Interessen aller empfindungsfähigen Wesen gleichermaßen vertreten werden, ohne dass Artzugehörigkeit eine Rolle spielt.
Die Gruppe verknüpft die In-vitro-Fleischproduktion mit potentiell erheblichen Vorteilen gegenüber der herkömmlichen Fleischerzeugung, erkennt aber auch an, dass noch große Herausforderungen bei der weiteren Entwicklung der Technologie überwunden werden müssen.
Angesichts der potentiell enorm großen Vorteile fu¨r das Wohlergehen von Tieren und Menschen sind wir davon u¨berzeugt, dass es eine sinnvolle Investition ist, die Produktion von kultiviertem Fleisch zu beschleunigen.
In unserem Blog finden Sie auch einen Beitrag zu ihrem Positionspapier.
http://www.sentience-politics.org/
Alternative Proteinquellen
Außer den Akteuren, die die Herstellung von In-vitro-Fleisch fördern und technisch weiterentwickeln, gibt es auch solche, die sich für andere Wege einsetzen, um den Konsum von herkömmlichem Fleisch und die damit verbundenen Probleme einzudämmen. Das sind vorwiegend Start-ups, die Lebensmittel in Form pflanzlicher Ersatzprodukte oder tierischer Proteinquellen als Alternativen zu Fleisch anbieten.
Beyond Meat (Los Angeles, USA)
Das Start-up Beyond Meat bietet Fleischersatz an, der aus rein pflanzlichen Zutaten wie Soja- und Erbsenproteinen besteht. Der Gründer Ethan Brown verfolgt zusammen mit seinem Team damit seit 2009 das Ziel, die Produkte marktfähig zu machen und auf diese Weise den Klimawandel, die menschliche Gesundheit und das Wohl der Tiere nachhaltig positiv zu beeinflussen.
In das Unternehmen investierten bereits einige bekannte Investoren, darunter der Microsoft-Gründer Bill Gates, die Human Society of the United States als die weltgrößte Tierschutzorganisation, aber auch Tyson Food, ein führender Fleischfabrikant in den USA.
Das erste Produkt „Beyond Chicken“ brachte Beyond Meat 2012 auf den Markt. Derzeit sind die Produkte in einer großen Supermarkt-Kette in den USA erhältlich.
http://beyondmeat.com/
Bugfoundation (Osnabrück, Deutschland)
„Changing the Game“ – Das ist das Motto des deutschen Start-ups Bugfoundation. Das junge Team um die Gründer Max Krämer und Baris Özel wird von der EU finanziert und designt seit Februar 2014 als erstes deutsches Unternehmen Nahrungsmittel aus Insekten, die es bereits auf dem belgischen Markt und bald auch in den Niederlanden verkauft – in den meisten Ländern der EU ist der Verkauf von verarbeiteten Insekten momentan noch verboten. Ihr sogenannter BuxBurger enthält 43% Buffalowurm.
https://bugfoundation.com/
Impossible Foods (San Francisco, USA)
Impossible Foods ist ein Start-up aus Redwood City bei San Francisco, das Patrick O. Brown 2011 gründete. Mit der Frage, warum Fleisch so schmeckt wie Fleisch, analysiert das Team seitdem die molekulare Zusammensetzung, um es so perfekt wie möglich aus ausschließlich pflanzlichen Inhaltsstoffen nachzuahmen. Das „pflanzenbasierte Fleisch“, wie Brown es nennt, besteht aus Zutaten wie Kartoffeleiweiß, Sojaprotein und Leghämoglobin aus Hülsenfrüchten. Das Ziel des Start-ups ist es, mit ihren Produkten Fleisch einmal komplett zu ersetzen und damit viele Ressourcen zu sparen und die Umwelt zu schonen. Bisher ist ihr Produkt „Impossible Burger“ nur in ausgewählten Restaurants in den USA verfügbar, soll aber bald auch in Supermärkten oder online angeboten werden.
https://www.impossiblefoods.com/
Sonstige
Unter dieser Rubrik werden weitere Akteure aufgelistet, die in keine der oberen Rubriken passen, sich aber dennoch mit In-vitro-Fleisch auseinandersetzen.
Bioland (Mainz, Deutschland)
Bioland ist der größte deutsche, ökologische Anbauverband mit Sitz in Mainz, dessen Mitglieder nach strengen Richtlinien ökologischen Landanbau betreiben. Der 1971 gegründete Verband umfasst etwa 6200 Erzeugerbetriebe. Produkte mit dem Bioland-Siegel stammen aus einer Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide oder chemische Stickstoffdünger und aus artgerechter Tierhaltung.
Bioland äußerte sich in seinem Online-Magazin Im Fokus im November 2016 kritisch zu In-vitro-Fleisch und spricht der Technologie eher Nachteile als Vorteile zu. So prognostiziert der Geschäftsführer des Bereichs Agrarpolitik und Kommunikation, Gerald Wehde, In-vitro-Fleisch würde zum einen von der Gesellschaft gar nicht akzeptiert werden und zum anderen auch gesundheitlich nicht vorteilhafter sein als konventionelles Fleisch. Mehr dazu können Sie auch in unserem Blogbeitrag über die Stellungnahme lesen.
80 Prozent der Deutschen lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel und 70 Prozent das Klonen von Nutztieren ab. Weshalb sollten sie dann genetisch identisches Fleisch, also geklonte Burger kaufen?
http://www.bioland.de/
Partizipation
Ein wichtiger Ansatz unseres Projektes ist die Einbindung der Bürger – Ihre Meinung ist uns wichtig! Wir wollen der Öffentlichkeit und somit auch Ihnen die Möglichkeit bieten, aktiv an der Debatte über In-vitro-Fleisch teilzuhaben und am gesellschaftlichen Standpunkt mitzuwirken. Deshalb gibt es neben der Umfrage auf der Homepage zwei partizipative Verfahren im Projekt, deren Ergebnisse wir auf dieser Seite vorstellen.
Fokusgruppe
Was ist eine Fokusgruppe?
Eine Fokusgruppe ist eine Gesprächsrunde, in der sich die Teilnehmer über ein festgelegtes Thema unterhalten. Die Diskussion wird von einem Moderator geleitet, damit bestimmte Aspekte des Themas nicht zu kurz kommen, ansonsten ist das Gespräch aber offen. Für Rückfragen und Erläuterungen steht ein Experte zur Verfügung, den die Teilnehmer jederzeit zu Rate ziehen können.
Die Fokusgruppen zu In-vitro-Fleisch
Im September 2016 führten wir unsere zwei Fokusgruppen in einer deutschen Großstadt durch. Über eine Marktforschungsagentur wurden die Teilnehmer zusammengestellt und die Veranstaltungen organisiert. An zwei Abenden waren zehn Teilnehmer, davon je ein Drittel Allesesser, Vegetarier und Veganer anwesend. Die erste Fokusgruppe bestand ausschließlich aus Bewohnern von Großstädten, die Teilnehmer der zweiten Fokusgruppe stammten alle aus ländlicheren Regionen. Insgesamt gab es hinsichtlich der Themen und Aussagen in beiden Gruppen keine nennenswerten Unterschiede.
Die ersten Eindrücke der Teilnehmer
Um die Meinungen der Teilnehmer über die Vision In-vitro-Fleisch zu erheben, stellte das VIF-Team Fragen, welche zu intensiven Gesprächen über das Thema führten. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass die heutige Fleischproduktion und der übermäßige Fleischkonsum in unserer Gesellschaft ein großes Problem darstellen. Alle anwesenden Vegetarier und Veganer lehnten Fleisch ab, weil sie die gegenwärtige (Massen-)Tierhaltung für nicht vertretbar halten.
Die Teilnehmer beider Gruppen zeigten sich sehr interessiert und offen gegenüber Diskussionen über In-vitro-Fleisch. Im ersten Eindruck empfanden viele In-vitro-Fleisch als unnatürlich. Auf die Frage, ob sie es einmal probieren wollen würden, antwortete der Großteil mit „Ja“, mehrere aber unter dem Vorbehalt, dass die Tiere unter den Stammzellenentnahmen zur Herstellung des Fleisches nicht stark leiden müssen. Einen Alltag mit In-vitro-Fleisch auf dem Speiseplan konnten sich die Anwesenden allerdings noch nicht so recht vorstellen: Zwar sahen einige In-vitro-Fleisch als möglichen Ansatz zur Lösung vieler gegenwärtiger Probleme, trotzdem äußerten die Teilnehmer auch Bedenken. Es gäbe noch zu viele offene Fragen und mögliche Risiken, die vor einer Markteinführung der Innovation erforscht werden müssten.
Die Schwerpunkte der Gesprächsrunde
Ein großes Anliegen war den Teilnehmern der Einfluss von In-vitro-Fleisch auf das Tierwohl, die Umwelt und die Welternährung. Einige sahen in der Technologie eine potentielle Verbesserung der Qualität der Tierhaltung, andere sahen in ihr jedoch die Gefahr, dass die Tiere durch die Stammzellenentnahmen dauerhaft gequält werden könnten. Im Hinblick auf die Umwelt sahen viele Teilnehmer in In-vitro-Fleisch das Potenzial, den Ressourcenverbrauch reduzieren zu können. Gleichzeitig könnten Futtermittel eingespart und die frei gewordenen Ackerflächen für Nahrungsmittel für den Menschen genutzt werden. Jedoch wurde auch das Risiko geäußert, die Innovation könne dazu führen, dass in Zukunft noch mehr Fleisch konsumiert werden würde.
Ein Schwerpunkt lag in beiden Gruppen auf den Themenbereichen Erziehung und Bildung. Viele sahen das Problem der heutigen Fleischproduktion im Verhalten der Verbraucher: Sie würden gewohnheitsmäßig viel Fleisch essen und beim Kauf mehr auf Quantität als auf Qualität achten. So kam der Vorschlag auf, In-vitro-Fleisch als Denkanstoß zu sehen, mit dem ein Bewusstsein für das Tierleid und nachhaltiges Konsumverhalten geschaffen werden könnte.
Insgesamt waren die Fokusgruppen sehr erfolgreich. Sie lieferten viele Ergebnisse und neue Einsichten, die entscheidend in den Prozess der Erforschung von In-vitro-Fleisch des Projekts miteinfließen.
Bürger-Jury
Was ist eine Bürger-Jury?
Eine Bürger-Jury (im Englischen Citizens’ Jury) besteht einerseits aus Bürgern, die wie in einem Gerichtssaal ein Plenum bilden und andererseits aus Experten aus Wissenschaft und Gesellschaft, die den Bürgern Rede und Antwort stehen. Die Experten kommen aus unterschiedlichen Bereichen und vertreten auch verschiedene Standpunkte; in unserem Fall waren Befürworter, aber auch Gegner von In-vitro-Fleisch anwesend. Es entstand sowohl eine Debatte zwischen den Experten als auch zwischen Bürgern und Experten.
Die Bürger-Jury zu In-vitro-Fleisch
Im Mai 2017 fand unsere Bürger-Jury zum Thema In-vitro-Fleisch am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe statt. Elf Teilnehmer im Alter von 18 bis 25 Jahren und drei Experten waren zwei Tage an einem Wochenende anwesend, um sich über die Vision In-vitro-Fleisch auszutauschen.
Am zweiten Tag stellten außerdem zwei niederländische Künstlerinnen ihr Kunstprojekt „The Future of Meat“ vor. In einer Gruppenarbeit bearbeiteten die Teilnehmer der Bürger-Jury einen Arbeitsauftrag, den das VIF-Team im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) stellte. Die Ergebnisse fließen in wissenschaftliche Publikationen ein und werden bei der Formulierung forschungspolitischer Optionen für das BMBF berücksichtigt.
Die Experten
Die Experten Dr. Kurt Schmidinger, Stefan Torges und Gerald Wehde gaben den Teilnehmern nach einer Einführungspräsentation durch das VIF-Team mit ihren Vorträgen einen Einblick in die Thematik aus ihrer Sichtweise.
- Kurt Schmidinger ist ein Geophysiker und Lebenswissenschaftler, der die Internet-Plattform Future Food betreibt. Mit dieser verfolgt er das Ziel, global über pflanzliche Alternativen zu Tierprodukten wie Fleisch, Milch und Eiern zu informieren.
- Stefan Torges ist Co-Geschäftsführer des Projekts Sentience Politics, das der Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS) zugehörig ist. Das Projekt setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der alle empfindungsfähigen Wesen gleichermaßen berücksichtigt werden. Torges nahm für seinen Vortrag die Perspektive von Tieren ein und schilderte, was sich für sie nach der Einführung von In-vitro-Fleisch verändern würde.
- Gerald Wehde ist Geschäftsführer im Bereich Agrarpolitik und Kommunikation und zugleich Pressesprecher des größten deutschen ökologischen Anbauverbandes Bioland. Er ist der Meinung, In-vitro-Fleisch habe keine Zukunft, und setzt sich stattdessen für eine umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft ein.
Zwischen und nach den Vorträgen hatten die Teilnehmer jeweils Gelegenheit, Fragen an die Experten zu stellen und mit ihnen sowie untereinander zu debattieren.
„The Future of Meat“
Die Künstlerinnen Madelaine und Anna Berlis aus den Niederlanden stellten am zweiten Tag ihr Kunstprojekt „The Future of Meat vor“. Über ihre internationale Ausstellung der fünf Szenarien, wie die Welt im Jahr 2050 aussehen könnte, können Sie sich im entsprechenden Beitrag in unserem Blog informieren. Mit ihrer Präsentation regten die beiden Künstlerinnen zum Nachdenken an und führten die Gespräche über In-vitro-Fleisch und nachhaltige Ernährung mit den Teilnehmenden fort.
Die Ergebnisse der Diskussion und Gruppenarbeit
Die Jury zeigte sich sehr interessiert an dem Thema In-vitro-Fleisch. Vor allem aus Tier- und Umweltschutzgründen herrschte Einigkeit darüber, dass der derzeitige Zustand der Fleischproduktion und Fleischkonsums nicht mehr tragbar sei. In einer Gruppenarbeit und dem anschließenden Stuhlkreis tauschten die Teilnehmer ihre Sichtweisen rund um die Technologie miteinander aus. Die wichtigsten Aspekte der Gespräche wurden als Abschluss der Bürger-Jury in einem Thesenpapier gemeinsam zusammengetragen. Damit beantwortete die Jury drei wesentliche Fragen, welche Teil des Arbeitsauftrags waren. Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
1. Kann In-vitro-Fleisch einen Beitrag zu einer Lebensmittelproduktion leisten, die besser für Mensch, Tier und Umwelt ist als die herkömmliche?
Grundsätzlich, so war sich die Jury einig, stellt die beste und einfachste Lösung eine Reduktion des Fleischkonsum, eine Förderung von pflanzlichen Alternativen und ökologische Landwirtschaft dar. Insgesamt realistischer erscheint der Jury jedoch In-vitro-Fleisch. Einen Beitrag leisten könne die Innovation in den Bereichen Tierschutz und Umweltschutz. Mit In-vitro-Fleisch könnten Ressourcen womöglich effizienter genutzt und dadurch globale Ernährungsprobleme angegangen werden. Zweifel äußerten die Teilnehmer jedoch an medizinischen Folgen der Technologie für den Menschen sowie an ihrem Einfluss auf den Umgang der Menschen mit der Ernährung.
2. Welche Veränderungen – sowohl positive als auch negative – könnten Sie sich durch die Einführung von In-vitro-Fleisch vorstellen?
Positive und negative Aspekte äußerte die Jury jeweils in Bezug auf Tiere, Welternährung, Umwelt und Gesundheit. Insgesamt überwogen für die Teilnehmer die positiven Veränderungen durch In-vitro-Fleisch.
- Tiere: Zwar könne das Leiden der Tiere mit In-vitro-Fleisch verringert werden, da weniger Tiere insgesamt bzw. in der Massentierhaltung leben würden und eine artgerechte Haltung einfacher werden könnte. Bedenken hatten einige Teilnehmer, dass das Mensch-Tier-Verhältnis leiden könnte.
- Welternährung: Die Jury bewertete die Jury zwar positiv, dass mit In-vitro-Fleisch mehr Menschen ernährt werden und sich ein größeres Spektrum an Fleischalternativen entwickeln könnte. Sie befürchtete jedoch, dass sich der Fleischkonsum sogar erhöhen und Menschen in Entwicklungsländern ihre Existenzgrundlage durch zu günstiges In-vitro-Fleisch auf den Weltmärkten verlieren könnten.
- Umwelt: In punkto Umwelt spricht nach der Jury für In-vitro-Fleisch, dass weniger Ressourcen wie fossile Energieträger, Wasser und Ackerflächen genutzt würden. Gleichzeitig sei zu erwarten, dass die Verschmutzung von Böden und Gewässern durch Gülle, Dünger und Pestizide zurückgeht, die Artenvielfalt erhalten werden kann und die frei werdenden Ackerflächen zu Nutzflächen umfunktioniert werden können. An dieser Stelle erwähnten die Teilnehmer auch die zu erwartende Dezentralisierung der Fleischproduktion als positiven Aspekt. Ein Risiko hingegen sei, dass die Fleischproduktion steigen und sich somit negativ auf die Energiebilanz auswirken könnte.
- Gesundheit: Im Hinblick auf die Gesundheit schätzten die Teilnehmer positiv ein, dass das Fleisch aufgrund einer sterilen Produktion antibiotikafrei werde und Epidemien (Zoonosen) eingedämmt werden könnten. Fleisch könnte gesünder werden, indem beispielsweise Vitamine zugesetzt werden. Bedenken gab es erneut hinsichtlich einer möglichen Steigerung des Fleischkonsums mit negativen Folgen für die Gesundheit der Menschen, aber auch, weil potentielle Gesundheitsrisiken von In-vitro-Fleisch noch nicht abschätzbar sind.
3. Sollte (die Forschung und Entwicklung an/von) In-vitro-Fleisch gefördert werden? Von wem sollte In-vitro-Fleisch gefördert/nicht gefördert werden? Wenn ja, wie sollte eine solche Förderung aussehen?
Die Jury war sich hier einig, dass Strategien zur Reduktion des Fleischkonsums entwickelt und Alternativen gleichzeitig gefördert werden sollten. In-vitro-Fleisch könnte eine Alternative sein, der Fokus sollte allerdings nicht auf dieser Technologie liegen.
Im Einzelnen merkte die Jury an, dass die universitäre In-vitro-Fleischforschung vom Staat und von Unternehmen gefördert und durch den Staat beaufsichtigt werden solle, private Forschung jedoch kritisch zu betrachten sei. Hier bestehe unter anderem die Gefahr der Monopolisierung, welcher mit staatlichen Patenten entgegengewirkt werden solle. Weiterhin, so die Bürger-Jury, sollen die Auflagen für die herkömmliche Fleischproduktion erhöht werden und ein Umbau zur ökologischen Tierhaltung stattfinden.
Literatur
Hier finden Sie eine Übersicht über wissenschaftliche Artikel sowie Links zu relevanten Webseiten, auf die wir uns auf unserer Homepage beziehen. Die Liste ist alphabetisch sortiert.
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- Chen HC; Hu, YC (2006): Bioreactors for Tissue Engineering, in: Biotechnology Letters
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- FAO (Food and Agricultural Organization of the United Nations) (2006): Livestock’s Long Shadow: Environmental Issues and Options
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- IARC – International Agency for Research on Cancer: IARC Monographs Evaluate Consumption of Red Meat and Processed Meat, WHO Press Release No. 240
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- Mattick, Carolyn S.; Allenby, Brad (2013): The Future of Meat, in: Issues in Science and Technology
- Murphy, SV; Atala A (2014): 3D Bioprinting of Tissues and Organs
- Next Nature Network (Hg.): The In Vitro Meat Cookbook
- PETA (2014): PETA’s ‘In Vitro’ Chicken Contest
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Wichtige Webseiten
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- ITAS – Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (Projektseite)
- KIT – Karlsruher Institut für Technologie
Weiterführende Literatur
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Media
Deutsche Artikel
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- Genfleisch aus der Petrischale?, taz.de 10.01.2017
- Fleisch einfach zuhause züchten, Die WirtschaftsWoche 07.11.2016
- Fleisch essen, ohne Tiere zu töten, MDR Wissen 01.11.2016
- Wie werden neun Milliarden Menschen satt?, tagesschau.de/Deutschlandfunk 31.05.2016
- Meat the Future – Fleisch aus dem Reagenzglas, faz.net 02.01.2016
- Dossier zum Fleischatlas 2016, Heinrich-Böll-Stiftung 13.01.2016
- Menschliches Stimmband im Labor gezüchtet, Scinexx 19.11.2015
- Schnitzel ohne Schwein, Burger ohne Rind, Die Welt 03.07.2015
- Das Steak aus dem Reaktor, taz.de 09.06.2015
- Worte von morgen/Wortschöpfung: In-Vitro-Fleisch, Die Zeit 24.04.2015
- „In-vitro-Fleisch wird selbstverständlich wie Sushi“, Handelsblatt 16.04.2015
- In-vitro-Küche: Kommt jetzt gestricktes Fleisch auf den Teller?, Welt der Wunder 13.03.2015
- Künstliches Essen: Dino-Fleisch aus der Petrischale, Spiegel 06.08.2014
- Laborfleisch – das Nahrungsmittel der Zukunft, PETA 10.2013
- In-Vitro Fleisch vegan? Dilemma oder Lösung?, Vegan News 16.10.2013
- Forscher präsentiert Kunstfleisch-Burger, Agrar Heute 06.08.2013
- Einmal Kunstfleisch-Burger für 300.000 Euro, bitte!, Die Zeit 05.08.2013
- Künstliches Rindfleisch: Wissenschaftler präsentieren ersten Labor-Burger, Spiegel 05.08.2013
- In-vitro-Fleisch: Labor-Schnitzel als Klimaretter, GEO 16.04.2010
Internationale Artikel
- Soon, Pig-free Bacon Might Be on Your Breakfast Plate, Futurism 14.02.2017
- The market for alternative-protein products, The Economist 02.02.2017
- Would you serve your family lab-grown meat? PETA would, Quartz 23.12.2016
- When Will Our Meat-Filled Diets Go Post-Animal?, CoExist 08.02.2016
- These Meatballs Are Made of Beef – But It Didn’t Come from a Cow, CoExist 05.02.2016
- Farming Meat Cells to Grow a Meat Ball, CNet 03.02.2016
- ‘World’s First’ Lab-Grown Meatball Revealed, FoxNews.com 03.02.2016
- ‘World’s First’ Lab-Grown Meatball Looks Pretty Damn Tasty, Huffington Post 02.02.2016
- Sizzling Steaks May Soon Be Lab-grown, The Wall Street Journal 01.02.2016
- Memphis Meats Makes Global Debut, The Good Food Institute 31.01.2016
- How Lab-Grown Meat May Change Our World, Huffington Post 24.11.2015
- Improved lab-grown burger will be sold on the mainstream market, IFL Science 16.07.2015
- Lab-grown Leather is coming, but is the industry ready for it?, The Guardian 10.07.2015
- When Will Our Meat-Filled Diets Go Post-Animal?, CoExist 08.02.2015
- Laboratory-grown beef: meat without the murder, but would you eat it?, The Guardian 13.07.2014
- Synthetic meat: is it ‚natural‘ food?, The Guardian 06.08.2014
- It’s (not) alive! Franken-meat lurches from the lab to the frying pan, NBC News 04.08.2013
- The audacious plan to end hunger with 3-D printed food, Quartz 20.05.2013
- Could vegetarians eat a ‚test tube‘ burger?, BBC 23.02.2012
- How lab-grown steak could save the world, Esquire 06.08.2010
- Mad science? Growing meat without animals, Livescience 19.11.2009
- Stem-cell fast food: From NASA to nourish, Popular Mechanics 30.09.2009
- Cow-free beef proposed, Livescience 07.07.2005
Videos in deutscher Sprache
In-Vitro-Fleisch – Nahrungsmittel der Zukunft?, ARTE Dokumentarfilm, 13.09.2015
Ist der Konsum von Fleisch noch vertretbar? Zeit Online im Interview mit der Philosophin Friederike Schmitz
Quelle: http://www.zeit.de, veröffentlicht am 29.10.2015
Der Fleischkonsum in Deutschland ging in den letzten Jahren zurück. Trotz allem gehören die Deutschen mit ihrem durchschnittlichen Fleischkonsum weltweit immer noch zu den größten Fleischessern.
Quelle: http://www.faz.net, veröffentlicht am 30.04.2015
Videos in englischer Sprache
The Future of Meat – eine internationale Kunst-Installation zu verschiedenen Szenarien über die Zukunft von Fleisch
Siehe: http://thefutureofmeat.com/
Meat the Future – ein Dokumentarfilm (in Arbeit), u.a. über Uma Valeti, CEO und Co-Founder von Memphis Meats.
Siehe: http://www.mtffilm.com
Tomorrow Daily stellt das Unternehmen Memphis Meats vor, das im Januar 2016 das erste In-vitro-Fleischbällchen der Welt.
Siehe: Beitrag in Tomorrow Daily CNet (Minute 09:09-14:07), veröffentlich am 04.02.2016
Im Januar 2016 präsentierte Memphis Meats das erste In-vitro-Fleischbällchen der Welt.
Quelle: www.youtube.com, veröffentlicht am 31.01.2016
BBC-News: Mark Post erklärt, wie er und sein Team den ersten In-vitro-Burger hergestellt haben.
Siehe: http://www.bbc.com/news/science-environment-34540193, veröffentlicht am 15.10.2015
Warum ein ganzes Huhn züchten und töten, wenn wir nur die Brust wollen? Es könnte eine Alternative geben.
Quelle: http://www.new-harvest.org und Derek Lau, veröffentlicht am 15.01.2015
Mark Post spricht in TedxMaastricht über die Auswirkungen von In-vitro-Fleisch auf Nahrungsmittelsicherheit und Umwelt.
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 11.05.2014
Eine kurze Darstellung der Geschichte des Fleischkonsums, zu welchen Problemen er führt – und welche Lösung gesehen werden kann.
Quelle: http://www.new-harvest.org und Derek Lau, veröffentlicht am 02.11.2013
Die öffentliche Zubereitung des ersten In-vitro-Burgers: Mark Post und zwei weitere Verkoster lassen sich den ersten Burger aus Laborfleisch braten.
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 07.08.2013
In diesem Video aus dem Cultured Beef-Projekt der Universität Maastricht (= Mark Post + Team) wird erläutert, wie In-vitro-Fleisch hergestellt werden kann.
Quelle: http://www.culturedbeef.net, veröffentlicht am 06.08.2013
In diesem Video sprechen Mark Post, Sergey Brin, Ken Cook und Richard Wrangham über Fleischkonsum und die Probleme, die er verursacht. Sie erläutern, weshalb In-vitro-Fleisch (cultured meat) aus ihrer Sicht eine gute Alternative ist.
Quelle: http://www.culturedbeef.net, veröffentlicht am 29.07.2013
Andras Forgacs spricht darüber, dass biofabriziertes Fleisch und Leder aus seiner Sicht ein zivilisierter Weg ist, um keine Tiere mehr für Hamburger und Handtaschen zu töten.
Quelle: https://www.ted.com, veröffentlicht im Juni 2013
Isha Datar, die Geschäftsführerin von New Harvest, spricht in TedxToronto über das Umdenken beim Fleischkonsum.
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 27.04.2013
Gabor Forgacs äußert sich zu der Möglichkeit, Organe mit dem 3D-Drucker herzustellen und tierische Produkte zu nutzen, für die keine Tiere mehr sterben müssen.
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 16.06.2014 | 05.12.2011
Wie wird In-vitro-Fleisch hergestellt? Und was würde sich ändern, wenn es im großen Maßstab produziert würde?
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 29.09.2011
Jonathan Safran Foer, der als Autor des Buchs „Tiere essen“ bekannt ist, äußert sich zu den kulturellen Aspekten, die mit Fleisch verbunden sind.
Quelle: https://www.youtube.com, veröffentlicht am 14.06.2011
Blog-Artikel
3D-Drucker für Lebensmittel kommen auf den Markt
Besuch der Third International Conference on Cultured Meat
Bioland: Fleisch aus dem Labor im Fokus
Bux Burger – Insekten essen gegen den CO2-Ausstoß
Citizens‘ Jury zu In-vitro-Fleisch: Bürger & Experten im Dialog
Das blutige Geschäft mit dem Kälberserum
Die Ernährung der Zukunft, Herr Precht und In-vitro-Fleisch
Ernährungsszenarien in der Kunst: „The Future of Meat“
Experteninterviews
Fleischatlas 2016 veröffentlicht
Fokusgruppen erfolgreich durchgeführt
Neue Impact-Studie zum Ernährungswandel
Future Farm Lab – neue Technologien für die Landwirtschaft
Was essen wir morgen? Interview mit Dr. Arianna Ferrari
G20: Einsatz gegen tödliche Erreger aus der Tierhaltung
NTA-Konferenz in Bonn
Internationale Tagung zu In-vitro-Fleisch in Maastricht
In-vitro-Fleisch als ethischer Fortschritt? Vortrag vom 12. Mai 2016 online!
VIF im SWR – Bericht über In-vitro-Fleisch
In-vitro-Leder – Mehr als nur eine Imitation?
ITA-Forum in Berlin
Memphis Meats präsentiert erstes In-vitro-Fleischbällchen
Memphis Meats serviert das erste In-vitro-Gefluegelfleisch
Nachhaltige Landwirtschaft und die Zukunft tierischer Nahrungsmittel
Nestlé Zukunftsstudie: Wie is[s]t Deutschland 2030?
Next Nature Network und die Ausstellung „Meat the Future“
Peter Singer: Der erste (tier)leidfreie Burger der Welt
Pflanzliche Meeresfrüchte: Shrimps aus Algen
Psychologische Studie: Wie wir das Fleisch vom Tier trennen
Second International Conference on Cultured Meat in Maastricht
Shojinmeat Project – Biohacking im Badezimmer
Spiegel-Titelstory über Fleisch: Probleme und Zukunftsvisionen
TATuP-Artikel: In-vitro-Fleisch als nachhaltige Lösung?
UBA: Fleischkonsum belastet Umwelt
Über Fleisch ohne Tiere: Ein Podiumsgespräch wichtiger Akteure
VIF im Zukunftsraum: Vortrag und Diskussion
VIF zu Gast bei der veganen Hochschulgruppe des KIT
Wahrnehmung ‚zellularer Landwirtschaft‘: Fokusgruppen in den USA
Zellbiologische Probleme bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch
Zelluläre Landwirtschaft als Ernährungszukunft?
Zu Hause Fleisch züchten – Ist das die Zukunft?
3D-Drucker für Lebensmittel kommen auf den Markt
Veröffentlicht am 16. August 2016 von André Thielen
Eine Vision, die mit der Entwicklung von In-vitro-Fleisch einhergeht, ist der 3D-Druck von Lebensmitteln. 3D-Drucker werden heute bereits vielfältig eingesetzt – etwa in der Automobil-Industrie, um Prototypen oder auch Bauteile zu produzieren, mittlerweile aber auch in privaten Haushalten, für die Herstellung von Spielzeug oder ähnlichen Kleinteilen. Die Vorstellung, In-vitro-Fleisch mit Hilfe eines 3D-Druckers in die Form etwa eines Steaks zu bringen, das auch in seiner Textur einem herkömmlichen Stück Fleisch entspricht, wird allerdings noch eine Vision bleiben.
Start-ups vermarkten erste 3D-Drucker für Lebensmittel
Dennoch befindet sich der 3D-Druck von Lebensmitteln auf dem Vormarsch. Mehrere Unternehmen entwickeln derzeit 3D-Foodprinter, mit deren Hilfe es möglich ist, Lebensmittel mit der Konsistenz von Brei oder einer Paste in jede gewünschte Form zu bringen. Die Textur bleibt auch nach der Verarbeitung gleich, es sei denn, die Druckware wird anschließend gebacken oder gebraten.
Die Entwicklung solcher Maschinen ist in den letzten Jahren rasant vorangeschritten und die ersten Produkte erscheinen nun auf dem Markt. Derzeit bietet etwa Natural Machines in ihrem Newsletter den sogenannten Foodini an. Vor zwei Jahren hieß es zwar noch, er solle schon 2015 erhältlich sein, allerdings hat sich die Vermarktung noch etwas verzögert. Nach einer sehr kleine Auflage – gewissermaßen als Testlauf – bietet das Unternehmen den Foodini nun in einer größeren, aber dennoch limitierten Auflage an. Der 2015 ausgewiesene Preis von 1000–2000 US-Dollar hat sich noch einmal verdoppelt und liegt nun bei 4000 US-Dollar.
Astronauten-Nahrung oder gesundes Fast-Food?
BeeHex Inc. ist ein weiteres Unternehmen, das mit seinem Produkt bereits auf dem Markt ist. Das von der NASA unterstütze Projekt hat seinen 3D-Drucker Beehex speziell dafür entwickelt, Pizza zu drucken. So sollen Astronauten zukünftig heimisches Essen verzehren können, um ein Gefühl der Geborgenheit verspüren zu dürfen. Doch bevor dieses Vorhaben umgesetzt wird, findet der Beehex auf der Erde Verwendung. Kürzlich hat eine New Yorker Pizzeria-Kette schon damit begonnen, Pizzen aus dem 3D-Drucker anzubieten. Laut den Entwicklern des Beehex könnte ihr Produkt aber nicht nur ein kulinarisches Highlight bieten, sondern sogar den Welthunger beenden, da Nährstoffe in für den 3D-Drucker komprimierter Form für eine ausgewogenen Ernährung sorgen und massenhaft verarbeitet werden könnten.
Bevor dies allerdings möglich sein wird, erhält die teure Innovation wohl eher in westlichen Haushalten Einzug. Lynette Kucsma, die Mitgründerin von Natural Machines, spricht im Interview davon, dass ihr Foodini in den Küchen eine ähnliche Revolution hervorrufen könnte, wie es in den 70er Jahren die Mikrowelle getan hat. Neben einer schnellen Zubereitung sieht sie die Vorteile des 3D-Foodprinters vor allem in der Möglichkeit, besonders gesunde Nahrung herzustellen und konsumieren zu können.
Alltag der Zukunft
Tatsächlich könnte der 3D-Druck von Lebensmitteln unser alltägliches Leben verändern, wie Columbia Engineering andeutet. Der noch in der Entwicklung stehende Sanna wird speziell für den Alltag entwickelt und soll den perfekten Mix von Nährstoffen ermöglichen. Allerdings geht damit bisher auch eine gelartige Textur der Lebensmittel einher, an die sich die Konsumenten laut Hod Lipson, dem leitenden Entwickler des Sanna, noch zu gewöhnen hätten. Er betont aber auch, dass 3D-Drucker herkömmliche Lebensmittel zukünftig nicht vollständig ablösen könnten, da bestimmte Nährstoffe darin nicht zu verarbeiten seien.
Ob und wann auch der 3D-Druck von In-vitro-Fleisch möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Allerdings deutet die momentane Vermarktung der 3D-Drucker für Lebensmittel an, dass dies nur eine Frage der Zeit sein könnte, sobald In-vitro-Fleisch ähnlich groß vermarktet werden sollte.
Besuch der Third International Conference on Cultured Meat
Veröffentlicht am 6. September 2017 von Inge Böhm
Vom 3. – 5. September 2017 fand die Third International Conference on Cultured Meat in Maastricht statt. Wie schon in den vergangenen zwei Jahren luden Mark Post und Kollegen von der Universität Maastricht dazu ein, sich über die Forschung über In-vitro-Fleisch und damit verbundene Themenbereiche auszutauschen. Experten aus dem Bereich des Tissue Engineering, der Zellkultivierung, der Konzeption von Bioreaktoren sowie von Lebenszyklusanylsen zur Umweltauswirkung von Fleisch und In-vitro-Fleisch kamen zu Wort. Das VIF-Team stellte Projektergebnisse zu ethischen und gesellschaftlichen Fragen vor.
Anwesend waren unterschiedlichste Akteure der In-vitro-Fleisch-Community. Unter anderem waren Vertreter der gemeinnützigen Organisation The Good Food Institute anwesend und sorgten für ein veganes Mittagessen. Auch Mitglieder des israelischen Start-ups SuperMeat, der Gründer des Unternehmens Cellular Agriculture Ltd., Illtud Dunsford aus Großbritannien, Yuki Hanyu von Shojinmeat/Integriculture aus Japan sowie die Sozialwissenschaftler Neil Stephens (UK) und Cor van der Weele (NL), die sich schon lange mit In-vitro-Fleisch befassen, waren vor Ort. Doch nicht nur Wissenschaftler und Unternehmer, auch kleinere Investoren und der ein oder andere Vertreter aus der Fleischindustrie waren da.
Herausforderungen der Herstellung von In-vitro-Fleisch
Unter anderem wurde die Frage nach der Vaskularisierung von größeren Gewebestücken (etwa eines Steaks) thematisiert, die auch in der medizinischen Forschung für die Herstellung von Implantaten eine Rolle spielt. Shulamit Levenberg (Technion, Israel) zeigte in ihrem Beitrag, dass die Bedingungen der Kultivierung (Zelltypen, Gerüst, Bioreaktor, Stretching) einen entscheidenen Einfluss auf die Vaskularisierung von Gewebe haben. Zur Herstellung werden Gerüste (scaffolds) benötigt – in der Arbeit von Levenberg sind diese schwammähnlich aufgebaut. Dabei spielen für die Ausdifferenzierung der Stammzellen zu Myotuben die Konsistenz des Gerüstes und die Porendichte eine entscheidene Rolle. Die Nutzung unterschiedlicher Zelltypen in einer Zellkultur (co-culture) stellt ebenfalls eine Möglichkeit dar, ein Netzwerk von Gefäßen innerhalb des Gewebes zu generieren. Das regelmäßige Dehnen (Stretching) der Zellen durch mechanische Reize beeinflusst ebenfalls die Fähigkeit der Zellen, Netzwerkstrukturen auszubilden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verwendung eines geeigneten Bioreaktors. Im sogenannten flow-bioreactor kann durch eine konstante Zirkulation des Nährmediums ebenfalls die Vaskularisierung des Gewebes positiv beeinflusst werden.
Als eine große Herausforderungen für eine Produktion im großen Maßstab sieht Nico Oosterhuis (CellTainer BV, Niederlande) die Erhaltung eines sterilen Systems sowie die Reduktion der Produktionskosten. Die Kosten des Nährmediums (die ungefähr die Hälfte des gesamten Produktpreises ausmachen) müssten außerdem gesenkt werden. Als Möglichkeit zum Erhalt eines sterilen Systems wird die Nutzung von Einweg-Bioreaktoren (single use bioreactors) vorgeschlagen. Der Vorteil liegt darin, dass die energieintensive Reinigung von herkömmlichen Bioreaktoren mit Dampf entfällt und die Behältnisse bereits sterilisiert sind. Die technischen Möglichkeiten sind also bereits vorhanden, schließt Oosterhuis, jedoch müsse ein erschwingliches Nährmedium gefunden werden.
Large-scale production is possible on a technical level.
Marie Gibbons, Research Fellow von New Harvest an der North Carolina State University (USA), verwendet in ihrer Arbeit gebrauchte Bioreaktoren aus einer Brauerei. In ihrer Arbeit zeigt sie auf, dass die benötigten Proteine für das Nährmedium der Zellen auch aus Pflanzen, etwa aus Algen, hergestellt werden könnten. Zudem sind die Zellen in unserem Körper in der Lage, die erforderlichen Stoffe selbst zu produzieren. Auf Grundlage dieser Überlegung habe eine gemeinsame Kultivierung von Muskel- und Leberzellen möglicherweise das Potenzial, den Einsatz von Nährmedium zu reduzieren und so zu komponieren, dass es aus Pflanzen hergestellt werden kann.
Ein sehr kreatives und in unseren Augen eher ungewöhnliches Projekt aus Japan – das Shojinmeat Project – wurde bereits letztes Jahr in Maastricht und auf unserem Blog präsentiert. Yuki Hanyu stellt die Idee vor, In-vitro-Fleisch mithilfe von Citizen Science und einem Do-it-yourself-Ansatz zu etablieren. Grundsatz dieser Arbeit ist es, Optionen zu entwickeln, die jedermann umsetzen kann und die sehr kostengünstig sind. Man beginnt also mit einem möglichst günstigen Produkt und versucht dann nach und nach, den Prozess zu optimieren. Im Supermarkt seien alle wesentlichen Komponenten erhältlich. Ein durcschnittlicher Energy- bzw. Sportdrink enthalte alles, was die Zellen zum wachsen bräuchten. Die Verwendung der eigenen Küche statt teurer Labore verringert ebenfalls die Kosten der Herstellung einer Zellkultur. Hanyu hat bereits kleine Hühnerlebern kultiviert und auf einer (Küchen-)Party präsentiert. Auf die Nachfrage, wie sein In-vitro-Produkt geschmeckt habe, antwortete er gelassen:
It tasted something.
Mit der Konstruktion geeigneter Bioreaktoren befasst sich die Bioingenieurin Marianne Ellis (University of Bath, UK). Grundsätzlich müsse ein Bioreaktor die Bedingungen im Körper so gut wie möglich nachahmen. Eine Schwierigkeit besteht darin, den richtigen Bioreaktor zu wählen:
We don’t know which one will be the best bioreactor. They are scalable, but the one that is best to grow cells might not be the best on an economic perspective.
Neben den technischen Fragen beschäftigte sich unter anderem Christopher Bryant (University of Bath, UK) mit Studien zur Konsumentenakzeptanz. Auf der Grundlage eines Vergleichs verschiedener Studien kommt er zu dem Ergebnis, dass In-vitro-Fleisch keinesfalls als vegetarische Alternative zu Fleisch präsentiert werden sollte. Es würde damit in eine falsche Ecke gedrängt und nicht mehr als (richtiges) Fleisch wahrgenommen werden. Aus seiner Sicht gibt es zwei Hauptgründe, weshalb Konsumenten In-vitro-Fleisch ablehnen könnten: 1) Unnatürlichkeit und 2) Unsicherheit (in einem gesundheitlichen Sinne). Weniger wichtig wären die Aspekte Geschmack und Preis. Alle anderen Argumente für oder gegen In-vitro-Fleisch würden lediglich in Gruppendiskussionen geäußert, weil dort gesellschaftliche Erwartungen erfüllt werden müssten. Aspekte wie die Reduktion des Welthungers sowie Umweltschutz spielten bei persönlichen Kaufentscheidungen kaum eine Rolle, dafür aber Gesundheit und Sicherheit.
People think it is lacking something, so from a marketing point of view, don’t name your product vegan even it is vegan.
Als Strategien zur Steigerung der Akzeptanz nennt Bryant die Bereitstellung von Informationen über Vorteile von In-vitro-Fleisch (mit einem Fokus auf Gesundheit und Sicherheit), die Aufhebung der Wahrnehmung von In-vitro-Fleisch als unnatürlich sowie die Wahl eines optimalen Produktnamens. Das Good Food Institute argumentiert beispielsweise für die Verwendung des Begriffs „clean meat“, der positive Assoziationen wecke. Bruce Friedrich (The Good Food Institute, USA) stimmt seinem Vorredner zu, dass Tier- und Umweltschutz kaum eine Rolle bei Kaufentscheidungen spielen, was am geringen Marktanteil von Bio-Lebensmitteln ersichtlich würde. Aus seiner Sicht interessieren sich Konsumenten jedoch lediglich für Geschmack, Preis und den Nährwert von In-vitro-Fleisch.
Bioland: Fleisch aus dem Labor im Fokus
Veröffentlicht am 10. Januar 2017 von Marlene Faul
Der Bioland-Verband für ökologischen Landanbau widmete der Forschung von In-vitro-Fleisch im November 2016 mehrere Beiträge. In seinem Online-Magazin Im Fokus setzt sich der Verband kritisch mit dem Thema auseinander. Einer der Geschäftsführer, Gerald Wehde, sieht die Technik nicht als Lösung an und kann sich kaum vorstellen, dass die Gesellschaft „Fleisch aus dem Labor“ bald akzeptieren wird.
Bioland hat aktuell über 6200 Mitglieder, darunter Landwirte, Winzer und Gärtner. Der Anbauverband möchte für nachhaltige Landwirtschaft, Klimaschutz und artgerechte Tierhaltung stehen und setzt sich für diese und weitere Ziele ein. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch Bioland zu In-vitro-Fleisch äußert, welches von einigen Wissenschaftlern derzeit als eine mögliche Lösung für die Probleme der heutigen Fleischproduktion und des Fleischkonsums diskutiert wird.
In-vitro-Fleisch: Problem statt Lösung?
In einer Stellungnahme im Online-Magazin von Bioland äußerte sich Gerald Wehde zur neuen Technologie. Der Geschäftsführer im Bereich Agrarpolitik und Kommunikation sieht Fleisch, das im Labor hergestellt wird und in wenigen Jahren auf den Markt gebracht werden soll, eher als Problem statt als Lösung an. Er argumentiert, dass der Großteil der Bevölkerung gegen Gentechnik in Lebensmitteln oder das Klonen von Nutztieren ist und daher auch „Kunst-Fleisch“ nicht akzeptieren würde. Aus Wehdes Sicht stellt es keine Verbesserung dar, wenn die Weideflächen der Tiere durch die Erzeugung von In-vitro-Fleisch frei werden würden. 2/3 dieser Fläche seien ohnehin nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln für Menschen geeignet und eine Umwandlung in Ackerland würde viel umweltschädliches CO2 freisetzen.
Nicht einmal gesundheitlich spricht er In-vitro-Fleisch einen Vorteil zu: Mit der Züchtung im Labor könnte das Fleisch bald noch billiger im Handel angeboten werden und der Fleischkonsum dadurch noch weiter steigen – und damit auch die Folgekosten durch die gesundheitlichen Probleme, die die Fehlernährung mit zu viel Fleisch verursacht.
Sein Fazit lautet daher, dass die Zukunft nur eine artgerechte Nutztierhaltung weltweit sein kann:
Eine Kuh könnte zwölf Jahre leben – statt der heute vier bis fünf Jahre – und in dieser Zeit Milch geben. Am Lebensende wird sie geschlachtet und zu leckeren Burgern verwertet. Das wäre nicht nur ethisch das Richtige, sondern auch ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Das würde auch die Akzeptanz für Tierhaltung wieder erhöhen.
Wie realistisch ist das Ziel der In-vitro-Fleischhersteller?
Bioland sprach außerdem in einem Interview mit dem Medizinprofessor Stefan Jockenhövel über die Themen Tissue Engineering und In-vitro-Fleisch. Jockenhövel forscht am Institut für Angewandte Medizintechnik der Uniklinik Aachen und leitet dort eine Abteilung, die im Labor Herzklappen aus menschlichen Zellen der Patienten entwickelt.
Als er das erste Mal von der neuen Technologie zur Fleischherstellung hörte, konnte er sich kaum vorstellen, dass man Fleisch im Labor für den Massenkonsum züchten könnte.
Am Anfang habe ich gelacht, als ich von den Plänen hörte. Wir hatten ja schon Mühe, eine Herzklappe herzustellen, und dann wollte da jemand Fleisch für den Massenkonsum züchten. (…) Den Mut der Kollegen, in diese Richtung zu gehen, bewundere ich sehr.
Dass Unternehmen wie SuperMeat in Israel oder das US-Start-Up Memphis Meats planen, schon in wenigen Jahren In-vitro-Fleisch-Produkte massenhaft im Handel anzubieten, sieht Jockenhövel als sehr ambitioniert an. Sein Institut setzte sich schon vor 16 Jahren das Ziel, zehn Jahre später erste Herzklappen auf den Markt zu bringen – dieses Ziel haben sie bis heute nicht erreicht.
Bux Burger – Insekten essen gegen den CO2-Ausstoß
Veröffentlicht am 16. Februar 2016 von André Thielen
Die Produktion von Fleisch verursacht einen massiven Ausstoß von CO2 und verbraucht eine große Menge Wasser. Über diese Tatsache wurde schon an zahlreichen Stellen berichtet und die Suche nach Alternativen befindet sich in vollem Gang. In-vitro-Fleisch wird als umweltfreundliche, nachhaltige Alternative zum herkömmlichen Fleischkonsum präsentiert. Die Umweltbelastung könnte bei der Produktion von In-vitro-Fleisch stark reduziert werden. Es gibt jedoch noch weitere nachhaltige Alternativen: Beispielsweise der Verzehr von Insekten.
Insekten als Nahrungsmittel werden in den deutschen Medien derzeit wieder vermehrt diskutiert. Anlass ist das Auftreten des Osnabrücker Start-ups Bugfoundation, das in Belgien bereits in zwei Restaurants den sogenannten Bux-Burger vertreibt. Der Burger-Bratling besteht aus Buffalo-Würmern, die zermahlen und zu einer Teigmasse verarbeitet werden, um letztlich als Patty in der Pfanne zu landen. Belgien und die Niederlande sind in der EU bisher die einzigen Länder, in denen der Vertrieb von zu Lebensmitteln weiterverarbeiteten Insekten erlaubt ist. Die EU hat zwar bereits Stellung bezogen und ausgesprochen, dass die Risiken von Ernährung durch bestimmte Insekten gering sind, allerdings gibt es noch keine gemeinsame gesetzliche Regelung bezüglich deren Vertriebs.
Dabei ist der Verzehr von Insekten für viele Menschen völlig normal, denn weltweit ernähren sich etwa zwei Milliarden Menschen teilweise von Insekten und auch in der europäischen Geschichte standen einige Krabbeltiere bereits auf dem Speiseplan, bis sie durch Sesshaftigkeit und Viehzucht wieder verdrängt wurden.
Dass die Einführung von Insekten in die Lebensmittelauswahl sinnvoll wäre brachte 2013 schon die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) zum Ausdruck. Ähnlich wie In-vitro-Fleisch könnte der Verzehr von Insekten den Ausstoß von Treibhausgasen massiv reduzieren. Die Produktion von Nahrungsmitteln aus Insekten würde viel weniger Wasser, Futter und Platz in Anspruch nehmen als die Produktion von Schweine- oder Rindfleisch. Beispielsweise werden für die Herstellung von 1 kg Insektenfleisch 2 kg Futter und 15 Liter Wasser benötigt – für die gleiche Menge Rindfleisch bedarf es 8 kg Futter und 15000 Liter Wasser. Ob diese Argumente jedoch gegen den im Westen bestehenden Ekel gegenüber dem Verzehr von Insekten ankommen, bleibt eine offene Frage – bisher werden in den beiden belgischen Restaurant am Tag im Schnitt nur zwei Bux-Burger verzehrt. Ob der In-vitro-Burger (der nach Angaben von Memphis Meats bereits in 3-4 Jahren auf den Markt kommen könnte) ein echter Konkurrent für den Bux-Burger sein könnte, bleibt ebenfalls offen.
Citizens‘ Jury zu In-vitro-Fleisch: Bürger & Experten im Dialog
Veröffentlicht am 30. Mai 2017 von Marlene Faul
Am 19. und 20. Mai 2017 fand die Citizens‘ Jury des VIF-Teams zu In-vitro-Fleisch statt. 11 interessierte Bürgerinnen und Bürger im Alter von 18 bis 25 Jahren waren anwesend, um Vorträge zum Thema In-vitro-Fleisch von drei Experten mit unterschiedlichen Überzeugungen anzuhören und gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Zudem stellten zwei Künstlerinnen aus den Niederlanden ihr Kunstprojekt „The Future of Meat“ vor. Als Abschluss erarbeiteten die Teilnehmenden ein Thesenpapier über verschiedene Aspekte von In-vitro-Fleisch. Eine Bürger-Jury ist ein partizipatives Verfahren, das im Rahmen des Forschungsprojekts Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) stattfand. Die Ergebnisse fließen in wissenschaftliche Publikationen ein und werden bei der Formulierung forschungspolitischer Optionen für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) berücksichtigt.
Vorträge und Diskussionen mit den Experten
Im Stuhlkreis – die Experten beantworten Fragen der Teilnehmer, Foto: Marlene Faul
Die Citizens‘ Jury startete am Freitag mit einer kurzen Runde zum Kennenlernen und einer Präsentation des VIF-Teams zur Einführung in das Thema In-vitro-Fleisch. Im Anschluss konnten die drei Experten den Teilnehmenden jeweils einen Einblick in die Thematik aus ihrer Sichtweise geben. Mit dabei war Dr. Kurt Schmidinger, ein Geophysiker und Lebenswissenschaftler aus Wien, der 2005 die Internet-Plattform Future Food ins Leben rief. Mit der Webseite möchten er und sein Team global über pflanzliche Alternativen zu Tierprodukten wie Fleisch, Milch und Eiern informieren. Auch Stefan Torges präsentierte seine Perspektive. Er ist Co-Geschäftsführer des Projektes Sentience Politics, das einen Teil der Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS) bildet. Das Projekt setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der alle empfindungsfähigen Wesen gleichermaßen berücksichtigt werden. Torges stellte aus der Sicht von Tieren vor, was sich für sie nach der Einführung von In-vitro-Fleisch verändern würde. Als dritter Vortragender war Gerald Wehde eingeladen. Der Geschäftsleiter im Bereich Agrarpolitik und Kommunikation ist zugleich Pressesprecher des größten deutschen ökologischen Anbauverbandes Bioland. Er ist der Meinung, In-vitro-Fleisch habe keine Zukunft, und setzt sich stattdessen für eine umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft ein.
Ein weiterer Experte, Dr. Florian Groeber-Becker, war ebenfalls eingeladen, sein Thema vorzustellen – er war jedoch leider verhindert. Dr. Groeber-Becker ist Biologe am Translationszentrum „Regenerative Therapien für Krebs- und Muskoskelettale Erkrankungen“ (TKMZE) des Fraunhofer Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Würzburg. Dort forscht er als Gruppenleiter der Abteilung „Standardisierte In-vitro-Systeme“ an der Technik des Tissue Engineering. Mit seinem Team entwickelt er zellbasierte Therapien zur Heilung von Wunden und Krankheiten. Der Experte wollte über Tissue Engineering informieren und sein Fazit zur Umsetzbarkeit von In-vitro-Fleisch geben.
Zwischen den einzelnen Vorträgen und nach einer Kaffeepause bekamen die Teilnehmenden die Möglichkeit, den Experten Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Bevor die Experten sich verabschiedeten, gaben sie jeweils in einigen Sätzen ein Abschlussplädoyer zu ihren Anliegen rund um das Thema Fleischkonsum und In-vitro-Fleisch.
Als letzten Punkt des Tages gingen die Teilnehmenden in eine Themensammlung für die Gruppenarbeit über, welche für den darauffolgenden Tag angesetzt war. Zur Versorgung gab es ein Buffet mit veganen Burgern und Fingerfood.
„The Future of Meat“ – Szenarien über die Zukunft des Fleisches
Die Welt im Jahr 2050: Madelaine und Anna Berlis zeigen fünf Szenarien der Ernährung, Foto: Marlene Faul
Der nächste Tag begann mit dem Kunstprojekt „The Future of Meat“, das die Geschwister Madelaine und Anna Berlis – extra angereist aus den Niederlanden – präsentierten. Die Künstlerinnen zeigten den Teilnehmenden Filme, die sie als Teil ihrer Installation bereits in den Niederlanden, Deutschland und den USA ausstellten. Die Kurzfilme stellten jeweils fünf Szenarien vor, wie die Welt im Jahr 2050 aussehen könnte, wenn sich Menschen von Insekten oder von In-vitro-Fleisch ernährten, weniger und ausschließlich lokales Fleisch oder sogar fleischfrei äßen, oder wenn die Menschen am Fleischkonsum wiederum gar nichts ändern würden. Mit ihrer Präsentation regten die Geschwister zum Nachdenken an und führten die Diskussion über nachhaltige Ernährung mit den Teilnehmenden fort.
Wie könnte In-vitro-Fleisch die Welt verändern?
Kann In-vitro-Fleisch einen Beitrag zu einer Lebensmittelproduktion leisten, die besser für Mensch, Tier und Umwelt ist als die herkömmliche? Diese und weitere Fragen waren Teil des Arbeitsauftrags, den die Teilnehmenden als letzten Punkt der Citizens‘ Jury gemeinsam erarbeiteten.
Nach einer Pause und der Verabschiedung der Künstlerinnen gingen die Teilnehmenden in Gruppendialoge über. Mithilfe der am vorigen Tag zusammengetragenen Aspekte besprachen sich die Gruppen, um dem VIF-Team ihre Einschätzung zu In-vitro-Fleisch zu geben. Die Ergebnisse aus der Diskussion werden an das BMBF weitergeleitet. Als Ausklang des Tages und Abschluss einer erfolgreichen Citizens‘ Jury gab es Kaffee und Kuchen.
Auf diesem Wege bedankt sich das gesamte VIF-Team nochmals bei den Teilnehmenden für die Unterstützung und die spannenden Diskussionen.
Das blutige Geschäft mit dem Kälberserum
Veröffentlicht am 8. September 2017 von Kerstin Syré
Beitrag von Kerstin Syré im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums bei VIF (September 2017)
Ein wichtiger Bestandteil von Zellkulturmedien ist das fetale Kälberserum. Dieses wird durch Zentrifugation von Blut gewonnen, sodass es keine Zellen, Blutplättchen und Gerinnungsfaktoren mehr beinhaltet. Da Zellen sogenannte Wachstumsfaktoren benötigen und diese in erhöhter Konzentration in Embryonen vorkommen, wird das Blut von Rinderföten verwendet.
Fetales Kälberserum ist ein Nebenprodukt der Rindfleischindustrie. Die Föten stammen von schwangeren Kühen, die aufgrund von Alter und Schwäche zum Schlachten gebracht werden, manchmal sogar von ganzen Herden. Da bei extensiven Rinderaufzuchtfarmen Kühe und Bullen zusammen in Herden leben, befinden sich unter den zu schlachtenden Tieren auch zahlreiche schwangere Kühe. Meistens wird erst beim Ausnehmen der inneren Organe der Kuh festgestellt, dass sie einen Fötus in ihrem Unterleib trägt. Der Fötus wird dem Uterus entnommen und von der Nabelschnur getrennt. Der nun folgende Schritt wird nur von speziell ausgebildeten Mitarbeitern übernommen, da die Gefahr der Kontamination sowohl für das Blut als auch für die Umwelt groß ist. Dem Fötus wird zwischen die Rippen punktuell in das noch schlagende Herz eine Nadel eingeführt. Unter Vakuum fließt nun das Blut aus dem Herzen in einen sterilen Beutel, in welchem das Blut gesammelt wird. Würde das Herz nicht mehr schlagen, würde nicht genügend Blut aus dem Herzen gewonnen werden können. Die Menge des gewonnenen Blutes hängt vom Alter des Fötus und der verwendeten Ausstattung ab. Ein 3 Monate alter Fötus (und so alt sollte er mindestens sein) bringt um die 150 ml, ein 6 Monate alter Fötus ca. 350 ml und ein 9 Monate alter Fötus 550 ml reines Kälberserum. Der globale Durchschnittsverbrauch an Kälberserum liegt bei 500.000 Liter im Jahr. Bei einem durchschnittlichen Gewinn von 350 ml pro Fötus müssten also über 1.400.000 Föten pro Jahr sterben. Sobald der Fötus von der Nabelschnur der Mutter getrennt wird, leidet dieser an einer Unterversorgung von Sauerstoff. Da der Fötus zu diesem Zeitpunkt bereits Hirnaktivität besitzt, ist davon auszugehen, dass der Prozess des Ausblutens ein schmerzvoller Tod für das Tier ist. Eine Zufuhr von Schlafmitteln und Anästhetika ist aus Verarbeitungsgründen des Serums nicht sinnvoll. Neugeborene und Säugetierföten besitzen noch eine zu niedrige Kapazität, um Medikamente metabolisch zu verarbeiten, weshalb dies eine Erhöhung der Variation der Kälberseren verursachen würde, was ohnehin schon ein kritischer Punkt ist. Die toten Föten werden dann zu Tierfutter weiterverarbeitet.
Die Nachfrage nach Milch und Rindfleisch, die Wetterbedingungen und die Futterkosten der Tiere beeinflussen den Markt. Da dieser schwer einschätzbar und kalkulierbar ist, bestimmt dieser auch den Preis des Serums. Außerdem beeinflusst die Herkunft des Serums den Preis massiv. So wird Serum aus Südamerika, wo die Gefahr von Kontaminationen durch Rinderkrankheiten sehr viel höher ist, um einiges billiger gehandelt als Serum, welches aus Australien stammt. In dem Artikel „Total grausames Geschehen“ beschäftigte sich der Spiegel mit der Serumbeschaffung und dem Serumhandel rund um die Welt. Dass dieser Markt preislich sehr sprunghaft ist, kann man ebenfalls daran erkennen, dass auf Seiten der Hersteller keine Preise angegeben werden.
Das Geschäft mit Kälberserum ist ein brutales Unterfangen. An Alternativen wird bereits geforscht, aber es wurde noch kein universell verwendbarer Ersatz gefunden. Das sollte sich allerdings so schnell wie möglich ändern.
Die Ernährung der Zukunft, Herr Precht und In-vitro-Fleisch
Veröffentlicht am 9. November 2016 von Inge Böhm
Am Montagabend, 7. November 2016 fand im Rahmen des 25-Semester-Jubiläums des Solidaritätsessens in den Karlsruher Mensen eine Podiumsdiskussion zur Ernährung der Zukunft statt. Eingeladen hatte das Studierendenwerk Karlsruhe zusammen mit der Evangelischen Studierendengemeinde und der Katholischen Hochschulgemeinde Karlsruhe. Auf dem Podium saßen Monsignore Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes MISEREOR; Prof. Dr. Sabine Kulling vom Max Rubner-Institut – Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel; Gottfried May-Stürmer, Landwirtschaftsreferent des BUND Baden-Württemberg; Matthias Kastriotis, Food Chain Manager bei der BASF sowie Richard David Precht, ZDF-Moderator und Autor. Moderiert wurde der Abend von Harro Füllgrabe, Moderator bei ProSieben. Die Leitfrage der Podiumsdiskussion lautete: Sind wir Teil der Lösung oder Teil des Problems? Die erwartbare Antwort auf diese Frage lautete: Sowohl als auch.
Viele Probleme, viele Lösungsansätze
Prof. Dr. Kulling wies vor allem auf die Probleme von ‚food loss’ und ‚food waste‘ hin. Als Gründe dafür nannte sie u.a. die fehlende Infrastruktur etwa für die Kühlung von Lebensmitteln in den Entwicklungsländern als auch das verlorengegangene Wissen über Lebensmittel (z.B. Lagerung und Haltbarkeit). Matthias Kastriotis nannte die Verringerung der Erträge landwirtschaftlicher Flächen durch den Klimawandel als zentrales Problem zukünftiger Ernährung. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken sei es notwendig, die Landwirte (auch in Entwicklungsländern) bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Flächen und durch technologische Entwicklungen (z.B. Pflanzenschutz- und Düngemittel) zu unterstützen. Precht merkte an, dass sowohl die wachsende Weltbevölkerung als auch die Verteilungsungerechtigkeit die größte Herausforderung für unsere zukünftige Ernährung darstellen. Monsignore Spiegel bezeichnete (in Anlehnung an den UN-Gipfel in New York 2015) die Industrienationen als ‚Entwicklungsländer‘ im Bereich nachhaltiger Ernährung. Lebensmittel würden nur noch als Konsumgut verstanden, jedoch ginge es beim Essen nicht nur darum, satt zu werden. Lebensmittel seien Kulturgüter und die Wertschätzung für Lebensmittel müsse wieder gestärkt werden. Es müssten strikte politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, um eine zukunftsfähige (gesund, gerecht, lokal) Ernährung zu sichern. May-Stürmer brachte sodann ein, dass vor allem die Art und Weise wie wir Nahrungsmittel produzieren und unser Ernährungsstil das größte Problem darstellen. Vor allem der Fleischkonsum sei ein großes Problem, da dadurch mehr als die Hälfte der Ackerflächen weltweit für Futtermittel benötigt würden. Eine Lösung des Problems wäre die Rückkehr zum Sonntagsbraten – allen wäre damit geholfen, wenn wir weniger Fleisch essen. Er hält eine vegane Ernährung jedoch nicht unbedingt für sinnvoll, da es auch viele Flächen gäbe, die nicht zum Anbau von Pflanzen, wohl aber für die Tierhaltung genutzt werden könnten.
Fleischkonsum als Problem – In-vitro-Fleisch als Lösung?
Mit dieser Anmerkung leitete May-Stürmer die Diskussion über Fleischkonsum und In-vitro-Fleisch ein – Precht stimmte May-Stürmer in weiten Teilen zu, war aber der Meinung, dass es trotz geringerem Fleischkonsum weiterhin Massentierhaltung in Deutschland geben wird. Wenn die Deutschen das Fleisch nicht essen würden, werde es eben exportiert. Es müssten politische Rahmenbedingungen geändert werden um das Problem zu lösen, denn die Fleischindustrie habe eine zu starke Lobby. Monsignore Spiegel teilt diese Einschätzung: Zivilgesellschaftliche Akteure hätten im Vergleich zu den Lobbyisten Schwierigkeiten, ihre Standpunkte in der EU einzubringen. Precht hat aber eine bessere Lösung als die Reduktion des Fleischkonsums: den In-vitro-Burger von Mark Post. Als Vorteile nennt er die Reduktion von Land- und Wasserverbrauch sowie von Schadstoffemmissionen. Die Nachteile seien (zur Zeit noch) die Verwendung von fetalem Kälberserum und Antibiotika. Als Herausforderung formuliert Precht die noch unzureichende Geschwindigkeit der Zellteiltung, die zur Zeit eine Hürde für die Produktion im großen Maßstab darstelle. Er prognostiziert, dass In-vitro-Fleisch in 5-6 Jahren zunächst als teures Produkt auf den Markt kommt. Spätestens in 10 Jahren wäre In-vitro-Fleisch aber günstiger als konventionelles Fleisch. Dadurch würde das Fleisch aus Massentierhaltung abgeschafft und durch In-vitro-Fleisch ersetzt. Das Niveau des Fleischkonsums würde sich aber nicht wesentlich ändern und steigt aktuell, etwa in China, weiter an.
In-vitro-Fleisch fällt nicht vom Himmel
May-Stürmer vom BUND entgegnet, dass der Idee von In-vitro-Fleisch ein einfacher Denkfehler zugrunde liege: Zellen wachsen nicht von selbst und benötigen Nahrung. Sie benötigen Nahrung tierischen Ursprungs oder aus Soja, um sich vermehren zu können. Auch für die Ernährung der Zellen würden große Landflächen gebraucht. Precht entgegnet, dass dies wohl nicht die gleichen Flächen seien, diese würden sich im Vergleich zur Massentierhaltung erheblich reduzieren.
Monsignore Spiegel findet, dass das technisch bzw. industriell hergestellte In-vitro-Fleisch seiner Überzeugung zuwider laufe, dass Essen mehr als Nahrungszunahme, ein Ausdruck von Beziehungen (zu Tier, Mensch, Natur) und Kultur sei. Precht fragt, was Kultur im Zusammenhang mit Massentierhaltung bedeuten soll. Er entgegnet, dass auch Lebensmittel wie Bier und Brot nicht direkt auf dem Feld wüchsen sondern ebenfalls durch technologische Produktion entstünden. Wieso sei In-vitro-Fleisch dann ein Problem?
Man gewöhnt sich an alles – auch an In-vitro-Fleisch
Prof. Dr. Kulling wirft ein, dass es nicht primär darum ginge, ob In-vitro-Fleisch gut oder schlecht sei. Es gehe eher um die Frage, ob Menschen bereit seien, In-vitro-Fleisch zu essen. Erfahrungsgemäß seien die Deutschen zwar bei Handys und Autos sehr technikfreundlich, wenn es um Ernährung gehe seien sie sehr konservativ und technikfeindlich, wie man u.a. am Beispiel Gentechnik sähe. Precht behauptet, es sei schlichtweg falsch zu behaupten, die Menschen würden In-vitro-Fleisch nicht essen wollen. Vor 10 Jahren hätte auch die Mehrheit der Leute den Kopf geschüttelt, wenn man ihnen erzählt hätte, das heute alle mit Smartphones herumrennen. Da wären junge Leute auch offener als alte. Die Deutschen würden zudem gar nicht gefrat, ob sie In-vitro-Fleisch essen wollen oder nicht. Sie wurden ja auch nicht gefragt, ob sie Smartphones haben möchten oder nicht. Precht ist sich sicher, dass In-vitro-Fleisch kommen wird. Wenn wir es nicht den Monopolisten überlassen wollten, so Precht, müssten wir es selbst angehen. Das große Versprechen von In-vitro-Fleisch sei, dass nur wenige Tiere sterben müssen. Es habe zudem gesundheitliche Vorteile, etwa weniger Antibiotika und fett und der Geschmack sei indivduell anpassbar. Außerdem gewöhne man sich an alles. In Anlehnung an eine Aussage von Gabor Forgacs (Modern Meadow) argumentiert Precht, dass unsere Enkel später einmal auf Schlachthöfe zurückschauen und diese als unmenschlich ansehen würden.
Zurück zum Sonntagsbraten
May-Stürmer hält es für falsch, dass wir In-vitro-Fleisch haben werden, weil die ganze Welt es haben wird – denn in den Entwicklungsländern würde wohl kaum In-vitro-Fleisch produziert werden. Dort gäbe es z.B. urbane Tierhaltung und eine lokalere Fleischversorgung ohne Massentierhaltung. Er bringt noch einmal die alternative Lösung des Fleischproblems ein: der Sonntagsbraten von den Tieren, die auf den Grünflächen aufwachsen, auf denen wir keine pflanzlischen Nahrungsmittel anbauen können. Monsignore Spiegel befürchtet, dass durch In-vitro-Fleisch als technologische Lösung keine kulturelle Vielfalt mehr möglich sei – mit Prechts „Man gewöhnt sich an alles“ ist er nicht einverstanden. Nahrungsmittel seien Beziehungen, zu Menschen, Tieren, Natur. Ernährung sei mehr und eine Rückbesinnung auf diese Zusammenhänge sei der Schlüssel für die zukünftige Ernährung.
Zwischen Massentierhaltung und In-vitro-Fleisch liegen viele Möglichkeiten
Prof. Dr. Kulling hält In-vitro-Fleisch zwar für technisch machbar, aber fragt sich, ob sich dessen Entwicklung überhaupt lohne. Es seien von Precht nur zwei Szenarien genannt worden: In-vitro-Fleisch oder Massentierhaltung. Sie fügt diesen Szenarien ein weiteres hinzu: eine stärker pflanzenbasierte Ernährung. Diese sei nicht nur nachhaltiger, sondern auch wesentlich gesünder. Als weitere Alternative bringt sie Insekten als Proteinquelle ins Spiel. In den Benelux-Staaten seien diese schon im Kommen. Zwischen In-vitro-Fleisch auf der einen und Massentierhaltung auf der anderen Seite gäbe es noch viele andere Möglichkeiten. Precht hält alle genannten Lösungsansätze unter den gegenwärtigen (politischen) Rahmenbedingungen für „Folklore“ (wobei nicht klar wird, was er damit meint) – man könne Insekten zwar anbieten, aber es würde sich dadurch nichts ändern, da dies nur einen kleinen Teil der Leute erreichen würde. Er sagt: Hauptsache, wir haben irgendwelche Visionen, die realistisch umgesetzt werden können. Und das ist aus seiner Sicht nun mal nur In-vitro-Fleisch.
Mehr Aufklärung und bessere politische Rahmenbedingungen
Monsignore Spiegel entgegnet, dass weltweit immer mehr Menschen nicht mehr bereit seien, ein „Weiter so“ zu akzeptieren. Er hält es daher für wichtig, diese Entwicklung durch Aufklärung, Bildung und Information über Zusammenhänge zu fördern. Dies sei eine wichtige Grundlage für positive Veränderungen. Prof. Dr. Kulling meint, dass wir es uns einfach machen würden, wenn wir alles auf die Politik schieben würden. Mit unseren Kaufentscheidungen könnten wir politischen Druck ausüben. May-Stürmer möchte die Politik jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen und fordert ebenso verbesserte politische Rahmenbedingungen für positive Veränderungen der Lebensmittelproduktion und des -konsums.
Ernährungsszenarien in der Kunst: „The Future of Meat“
Veröffentlicht am 5. Dezember 2016 von André Thielen
In-vitro-Fleisch kann nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet werden. Eine ebenso gute Möglichkeit, sich mit der Innovation zu befassen, bietet eine künstlerische Herangehensweise. Die Geschwister Madelaine und Anna Berlis aus den Niederlanden haben diesen Weg gewählt und die Installation „The Future of Meat“ entwickelt, mit der fünf Ernährungsszenarien für das Jahr 2050 dargestellt werden. Das Ergebnis soll zukünftig an verschiedenen Orten in Deutschland und den Niederlanden gezeigt werden – leider ist noch nicht bekannt, wo genau die Installation stationieren wird.
Madelaine und Anna Berlis malen sich in ihrem Werk aus, wie die Welt aussehen könnte, wenn die Menschen sich 2050 entweder von Insekten ernährten, In-vitro-Fleisch äßen, weniger und ausschließlich lokales Fleisch zu sich nähmen, fleischfrei lebten oder gar nichts gegenüber dem bisherigen Fleischkonsum veränderten.
Die Ernährungsszenarien: Auswirkungen auf Natur, Landwirtschaft und den Menschen
In der Darstellung der fünf Szenarien werden jeweils die Auswirkungen der unterschiedlichen Ernährungsweisen auf die Natur, die Landwirtschaft und den Menschen aufgezeigt. So beschreiben die Geschwister Berlis bezüglich In-vitro-Fleisch etwa, dass unsicher sei, ob die Natur sich wieder von der Massentierhaltung erholen könne. In-vitro-Fleisch würde ihren Schätzungen zufolge 600-900 Milliarden Biogasanlagen hervorbringen – der Landverbrauch könnte demnach nicht wirklich gesenkt werden. Der Mensch würde sich zudem weiter von der Herkunft seiner Nahrung entfernen und die Beziehung zu dem verlieren, was er isst.
Ähnlich schlecht kommt das Szenario weg, in dem die Menschen ihren derzeitigen Fleischkonsum beibehalten. Sowohl für Natur als auch die Landwirtschaft und den Menschen sähe es schlecht aus. Auch in diesem Szenario wäre die Beziehung zwischen Mensch und dem ursprünglich aus der Natur stammenden Nahrungsmittel zerstört.
Am nachhaltigsten – sogar nachhaltiger als eine fleischlose Ernährung – erscheinen in der Installation die Szenarien, in denen Insekten als Nahrungsmittel dienten oder weniger und ausschließlich lokal produziertes Fleisch gegessen würde. In beiden Fällen sei eine Regeneration der Natur und eine nachhaltige Landwirtschaft möglich, was letztlich zu einem besseren Leben für den Menschen führte.
Der Mensch muss sich entscheiden
Nachdem sich der Besucher mit den verschiedenen Szenarien befasst hat, soll er in der Lage sein, sich für ein Ernährungsszenario zu entscheiden, auf das er hinarbeiten möchte. Die Installation ist nicht dazu gedacht vorzuschreiben, welches Szenario das beste sei und wie zukünftig gehandelt werden sollte. Vielmehr gehe es den Entwicklerinnen darum, zum Nachdenken anzuregen und Diskussionen auszulösen, die in eine bessere Welt münden können. Die Entwicklung einer nachhaltigeren Ernährung für die Zukunft sei eine Herausforderung, die nur gemeinsam gemeistert werden könne.
Ähnliche Ansichten und Ziele haben auch andere Ausstellungsprojekte, wie etwa „Meat the Future“ im Cube Design Museum in Kerkrade. Koert van Mensvoort, Kurator der Ausstellung, zeigt darin 30 Zuchtfleischgerichte, wie sie In-vitro-Fleisch denkbar werden lässt. Auch hier soll dem Besucher die Möglichkeit der Entscheidung für eine bessere Zukunft gegeben werden:
Experteninterviews
Wozu Experteninterviews?
Die Leitbilder und Visionen von In-vitro-Fleisch sowie mögliche Chancen und Risiken werden in diesem Projekt über eine Literaturanalyse hinaus mithilfe von Experteninterviews und partizipativen Verfahren unter Einbezug der Öffentlichkeit und relevanten Stakeholdern erarbeitet.
Die Interviews sollen deutlich machen, wie unterschiedliche Visionen über In-vitro-Fleisch die Entwicklung dieser Innovation mitgestalten. Die Perspektiven auf In-vitro-Fleisch unterscheiden sich je nach Hintergrund der Interviewpartner. Auf der Basis dieser Interviews möchten wir die ethischen Konzepte analysieren, die den Visionen von In-vitro-Fleisch zugrunde liegen. Außerdem bieten sie wertvolle Hinweise auf Reaktionen innerhalb von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die für die Ausformulierung forschungspolitischer Optionen von großer Relevanz sind.
Experten und Stakeholder
Wir haben uns für eine Kombination aus Experten- und Stakeholderinterviews entschieden. Grund dafür ist die Feststellung, dass die aktuelle Diskussion um In-vitro-Fleisch sehr stark von den Innovatoren geprägt wird und deshalb etwas ungleichgewichtig ist. Die Argumentation der Innovatoren für In-vitro-Fleisch und dessen Potenziale steht im Vordergrund, während in der wissenschaftlichen Diskussion kaum Bedenken hervorgebracht werden. Es war uns daher wichtig, auch mögliche kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Die Methoden der qualitativen Sozialforschung bieten die Möglichkeit, weitere Bereiche der gesellschaftlichen Debatte um In-vitro-Fleisch zu erfassen. Das Wissen von Experten und Stakeholdern ist dabei eine wichtige Grundlage, um die Fokusgruppen und Citizens’ Juries durchführen zu können. Deshalb haben wir Interviews mit Experten und Expertinnen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und mit Stakeholdern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geführt.
Experten
Experten sind Personen, denen eine besondere Kompetenz und Expertise in einem bestimmten Realitätsausschnitt durch den Forscher zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung beruht in der Regel auf der beruflichen Position, entsprechenden Publikationen oder auch auf Empfehlungen Dritter. Den Experten wird unterstellt, keinerlei persönliche oder institutionelle Interessen zu vertreten, sondern aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrungen möglichst objektiv zu argumentieren, zu bewerten oder zu beraten. Nicht ausgeschlossen ist dabei der Einfluss individueller Vorstellungen und Werte. (Niederberger, Wassermann 2015)
Wir konnten insgesamt fünf Experten und Expertinnen für die Teilnahme am Interview gewinnen. Sie kommen aus dem Bereich Tissue Engineering (medizinische Anwendungen); In-vitro-Fleisch-Forschung; sowie Lebensmittel- und Umweltwissenschaften, in denen Lebenszyklusanalysen für die In-vitro-Fleisch-Produktion durchgeführt wurden. Im Interview sollten in einem eher technischen Teil vor allem die bestehenden Herausforderungen für die Produktion von In-vitro-Fleisch (im großen Maßstab) näher beleuchtet werden. In einem zweiten Teil ging es dann um die Visionen, Chancen und Risiken von In-vitro-Fleisch sowie um Akzeptanz und Akzeptabilität, alternative Lösungsansätze und Förderung der In-vitro-Fleisch-Forschung.
Stakeholder
Stakeholder sind […] Personen, denen neben einer inhaltlichen Kompetenz auch ein Interesse an der Ausgestaltung eines Realitätsausschnitts zugeschrieben wird, weil sie sich in diesem bewegen und ein Teil davon sind. Stakeholder sind z. B. Vertreter von Verbänden, Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen. Insofern stehen sie oftmals für bestimmte politische Wünschbarkeiten. […] Das vorrangige Ziel der hier diskutierten Methoden und Beispiele aus der Forschungspraxis ist [jedoch] die Erfassung der fachlichen Expertise. Diese kann – und muss oftmals sogar – nicht nur von wissenschaftlichen Experten, sondern auch von anderen Akteuren (Stakeholdern) kommen, da sie sich als Praxisexperten in bestimmten gesellschaftlichen Subsystemen und Feldern bewegen und über entsprechendes „Insider“-Wissen verfügen.(Niederberger, Wassermann 2015)
Auch auf der Grundlage dieser Definition von Stakeholdern lässt sich für die Ergänzung der Expertenbefragungen durch Stakeholderinterviews argumentieren.
Für das Projekt konnten wir sieben Stakeholder-Interviews realisieren. Die Stakeholder stammten aus den Bereichen Systemgastronomie, Lebensmittelindustrie sowie Umweltschutzorganisation, Tierrechtsorganisation, ökologische und konventielle Anbauverbände sowie Politik.
Erste Ergebnisse
Im Folgenden handelt es sich um zwei vorläufige Ergebnisse.
Ein pragmatisches Argument für In-vitro-Fleisch
Einen Aspekt, der sowohl in den Interviews als auch in der Literatur von Tierrechtsorganisationen und Tierrechtlern mehrfach genannt wurde, haben wir als „pragmatisches Argument für In-vitro-Fleisch“ rekonstruiert. Sie argumentieren, dass In-vitro-Fleisch eine kritische Analyse von Fleisch innerhalb der Gesellschaft erzeugen könnte. In-vitro-Fleisch könnte zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die vielen negativen Folgen von Fleischproduktion und -konsum beitragen. Dies könnte dann dazu führen, den konventionellen Fleischkonsum gänzlich einzustellen. Dieser Ausstieg könnte weitreichendere kulturelle Folgen mit sich bringen als eine einfache Änderung der Ernährungsgewohnheiten: Man könnte dadurch einen veränderten Blick auf Tiere gewinnen und deren Nutzung und Tötung als illegitim empfinden.
Somit könnte In-vitro-Fleisch also ein Instrument für einen „techno-moral change“ sein, „eine Chance, umzudenken“, wie Cor van der Weele und Clemens Driessen in ihrem aktuellsten Artikel darlegen (vgl. van der Weele, Driessen 2016). Dieses Argument verteidigt In-vitro-Fleisch aus pragmatischen Gründen, weil man in dieser Innovation den Motor für eine weitrechende kulturelle Änderung sieht. In-vitro-Fleisch könnte daher das „Zweitbeste” sein, das man für Tiere tun könne und sollte deshalb unterstützt werden, so zitiert Stephens einen Interviewpartner, der sich für Tierrechte einsetzt (vgl. Stephens 2013, S. 177). Das Beste wäre wohl eine Welt, in der Tiere nicht mehr für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse benutzt würden. Doch dies ist aus der Perspektive der Argumentierenden (noch) nicht realisierbar.
Ökologische Landwirtschaft als alternativer Lösungsansatz
Ein weiterer Aspekt, der in einigen Interviews betont wurde, ist ein alternativer Lösungsansatz der Probleme der heutigen Fleischproduktion und des Fleischkonsums. Stakeholder aus den Bereichen ökologische Landwirtschaft, Klima-, Umwelt und Landwirtschaftspolitik sowie Umweltschutz gehen weitestgehend davon aus, dass ökologische Landwirtschaft in Kombination mit der Reduktion von Fleischkonsum um die Hälfte (und damit einer Reduzierung der Tierbestände) die Probleme lösen könnte (vgl. Klima-Allianz Deutschland). In der ökologischen Landwirtschaft spielen Tiere eine zentrale und unverzichtbare Rolle im natürlichen Kreislauf. Sie können daher nicht einfach „abgeschafft“ werden (vgl. u.a. Bioland). Diese Alternative scheinen die Innovatoren jedoch weitestgehend zu ignorieren. Die Befürworter der ökologischen Landwirtschaft stellen hingegen die Annahme in Frage, dass In-vitro-Fleisch eine brauchbare Lösung für die bestehenden Probleme sein könnte.
Fleischatlas 2016 veröffentlicht
Veröffentlicht am 15. Januar 2016 von Inge Böhm
Am 13. Januar wurde der Fleischatlas 2016 – Deutschland Regional veröffentlicht. Der Fleischatlas erscheint jährlich und wird von der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Le Monde diplomatique (2013-2014) herausgegeben. Der Fleischatlas möchte die ethische und politische Dimension von Fleischkonsum in einer globalisierten Welt sichtbar machen. Dies wird mit vielen Abbildungen und Essays möglich: Interessante Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel werden anschaulich dargestellt. In kurzen Texten wird auf die aktuellen Entwicklungen und Probleme des Fleischkonsums hingewiesen. Alles in allem eine sehr informative und (an)sehenswerte Publikation.
Worum geht es im Fleischatlas 2016?
Die gesellschaftlichen Ansprüche und die Realität der Tierproduktion klaffen zunehmend auseinander.
Die Bundesregierung und die Fleischindustrie setzen […] auf eine Ausweitung der Fleischproduktion und eine immer stärkere Exportorientierung. Immer mehr Schweine und Hühner finden deshalb aus deutschen Landen ihren Weg auf den Weltmarkt, während die Bürgerinnen und Bürger neue Wege des nachhaltigen Konsums suchen.
Auf der einen Seite beschäftigen sich immer mehr Menschen mit den Auswirkungen der aktuellen Fleischproduktion auf Umwelt, Gesundheit und Gerechtigkeit. Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind bereit, höhere Preise für Fleisch und Wurst zu zahlen, wenn sie dadurch zu besseren Haltungsbedingungen der Tiere beitragen. Es gibt eine Vielzahl an Initiativen (z.B. die Tierwohl-Initiative des BMEL) und Unternehmen, die sich für eine ökologische Form der Tierhaltung einsetzen. Immer mehr Menschen in Deutschland reduzieren ihren Fleischkonsum.
Auf der anderen Seite gibt es einen Trend zu Megamastanlagen: Bis zu 80% der kleinen Tierhaltungsbetriebe in Deutschland haben seit 2000 aufgegeben. Gleichzeitig nimmt die Fleischproduktion in Deutschland bis zu 50% zu. Der Fleischkonsum in Deutschland ist jedoch gleichbleibend bzw. leicht abnehmend; das in Deutschland produzierte Fleisch wird zunehmend exportiert. Dieses Fleisch wird hauptsächlich in immer größer werdenden Megaställen hergestellt. In Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nimmt die Rinder- und Schweinezucht in großen Betrieben deutlich zu. In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg lässt sich eine steigende Schweine- und Hühnerhaltung in immer weniger, dafür immer größeren Betrieben feststellen. Diese werden von den Landesregierungen genehmigt. Große Tierhaltungsanlagen sind in Deutschland auf Grundlage des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) genehmigungspflichtig.
Die negativen Auswirkungen dieser Massentierhaltungsbetriebe auf Umwelt und Gesundheit sind schon heute spürbar: Erhöhte Schadstoffemissionen in Grundwasser, Böden und Luft werden im Umfeld der Megaställe gemessen. Aber nicht nur vor Ort – also in Deutschland – hat dieser Trend negative Auswirkungen. So hat beispielsweise der Anbau von gentechnisch verändertem Soja als Futtermittel in Südamerika durch den starken Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln erhebliche Konsequenzen für Umwelt und Gesundheit der dort lebenden Menschen. Dies ist nur ein Aspekt von vielen.
Neben den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit gibt es auch massive soziale Probleme: Die Fleischwirtschaft in Deutschland ist geprägt durch schlechte Arbeits- und Lohnverhältnisse. Rund ein Drittel der in deutschen Schlachthöfen Beschäftigten kommt aus Osteuropa, vor allem aus Rumänien und Bulgarien, aber auch aus Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien. Die Arbeiter sind oft bei Subunternehmen mit Sitz im Ausland eingestellt, von denen sie häufig ausgebeutet werden. Die neue Regelung, dass die Arbeitnehmer über Werkverträge mit Mindestlohn angestellt werden müssen, ändert wenig an ihrer schlechten Situation. In einem Artikel auf ZEIT online wird sogar von „moderner Sklaverei“ gesprochen.
Fokusgruppen erfolgreich durchgeführt
Veröffentlicht am 27. September 2016 von André Thielen
Wie an dieser Stelle schon mehrfach zu lesen war, sollen im Forschungsprojekt Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) Bürgerinnen und Bürger mithilfe von partizipativen Verfahren in den Forschungsprozess eingebunden werden. Aus diesem Grund fanden in der vorletzten September-Woche wie geplant die sogenannten Fokusgruppen statt.
Was sind Fokusgruppen?
Bei einer Fokusgruppe handelt es sich um eine Gesprächsrunde, in der sich die Teilnehmer mit einem Produkt befassen und sich darüber austauschen. Dieses kann bereits auf dem Markt vorhanden sein – genauso kann aber auch über die Vision einer Innovation, die noch nicht umgesetzt ist oder noch am Anfang ihrer Entwicklung steht, diskutiert werden. Demnach bietet sich das Verfahren einer Fokusgruppe an, um unterschiedliche Meinungen über die Vision „In-vitro-Fleisch“ zu erheben.
Das Gespräch wird in der Regel von einem Moderator strukturiert, damit sichergestellt werden kann, dass alle Aspekte besprochen werden. Dieser hält sich jedoch so weit es geht zurück, damit der Austausch frei bleibt. Für Rückfragen und Erläuterungen steht ein Experte zur Verfügung, den die Teilnehmer jederzeit zu Rate ziehen können.
Mit der Organisation der Fokusgruppen im Rahmen des Forschungsprojekts Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) wurde eine Marktforschungsagentur beauftragt. An zwei Abenden traten jeweils zehn Teilnehmer zusammen und tauschten sich über ihre Meinungen zu In-vitro-Fleisch aus. Anwesend waren je ein Drittel Allesesser, Vegetarier sowie Veganer. Am ersten Abend handelte es sich ausschließlich um Bewohner einer deutschen Großstadt, am zweiten waren nur Bewohner ländlicherer Gegenden vor Ort. Die Moderation des Gesprächs übernahm Silvia Woll, Inge Böhm fungierte als Expertin für spezielle Rückfragen zu In-vitro-Fleisch.
Fleischkonsum zu hoch
In den intensiven Gesprächen wurde deutlich, dass der gegenwärtige Fleischkonsum ein ernstzunehmendes Thema ist, über das viel nachgedacht und diskutiert wird. Dass der übermäßige Verzehr von Fleisch in unserer Gesellschaft ein Problem darstellt, stritten auch die Teilnehmer nicht ab, die Fleisch als Nahrungsmittel zu sich nehmen.
In-vitro-Fleisch wurde als mögliche Lösung dieses Problems allerdings skeptisch betrachtet. Zwar sahen die Teilnehmer darin einen plausiblen Ansatz, den Missständen in der Fleischproduktion entgegenzuwirken, allerdings wurde auch die Gefahr angesprochen, dass die Innovation den Fleischkonsum nur noch weiter steigern könnte. Es kam daher der Vorschlag auf, In-vitro-Fleisch weniger als eine Lösung, sondern vielmehr als einen Denkansatz zu sehen – eine Möglichkeit, das Bewusstsein für die Problematiken des Fleischkonsums zu stärken.
Ernährung als Erziehungsthema
Ohnehin lag ein Fokus in beiden Gruppen auf den Themenbereichen Erziehung und Bildung. Ernährungsthemen sollten mehr in Lehrpläne integriert werden, aber auch zu Hause sollte die Ernährung als wichtiger Bestandteil des menschlichen Alltags stärker thematisiert und reflektiert werden. Kinder könnten heute oft nicht mehr einschätzen, wo die Herkunft der Nahrungsmittel liege und wie deren Herstellung ablaufe.
Entsprechend skeptisch äußerten sich die Teilnehmer auch gegenüber der Vorstellung, das tägliche Essen könne zukünftig aus dem 3D-Drucker kommen. Die Idee, Nahrungsmittel auf diese Weise zu Hause maschinell zu verarbeiten, wirkte abschreckend und unvorstellbar.
Zukunftsvision „In-vitro-Fleisch“ schwer vorstellbar
Generell fiel es den Teilnehmern schwer, sich einen Alltag mit In-vitro-Fleisch vorzustellen. In den Augen der Teilnehmer stecke die Innovation dafür noch zu sehr in den Kinderschuhen. Es stellten sich viele offene Fragen, die teilweise unbeantwortet bleiben mussten. So wurde etwa die Muskelbiopsie zur Zellentnahme als Methode hinterfragt und ob dabei wirklich kein Tierleid entstünde.
Auch wegen solcher Fragen lassen sich die Fokusgruppen insgesamt als wichtiger Bestandteil des Forschungsprojektes ansehen. Die erfolgreiche Durchführung und die vielen Ergebnisse können nun in den weiteren Forschungsprozess einfließen und einen entscheidenden Beitrag bei der Erforschung der Visionen von In-vitro-Fleisch leisten.
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf diesem Weg noch einmal für ihre Unterstützung.
Neue Impact-Studie zum Ernährungswandel
Veröffentlicht am 22. Dezember 2016 von André Thielen
Forscher des Department of Population Health an der London School of Hygiene & Tropical Medicine haben Anfang November eine Studie zu den Auswirkungen einer Umstellung von Ernährungsgewohnheiten auf den Ausstoß von Treibhausgasen, den Wasserverbrauch, die Bodennutzung und die menschliche Gesundheit veröffentlicht. Es handelt sich bei der Veröffentlichung um ein Review, also eine Publikationsform, die einen Überblick über bereits vorliegende Forschungsergebnisse schaffen und eine Einordnung ermöglichen soll.
Die Ergebnisse der Studie lassen erkennen, dass die größte Begünstigung für die meisten untersuchten Faktoren in einer Umstellung zu einer Ernährung mit weniger oder gar keiner tierhaltigen Nahrung liegt. In-vitro-Fleisch wurde in der Studie allerdings noch nicht als alternative Diät herangezogen – das liegt unter anderem daran, dass noch völlig unklar ist, wie eine Produktion von In-vitro-Fleisch im großen Maßstab ausfallen und welche Umweltauswirkungen sie haben würde.
Anlass zur Untersuchung
Anlass für die Studie gibt eine Vielzahl von Einzelstudien, die Teilbereiche der Ernährung fokussieren und Umweltfolgen abschätzen. Diese nehmen aber häufig unterschiedliche geographische Ebenen und nur Teilbereiche der Ernährung in den Blick. Die Überblicksstudie der Londoner Forscher versucht nun unterschiedliche Studien mit regionaler, nationaler oder globaler Ausrichtung vergleichbar zu machen.
Die Autoren halten zu Beginn des Reviews noch einmal fest, was bereits bekannt und an vielen Stellen belegt ist: Der Agrarsektor ist für 30% der Treibhausgase und 70% des Trinkwasserverbrauchs verantwortlich und nimmt für die Produktion von tierbasierten Nahrungsmitteln über ein Drittel des kultivierbaren Lands in Anspruch. Es steht außer Frage, dass eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten Einfluss auf Umwelt und Gesundheit nehmen kann – fraglich ist jedoch, welche Ernährungsweise das in welchem Ausmaß tut.
Eine wirklich nachhaltige Ernährung ist eine große Herausforderung, bei der viele verschiedene Kriterien erfüllt werden müssen. Laut der Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (The United Nations Food and Agriculture Organization, FAO) ist eine Ernährungsweise dann nachhaltig, wenn folgende Kriterien erfüllt werden: Sie muss gesund, umweltfreundlich, aber auch bezahlbar und kulturell akzeptierbar sein. Vor allem die beiden erstgenannten Kriterien werden allerdings häufig nicht in nationale Ernährungsrichtlinien integriert, da der Politik belastbare Daten für die entsprechenden Entscheidungen fehlen.
Angewandte Methodik
Um die Datenlage aufzubereiten und eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zu ermöglichen, haben die Londoner Forscher die vorliegende Überblicksstudie erarbeitet. Die große Maße an Studien zum Einfluss von Ernährungsweisen musste zunächst jedoch reduziert werden. Deshalb wurden vor allem nur solche Studien ausgewertet, die Veränderungen von gesamten Ernährungsweisen in Zahlen dokumentierten. Studien dagegen, die nur ein bestimmtes Nahrungsmittel fokussierten und keinen Vergleich zwischen verschiedenen Ernährungsweisen ermöglichten oder solche, die eine Reduzierung von tierbasierten Nahrungsmitteln gar nicht berücksichtigten, wurden ebenso von der Überblicksstudie ausgeschlossen, wie Studien, die entsprechende wissenschaftliche Kriterien nicht vollständig erfüllten.
Ergebnisse – vegane Ernährung reduziert Ausstoß von Treibhausgasen
Auf diesem Wege konnten nun 63 Studien identifiziert werden, die Auswirkungen von Änderungen im menschlichen Ernährungsverhalten aufzeigten. Insgesamt wurden 14 nachhaltige Ernährungsweisen in den Studien vorgeschlagen. Die bekanntesten darunter waren etwa eine vegetarische oder vegane Ernährung, Fleisch von Wiederkäuern durch Fleisch von Monogastriern (Lebewesen mit nur einem Magen) zu ersetzen oder sich an eine mediterane oder nordische Diät zu halten.
Der größte Nutzen für die Umwelt resultierte der Überblicksstudie zufolge aus Ernährungsweisen, in denen Fleischkonsum oder der Konsum von tierbasierten Nahrungsmitteln am stärksten reduziert wurde:
„The largest environmental benefits across indicators were seen in those diets which most reduced the amount of animal-based foods, such as vegan (…), vegetarian (…), and pescatarian (…).“The Impacts of Dietary Change on Greenhouse Gas Emissions, Land Use, Water Use, and Health: A Systematic Review
Eine vegane Ernährung habe der Studie zufolge den größten positiven Einfluss auf den Ausstoß von Treibhausgasen und die Bodennutzung. Das einfache Ersetzen von Fleisch durch Milchprodukte würde sich dagegen kaum bemerkbar machen. Eine der 63 Studien kam jedoch auch zu dem Ergebnis, dass eine vegane Ernährung neben positiven Auswirkung auf den Treibhausgasausstoß gleichzeitig den Wasserverbrauch massiv erhöhe.
Bezogen auf die menschliche Gesundheit hält die Überblicksstudie bezüglich aller alternativen Ernährungsweisen ausschließlich positive Auswirkung auf das Sterberisiko fest. Am stärksten wirke sich hier eine vegane Ernährung aus.
Grenzen und Chancen der Studie
An einigen Stellen zeigt die Studie damit sogenannte „Trade-offs“ auf. Bestimmte Ernährungsweisen könnten die Umweltbelastung nur verlagern, nicht aber nachhaltig verbessern. Ein höherer Wasserverbrauch könnte resultieren, wenn die Kalorien, die zuvor vom Fleisch herrührten vollständig durch alternative Nahrungsmittel ersetzt werden sollten – gleichzeitig könnten Treibhausgasemission jedoch gesenkt werden.
Die Ergebnisse der Überblickstudie sind jedoch nur bedingt belastbar und stellenweise eingeschränkt. Aufgrund der Unterschiede zwischen den untersuchten Studien konnten statistische Methoden nur bedingt angewandt werden. Auch eine Betrachtung der unterschiedlichen Autorenbiographien, die stets Einfluss in die Erstellung von Studien nehmen, konnte nicht in die Untersuchung einfließen.
Dennoch deuten die Ergebnisse Tendenzen an, die Orientierungshilfen für weiteres Handeln sein können. Vor allem die oben schon angedeuteten positiven Auswirkungen einer veganen Ernährung seien dabei genannt, aber auch weitere erkennbare Tendenzen:
(…) vegan diets having greater reductions in GHG emissions than vegetarian; greater benefits from reducing meat and dairy consumption compared to meat alone; and replacing meat with dairy having little benefit. The Impacts of Dietary Change on Greenhouse Gas Emissions, Land Use, Water Use, and Health: A Systematic Review
Trotz dieser teilweise aussagekräftigen Ergebnisse betonen die Londoner Forscher auch, dass eine Umstellung der Ernährung alleine nicht direkt zu den prognostizierten Veränderungen führen könne. Es gelte den größeren Zusammenhang eines Ernährungswandels ebenfalls in den Blick zu nehmen und damit auch die Produktion, Aspekte der Gesundheit und Kultur, sowie die Preispolitik zu fokussieren. Kurz gesagt: Es werden mehr Daten benötigt um die Umstellung der Ernährung beurteilen zu können. Zusätzlich sollte dazu auch die Region als Untersuchungsebene betrachtet werden und die Umweltauswirkungen von Aquakulturen berücksichtigt werden.
Abschließend fassen die Autoren der Überblicksstudie zusammen, wie die Ergebnisse insbesondere auch politische Entscheidungsprozesse unterstützen können: Vor allem in Ländern mit einem höheren Einkommen ist eine Verbesserung der Umweltbedingungen möglich, wenn die Ernährungsrichtlinien überdacht werden – insbesondere bezüglich des Fleischkonsums und des Verzehrs von Milchprodukten.
Future Farm Lab – neue Technologien für die Landwirtschaft
Veröffentlicht am 6. Juni 2016 von Silvia Woll
Das Projekt Future Farm Lab hat es sich zum Ziel gesetzt, der Landwirtschaft ein neues Gesicht zu verleihen. Herkömmliche Praktiken sollen mit neuen Technologien verschmolzen werden. Daran arbeiten Abi Aspen Glencross (die an der Entwicklung von In-vitro-Steak forscht), Sophie Perry (die unter anderem als Wissenschaftsautorin arbeitet) und Phoebe Tickell (die sich auf Pflanzen und Algen spezialisiert hat). Ihr Antrieb ist es, an der Erschaffung einer ethisch vertretbaren und gerechten Zukunft mitzuwirken, die Nahrung für alle bereithält. Dafür betreiben sie Forschung im Labor und machen Öffentlichkeitsarbeit. U. a. geben sie Workshops, bei denen sie mit Lebensmitteln experimentieren oder darüber aufklären.
Sie stoßen Diskussionen an, fordern zu kritischen Fragen auf und involvieren so viele Menschen wie möglich in den Prozess – weil sie glauben, dass dies der Schlüssel zur Erschaffung einer nachhaltigen Nahrungskette ist.
Future Farm Lab arbeitet nicht nur alleine, sondern auch mit verschiedenen anderen Organisationen wie New Harvest, Crossmodalism und Farmerama.
Was essen wir morgen? Interview mit Dr. Arianna Ferrari
Veröffentlicht am 17. März 2016 von Inge Böhm
Unsere Projektleiterin Dr. Arianna Ferrari wurde vom Grips&Co Magazin über In-vitro-Fleisch interviewt. Die Ausgabe Nr. 1 | März 2016 des Magazins beschäftigt sich mit dem Thema „Future Food“. In dem Artikel „Was essen wir morgen?“ wird In-vitro-Fleisch vorgestellt, dessen Realisierung, so der Artikel, „immer mehr in den Bereich des Möglichen“ rückt. Dr. Arianna Ferrari beantwortet Fragen zur Produktion von In-vitro-Fleisch, zu Hürden der Produktion und zu anderen technischen Alternativen für tierische Produkte. Der Artikel geht vor allem auf die potenziellen ökologischen Vorteile von In-vitro-Fleisch ein. Dr. Ferrari betont jedoch den unsicheren Charakter der bereits vorhandenen Ökobilanz-Studien über In-vitro-Fleisch. Diese Kalkulationen basieren lediglich auf hypothetischen Szenarien, da bisher keine Methode zur massenhaften Produktion von In-vitro-Fleisch existiert.
Die Zukunft der Lebensmittelherstellung, so der Artikel, liege aber auch in der Rückbesinnung auf Bewährtes. Hier kommt Dr. Rolf Meyer, ein Kollege am ITAS, zu Wort, der sich unter anderem mit dem Thema Nachhaltigkeit in Landwirtschaft und Ernährung auseinandersetzt. Er stellt den agrarökologischen Ansatz vor, der ein Wirtschaften im Einklang mit der Natur verfolgt.
Grips&Co ist ein unternehmensübergreifender Nachwuchswettbewerb des Fachmagazins RUNDSCHAU für den Lebensmittelhandel, der „Deutschlands Beste Nachwuchskraft im Lebensmittelhandel“ kürt. Das Grips&Co Magazin richtet sich demnach an junge Menschen, die im Lebensmittelhandel beschäftigt sind.
G20: Einsatz gegen tödliche Erreger aus der Tierhaltung
Veröffentlicht am 11. Juli 2017 von Marlene Faul
Erstmals stand es auch auf der Agenda des G20-Gipfels: Die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen. Denn der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin und der Tierhaltung entwickelt sich zunehmend zum Problem für Mediziner.
Es sind erschreckende Zahlen: Weltweit sterben täglich fast 2000 Menschen, weil Antibiotika wirkungslos geworden sind, Tendenz steigend. Denn immer mehr Keime entwickeln neue Resistenzen. Das Problem liegt auch in der Massentierhaltung. Nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren wird neben gebräuchlichen Antibiotika auch auf Reserveantibiotika zurückgegriffen – Mittel, die eigentlich für den Notfall gedacht sind. Antibiotika helfen gegen Infektionen, indem sie Bakterien abtöten. Werden die Medikamente jedoch zu oft eingesetzt, bilden die Bakterien gegen sie Resistenzen aus. Die sogenannten Multiresistenten Erreger (ME) sind zwar nicht aggressiver als gewöhnliche Erreger, jedoch sind sie gefährlich, weil die Antibiotika gegen sie nicht mehr wirken. Dies könnte dazu führen, dass manche Krankheiten nicht mehr behandelt werden können.
Bei den dicht gedrängten Tieren in der Massentierhaltung werden Antibiotika oft zur Prävention von Krankheiten eingesetzt, um eine massenhafte Ausbreitung zu verhindern. Doch gerade hier verbreiten sich die antibiotikaresistenten Erreger besonders schnell über Fleisch, Milch oder Gülle in die Umwelt und zu den Menschen. Heute.de berichtete, dass Mastschweine in ihrem etwa 120 Tage langen Leben im Durchschnitt 5,9 Mal Antibiotika bekommen. Zwar ist der Verbrauch herkömmlicher Antibiotika in der Tierhaltung in den letzten Jahren merklich zurückgegangen, jedoch stieg der Einsatz der Reservemittel.
Auf dem G20-Gipfel war die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen daher ein großes Thema. In der Abschlusserklärung der G20 wurde angekündigt, bis Ende 2018 einen Aktionsplan aufzustellen, um den Einsatz der Antibiotika einzudämmen. Möglichst weltweit sollen die Mittel bald verschreibungspflichtig werden. Zudem wollen die Staaten einen globalen Fonds einrichten, der die Pharmaindustrie dazu bewegt, an neuen Antibiotika zu forschen. Auch universitäre Forschungseinrichtungen sollen finanziell unterstützt werden.
NTA-Konferenz in Bonn
Veröffentlicht am 23. November 2016 von Inge Böhm
Vom 16. bis 18. November 2016 fand in Bonn die 7. NTA-Konferenz statt. Das Netzwerk Technikfolgenabschätzung (NTA) umfasst rund 40 Institutionen sowie 250 persönliche Mitglieder aus der deutschprachigen TA-Community. Ziel des Netzwerk TA ist es, die Zusammenarbeit von ForscherInnen und an TA Interessierten zu fördern und Technikfolgenabschätzung in allen gesellschaftlichen Bereichen bekannt zu machen. Die Konferenz wurde von der EA European Academy of Technology and Innovation Assessment aus Bad Neuenahr-Ahrweiler organisiert. Thema der Konferenz war „ Grand Challenges meistern – der Beitrag der Technikfolgenabschätzung“. Es ging also vor allem um die Frage, auf welche Weise Technikfolgenabschätzung einen Beitrag zur Bearbeitung großer gesellschaftlicher Herausforderungen, wie etwa dem Klimawandel, leistet bzw. leisten kann. Neben vielen theoretischen Vorträgen, die konzeptionelle Grundlagen für die Technikfolgenabschätzung reflektierten, konnten wir unser Projekt als Fallbeispiel einer Grand Challenge – der Ernährung der Zukunft – vorstellen und diskutieren.
Internationale Tagung zu In-vitro-Fleisch in Maastricht
Veröffentlicht am 4. November 2015 von Inge Böhm
Nur wenige Wochen nach unserem Projektstart machten Silvia und ich uns auf den Weg zum „First International Symposium on Cultured Meat“, das vom 18.-20. Oktober 2015 in Maastricht (Niederlande) stattfand. Auf dem Symposium erwarteten uns prominente Gäste wie Mark Post, der Schöpfer des ersten In-vitro-Burgers sowie Isha Datar, die Geschäftsführerin des Start-ups „New Harvest“. An der Tagung nahmen Experten aus sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen teil – so gab es Vorträge über Bioreaktoren und Tissue Engineering, Stammzellenforschung und regenerative Medizin, Biomaterialien und 3D-Drucker sowie Lebensmitteltechnologie. Im Themenbereich „Akzeptanz von Konsumenten“ wurden Ergebnisse von Umfragen in Belgien, Portugal und Großbritannien sowie den Niederlanden präsentiert. Auch wir stellten unser Projekt zu Visionen von In-vitro-Fleisch vor. Im Publikum saßen jedoch nicht nur Wissenschaftler, sondern auch ein dänischer Spitzenkoch, ein Metzger sowie interessierte Investoren, die sich aus sehr unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema In-vitro-Fleisch beschäftigen. Die Diskussionen im Anschluss drehten sich immer wieder um die Fragen, inwiefern In-vitro-Fleisch herkömmliches Fleisch ersetzen kann bzw. sollte, ob In-vitro-Fleisch wirklich Fleisch ist und ob bzw. weshalb Menschen in Zukunft In-vitro-Fleisch essen werden. Letztendlich sei es doch wichtig, so ein Teilnehmer, dass In-vitro-Fleisch unglaublich lecker ist/wird, um ein attraktives und marktfähiges Produkt zu werden. Dazu sei es auch erforderlich, das Produkt im Dialog mit den Konsumenten kontinuierlich weiterzuentwickeln.
In-vitro-Fleisch als ethischer Fortschritt? Vortrag vom 12. Mai 2016 online!
Veröffentlicht am 24. Mai 2016 von Arianna Ferrari
Am 12. Mai 2015 hielt Dr. Arianna Ferrari einen Vortrag zum Thema „In-vitro-Fleisch als ethischer Fortschritt?“ im Rahmen der „Tierethik-Akademie“ der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Tierethik (IAT) in Heidelberg.
https://www.youtube.com/watch?v=NmmPLtN1u0g
In-vitro-Fleisch hat die Ambition, Mensch, Tier und Natur zu retten. Wenn man aber genau hinguckt, können sich daraus unterschiedliche Szenarien entwickeln, vor allem in Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung. Geht man von der anthropozentrischen Vision der Nachhaltigkeit aus, die die Interessen des Menschen (und künftiger menschlicher Generationen) in den Mittelpunkt stellt, so bietet In-vitro-Fleisch eine effizientere Alternative, Fleisch zu produzieren und zu konsumieren, zumindest im Vergleich mit Rindfleisch. Die Innovatoren glauben deshalb, dass In-vitro-Fleisch ein Mittel für einen nachhaltigen Konsum und somit für die Bekämpfung des Welthungers sein kann, weil sie eine ressourcenschonende Innovation ist. Geht man von der Idee aus, dass Technik eine progressive Rolle spielen kann, wird die Menschheit der Zukunft, die In-vitro-Fleisch konsumiert, zurückblicken und „die Zeit der (industriellen) Tierhaltung und Tiertötung als Barbarei empfinden“ so Gabor Forgacs (Modern Meadow). Jedoch kann niemand die Rolle der Verflechtung zwischen ethischer Innovationen und sozialen Werten „vorhersehen“, aber die Analyse der Visionen trägt dazu bei, Klarheit zu schaffen. Unser Projekt möchte dazu einen Beitrag leisten.
VIF im SWR – Bericht über In-vitro-Fleisch
Veröffentlicht am 24. Februar 2017 von Silvia Woll
Der SWR Baden-Württemberg hat am Donnerstag, den 23. Februar 2017, in SWR Aktuell einen Bericht zu In-vitro-Fleisch gesendet – und VIF war dabei. Inge Böhm und Silvia Woll wurden zu den Vor- und Nachteilen befragt, aber auch zu den Zukunftsvorstellungen, die mit In-vitro-Fleisch einhergehen.
Der Beitrag gibt einen guten ersten Einblick in die Thematik In-vitro-Fleisch. Auch die kritische Perspektive von VIF kommt darin zum Ausdruck. Zu finden ist die Sendung in der Mediathek des SWR; der Bericht zu In-vitro-Fleisch beginnt ca. bei Minute 12.40.
https://swrmediathek.de/player.htm?show=3e746150-f9ff-11e6-9102-005056a12b4c
In-vitro-Leder – Mehr als nur eine Imitation?
Veröffentlicht am 12. April 2016 von André Thielen
Das amerikanische Unternehmen Modern Meadow versucht seit einigen Jahren, nicht nur In-vitro-Fleisch, sondern auch In-vitro-Leder mittels 3D-Druck herzustellen – eine Innovation, die möglicherweise früher marktreif sein könnte als im Labor hergestelltes Fleisch.
Neben Fleisch ist Leder eines der am meisten verwandten Tierprodukte. Seine Herstellung hat eine lange Tradition, denn das Haltbarmachen von Tierhaut – das Gerben – gilt als eine der größten kulturellen Errungenschaften der Menschheit und seine Entwicklung reicht in der Geschichte bis über die Antike hinaus.
Für die Herstellung von Leder wird dem toten Tier zunächst die Haut abgezogen. Diese wird dann zur Konservierung mit Chemikalien bearbeitet. Bei unsachgemäßer Entsorgung dieser Chemikalien kann der Gerbungsprozess massive Schäden für die Umwelt verursachen, beispielsweise durch die Verunreinigung des Grundwassers. Trotz erheblicher negativer Auswirkungen auf Tier und Umwelt ist Leder ein beliebtes und stark nachgefragtes Produkt, da es besondere Eigenschaften innehat, die nur wenige andere Produkte so vereinen: Es ist relativ wasserundurchlässig und reißfest, gleichzeitig jedoch sehr atmungsaktiv. Wegen der negativen Umweltbilanz von Leder wird allerdings auch nach Alternativen gesucht. Kunstleder ist ein Imitat, das in vielerlei Hinsicht dem echten Leder sehr nahe kommt. Jedoch wird es aus Kunststoff gefertigt, weshalb seine Produktion viel Erdöl verbraucht und damit nicht nachhaltig gestaltet werden kann. Deshalb wird in der Modebranche auch viel mit anderen Stoffen experimentiert, die Leder ersetzen können.
Allerdings reichen all diese Ersatzprodukte nicht an die Stärken von Leder heran. Neben der Herstellung von In-vitro-Fleisch rückt damit auch die Entwicklung von In-vitro-Leder in den Fokus von Innovatoren. Vorreiter dabei sind Gabor Forgacs und sein Sohn Andras, die in Brooklyn das Unternehmen Modern Meadow gegründet haben.
Das Verfahren bei der Herstellung ähnelt dem der Produktion von In-vitro-Fleisch. Zunächst werden den Tieren durch eine Biopsie Zellen entnommen, in diesem Fall Hautzellen – dabei ist es egal, wie bei In-vitro-Fleisch, von welchem Tier diese stammen. Die Zellen werden dann im Labor vermehrt, woraufhin sich mehrere Zelllagen bilden. Diese Lagen können nun zusammengesetzt werden. Das Ergebnis ist eine Tierhaut ohne Rückstände von Haaren, Fleisch oder Fett. Dennoch bedarf es immer noch einer Reinigung der fertigen Tierhaut, allerdings mit weitaus weniger Chemikalien als beim herkömmlichen Gerben.
Forgacs betont, dass er mit seinem Unternehmen Modern Meadow nicht versucht, Leder zu imitieren, sondern ein völlig neues und besseres Produkt zu entwickeln. Ihm zufolge könnten Formen von Leder entstehen, die es so noch nicht gab: It is not limited to the irregular shape of a cow or an alligator. Ein treibender Gedanke hinter der Innovation In-vitro-Leder scheint also neben dem Tierschutz vor allem auch ein wirtschaftlicher zu sein. In diesem Sinne ist In-vitro-Leder schon einen Schritt weiter und wird möglicherweise früher auf dem Markt auftauchen als In-vitro-Fleisch.
ITA-Forum in Berlin
Veröffentlicht am 23. November 2015 von Inge Böhm
Am 19. und 20. November 2015 fand in Berlin das ITA-Forum 2015 statt. Das Bundesministerium für Forschung und Entwicklung (BMBF) lud Wissenschaftler aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen dazu ein, ihre ITA-Projekte vorzustellen. Im Rahmen der Innovations- und Technikanalyse werden deutschlandweit 25 Forschungsprojekte gefördert. In diesen Projekten werden gesellschaftlich relevante, neue Themen – wie beispielsweise In-vitro-Fleisch – hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken analysiert und bewertet. Dr. Arianna Ferrari hatte die Gelegenheit, unser ITA-Projekt „Visionen von In-vitro-Fleisch“ zu präsentieren. Zu den vorgestellten Themen diskutierten Experten aus Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Ein Anliegen des ITA-Forums ist es, wichtige Fragen zu sozialen und technischen Innovationen und der Akzeptanz von Technik interdisziplinär zu reflektieren. Dabei sollen die Perspektiven und Wünsche der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bei der Gestaltung von Forschungspolitik einbezogen werden. Ziel der ITA-Projekte ist es, eine transparentere, nachvollziehbare Gestaltung der Forschungspolitik zu ermöglichen, in dem sie auch Bürger mit einbeziehen. In unserem Projekt haben Sie daher die Möglichkeit, Ihre Meinung in Form eines Fragebogens einzubringen oder bei unseren partizipativen Verfahren mitzuwirken.
Memphis Meats präsentiert erstes In-vitro-Fleischbällchen
Veröffentlicht am 9. Februar 2016 von Inge Böhm
Im Januar 2016 präsentierte das US-amerikanische Start-up Memphis Meats das erste In-vitro-Fleischbällchen der Welt. Das Fleisch aus Rinderstammzellen wurde wie herkömmliches Fleisch von einem Koch zu einem Fleischbällchen verarbeitet. Die Aufgabe des Kochs war es, das „Geschmackserlebnis eines Fleischbällchens neu zu erschaffen“. Die Testerin beurteilte den Geschmack als gut („Like a meatball, that’s good“). Uma Valeti, einem Gründer von Memphis Meats zufolge schmeckte es genauso wie Rindfleisch („It tasted exactly like beef“). Ein Fleischbällchen, das die Welt verändert?
.Memphis Meats ist ein US-amerikanisches Start-up mit Standorten in San Francisco und Memphis, Tennessee. Ziel des Start-ups ist es, ‚besseres Fleisch‘ für die ganze Welt herzustellen – gesünder, sicherer und nachhaltiger. Das aus ‚echten Fleischzellen‘ (real meat cells) hergestellte Fleisch soll nicht nur gesund, umweltfreundlich und nachhaltig, sondern auch lecker und qualitativ hochwertig sein.
Uma Valeti, früheres Vorstandsmitglied von New Harvest, möchte die Marktfähigkeit von In-vitro-Fleisch vorantreiben. Sein Wunsch ist es, damit einen Beitrag zu einem profitablen, besseren Welternährungssystem zu leisten. Über die rein wissenschaftliche Erforschung hinaus sei nun die Zeit gekommen, sich für eine baldige Kommerzialisierung von In-vitro-Fleisch-Produkten einzusetzen. Deshalb gründete er mit Nicholas Genovese und Will Clem das Unternehmen Memphis Meats. In 3-4 Jahren möchte das Start-up Hot Dogs, Würstchen, Hamburger und Fleischbällchen auf den Markt bringen. Memphis Meats arbeitet mit Rinder-, Schweine- und Hühnerstammzellen. In enger Zusammenarbeit mit Spitzenköchen werden Rezepte entwickelt, die den guten Geschmack der Produkte sicherstellen sollen.
In 20 Jahren, so Uma Valeti in einem Interview mit The Wall Street Journal, werden Fleischprodukte aus herkömmlichem Fleisch weitestgehend durch In-vitro-Fleisch ersetzt worden sein. Es wird zukünftigen Generationen im Nachhinein lächerlich vorkommen, so Valeti, dass für unsere Ernährung Tiere geschlachtet werden mussten.
Doch bevor In-vitro-Fleischbällchen auf den Markt kommen können, müssen noch einige Hürden genommen werden. So liegen die Produktionskosten für ein Gramm In-vitro-Rindfleisch momentan bei 40 US-Dollar (ca. 36 €). Ein In-vitro-Fleischbällchen kostet also rund 1.100 US-Dollar (ca. 985 €). Der erste In-vitro-Burger von Mark Post aus dem Jahr 2013 kostete rund 325.000 US-Dollar (ca. 290.700 €). In einem Interview mit The Huffington Post im November 2015 verkündete Post, dass die Kosten für einen Burgerpatty auf 11 US-Dollar (ca. 9,85 €) reduziert werden konnten. Das Team von Memphis Meats möchte den Preis für ein Gramm In-vitro-Rindfleisch auf bis zu 5 US-Dollar (ca. 4,50 €) reduzieren. Das In-vitro-Fleisch von Memphis Meats könnte zunächst als Luxusprodukt auf den Markt kommen. Reduzieren sich die Produktionskosten, könnte es dann als Massenprodukt in die Supermärkte kommen.
Außerdem muss weiterhin an Möglichkeiten zur Produktion von In-vitro-Fleisch in großem Maßstab geforscht werden. Bisher wurden immer nur geringe Mengen In-vitro-Fleisch produziert. Geeignete Produktionsprozesse und Ressourcen stellen eine große Herausforderung für die Kommerzialisierung von In-vitro-Fleisch dar. Des Weiteren benutzt Memphis Meats zur Herstellung ihres Produktes bisher noch fetales Kälberserum als Nährmedium. Zum einen ist die Gewinnung des Nährmediums aus tierethischer Sicht höchst problematisch; zum anderen ist es auch ein hoher Kostenfaktor.
Ob und inwiefern das In-vitro-Fleischbällchen also unsere zukünftige Ernährung verändern wird, bleibt weiterhin offen.
Memphis Meats serviert das erste In-vitro-Gefluegelfleisch
Veröffentlicht am 17. April 2017 von Marlene Faul
25 geladenen Gästen wurde letzten Monat in San Francisco etwas bisher Einzigartiges serviert: Das weltweit erste In-vitro-Geflügelfleisch, wahlweise zubereitet als frittiertes Hähnchen oder Ente in Orangensoße. Dahinter steckt das US-Start-up Memphis Meats, das die Nachricht über die Herstellung dieser Weltneuheit am 15. März 2017, einen Tag nach der Verkostung, bekannt gab. Das Unternehmen präsentierte im Februar 2016 bereits das erste In-vitro-Fleischbällchen aus Rinderstammzellen, nun gelang ihnen das gleiche auch mit Zellkulturen von Hühnern und Enten.
Das Unternehmen Memphis Meats stellte auch ein Video auf seine Webseite, das die Zubereitung und Reaktionen bei der anschließenden Verkostung des In-vitro-Fleisches zeigen. „Alle 25 Tester nannten das Fleisch ‚lecker‘“ heißt es darin. Zwar empfanden einige die Textur als etwas „schwammiger“, wie das Wall Street Journal in einem weiteren Video berichtet, trotzdem schmeckte ihnen das Fleisch aus dem Labor fast so gut oder genauso gut wie herkömmliches. Das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zum ersten Hamburger, den der niederländische Forscher Mark Post 2013 präsentierte.
Hühnchen ist in den USA das meist konsumierte Fleisch, in anderen Ländern geht der Trend in eine ähnliche Richtung. Mit ihrer Technologie will Memphis Meats, wie es noch eine Handvoll anderer Unternehmen versucht, die Fleischindustrie grundlegend verändern. Sie hoffen, mit einer Massenproduktion von In-vitro-Fleisch in naher Zukunft die konventionelle Fleischherstellung zu ersetzen und die damit einhergehenden Umweltschäden, gesundheitlichen Probleme und das Tierleiden enorm verringern. „Wir wollen Fleisch auf einem besseren Weg produzieren, so dass es lecker, erschwinglich und nachhaltig ist“, erklärt Uma Valeti in der offiziellen Pressemitteilung von Memphis Meats. Er ist der Mitbegründer sowie Chef des Start-ups und auch in dem Video zu sehen.
Knapp 9000 US-Dollar kostet die Herstellung von einem Pfund Hühnchen im Labor bisher noch. Diesen Preis wollen Valeti und sein Team aber noch drastisch senken: Sie planen ihre Produkte bis 2021 auf den Markt zu bringen und die Kosten durch eine Produktion in größerem Maßstab bis dahin weiter stark reduzieren zu können.
Aber wäre die breite Öffentlichkeit überhaupt bereit, In-vitro-Fleisch zu essen? Eine neue Studie in den USA befragte online etwa 670 US-Bürger: Zwar konnten sich über 60 Prozent gut vorstellen, In-vitro-Fleisch zu probieren, aber nur ein Drittel wäre bereit, es wahrscheinlich regelmäßig zu essen und damit herkömmliches Fleisch zu ersetzen. Die Befragten empfanden die Vorstellung von Fleisch aus dem Labor generell unnatürlich und weniger ansprechend als herkömmliches Fleisch, erkannten aber auch die Vorteile von In-vitro-Fleisch an, unter anderem, dass das Tierleiden gestoppt und die Erderwärmung reduziert werden könnte.
Nachhaltige Landwirtschaft und die Zukunft tierischer Nahrungsmittel – Fachtagung in Wittenberg
Veröffentlicht am 24. April 2017 von Inge Böhm
Es ist allerhöchste Zeit, dass die Diskussion um die Zukunft der Agrarsubventionen gesellschaftlich breit geführt wird. Denn die Frage, wie gesund und nachhaltig unsere Lebensmittel produziert werden, geht uns alle an und darf nicht länger Lobbyisten und Agrarpolitikern alleine überlassen werden. Die schädlichen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft wurden viel zu lange ignoriert. Jetzt besteht die Chance, eine neue und zukunftsorientierte Landwirtschafts- und Ernährungspolitik aufzubauen, die von der gesamten Gesellschaft getragen wird. Sie könnte weltweit zum Vorbild werden. Diese Chance muss die EU nutzen. http://www.living-land.de
Wie kann Landwirtschaft nachhaltig gestaltet werden? Unter dem Titel „Nachhaltige Landwirtschaft und die Zukunft tierischer Nahrungsmittel“ fand am 21. und 22. April 2017 eine Fachtung an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in der Lutherstadt Wittenberg statt. Eingeladen waren ExpertInnen unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen, u.a. aus dem Umweltbundesamt (UBA), der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, der Universität Greifswald (Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaft und Angewandte Geographie) und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Auf der Tagung wurden verschiedene Lösungsansätze zu den drängendsten durch die Landwirtschaft und insbesondere durch die Fleischproduktion verursachten Umwelt- und Klimaprobleme diskutiert. Die anwesenden WissenschaftlerInnen waren sich darüber einig, dass die Umgestaltung der Landwirtschaft sowie des Konsums tierischer Lebensmittel sofort und radikal erfolgen muss, um die verheerenden Folgen für Klima, Umwelt, Mensch und Tier annähernd in den Griff zu bekommen. Das ambitionierte 2°-Ziel (Begrenzung der globalen Erwärmung auf weniger als 2°C Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts) , das auf der Klimakonferenz in Paris 2016 festgelegt wurde, stünde in einem widersprüchlichen Verhältnis zu den wenigen konkreten Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung adressiert zwar die starke Umweltbelastung durch die intensive Landwirtschaft, geht dabei aber vor allem auf Maßnahmen zur Verringerung der Nitratbelastung (im Rahmen einer Novellierung der Düngeverordnung) ein. Der Verstoß gegen die europäische Nitratrichtlinie war gegen Ende des letzten Jahres Thema in den Medien. Die Reduktion der Tierbestände sowie Halbierung des Fleischkonsums als notwendige Maßnahme zur Verbesserung der Situation, wie sie im Klimaschutzplan 2050 der deutschen Zivilgesellschaft deutlich gefordert werden, tauchen im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung jedoch nicht auf. Insgesamt erweckten die Vorträge den Eindruck, als gäbe es viele gute Ideen, den Wandel zu gestalten, die im Laufe des politischen Prozesses verlorengehen.
Das VIF-Team stellte im Rahmen der Tagung die Innovation In-vitro-Fleisch vor. Die Frage, inwiefern diese technologische Innovation einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft beitragen könnte, wurde in einem Vortrag kritisch beleuchtet. In-vitro-Fleisch wird von den Innovatoren als plausible technologische Lösung für die zahlreichen Probleme der heutigen Fleischproduktion und des Fleischkonsums vorgestellt. Es bleibt jedoch offen, ob In-vitro-Fleisch tatsächlich als umweltfreundliches, tierfreundliches, gesundes und sicheres Produkt auf den Markt kommen wird. Fest steht jedoch, dass es eine Vielzahl an Lösungen geben muss, um die Probleme der heutigen Fleischproduktion und des Fleischkonsums zu lösen.
Nestlé Zukunftsstudie: Wie is[s]t Deutschland 2030?
Veröffentlicht am 1. April 2016 von Silvia Woll
„Wie is[s]t Deutschland 2030?“ Unter diesem Titel hat das Nestlé Zukunftsforum 2015 die Nestlé Zukunftsstudie herausgebracht, die sich mit den Fragen befasst, wie Deutschland 2030 lebt, isst und wer diese Zukunft gestaltet. Laut der Studie werden unsere Lebensbedingungen immer komplexer, bedingt durch digitale Vernetzung, Globalisierung, weltweite politische und soziale Herausforderungen oder Klimawandel. Daher werden „Orientierung, Kontrolle und Eigenverantwortung“ immer relevanter. In unseren Essgewohnheiten spiegelt sich das wider.
Diejenigen, „die ein neues Produkt ausprobieren, damit experimentieren und ihre Erfahrungen teilen“, werden in der Studie als „Zukunftsgestalter“ bezeichnet. Sie sind vorwiegend weiblich und zwischen 30 und 50 Jahre alt. Gegenüber neuen Lebensmitteln wie beispielsweise In-vitro-Fleisch sind sie aufgeschlossen und gehen davon aus, dass in Zukunft weniger gekocht und mehr unterwegs gegessen wird und Lebensmitteleinkäufe vorwiegend online getätigt werden. Von den Zukunftsgestaltern bekräftigen 47% die Aussage: „In-vitro-Fleisch wird der Kompromiss zwischen Genuss und Rücksicht auf Tier und Natur.“
Die in der Studie dargestellten Zukunftsszenarien, wie die Deutschen in Zukunft essen und leben werden, wurden von „Experten“ und „kreativen Verbrauchern“ entwickelt. Die Experten bestehen vorwiegend aus Wissenschaftlern, die sich aus geistes-, sozial- oder kulturwissenschaftlicher Perspektive mit Ernährung befassen sowie Fachkräften aus der Trend- und Marktforschung und aus dem Multimedia-Bereich. Die acht Verbraucher trugen im Rahmen von Konsumenten-Workshops zur Erarbeitung der Perspektiven bei.
Diese Perspektiven, dargestellt in fünf Zukunftsszenarien, wurden über 1000 deutschsprachigen Erwachsenen vorgelegt und von ihnen beurteilt.
Die Zukunftsszenarien für das Jahr 2030
- Ressourcenschonende Ernährung in einer werteorientierten Gesellschaft
Der Einzelne ergreift selbst die Initiative und übernimmt Verantwortung für sich, seine Mitmenschen und den Planeten. Lebensqualität und Sinn rücken in den Fokus des Einzelnen.
In diesem Szenario steht der Gedanke des ethischen Konsums im Vordergrund. Auch die Wirtschaft hat ein Interesse daran, nachhaltig und sozial verantwortlich zu handeln und zu produzieren. Gegessen wird 2030 hauptsächlich, was ressourcenschonend sowie nachhaltig hergestellt wird. Hierzu zählen u. a. In-vitro-Fleisch und andere im Labor hergestellte Lebensmittel, die in vergangenen Jahren noch wegen ihrer Künstlichkeit als abstoßend empfunden worden wären. Jetzt sind sie eine „attraktive Alternative“. Weitere Alternativen sind „neue natürliche Lebensmittel wie Algen oder Insekten“. Die Befragten, die diesem Szenario skeptisch gegenüberstehen, sind In-vitro-Fleisch gegenüber allerdings offener als gegenüber „ungewohnten Nahrungsmitteln natürlichen Ursprungs“. Künstlichkeit wird nicht mehr automatisch mit ungesund gleichgesetzt.
Allerdings werden weniger Obst und Gemüse konsumiert, da sie zu teuer geworden sind. Auch der Anteil an Fleisch, Eiern und Milchprodukten auf dem Speiseplan verringert sich, da sie als zu unökologisch betrachtet werden. Das Angebot an hochwertigen Nahrungsmitteln vergrößert sich trotzdem durch künstliche Alternativen.
Das Szenario wird überwiegend positiv bewertet und auch als realistisch eingeschätzt.
- Gemeinschaftliches Essen als Erlebnis in einer entstrukturierten Gesellschaft
Essen bringt Menschen zusammen. Diese Funktion ist in der fragmentierten und vor allem virtuell vernetzten Gesellschaft von 2030 wichtiger denn je.
Die Menschen sind auf der Suche nach der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Geborgenheit und persönliche Kontakte werden immer wichtiger, vor allem bedingt durch die „Virtualisierung, die Entstrukturierung des Alltags im privaten wie im beruflichen Umfeld und die Zunahme hochindividueller Lebensstile in den Städten“. Das gemeinsame Essen bekommt einen hohen Stellenwert.
Essen ist im Jahr 2030 verbunden mit vielen rationalen Aspekten wie Ressourcenschonung, Steigerung der eigenen Leistung oder effizienter Sättigung. Umso relevanter wird das emotionale Erlebnis beim Essen, die Gemeinschaft. Die individuelle Ernährung trifft hier eine Aussage darüber, „wer man ist bzw. sein möchte“. Gemeinsames Essen in großem Rahmen wird aber auch zum Statussymbol. Viele Gäste zu sich einzuladen können sich nur noch Besserverdienende leisten, da große und gut ausgestattete Küchen nicht mehr zum Standard einer Wohnung gehören.
Auch dieses Szenario wird überwiegend positiv bewertet und als realistisch eingeschätzt.
- Reflektierter Genuss in einer auf Eigenverantwortung setzenden Gesellschaft
2030 leben wir in einem höheren Bewusstsein für das Wohlbefinden unseres Körpers und unserer Seele. Die Ernährung ist ein zentraler Schlüssel dafür: Hocheffektive Wirkstoffe gehören ebenso dazu wie der Genuss.
In diesem Szenario bedeutet ein gesunder Körper Sicherheit. Essen wird verstanden als „zentrale Ressource für Körper, Seele und Geist gleichermaßen und dient der Erhaltung der eigenen Gesundheit.“
Nahrungsmittel sind funktionaler geworden und werden unterschiedlich eingesetzt. Einerseits gibt es „die sehr aktiven und informierten Gesundheitsoptimierer“, die ihre Ernährung nach gesundheitlichen Aspekten ausrichten. Andererseits werden Produkte konsumiert, die oft personalisiert sind und eine körperliche Verbesserung versprechen; oder Medical Foods, die therapeutisch eingesetzt werden.
Die meisten Studienteilnehmer halten diese Zukunftsperspektive für realistisch, aber nur 40% bewerten sie positiv.
- Ernährung zur Selbstoptimierung in einer leistungsorientierten Gesellschaft
Wer sozial nicht abrutschen will, muss ständig zur Hochleistung bereit sein. Die Qualität unserer Nahrung bemisst sich nicht an ihrer Zusammensetzung oder Herkunft, sondern daran, wie weit sie ihren Konsumenten bringt. Essen ordnet sich Leistungsansprüchen und dem dichten Takt des Alltags unter – und passt sich dabei den körperlichen Voraussetzungen und individuellen Zielen perfekt an.
In diesem Szenario orientiert sich die Ernährung im Jahr 2030 an der Gesundheit und dem Genuss des Einzelnen. Selbstoptimierung soll erreicht werden durch funktionale und personalisierte Nahrungsmittel, die „mehr Ausdauer, Konzentration, Effektivität und Kreativität – kurz: bessere Leistungen und damit den entscheidenden Wettbewerbsvorteil” versprechen.
Essen ist gänzlich personalisiert, um eine leistungssteigernde Wirkung zu erreichen. Technik wird unterstützend eingesetzt, um das Ess- und Trinkverhalten zu beobachten, zu kontrollieren und zu optimieren. Auch die Essenszeiten sind individuell und flexibel, statt wenigen vollständigen Mahlzeiten werden eher viele Snacks über den Tag verteilt. Diese werden in den Tagesablauf integriert und nebenher verzehrt, während der Arbeit oder in einer Warteschlange.
Dieses Szenario wird als realistisch erachtet, aber nicht positiv bewertet.
- Einfaches Sattwerden in einem virtuellen Umfeld
Zeit, Energie und Gelegenheit reichen im Normalfall für eine selbstgekochte oder in Ruhe genossene Mahlzeit nicht aus. Man ist zwar mit der Welt verbunden und voll vernetzt, aber man isst alleine.
In dieser Zukunftsperspektive geht es vorwiegend um die Sättigung. Essen ist 2030 „einfach, schnell und überall verfügbar“. Die Mahlzeiten werden in der Regel nach Hause geliefert oder bestehen aus Fertiggerichten. Auch der 3D-Drucker kommt zum Einsatz, in dem Fertigmischungen aufbereitet werden können.
Künstliche und vor allem günstige Ersatzprodukte werden gerne konsumiert, auch deshalb, weil sich der durchschnittliche Verbraucher nicht täglich frische Nahrungsmittel leisten kann. Eventuell für eine ausgewogene Ernährung fehlende Substanzen werden in Form von Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen. Kaum einer kann noch selbst kochen.
Dieses Szenario ist das am schlechtesten beurteilte der Studie. Es wird weder positiv bewertet noch als realistisch angesehen.
Zusammenfassung
Skeptisch äußern sich die in der Studie Befragten hauptsächlich gegenüber technologischen Innovationen wie Online-Einkaufssystemen, digitalen Assistenzsystemen (die Unterstützung bei der Zubereitung oder beim Einkauf des Essens bieten), telemedizinischen Anwendungen (die nicht mehr in persönlichem Kontakt, sondern über einen Bildschirm zum Einsatz kommen) und 3D-Druckern für Lebensmittel. Auch die Darstellung einer von Leistungsdruck gekennzeichneten Gesellschaft erzeugt Widerwillen. Ansätze, in deren Mittelpunkt Nachhaltigkeit und Gemeinschaft stehen, werden hingegen sehr begrüßt.
Die Konsumenten gehen im Jahr 2030 reflektierter mit dem Thema Ernährung um, Essen soll ethische, gemeinschaftliche und gesundheitsorientierte Anforderungen erfüllen.
Es werden immer mehr Mahlzeiten außer Haus eingenommen, die Angebotspalette erweitert sich durch neue Lebensmittel wie In-vitro-Fleisch, Insekten und Functional Food (Essen, das bestimmte Wirkungen hat), aber auch durch neue Technologien wie den 3D-Drucker. Immer mehr Menschen folgen einer personalisierten Ernährung. Auch das Einkaufserlebnis verändert sich durch eine stärkere Zuwendung zu Außer-Haus-Anbietern und Online-Bestellsystemen.
Prognose
Die Studie prognostiziert, dass der Anteil der Menschen mit einem ausgeprägten Gesundheitsbewusstsein („Gesundheitsidealisten“) im Jahr 2030 deutlich höher liegen wird als noch heute; ebenso der Anteil der „gesundheitsfokussierten problembewussten Älteren“. Die Zahl der „Leidenschaftslosen“, also derer, die wenig Interesse an der Qualität ihrer Nahrung haben, soll deutlich sinken. Dies wird als realistisch beschrieben mit folgender Begründung: „Viele Menschen wollen sich gesünder und ausgewogener ernähren, scheitern aber heute oftmals an Vielfalt und Komplexität. 2030 werden auf den individuellen Ernährungsstil zugeschnittene Angebote (Produkte wie Dienstleistungen gleichermaßen) es dem Konsumenten einfacher machen, sich zu orientieren und ein passendes Angebot in einer der Zukünfte zu finden.“
Kritik
Das Nestlé Zukunftsforum, das in Zusammenarbeit mit TNS Infratest und der DFV Mediengruppe die Nestlé Zukunftsstudie herausgibt, wurde 2010 gegründet und versteht sich nach eigener Aussage „als Initiator, Impulsgeber und Moderator einer gesellschaftsübergreifenden Debatte über die Ernährung der Zukunft“. Der Blick in die Zukunft wird unternommen, um „gemeinsam Vorstellungen vom Besseren zu entwickeln“. Die Studie erweckt allerdings den Anschein, dass dieses „Bessere“ gleichzusetzen ist mit innovativen, oft technologischen Entwicklungen wie beispielsweise In-vitro-Fleisch. So ist der Begriff der „Zukunftsgestalter“ sehr positiv konnotiert, welcher die Gruppe in der Studie bezeichnet, die neue Entwicklungen als erste austestet und durch Konsum und Akzeptanz vorantreibt. Sämtliche dargestellte Szenarien gehen davon aus, dass eine Entwicklung hin zu einer technologischeren Ernährung in einer immer komplizierter werdenden Welt stattfinden wird. Allerdings kommt die Studie selbst zu dem Schluss, „dass sich die Menschen in Deutschland einen schonenderen Umgang mit knapper werdenden Nahrungsressourcen wünschen und in Zukunft noch kritischer die Herkunft und Herstellung von Lebensmitteln hinterfragen werden.“ Was in diesem Kontext völlig fehlt, ist der Blick auf eine Ernährungsweise, die sich an ökologischen Mustern orientiert. Der Begriff der Nachhaltigkeit taucht in der Studie zwar immer wieder auf und wird auch als wichtiges Kriterium für unsere zukünftige Ernährung genannt, aber Produktionsbedingungen bleiben trotzdem außen vor.
Weiter betont die Studie, dass es in den kommenden 15 Jahren eine deutliche Veränderung in unseren Essgewohnheiten geben wird, sowohl hinsichtlich Zeit, Ort und sozialem Kontext als auch hinsichtlich dessen, was wir essen und wie wir unser Essen beziehen. Die Frage nach dem Geldpreis, den wir dafür zu bezahlen haben, bleibt allerdings unbeantwortet. Eine bewusstere Ernährung, wie sie prognostiziert wird, setzt auch voraus, dass der Durchschnitt sich diese leisten kann. Je personalisierter und aufwendiger im Herstellungsprozess ein Nahrungsmittel jedoch ist, umso teurer wird es potenziell auch sein. Obwohl die Studie in ihrer Darstellung und Argumentation eine starke Fokussierung auf den sozialen Kontext aufweist, wird dieser Aspekt nur an einer Stelle erwähnt, aber doch ergänzt durch: „Wenn Lebensstile zu Ernährungsstilen werden, wird Essen wieder zum Mittel sozialer Distinktion, polarisiert und wird eher symbolisch als stofflich wahrgenommen.“ Es stellt sich auch die Frage, wie eine solche Zukunftsprognose wie die der Studie zustande kommen kann, wenn man von einer stärkeren Öffnung der sozialen Schere ausgehen muss. Mehrere Szenarien setzen voraus, dass natürliche Lebensmittel im Jahr 2030 zu teuer seien, um vom Bevölkerungsdurchschnitt regelmäßig konsumiert zu werden. Unerwähnt bleibt, woher diese Annahme kommt und was zu dieser Tendenz führt.
In Frage stellen lässt sich weiter die Aussagekraft einer Studie, die Zukunftsszenarien entwickelt und bewertet, darin verwendete relevante Begriffe aber unerklärt lässt. Die „hochwertigen Nahrungsmittel“ und „hocheffektiven Wirkstoffe“, die im Jahr 2030 eine wichtige Grundlage unseres Speiseplans sein sollen, werden nicht weiter erläutert. Ebenso wenig wird klar, was es konkret bedeutet, wenn Nahrung „funktional“ oder „personalisiert“ ist.
Der Blick der Studie geht auch nicht über den deutschen Tellerrand hinaus. Was bedeutet eine Entwicklung wie die dargestellte für die Herkunftsländer diverser Lebensmittel und für die Menschen, die diese produzieren? Das Unternehmen Nestlé fühlt sich durch die Ergebnisse der Studie darin bestärkt, die eigenen „Wertschöpfungsketten noch transparenter zu gestalten.“ Hier drängt sich jedoch die Frage auf, inwieweit die Transparenz dieser Wertschöpfungsketten in Einklang zu bringen ist mit den weltweiten Produktionsbedingungen des Konzerns. Nestlé wurde mehrfach medial stark kritisiert, etwa wegen der Anklage wegen Beihilfe zur Sklaverei in Thailand, wegen Kinderarbeit an der Elfenbeinküste und wegen der Einstellung des Konzerns zur Ressource Wasser.
Next Nature Network und die Ausstellung „Meat the Future“
Veröffentlicht am 23. Januar 2017 von Silvia Woll
„The time has come to start a debate about the future of meat.“
Virtuelle Welten, gedrucktes Essen, lebende Städte, Fleisch aus dem Reagenzglas – der Mensch ist so sehr umgeben von Technologie, dass das Team des Next Nature Network diese als unsere next nature, unsere nächste Natur ansieht. Und obwohl oder eben gerade weil Technologie schon unsere natürliche Umgebung geworden ist, bezeichnet sich das Next Nature Network als Naturorganisation des 21. Jahrhunderts, die sich zur Natur hin entwickeln will – nicht zurück zur Natur. Dafür organisieren sie Ausstellungen und regen Debatten an, aber auch Publikationen und Produkte, die Biologie und Technologie in Einklang miteinander bringen sollen. Ihre Projekte sind visionär und zukunftsgerichtet, oft befassen sie sich mit Thematiken und Produkten, die noch gar nicht auf dem Markt sind: So beispielsweise der Nano-Supermarkt, eine Ausstellung, bei der die Besucher Produkte betrachten können, die eventuell in den nächsten Jahren tatsächlich im regulären Supermarkt erhältlich sein werden – von appetitlich-wunderschön bis erschreckend-gruselig ist alles dabei. Aber auf jeden Fall immer so designed, dass sie zur Diskussion anregen. Oder die WiFi Angels, eine App, die elektromagnetische Strahlung hörbar macht. Die Wlan-Netzwerke der Umgebung werden zu einem Chor singender Engel…
Somit ist es wenig verwunderlich, dass sich das Next Nature Network auch mit In-vitro-Fleisch auseinandersetzt. Nach der Devise „The time has come to start a debate about the future of meat“ sind in der Ausstellung Meat the Future im Cube Design Museum in Kerkrade, Niederlande, die Exponate aus In-vitro-Fleisch gefertigt – und das in den unterschiedlichsten und innovativsten Varianten. Gestrickt, als bunte Magic Meatballs oder in der Form urzeitlicher Dodo-Nuggets: Hier bleibt keine Fleischfantasie unerfüllt. Bis vielleicht auf die des gewöhnlichen Schnitzels.
Die Ideen und Rezepte, die in der Meat the Future-Ausstellung umgesetzt sind, finden sich auch im In Vitro Meat Cookbook, das ebenfalls vom Next Nature Network herausgegeben wird. Dinosaurier-Schenkel? In-vitro-Austern? Tierleidfreie Foie Gras? Kein Problem mehr. Das In Vitro Meat Cookbook zeigt eine ganz neue Essenskultur – für die Zeit, wenn In-vitro-Fleisch ein herkömmliches Lebensmittel auf unseren Speiseplänen geworden ist. Es führt auf, in wie vielen Geschmacksrichtungen, Farben und Konsistenzen In-vitro-Fleisch hergestellt werden kann: als Kebab, als Sashimi, als schälbare Wurst oder rollbarer Schinken – um nur wenige davon zu nennen. Das In Vitro Meat Cookbook beinhaltet aber nicht nur In-vitro-Gerichte, sondern auch visionäre Vorstellungen, wie sich die Welt und unser aller Zusammenleben durch In-vitro-Fleisch verändern könnte. Vielleicht hat dann jede Gemeinde ein Schwein im Garten, von dem die Stammzellen für den Fleischkonsum aller Einwohner gewonnen werden? Und in jeder privaten Küche steht ein kleiner Bioreaktor, der aus den Stammzellen das Steak wachsen lässt? Auch zur Bekämpfung des Welthungers finden sich spezielle Produkte: Disaster Bars, In-vitro-Proteinriegel, die aber ebenso für die Trekkingreise durch den Dschungel geeignet sind. Ob sich alle diese Ideen irgendwann in die Tat umsetzen lassen? Wer weiß. Die passenden Rezepte sind jedenfalls schon da.
Peter Singer: Der erste (tier)leidfreie Burger der Welt
Veröffentlicht am 20. Mai 2016 von Silvia Woll
Peter Singer ist einer der am kontroversesten diskutierten Philosophen der Gegenwart. Seine beiden bekanntesten Werke, Die Befreiung der Tiere (erschienen 1975) und Praktische Ethik (erschienen 1979), haben vor allem in deutschsprachigen Ländern starke Debatten ausgelöst. Singer wendet sich gegen die allgemeine Annahme, das Leben von Menschen sei höher zu werten als das Leben von Tieren, wodurch er sich klar als Tierrechtler positioniert. Weiter spricht sich Singer für die Option aus, Föten und auch schwerstbehinderte Neugeborene zu töten, die noch kein Bewusstsein für sich selbst entwickelt haben, sofern deren Leben von starkem Leiden geprägt sein würde. Singer ist hinsichtlich seiner ethischen Positionierung dem Utilitarismus zuzuordnen, der nach einer Erlangung des „größtmöglichen Glück(s) der größtmöglichen Zahl“ und dem „sozialen Nutzen aller Menschen überhaupt“ strebt. Singer überträgt den Utilitarismus auf alle leidensfähige Wesen: Kurz gesagt sei jene Handlung vorzuziehen, die die Interessen aller leidensfähigen Wesen berücksichtigt – also letztendlich zur Minimierung von Leiden führt.
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sich Peter Singer positiv zu In-vitro-Fleisch äußert. In dem The Guardian-Artikel The World’s First Cruelty-free Hamburger bezieht sich Peter Singer auf die erste öffentliche Verkostung von In-vitro-Fleisch durch Mark Post. Sobald das Problem der Produktion im großen Maßstab gelöst ist, gibt es aus der Sicht Singers auch keinen Grund mehr, warum In-vitro-Fleisch in der Produktion teurer sein sollte als herkömmliches Fleisch. Denn die Züchtung von Nutztieren verlangt nach Fütterung mit Getreide oder Soja, das angebaut und transportiert werden muss. Setzt man die Futtermittel jedoch direkt über den Prozess der In-vitro-Fleisch-Produktion in Fleisch um, sollten erhebliche Einsparungen möglich sein.
Wenn In-vitro-Fleisch also zu einem vertretbaren Preis hergestellt werden kann, gibt es laut Singer zwei wichtige ethische Gründe, herkömmliches Fleisch durch In-vitro-Fleisch zu ersetzen: das Leid der Tiere zu reduzieren und der Schutz der Umwelt. Singer betont, dass unter den Philosophinnen und Philosophen, die sich mit Tierethik befassen, ein starker Konsens herrscht, der Massentierhaltung als Missachtung ethischer Prinzipien auffasst. Weiter benennt Singer die durch die Tierhaltung bedingte Erderwärmung, die in der Zukunft zur Entstehung von hunderten Millionen Klimaflüchtlingen beitragen wird. Würde In-vitro-Fleisch herkömmliches Fleisch vollständig substituieren, würde sich der Ausstoß von Dickstickstoffoxid (ein Treibhausgas) um zwei Drittel verringern.
Abschließend führt Singer den Widerspruch einiger Vegetarier und Veganer gegen In-vitro-Fleisch an, der daraus resultiere, dass diese generell keine Notwendigkeit für Fleisch sehen. Dieser Perspektive stellt der Philosoph seine eigene Ansicht gegenüber: Für Singer ist der Verzicht auf Fleisch ein Mittel, um sowohl das Leid von Menschen als auch von Tieren zu verringern und die Erde als einen bewohnbaren Planeten für zukünftige Generationen zu erhalten. Seinen Verzicht auf Fleisch begründet er damit, dass Fleischkonsum nicht nachhaltig gestaltet werden kann und dadurch Tiere leiden. In-vitro-Fleisch jedoch ist eine leidfreie und nachhaltige Alternative. Singer selbst hat seit vierzig Jahren kein Fleisch mehr gegessen – aber wenn es In-vitro-Fleisch zu kaufen gäbe, würde er es gerne probieren.
Pflanzliche Meeresfrüchte: Shrimps aus Algen
Veröffentlicht am 22. August 2017 von Kerstin Syré
Nicht nur für Fleisch wird an einer alternativen Herstellung geforscht, sondern auch für Fisch. Vor allem Shrimps gehören mit zu den meist konsumierten und beliebtesten Meeresfrüchten und die Nachfrage in Europa, Amerika und Ostasien steigt stetig an. Die Herstellung der kleinen Krebstiere findet überwiegend in Asien in Garnelenaufzuchten statt. Laut Greenpeace besitzen die meisten dieser Aufzuchten keine geschlossenen Wasserkreisläufe, wodurch Chemikalien und Nährstoffe, welche für die Shrimpaufzucht verwendet werden, ungefiltert in die Natur gelangen. Dies hat schwerwiegende ökologische Folgen wie unter anderem die Zerstörung von Mangrovenwäldern. Doch auch die Arbeitsbedingungen der Shrimpproduktion sind verherrend. Die Associated Press berichtet in ihrem Artikel „Enslaved in Shrimp Sheds“ über sklavenähnliche Zustände, Hungerlöhne und Kinderarbeit und über Menschen, die täglich in Eiswasser Shrimps schälen, um den Bedarf an Shrimps in Restaurants und Supermärkten decken zu können.
Die zwei Amerikanerinnen Dominique Barnes und Michelle Wolf haben es sich zur Aufgabe gemacht, eine Alternative zu konventionellem Shrimp anzubieten. Im Jahr 2015 gründeten sie das Start-up-Unternehmen New Wave Foods, welches seinen Sitz in San Francisco hat. Mit neuester Technologie entwickelten die zwei Frauen rein pflanzliche Shrimps, hauptsächlich aus roten Algen und weiteren pflanzlichen Proteinen. Rote Algen sind die Nahrungsquelle von Shrimps und unter anderem für den Geschmack und die Farbe der Tiere verantwortlich. Die pflanzliche Alternative ähnelt konventionellen Shrimps auch in der Konsistenz: Sie sollen knackig, saftig und elastisch sein. Als weitere Vorteile pflanzlicher Shrimps wird aufgeführt, dass sie nicht geschält werden müssen, dass sie weniger Fett, Cholesterin- und mehr Proteinanteil enthalten, nachhaltig produziert werden und sogar für Allergiker und koscher-essende Menschen geeignet sind.
Diese neue Art von Shrimps wird bereits an die Mensen von Colleges und Universitäten sowie an Restaurants, Imbisswagen und Caterings in den USA geliefert. 2018 sollen sie außerdem im Einzelhandel und später auch weltweit vermarktet werden. Doch Shrimps sind erst der Anfang. Fisch-Filets, Tunfisch, Lachs, Hummer stehen auf dem Plan des Jungunternehmens, um – so das Ziel von New Wave Foods – einen nachhaltigeren Fischkonsum zu ermöglichen.
Psychologische Studie: Wie wir das Fleisch vom Tier trennen
Veröffentlicht am 9. Mai 2017 von Marlene Faul
Fleisch zu essen und tote Tiere zu essen – das ist für die meisten Menschen nicht das gleiche. Zwar hassen wir es, Tieren Leid zuzufügen, aber deswegen kein Fleisch mehr zu essen können sich nur die wenigsten vorstellen. Um dieses sogenannte „Fleisch-Paradox“ zu umgehen, wenden wir im Alltag bestimmte Strategien an. Eine dieser Strategien haben die Psychologen Jonas Kunst und Sigrid Hohle von der Universität Oslo in fünf Experimenten mit insgesamt über 1000 Teilnehmern aus Norwegen und den USA genauer untersucht. Das Ergebnis: Menschen neigen dazu, das Fleisch, das sie im Supermarkt kaufen, möglichst nicht mit seinem Ursprung, dem lebenden Tier, zu verbinden. Stattdessen blenden sie Gefühle der Empathie und des Ekels beim Fleischkonsum aus. Dieser Mechanismus, den die Fleischindustrie gerne für sich nutzt, nennt sich Dissoziation.
Bekämen Sie Appetit auf Lammkottelets, wenn in einer Werbung gleich neben dem präsentierten Teller voller Fleisch ein kleines Lamm herumspringen würde, das Sie direkt an die Herkunft des Fleisches erinnert? Nach der im Oktober 2016 veröffentlichten Studie „Meat eaters by dissociation“ ist die Antwort ein klares „Nein“. Nicht nur verstärkt demnach ein lebendes Tier in einer Fleischwerbung das Mitgefühl für die Tiere, es verringert auch noch die Bereitschaft der Menschen, Fleisch zu essen.
In einem weiteren der insgesamt fünf Experimente legten die Psychologen den in drei Gruppen zufällig eingeteilten Probanden jeweils Bilder von rohem Hühnerfleisch vor, welches zu unterschiedlichen Graden industriell verarbeitet wurde. Eines bildet das ganze Hühnchen ab, ein anderes ein in die einzelnen Teile wie Beine und Flügel geschnittenes Hühnchen und ein drittes gewürfeltes Hühnerfleisch. Wie von den Forschern erwartet, zeigten die Teilnehmer der Gruppe, die das Bild mit dem am weitesten verarbeitetem Fleisch zu sehen bekamen, in der anschließenden Befragung durchschnittlich weniger Mitgefühl als die anderen Gruppen. Das belegt auch ein drittes Teilexperiment, in der weitere Probanden erneut in zwei zufälligen Gruppen unterschiedlichen Situationen ausgesetzt waren: Die eine Gruppe bekam das Bild eines gerösteten Schweines mit Kopf zu sehen, die andere das gleiche Bild ohne Kopf. Neben der Empathie wurde zudem der Ekel gemessen. Auch hier entwickelten die Teilnehmer der zweiten Gruppe deutlich weniger Mitgefühl und Ekel beim Anblick des Bildes. Für sie kam außerdem seltener ein vegetarisches Gericht als Alternative infrage.
Die Befunde zeigen also: Je weniger das Fleisch an das echte Tier erinnert, desto leichter fällt den Menschen eine Dissoziation, also eine gedankliche Trennung von Fleisch und Tier. Dieser Effekt war bei denjenigen Teilnehmern ausgeprägter, deren individuelle Neigung zur Dissoziation stärker ausfiel.
Der Mechanismus lässt sich darüber hinaus auf Begriffe anwenden, die bestimmte Assoziationen bei Menschen hervorrufen. Im Englischen wird im Kontext der Fleischproduktion gerne – vor allem von der Werbebranche und Fleischindustrie – der geschönte Begriff „harvest“, welcher so viel heißt wie „ernten“, statt „schlachten“ oder „töten“ verwendet. Ähnliches gilt für die Speisekarte in Restaurants: Hier wird Schweine- bzw. Rindfleisch „pork“ und „beef“ genannt, während die eigentlichen Tiere „pig“ und „cow“ heißen. So haben Kunst und Hohle in zwei weiteren Experimenten getestet, wie Menschen auf die ungeschönten Begriffe im Gegensatz zu den Euphemismen reagieren. Die Probanden der Gruppe mit den ungeschönten Begriffen hatten im Anschluss deutlich weniger Appetit auf Fleisch und zeigten mehr Mitgefühl und Ekel, während in der anderen Gruppe verstärkte Dissoziationstendenzen zu erkennen waren.
Second International Conference on Cultured Meat in Maastricht
Veröffentlicht am 12. Oktober 2016 von Inge Böhm
Vom 9. – 11. Oktober 2016 waren Silvia und Inge aus dem VIF-Team auf der Second International Conference on Cultured Meat in Maastricht (Niederlande). Auf der Konferenz waren viele bekannte Gesichter aus der In-vitro-Fleisch-Community anwesend. Neben sehr fachspezifischen Vorträgen über Tissue Engineering, 3D-Druck und Zellkultur gab es zwei Diskussionsrunden zu der Frage, wie die Lebensmittelindustrie und Regierungen in die Entwicklung von In-vitro-Fleisch einbezogen werden können. Es diskutierten u.a. Isha Datar von New Harvest, Uma Valeti von Memphis Meats und und Abi Glencross, die am King’s College in London an In-vitro-Steak arbeitet. In der Vortragsreihe zur Konsumentenakzeptanz stellten wir unser Projekt und erste Ergebnisse unserer Experten- und Stakeholderinterviews sowie der Fokusgruppen vor. Am Abend wurden wir zur Ausstellungseröffnung der Ausstellung „Meat the Future“ im Cube Design Museum in Kerkrade (Niederlande) eingeladen. Dort werden noch bis Juni 2017 Arbeiten u.a. von Koert van Meersvort (Next Nature Network) zum Thema In-vitro-Fleisch (In Vitro Meat Cookbook) sowie bis Januar 2017 Objekte aus dem 3D-Drucker vorgestellt. Auf der Konferenz ging es vor allem um die großen Herausforderungen für ein Produktionssystem im großen Maßstab. Einige Elemente des Herstellungsprozesses müssen noch weiter erforscht werden: So ist man zum Beispiel auf der Suche nach einem geeigneten Nährmedium, das nicht tierischen Ursprungs ist sowie geeigneten Materialien für eine Umgebung (ex vivo) für die Zellen, die den Umweltbedingungen im Körper (in vivo) möglichst nahe kommt. Besonders interessant war der Vortrag eines japanischen Biohackers, der versucht, In-vitro-Fleisch mit einfachen Mitteln in der Privatwohnung herzustellen. Zu diesem Thema hat das Projekt „Shojinmeat“ sogar ein Manga-Heft für ein fachfremdes Publikum veröffentlicht.
Interessant war auch die Präsentation des The Good Food Institute, das mit drei Vorträgen sehr präsent war. Das Good Food Institute fördert Projekte und vernetzt Innovatoren, Investoren und Unternehmern, die an In-vitro-Fleisch arbeiten oder pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Milch und Eiern entwickeln. Das Good Food Institute bezeichnet In-vitro-Fleisch als „clean meat“, während New Harvest sowie Mark Post und Kollegen nach wie vor von „cultured meat“ sprechen. Wie schon im letzten Jahr wurden wir daher gefragt, weshalb wir den Begriff „In-vitro-Fleisch“ verwenden. Auch in diesem Jahr war unsere Antwort, dass „In-vitro-Fleisch“ nicht das Problem der Zweideutigkeit hat, wie etwa „kultiviertes Fleisch“. Diese Zweideutigkeit mag von den Innovatoren zwar erwünscht sein (siehe dazu den Artikel von Isha Datar in „Food Phreaking“), aber für unser Forschungsprojekt passt der Begriff „In-vitro-Fleisch“ am besten. Er weist auf die Art und Weise der Herstellung hin und ist daher ein technischer Begriff, der eher neutral-beschreibend ist. Ob er eine abschreckende Wirkung auf potentielle Kunden haben wird, spielt für unsere Forschung momentan keine Rolle. Alles in allem haben wir wieder einmal einen guten Überblick über die In-vitro-Fleisch-Community bekommen, was uns im weiteren Projekt weiterhelfen wird, wenn es darum geht, die Visionen der Innovatoren zu untersuchen.
Shojinmeat Project – Biohacking im Badezimmer
Veröffentlicht am 27. Oktober 2016 von Silvia Woll
Auf der 2. International Conference on Cultured Meat konnte das VIF-Team eine spannende Präsentation verfolgen: Shojinmeat Project hat seine Arbeit vorgestellt. Shojinmeat Project ist eine japanische NPO (Non Profit Organization), die es sich zum Ziel gesetzt hat, In-vitro-Fleisch kostengünstig im großen Maßstab produzierbar zu machen. Derzeit besteht Shojinmeat aus fünf Biohackern, einem Chemiker, zwei Beratern und mehreren ExpertInnen aus Soziologie und Anthropologie. Unter Biohackern versteht man (nicht unbedingt ausgebildete) BiologInnen, die im eigenen Zuhause oder in selbst aufgebauten Laboren sozusagen in Eigenregie Versuche mit biologischen Prozessen durchführen. Unterstützt werden sie von einigen engagierten Studierenden, KünstlerInnen und AutorInnen. Das Interesse des Teams geht aber weit über In-vitro-Fleisch hinaus: von regenerativer Medizin bis hin zu Landwirtschaft im Weltraum. Gemeinsam mit anderen NPOs stehen sie im Dialog mit der Öffentlichkeit, um eine cellular agriculture aufzubauen, eine Landwirtschaft auf der Basis von Zellforschung, die im Labor und nicht mehr auf Feldern stattfindet.
Da Fleischkonsum der Umwelt schadet, aber global immer weiter ansteigt, arbeitet das Shojinmeat-Team an der Entwicklung von Zellkulturen im industriellen Maßstab. Die größte Schwierigkeit besteht aus ihrer Sicht darin, die Zellkulturen zu einem erschwinglichen Preis herzustellen. Daher konzentriert sich Shojinmeat derzeit auf die Entwicklung von billigem Nährmedium und darauf, den Kultivierungsprozess der Zellen effizient zu machen. Dafür besetzen die Biohacker auch mal das heimische Badezimmer, um an der Herstellung von Hefe als Nährmedium aus gewöhnlichem Hundefutter zu arbeiten.
Shojinmeat kann bereits auf einige Erfolge verweisen. Beispielsweise ist es ihnen gelungen, die Kosten für das Nähmedium zur Herstellung von 100g Leberzellen von 400.000$ auf 4.000$ zu reduzieren, indem sie die Zellen in einem System kultiviert haben, das den In-vivo-Prozess simuliert. Durch zusätzlichen Austausch des ursprünglichen Nährmediums durch das eigene, serumfreie Nährmedium, konnten die Kosten sogar auf 600$ gesenkt werden. Derzeit arbeitet das Team an der Überprüfung der Reproduzierbarkeit, Wiederholbarkeit etc.
Das Nährmedium ist ein großer Kostenfaktor bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch. Das aktuelle Ziel von Shojinmeat ist es, die Kosten um einen dreistelligen Bereich zu reduzieren – doch für diese radikale Veränderung muss eine neue Methode her. Das Teure am Nährmedium ist das fötale Kälberserum, das außerdem auch anfällig für bestimmte Krankheitserreger ist. In Versuchen haben Shojinmeat gezeigt, dass das von ihnen entwickelte serumfreie Nährmedium funktioniert. Allein dadurch konnten die Kosten schon auf ein Sechstel reduziert werden. Shojinmeat forschen weiter daran, es noch billiger werden zu lassen – und daran, Wachstumsfaktoren billig oder sogar überflüssig werden zu lasssen.
Shojinmeat arbeitet aber natürlich auch an dem, was sie das„ultimative Ziel“ nennen: die Kultivierung von Muskelzellen, woraus schlussendlich In-vitro-Fleisch entstehen kann. Einige der Resultate aus dieser Forschung sind sogar in ein Mangacomic umgesetzt worden, das aber leider nur auf Japanisch erhältlich ist.
Spiegel-Titelstory über Fleisch: Probleme und Zukunftsvisionen
Veröffentlicht am 14. März 2017 von Marlene Faul
„Gewissensbissen“ heißt die 8. Ausgabe 2017 des Magazins Der Spiegel, das seine Titelstory dem Thema Fleisch gewidmet hat. Auf zehn Seiten informieren die Redakteure über Probleme verbunden mit der Fleischproduktion und dem Fleischkonsum. Und sie wagen einen Blick in die Zukunft: Wie werden die 9,7 Milliarden Menschen satt, die 2050 voraussichtlich auf der Erde leben? Spiegel führte dazu unter anderem ein Gespräch mit Patrick O. Brown, dem Chef der kalifornischen Firma Impossible Foods, welche Fleisch mithilfe rein pflanzlicher Inhaltsstoffe perfekt nachahmen will.
Der Spiegel: Viele Probleme mit der Viehindustrie
Zu viel Fleisch fördert Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Rotes Fleisch wurde von der Weltgesundheitsorganisation Ende 2015 sogar als krebserregend eingestuft. Aber nicht nur das, die Fleischproduktion führt auch zu enormen Klimaschäden: etwa 18% der durch Menschen verursachten Klimagase entstehen bei dem Prozess der Herstellung. Da die Zahl der Menschen immer weiter steigt, könnte bis 2050 „der globale Fleischbedarf um weitere 48 Prozent ansteigen“, wie der Spiegel in seiner Ausgabe Mitte Februar berichtet.
In China, wo etwa die Hälfte der Schweine weltweit produziert wird, verabschiedete die Regierung vor einigen Monaten neue Ernährungsrichtlinien. Sie fordert eine Halbierung des Fleischkonsums, um die gesundheitlichen Probleme der Bevölkerung zu senken.
Ein enormes Problem stellt auch die zunehmende Zerstörung des Amazonasgebiets in Brasilien dar. Schuld am Verschwinden des Urwalds sind neben dem Sojaanbau vor allem die Rinderzuchten, die dort größtenteils für den Export aufgezogen werden. Denn jedes Jahr werden mehr und mehr Waldgebiete abgeholzt, um diese für Weidefläche und Ackerland nutzen zu können. Der Staat sieht weg, die Justiz und Umweltbehörden werden von vielen Farmern bestochen.
Die Forschung an nachhaltigen Alternativen
Zahlreiche Experten und Umweltaktivisten fordern deshalb einen Umstieg auf Alternativen zu herkömmlichem Fleisch. Patrick O. Brown ist einer davon. In seiner Firma Impossible Foods mit Sitz in Redwood City bei San Francisco analysiert er mit seinem Team seit fünf Jahren die molekulare Zusammensetzung von Fleisch, um herauszufinden, was es für den Menschen so attraktiv macht. „Pflanzenbasiertes Fleisch“ nennt Brown den Burger, den sie aus Zutaten wie Kartoffeleiweiß, Sojaprotein und Leghämoglobin aus Hülsenfrüchten entwickelt haben, um damit herkömmliches Fleisch zu ersetzen. „Am wichtigsten ist der Geruch nach Blut“, erzählte er dem Spiegel. Und für diesen Geruch ist der Blutfarbstoff Hämoglobin verantwortlich, der in Fleisch viel enthalten ist. Mit Genen aus der Sojapflanze, die seine Mitarbeiter und er in Hefezellen eingeschleust haben, stellen sie pflanzliches Hämoglobin als entscheidende Zutat für den Burger her. Auch andere „Fleischsorten“ will Impossible Foods auf diese Weise entwickeln und bald weltweit verkaufen.
Auch den Forscher Mark Post von der Universität Maastricht haben die Spiegel-Redakteure getroffen. Er stellte 2013 den ersten In-vitro-Fleisch-Burger der Welt vor. Das aus wenigen Muskelstammzellen in einem Bioreaktor gezüchtete Stück Hackfleisch mit einem Gewicht von 120 Gramm kostete damals noch 250.000 Dollar. Heute, vier Jahre später, liegt der Preis für 1 Kilogramm In-vitro-Hack laut Post nur noch bei 75 Dollar. Bioreaktoren mit einem Fassungsvermögen von 250.000 Liter, dessen Bau Post bereits plant, würden den Preis noch weiter senken und könnten „10.000 Menschen jährlich mit Fleisch versorgen“. In Posts Zukunftsvision würden nur noch wenige Tiere als Zellspender nötig sein, um weltweit Menschen mit Eiweiß versorgen zu können.
Markus Wolter von der Umweltorganisation WWF Deutschland hingegen fordert, das Rind wieder auf die Weiden zu lassen. Da Rinder Wiederkäuer sind, könnte so brachgelegenes Grasland wieder nutzbar gemacht werden, ohne mit dem Anbau von Nahrungspflanzen zu konkurrieren. Gleichzeitig würde Rindfleisch nur noch als teureres Bioprodukt angeboten werden; wer günstige Alternativen sucht, fände sie dann in den Fleischersatzprodukten.
Die Hauptaussage des Spiegel-Artikels: Die Menschen müssen ihren Fleischkonsum dringend reduzieren und auch in der Fleischindustrie muss sich möglichst bald einiges ändern. Ideen für Alternativen sind vorhanden. Die Frage ist nur, ob sich eine dieser Visionen in der Zukunft durchsetzen wird.
TATuP-Artikel: In-vitro-Fleisch als nachhaltige Lösung?
Veröffentlicht am 2. Mai 2016 von Inge Böhm
Ende April wurde die erste Ausgabe 2016 der Zeitschrift des ITAS „Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis (TATuP)“ veröffentlicht. Darin stellt Inge Böhm unser Projekt „Visionen von In-vitro-Fleisch“ vor und geht dabei auf die Ziele und Aufgaben des Projektes sowie aktuelle Herausforderungen ein. Die TATuP ist eine wissenschaftliche Zeitschrift, die sich nicht nur an Wissenschaftler, sondern auch an Interessierte aus Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft richtet. Jede Ausgabe hat ein aktuelles Forschungsthema der Technikfolgenabschätzung (TA) als Schwerpunkt. Des Weiteren werden Ergebnisse aus TA-Projekten, neue Projekte, TA-Konzepte und Institutionen sowie Publikationen vorgestellt.
In-vitro-Fleisch wird von seinen Innovatoren als eine nachhaltige Lösung für die erheblichen Probleme, die mit der Produktion und dem Konsum von Fleisch einhergehen, präsentiert. In dem Projekt „Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) – Analyse der technischen und gesamtgesellschaftlichen Aspekte und Visionen von In-vitro-Fleisch“ möchten wir untersuchen, welche Vorstellungen einer zukünftigen Ernährung die gegenwärtige Forschung an und Entwicklung von In-vitro-Fleisch prägen. Da es sich um eine Innovation in der frühen Phase des Innovationsprozesses handelt, bleiben viele Fragen offen. Sie betreffen neben naturwissenschaftlichen und technischen Herausforderungen auch ethische, kulturelle, soziale und politische Aspekte, die wir im Rahmen des Projekts näher beleuchten wollen.
UBA: Fleischkonsum belastet Umwelt
Veröffentlicht am 20. Januar 2016 von André Thielen
Das Umweltbundesamt (UBA) veröffentlichte im Oktober 2015 eine Broschüre zum Thema „Umwelt, Haushalte und Konsum“. Gegenstand sind statistisch gesammelte Daten, die den Zusammenhang von Umweltbelastungen und dem Konsumverhalten in den alltäglichen Lebensbereichen ‚Mobilität‘, ‚Wohnen‘ und auch ‚Ernährung‘ widerspiegeln. In Letzterem gelte es vor allem auf eine Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen hinzuarbeiten. Diese könne auch der einzelne Haushalt beeinflussen, wie Maria Krautzberger, Präsidentin des UBA, anmerkte: „Wer einen Beitrag zum Klimaschutz leisten möchte, hat durch eine bewusste Ernährung gute Möglichkeiten“ dazu.
Zwar geht in Deutschland der Trend zu weniger Fleischkonsum – 2013 wurden rund 200.000 Tonnen weniger Fleisch konsumiert – jedoch hat sich die inländische Fleischproduktion dadurch nicht reduziert. Im Gegenteil: Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Export von marktfähigem Fleisch um 256 Prozent und damit auch dessen Inlandserzeugung um ein Vielfaches. Dabei belastet vor allem die Produktion tierischer Produkte in hohem Maße die Umwelt. Das UBA verdeutlicht die negativen Folgen aus der Flächennutzung sowie dem hohen Wasser- und Energieverbrauch für die Herstellung von Lebensmitteln und den daraus resultierenden Treibhausgas-Emissionen. So hat beispielsweise der Rückgang von Grünland – das vermehrt als Ackerland für die Futtermittelerzeugung umgenutzt wird – Artenverlust, Nitratauswaschung und Erosionsgefahr zur Folge. Am schwersten für die Umweltbelastung wiegt bei der Produktion tierischer Nahrungsmittel aber der Ausstoß der Treibhausgase Methan, Lachgas und Kohlendioxid. Maßgeblich sind dabei vor allem die Produktion und Verarbeitung tierischer Produkte, deren Treibhausgas-Emissionen wesentlich höher ausfallen als die pflanzlicher Nahrungsmittel (siehe Tabelle). Je nach Produkt – etwa bei aus Übersee importierten Erdbeeren – spielen diesbezüglich aber auch die Nahrungsmitteltransporte eine tragende Rolle.
Was können wir ändern? – UBA rät zum Umdenken
Das Umweltbundesamt sieht – vor allem aufgrund des Klimawandels – ein Umsteuern im Agrar- und Ernährungssektor als notwendig an und ruft dazu auf, nachhaltige Alternativen in Nahrungsmittelproduktion und -konsum zu suchen:
„Ziele sind die Reduzierung des Verbrauchs tierischer Produkte, insbesondere Fleisch sowie Verminderung der Nahrungsmittelverschwendung. Eine ökologische, klimagerechte Ernährung soll durch ökonomische und steuerliche Instrumente privilegiert werden. Dies bedeutet, dass für umwelt- und klimaschädliche Produkte und Verfahren die Mehrwertsteuer erhöht oder entsprechende Steuern erhoben werden sollten.“
Neben der Forderung politischer Maßnahmen appelliert die Broschüre des UBA aber vor allem auch an die Vernunft der Bürger und ruft zu einem nachhaltigeren Konsumverhalten auf. Vor allem tierprodukthaltige Speisen sollen mit Blick auf den Klimawandel reduziert werden. Außerdem gilt es, weniger Lebensmittel zu verschwenden, die oftmals nicht genutzt und weggeworfen werden.
Über Fleisch ohne Tiere: Ein Podiumsgespräch wichtiger Akteure
Veröffentlicht am 13. Juni 2017 von Marlene Faul
Im Januar dieses Jahres trafen sich auf einer Podiumsdiskussion in den USA wichtige Akteure zu In-vitro-Fleisch und Tierschutz. Das McCoy Family Center for Ethics in Society der Universität Stanford organisierte die Veranstaltung und stellte dafür ein fünfköpfiges Expertenteam aus verschiedensten Bereichen zusammen. Naomi Starkman, Chefredakteurin der Nachrichtenquelle Civil Eats, moderierte durch den Abend. An ihrer Seite saßen Paul Shapiro, der Vizepräsidenten der Tierschutzorganisation Human Society of the United States und Uma Valeti, der Generaldirektor des US-Start-ups Memphis Meats. Zudem sprachen die Philosophin Cor van der Weele von der niederländischen Universität Wageningen sowie der Geschäftsführer der Non-Profit-Organisation The Good Food Institute, Bruce Friedrich.
Die Experten brachten während des Podiumsgesprächs interessante Einblicke in diverse Perspektiven zur sogenannten „zellularen Landwirtschaft“ (cellular agriculture) – der Produktion landwirtschaftlicher Produkte aus Zellkulturen, darunter die Herstellung von Fleisch, Milch, Eiern und Leder. Im Verlauf der Diskussion wurde das Publikum eingebunden und ihm die Möglichkeit gegeben, einige Fragen zu stellen.
Wie reagiert die Gesellschaft auf In-vitro-Fleisch? Wird sie In-vitro-Fleisch als Alternative akzeptieren und regelmäßig konsumieren? Ein Großteil der Beiträge der Experten drehte sich um diese Fragen. Cor van der Weele klärte über ihr Forschungsthema zur Ambivalenz der Menschen hinsichtlich Fleischkonsum auf. Sie sprach darüber, wie Menschen auf der einen Seite vehement auszublenden versuchen, woher ihr Fleisch stammt und wie es hergestellt wird, und gleichzeitig große Bedenken haben, was die Welternährung angeht.
Uma Valetis Start-up Memphis Meats stellt bereits in kleinen Mengen In-vitro-Fleisch her und möchte es bald auf einem weltweiten Markt etablieren. Zusammen mit Bruce Friedrich setzt er sich dafür ein, dass die Gesellschaft einer kommerziellen Verbreitung von In-vitro-Fleisch positiv gegenübersteht. Beide möchten mit potentiellen gesundheitlichen, ökologischen sowie tierethischen Vorteilen von In-vitro-Fleisch gegenüber herkömmlichem Fleisch überzeugen. Die zwei Experten zeigten sich äußerst optimistisch, was die zukünftige Entwicklung angeht. Valeti sieht beispielsweise eine Zukunft, in der der Prozess der Produktion von Nahrungsmitteln transparenter wird:
“I truly believe that transparency of the food production process is going to be the norm and everyone is going to start asking where the food came from. And that is going to shine light on what people have always taken for granted.” – Uma Valeti
Paul Shapiro von der Human Society of the United States, der größten Tierschutzorganisation der Welt, erläuterte, warum es eine Veränderung in der heutigen Nutztierhaltung geben muss. Er fordert eine nachhaltigere und gleichzeitig realistische Art der Fleischherstellung, wobei er in In-vitro-Fleisch eine gute Lösung sieht. Ein weiterer Aspekt des Abends war die Frage nach der Regulierung und Kontrolle des Staates. Paul Shapiros Tierschutzorganisation etwa kämpft dafür, neue Produktionsstandards einzuführen und die Preise für Fleisch zu erhöhen, um das Leiden der Tiere zu verringern.
Abgesehen von der Podiumsdiskussion organisierten die Veranstalter einen Workshop, der einigen Studenten der Universität Stanford die Möglichkeit gab, mit den Experten persönlich ins Gespräch zu kommen.
Weitere Informationen zu den Experten können Sie auf der VIF-Seite über die Akteure zu In-vitro-Fleisch nachlesen.
VIF im Zukunftsraum: Vortrag und Diskussion
Veröffentlicht am 4. April 2017 von Marlene Faul
Am 30. März 2017 hielt das VIF-Team im Zukunftsraum für Nachhaltigkeit und Wissenschaft in der Karlsruher Oststadt einen Vortrag, um interessierte Bürgerinnen und Bürger über In-vitro-Fleisch zu informieren. Auch in der anschließenden Diskussion wurden viele spannende Aspekte zur Sprache gebracht. Der Zukunftsraum ist eine Initiative der ITAS-Projekte Quartier Zukunft – Labor Stadt und Reallabor 131 – KIT findet Stadt.
Wie die Welt mit In-vitro-Fleisch einmal aussehen könnte
„Als um 8.00 Uhr der Wecker klingelt, startet Tim in einen ganz normalen Tag wie jeden anderen.“ So beginnt das Zukunftsszenario, mit dem VIF zu Anfang des Vortrags die Aufmerksamkeit der Zuhörenden einfing. „Tim fährt auf dem Weg zur Uni an der Gemeinschaftswiese vorbei und geht die Schweine füttern. (…) Es ist schon lange völlig normal, dass jede Kommune auf einer hübschen Grünfläche irgendwo recht zentral in der Stadt oder im Dorf die eigenen Schweine hält, die von den Anwohnern umsorgt werden. Die Schweine sind in das Leben der Menschen integriert wie Haustiere. (…) Tim studiert Technikgeschichte. Über die Inhalte des heutigen Seminars, die Entwicklung der Fleischproduktion und des Fleischkonsums, kann er nur den Kopf schütteln. Die Professorin berichtet vom frühen 21. Jahrhundert, was eigentlich noch gar nicht so lange her ist. Ist es wirklich wahr, dass Tiere damals massenweise zusammengepfercht und gemästet wurden, dass sie wie leblose Produkte behandelt wurden, nur zu dem Zweck, vom Menschen gegessen zu werden? Und dass es sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich völlig legitim war, sie leiden zu lassen? Tim ist froh, dass das vor seiner Zeit passiert ist und es solche Praktiken heutzutage nicht mehr gibt.“
Dies sind Ausschnitte des Beispielszenarios von VIF, das schildert, wie die Zukunft aussehen könnte, wenn In-vitro-Fleisch sich durchsetzen würde. Das Szenario enthält auch Erzählungen über einen Bioreaktor in der eigenen Küche, in dem Fleisch mit individualiserten Zusatzstoffen gezüchtet werden kann. Oder über sogenannte „Meathacker“, die sich vereinigen, um mit Fleisch aus menschlichen Stammzellen zu experimentieren.
Chancen und Risiken: Eine spannende Diskussion
Im weiteren Verlauf stellten die Vortragenden den Herstellungsprozess vor, fassten Argumente von Wissenschaftlern und Experten der Technologie zusammen und erläuterten den Stand der Forschung. Anschließend sollten die Anwesenden für sich aufschreiben, was sie über In-vitro-Fleisch denken.
Auch ökologische, gesundheitliche und tierethische Aspekte ließ VIF nicht aus. Ist die Herstellung von Fleisch aus dem Labor gegenüber der herkömmlichen Fleischproduktion wirklich umweltfreundlicher und der Konsum gesünder? Und werden Tiere tatsächlich einmal zu gleichbehandelten Wesen und als „Haustiere“ gehalten, wie es im Zukunftsszenario vorgestellt wurde, oder werden sie doch nur als „Lieferanten“ von Stammzellen ausgenutzt, wie es einige Vertreter von Tierrechten befürchten? Als das VIF-Team weitere Visionen und Meinungen über die Zukunft der Ernährung aus ihren Experteninterviews und Fokusgruppen vorbrachte, wurde deutlich: Die beste Lösung wäre es, den allgemeinen Fleischkonsum um mindestens 50 Prozent zu reduzieren, um von der Massentierhaltung wegzukommen – doch diese Vision wird von vielen In-vitro-Fleisch-Forschern und -Befürwortern als unrealistisch angesehen. Sie sehen die In-vitro-Fleisch-Technologie von daher als die bestmögliche Alternative an.
Nach dem Vortrag wurde das Publikum noch einmal gefragt, was es nun über In-vitro-Fleisch denkt. Einige berichteten, sie seien jetzt noch skeptischer als vorher, da von Innovatoren und Akteuren vieles versprochen wird, das noch nicht genau erforscht wurde.
Die Diskussion beleuchtete viele interessante Aspekte: Was würde in Zukunft mit anderen tierischen Produkten wie Milch und Eiern passieren, für die die Tiere auch in der Massentierhaltung gehalten werden? An einer Lösung hierfür arbeiten Start-ups wie New Harvest und Modern Meadow, die auch diese Produkte künstlich herstellen wollen, um den gesamten Bereich abzudecken. Ein weiterer Gast fragte sich, ob In-vitro-Fleisch mit zusätzlichen Nährstoffen denn wirklich gesünder sein würde, da die tatsächlichen Auswirkungen des Verzehrs von In-vitro-Fleisch noch unklar sind. Auch über ökologische Aspekte und gesellschaftliche Akzeptanz wurden Meinungen ausgetauscht. Die meisten Anwesenden fanden es sehr wichtig, dass an Alternativen für die Massentierhaltung geforscht wird, konnten sich aber nicht vorstellen, das von ihnen als „unnatürlich“ empfundene In-vitro-Fleisch einmal regelmäßig zu essen.
VIF zu Gast bei der veganen Hochschulgruppe des KIT
Veröffentlicht am 6. Juli 2016 von Silvia Woll
Dr. Arianna Ferrari, Leiterin des Projekts Visionen von In-vitro-Fleisch (VIF) am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), hielt auf Einladung der Veganen Hochschulgruppe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen Vortrag über In-vitro-Fleisch. Dabei sprach sie über die Herstellungsverfahren, die Visionen und Beweggründe der Innovatoren, die damit verbundenen Chancen und Risiken und natürlich über die ethischen Fragen, die damit einhergehen. Im Anschluss an den Vortrag entstand eine rege Diskussion, aus der sich sowohl Interesse als auch Skepsis heraushören ließ. Insbesondere die Frage nach der tatsächlichen Machbarkeit der Innovation sowie nach der ethischen Problematik des fetalen Kälberserums wurde debattiert.
Wahrnehmung ‚zellularer Landwirtschaft‘: Fokusgruppen in den USA
Veröffentlicht am 27. März 2017 von Inge Böhm
Die Non-Profit-Organisation New Harvest und das Environmental Law Institute haben die Durchführung von zwei Fokusgruppen über „Percpetions of Cellular Agriculture“ (Wahrnehmungen zellularer Landwirtschaft) beauftragt. Die Fokusgruppen wurden von Hart Research Associates geplant und durchgeführt. Fokusgruppen sind eine Methode der qualitativen Sozialforschung, bei der sich die Teilnehmer in einer Gruppendiskussion über ein festgelegtes Thema unterhalten. Die Diskussion wird von einem Moderator geleitet, damit bestimmte Aspekte des Themas nicht zu kurz kommen, ansonsten ist das Gespräch aber offen.
Focus groups are very useful in getting a window into how a (…) audience reacts to certain ideas, what they bring to the table in terms of other views and impressions, how do they respond to ideas and how do they interact with each other. Abigail Davenport (Hart Research Associates)
In unserem Projekt wurden im September 2016 ebenfalls zwei Fokusgruppen durchgeführt.
Wieso eigentlich „cellular agriculture“ und „cultured meat“? Die Begriffe werden überwiegend von New Harvest verwendet. Zellulare Landwirtschaft umfasst die Produktion landwirtschaftlicher Produkte aus Zellkulturen. Dafür werden die Gene entweder in Bakterien eingesetzt, die das Protein dann produzieren (wie es bereits bei der Insulin-Herstellung gemacht wird). Oder es werden Produkte (wie Fleisch oder Leder) aus Zelllinien hergestellt, indem diese in einem Nährmedium zu Geweben herangezüchtet werden.
So fördert New Harvest nicht nur die Forschung an und Entwicklung von In-vitro-Fleisch, sondern auch die Herstellung von Milch ohne Kuh und Eiern ohne Huhn. Zum Begriff „cultured meat“ hat Isha Datar einen kleinen Artikel veröffentlicht, über den wir in unserem Blog berichtet haben.
Ablauf der Fokusgruppen
Die beiden Fokusgruppen wurden im Dezember 2016 in Baltimore (Maryland, USA) mit je 10 Teilnehmern durchgeführt. Eine Gruppe bestand aus Personen mit Hochschulabschluss (non-college-educated), die andere Gruppe aus Personen ohne Hochschulabschluss (college educated). Zum Einstieg stellte der Moderator allgemeine Fragen zur Wahrnehmung wissenschaftlicher Entwicklungen und technologischer Innovationen in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung. Beispielsweise sollten die Teilnehmer darüber sprechen, ob sie diesen Entwicklungen eher optimistisch und erwartungsvoll oder eher pessismistisch und beunruhigt gegenüber stehen. In einem weiteren Schritt ging es um freie Assoziationen mit den Begriffen „cellular agriculture“ und „cultured meat“. Der Forscher fragte danach, ob die Teilnehmer bereits etwas von beidem gehört haben, was sie darüber wissen, welche Bilder und Gedanken sie damit verbinden und ob sie eine Idee davon haben, was zellulare Landwirtschaft oder kultiviertes Fleisch ist.
Im Anschluss wurden beide Begriffe mit Anwendungsbeispielen erläutert. Die Gruppen sollten sich dann unter anderem dazu äußern, wie sie nun der zellularen Landwirtschaft und kultiviertem Fleisch gegenüberstehen und welche Vor- und Nachteile sie sehen. Die Teilnehmer wurden auch gefragt, was sie glauben, bis wann kultiviertes Fleisch im Supermarkt oder in Restaurants erhältlich sein wird.
Danach stellte der Forscher mögliche Chancen vor und die Teilnehmer sollten beurteilen, welche der Argumente sie für wichtig und überzeugend; welche sie für weniger wichtig und nicht glaubwürdig einschätzen. Ebenso wurde mit möglichen Risiken verfahren.
Anschließend diskutierten die Gruppen darüber, welche Institutionen aus ihrer Sicht die Entwicklung zellularer Landwirtschaft regulieren sollten: Staatliche Institutionen, Unternehmen, Industriegruppen, Universitäten, Non-Profit-Organisationen oder Konsumentenverbände? Welcher dieser Institutionen würden die Teilnehmer am ehesten zutrauen, mit möglichen Risiken dieser Technologie umgehen zu können? Am Ende des Gesprächs sollten die Teilnehmer noch einmal ihren Standpunkt zur zellularen Landwirtschaft darlegen und beschreiben, mit welchem Gefühl sie aus der Diskussion gehen. Den vollständigen Ablauf können Sie im Skript nachvollziehen.
Wichtigste Ergebnisse
Der Begriff „zellulare Landwirtschaft“ war den Teilnehmern der Fokusgruppen nicht geläufig. Sie haben dennoch Vermutungen angestellt, was mit dem Begriff gemeint sein könnte. Sie assoziierten ihn unter anderem mit: Menschengemacht, gentechnisch veränderten Organismen und Handys. Positive Überlegungen betrafen die Möglichkeiten der Wissenschaft, die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen. Dahingegen waren einige Teilnehmer auch besorgt, ob zellulare Landwirtschaft vom Wesentlichen beziehungsweise Ursprünglichen wegführt (etwa dem Wachsen von Pflanzen in der Erde) und langfristig negative Folgen haben könnte.
Auch der Begriff „kultiviertes Fleisch“ war unbekannt, jedoch war es einfacher, sich etwas darunter vorzustellen. Die erste Reaktion war eher abwehrend; der Begriff wurde als unsymphatisch empfunden und mit verarbeitetem Fleisch, Konservierungsstoffen und Gentechnik in Verbindung gebracht. Das Konzept bezeichneten einige Teilnehmer auch als unappetitlich. Der Begriff „clean meat“ wurde bevorzugt.
Nachdem eine Definition von zellularer Landwirtschaft gegeben wurde, formulierten die Teilnehmer mögliche Chancen, wie etwa den Beitrag zur zukünftigen Versorgung mit Nahrungsmitteln in Entwicklungsländern, die Eliminierung von Zoonosen (z.B. BSE), die Reduktion von Tierquälerei sowie die Verringerung des ökologischen Fußabdruckes durch effizientere Produktion. Als Risiken wurden u.a. die Unnatürlichkeit, langfristige und unvorhergesehene Auswirkungen (etwa auf die menschliche Gesundheit), Geschmack und der Verlust von Arbeitsplätzen im Landwirtschaftssektor und der Fleischverarbeitung genannt. Interessant ist auch die Annahme, dass es sich in Zukunft vielleicht nur die Reichen leisten könnten, echtes Fleisch zu essen.
Bereits jetzt werden Verfahren angewendet, die unter den Begriff „zellulare Landwirtschaft“ fallen – so etwa die Herstellung von Insulin (für Diabetiker) sowie die Ersetzung tierischer Produkte. Die Teilnehmer waren gegenüber der labortechnischen Herstellung von nicht essbaren tierischen Produkten (Leder, Pelz) offener als gegenüber essbaren tierischen Produkten (Fleisch, Milch, Eier). Gerade genetisch modifizierte Bakterien, die Milch herstellen (wie es etwa das Start-up Perfect Day versucht), wurden kontrovers diskutiert: Bedenken gab es bezüglich der Sicherheit, Textur und des Geschmacks dieser Produkte. Trotzdem konnten sich die Teilnehmer die Herstellung von Milch im Labor besser vorstellen als die von Fleisch. Jedoch waren sie besorgt, ob solche Produkte in Zukunft ausreichend beschriftet werden würden. Gleichzeitig waren beide Gruppen hoffnungsvoll bezüglich der Vorteile dieser Technologien eingestellt.
Einig waren sich die Gruppen auch bei der Frage, welche Institutionen die Entwicklung der Zellulären Landwirtschaft regulieren sollten. Alle Institutionen, vor allem aber staatliche und wissenschaftliche Einrichtungen und Konsumentenverbände, seien wichtig und sollten sich gegenseitig kontrollieren.
Insgesamt urteilten die Teilnehmer am Ende der Gruppendiskussion über die zelluläre Landwirtschaft überwiegend neutral, nachdem sie die Chancen und Risiken abgewogen hatten. Dennoch blieb ein deutlicher Wunsch nach genauerer Erforschung der möglichen Risiken zurück, vor allem aufgrund unvorhersehbarer Folgen.
Zwar wurde betont, dass die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können, da die untersuchten Gruppen zu klein waren. Dennoch konnten die Forscher von Hart Research Associates wichtige Schlüsse aus den Fokusgruppen darüber ziehen, wie sie mehr Akzeptanz der zellulären Landwirtschaft in der Gesellschaft erreichen können: Nicht nur sei es wichtig, der Öffentlichkeit einen Überblick über den Herstellungsprozess der Produkte zu geben, sondern auch die Chancen und Risiken der Technologie transparent darzulegen. Dazu gehört auch, die Öffentlichkeit genauer über die Produktion von herkömmlichem Fleisch aufzuklären. Zudem möchte die Gesellschaft auch in Zukunft weiterhin die Wahl haben, auch Fleisch von Nutztieren essen zu können, ohne dass es eine Frage des Geldes ist.
Die wichtigsten Ergebnisse wurden auch in einem Video festgehalten (27 Minuten): Key Findings (Video)
Zellbiologische Probleme bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch
Veröffentlicht am 7. September 2017 von Kerstin Syré
Beitrag von Kerstin Syré im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums bei VIF (August 2017)
In-Vitro-Fleisch: eine Alternative?
Ob In-vitro-Fleisch (IVF) sich als eine Alternative für den kommerziellen Fleischkonsum behaupten kann, wird sich erst in den nächsten Jahren feststellen lassen. Denn nicht nur gesellschaftliche Bedenken stehen diesem neuen Produkt noch im Weg, sondern ebenso der Herstellungsprozess, für den es Problemstellungen zu lösen gilt. Aber wie genau wird In-vitro-Fleisch hergestellt? Wäre eine detaillierte, leicht verständliche Beschreibung dieses Prozesses hilfreich, um der Bevölkerung die Angst zu nehmen, etwas im Labor Entwickeltes zu essen? Im Folgenden werden einzelne Aspekte des bisherigen Stands der Forschung zum Thema IVF und dessen Herstellungsweise erläutert.
In-Vitro-Fleisch: ein völlig tierfreies Produkt?
Bei dem meisten Fleisch, das konsumiert wird, handelt es sich um Muskelfleisch von Tieren. Um eine gleichartige Alternative zu diesem Muskelfleisch anzubieten, wird mit Muskelzellen gearbeitet. Hierfür werden dem Tier mittels Biopsie Zellen des Muskelgewebes entnommen. Das geschieht meistens unter lokaler Anästhesie und ist deshalb ein schmerzfreier Prozess. Nun gilt es, die Zellen wachsen zu lassen. Hierfür werden sie in einem geeigneten Nährmedium kultiviert, was in so genannten Bioreaktoren stattfindet. Bioreaktoren sind Behälter, in denen sich Mikroorgansimen, Zellen und Pflanzen vermehren; bekannte Beispiele sind Kläranlagen oder auch Brauereien und Weinerzeugungsbetriebe. Unter ganz bestimmten ausgewählten Bedingungen wie z.B. Temperatur, Sauerstoffgehalt und pH-Wert vermehren sich die Zellen, was man auch Proliferation nennt. Die Herausforderung besteht darin, die Zellen anschließend zu einem fleischähnlichen Produkt zu verarbeiten.
Zellbiologische Grundlagen der Produktion von IVF
Es gibt verschiedene Ansätze, welche Zellarten sich am besten für die Herstellung von IVF eignen. Die bisher 3 erfolgversprechenden Zellarten sind embryonale Stammzellen, Myosatelliten und sogenannte iPS-Zellen (induced pluripotent stem cells).
Bei all diesen Zellarten handelt es sich um eine Art von Stammzellen. Stammzellen werden je nach ihrem Differenzierungsgrad in 4 Stadien eingeteilt, wobei nochmals zwischen embryonalen und adulten Stammzellen unterschieden wird. Zu den embryonalen Stammzellen gehören die sogenannten „totipotenten“ (lat. „totus“ für „ganz“) oder auch „omnipotenten“ (lat. „omnis“ steht für „alles“) Stammzellen. Diese Zellen können sich noch zu jedem Zelltyp aus differenzieren. Pluripotente Stammzellen (lat. „plus“ für „mehr“) dagegen können sich nur in die drei Keimblätter Ektoderm, Endoderm und Mesoderm entwickeln. Keimblätter entstehen bei der Gastrulation eines Embryos und sind die erste Differenzierung in verschiedene Zellschichten. Anschließend entwickeln sich aus diesen drei Keimblättern Gewebe und Organe. Zu den adulten Stammzellen gehören die multipotenten Stammzellen (lat „multus“ für „viel“), welche sehr eingeschränkt sind in ihrer Entwicklung. Sie befinden sich zum Beispiel im Knochenmark oder im Darm. Unipotente (lat. „uni“ für eins) Stammzellen sind am wenigsten frei in ihrer Entwicklung. Sie können sich nur noch zu einem bestimmten Zelltyp ausdifferenzieren.
Stammzellen haben den entscheidenden Vorteil, dass sie in den meisten Fällen eine unbegrenzte Teilungsfähigkeit (Profileration) haben. Doch wie können diese Zellen beeinflusst werden, damit sie sich in den gewünschten Zelltyp ausdifferenzieren? Dies macht die Handhabung mit embryonalen Stammzellen noch sehr schwierig und aufwendig. Induced pluripotente stem cells sind dagegen nicht direkt entnommene Stammzellen, sondern werden aus schon ausdifferenzierten Zellen gewonnen. Durch gezieltes Einführen von 4 Transkriptionsfaktoren (Sox-2, Oct-4, Klf-4 und c-Myc) können so somatische, differenzierte Zellen durch eine „Reprogrammierung“ des Erbguts in pluripotente Zellen umgewandelt werden. Durch sogenannte Transdifferenzierung ist es außerdem möglich, Zelltypen in andere Zelltypen umzuwandeln. Die kann durch vorausgehende Dedifferenzierung, also das Zurückentwickeln in eine nicht-differenzierte Zelle, oder durch direkte Umwandlung geschehen. So wurden bereits erfolgreich Muskelzellen (Myozyten) in Fettzellen (Adipozyten) umgewandelt. Da Fett eine wichtige Komponente von Fleisch ist, bietet dieses Verfahren eine Möglichkeit, Fett- und Muskelzellen gemeinsam wachsen zu lassen. Myosatelliten-Zellen (Muskelstammzellen) sind wohl bisher die am meisten verwendeten Zellen im Herstellungsprozess von IVF. Diese Zellen werden zum Beispiel nach Schädigungen des Muskelgewebes zur Teilung angeregt und helfen somit bei der Regenerierung des Gewebes. Deshalb wird anhand von ihnen im Folgenden beschrieben, wie die prinzipiellen Schritte der IVF-Produktion aussehen:
Als erstes wird, wie schon erwähnt, mittels Biopsie einem Tier Muskelgewebe entnommen. Anschließend müssen die Stammzellen wie zum Beispiel die Myosatellitenzellen von den anderen Zellen separiert werden. Es folgen nun zwei Phasen: die Proliferationsphase und die Differenzierungsphase. In der ersten Phase wachsen die Myosatellitenzellen im Bioreaktor. Das Ziel ist es, ein Maximum an Zellen herzustellen. In der Phase zwei sollen sich die Zellen zu Myoblasten differenzieren. Dafür benötigt es einige Stimulatoren wie zum Beispiel Wnt, Notch oder TGFß, damit die Zelle sich zu der gewünschten Zellart entwickelt. Die Zellen sollten außerdem ein Maximum an Proteinen synthetisieren, sodass es zu einer Vergrößerung der Zelle an sich kommt. Dieser Vorgang wird auch Hypertrophie genannt. Die Myoblasten bilden nun mehrkernige Myotuben, welche sich wiederum zu Muskelfibrillen (Muskelfasern) entwickeln. Diese werden mit Hilfe einer Art Gerüst, engl. scaffold, zum Wachsen angeregt. Ein solches für Muskelzellen geeignetes Gerüst kann aus Fibrin-Hydrogengel bestehen, da es die richtige Oberfläche aufweist, auf der Muskelzellen migrieren, proliferieren und ihre eigene extrazelluläre Matrix produzieren können. Anschließend werden die einzeln erzeugten Lagen an Muskelfibrillen aufeinander gelegt, sodass ein fleischähnliches Produkt entsteht. Um für den richtigen Geschmack zu sorgen, müssen weitere Komponenten wie zum Beispiel Fettzellen hinzugefügt werden. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass genügend Myoglobin in den Zellen produziert wird. Dieses Protein bindet die sogenannte Häme-Gruppe, welche unter anderem für die Bindung von Sauerstoff im Blut verantwortlich ist. Diese Häme-Gruppe verleiht Fleisch seine rote Farbe und insbesondere auch seinen Geschmack. Die Synthese von Myoglobin kann durch verschiedene Transkriptionsfaktoren (also Faktoren, welche die Expression von Genen regulieren) und durch den Sauerstoffgehalt in den Zellen beeinflusst werden.
Die Herausforderung, das passende Nährmedium zu finden
Damit Zellen außerhalb eines Organismus wachsen können, benötigen sie ein Nährmedium. Zellkulturmedien bestehen aus Wasser, Salzen, Aminosäuren, Vitaminen, Glucose, Pufferlösungen um den richtigen pH-Wert einzustellen, meistens auch aus Antibiotika und fetalem Kälberserum. Die Gewinnung von fetalem Kälberserum ist ein sehr umstrittenes Verfahren. Dem noch lebenden Rinderfötus wird Blut aus dem Herzen entnommen, was zu dessen Tod führt. Durch Zentrifugation der geronnenen Blutprobe enthält man das Serum, welches nun keine Gerinnungsfaktoren mehr beinhaltet. Dieses Serum besitzt wichtige Faktoren, die Zellen zum Proliferieren benötigen. Allerdings hat das Verarbeiten von fetalem Kälberserum auch Nachteile. So führt das Benutzen von Serum aus unterschiedlichen Kälbern zu einer gewissen experimentalen Variabilität, wodurch die Reproduzierbarkeit von Versuchen und eine Standardisierung erschwert werden. Außerdem besteht ein gewisses Risiko von viraler Kontamination, nämlich dann, wenn die Tiere vorher erkrankt waren. Das Krankheitsrisiko betrifft auch die Labormitarbeiter.
Fetales Kälberserum ist ein Nebenprodukt der Fleischindustrie und dessen Preis ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel der Nachfrage nach Rindfleisch oder den sich wandelnden Fleischvorlieben der Konsumenten. Diese sind schwer einschätzbar und kalkulierbar. Daher schwankt auch der Markt und somit der Preis für Serum.
Nährmedium
Ein gravierendes Problem besteht allerdings darin, dass die Bestandteile von fetalem Kälberserum noch nicht vollständig erforscht sind, was die Entwicklung eines alternativen Produktes sehr schwierig, aber nicht grundsätzlich unmöglich macht. Es wurden bereits rein chemisch definierte Nährmedien für Herz-Muskelzellen, Neuronen des Hippocampus, Motorneuronen und Sensorische Muskelzellen hergestellt. Da jede Zelle allerdings spezifische Voraussetzungen bzw. Inhaltsstoffe zum Wachsen benötigt, ist das Entwickeln solcher Nährmedien sehr aufwendig. Bis heute wurde es noch nicht geschafft, ein Nährmedium zu synthetisieren, welches universal für die verschiedensten Zelllinien einsetzbar ist. Für die IVF-Produktion ist dies wahrscheinlich noch der kritischste Punkt in der Herstellung. Solange keine Alternativen für fetales Kälberserum existieren, wird eine Massenproduktion von IVF nicht realistisch sein.
So wünschenswert vor allem aus ethischen und ökologischen Gründen die Herstellung von alternativem Fleisch ist bzw. durch dessen Produktion lediglich tierische Zellen benötigt werden, so unverkennbar sind die noch zu überwindenden Schwierigkeiten. Diese liegen besonders in der Zellbiologischen Forschung.
Zelluläre Landwirtschaft als Ernährungszukunft?
Veröffentlicht am 19. September 2017 von Inge Böhm
Beitrag von Kerstin Syré im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums bei VIF (September 2017)
Unter zellulärer Landwirtschaft wird ein interdisziplinäres Forschungsgebiet mit Ansätzen aus der Medizin und der Landwirtschaft bezeichnet. Dazu zählen unter anderem Forschungsansätze der synthetischen Biologie, des Tissue Engineering sowie der Materialwissenschaften und des Bioengineering. Ziel der zellulären Landwirtschaft ist es, tierische Produkte wie Milch, Fleisch oder Ei durch modernste technologische Verfahren und somit durch tierfreie Produkte zu ersetzen. Der Begriff „zelluläre Landwirtschaft“ (cellular agriculture) wurde von der US-amerikanischen Organisation New Harvest geprägt und bezeichnet damit nicht nur ein Forschungsgebiet, sondern steht auch stellvertretend für eine ganze Bewegung.
Die ersten Produkte der zellulären Landwirtschaft waren, so New Harvest, Insulin oder der Proteinkomplex Rennet, welcher Milch gerinnen und zu Milchprodukten weiterverarbeiten lässt. Durch Massentierhaltung und Klimawandel wurde die Idee immer konkreter, Alternativen für Tier-Produkte auf zellulärer Basis zu entwickeln. Allerdings eignet sich nicht jeder Zelltyp dazu, es müssen entsprechende Kriterien wie zum Beispiel eine hohe Proliferationsrate, Oberflächen- oder Serum-Unabhängigkeit erfüllt sein. Bisher werden an Produkten wie Milch, Ei, Fleisch, Gelatine, Kaffeebohnen, Parfum, Seide oder Leder geforscht.
Zwei Non-Profit-Organisationen in den USA haben es sich zur Aufgabe gemacht, Start-ups mit der Vision, tierfreie Produkte herzustellen, zu unterstützen. Eine der NGOs ist New Harvest, welche ihren Sitz in New York hat. New Harvest wurde 2004 von Jason Matheny gegründet, welcher sich vor allem für die Herstellung von In-vitro-Fleisch interessierte. Mit der neuen Direktorin Isha Datar (seit 2013), wurde der Fokus der Organisation auch auf die Herstellung von Ei- und Milch-Alternativen erweitert. Die zweite Organisation ist The Good Food Institute.
2014 gründete Isha Data zusammen mit Perumal Gandhi und Ryan Pandya das Start-up Muufri, welches später seinen Namen in Perfect Day änderte. Perfect Day entwickelt eine Milch ohne Kühe.
Ein Jahr später wurde das Start-up Clara Foods zusammen mit David Anchel und Arturo Elizondo gegründet. Clara Foods hat seinen Sitz in der San Francisco Bay und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Eiweiß ohne Hennen zu entwickeln. Eiweiß besteht aus 12 Haupt-Komponenten. Die Gene dieser Proteine wurden in Hefebakterien übertragen, sodass die Hefe nun die gewünschten Proteine synthetisiert. Nachdem die Hefe genügend Proteine erzeugt hat, werden diese von der Hefe separiert, sodass die Proteine weiter zu Eiweiß verarbeitet werden können. Dieses Verfahren weist einige Vorteile gegenüber der kommerziellen Produktion von Hühnereiern auf. So soll laut dem Jungunternehmen Wasser- und Land-Verbrauch geringer sein und das neue Eiweiß wäre cholesterin- und keimfrei. Die Risiken von durch Salmonellen erzeugten oder anderen Krankheiten wäre um ein Vielfaches geringer. Da ein einfacher Organismus wie Hefe verwendet wird, welcher seine Verdopplungszeit bei nur einigen Stunden hat, würden durch dieses Verfahren schneller Proteine hergestellt werden. Im Gegensatz dazu steht die Eiproduktion einer Henne, welche meistens erst im Alter von 6 Monaten mit dem Eierlegen beginnt.
Noch ist die Herstellung einer Milch ohne Kühe oder Eiern ohne Hennen in der Entwicklung, aber es könnte durchaus möglich sein, dass sie es in den nächsten Jahren auf den Markt schaffen.
Zu Hause Fleisch züchten – Ist das die Zukunft?
Veröffentlicht am 9. Februar 2017 von Marlene Faul
Fleisch bei sich zu Hause züchten – und man benötigt nicht viel mehr als ein paar Zellen und ein kleines Fass? Ein Prozess, nicht wesentlich komplizierter als Bierbrauen in den eigenen vier Wänden: Das ist die Vision von Isha Datar. Sie ist die Geschäftsführerin von New Harvest, einer Non-Profit-Organisation, die die Entwicklung tierfreier Fleisch- und Milchprodukte fördern möchte. Doch bis es zur Verwirklichung dieser Vorstellung kommen kann, sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen.
Von der Idee, zu Hause Fleisch züchten zu können, erzählte Isha Datar vergangenes Jahr auf der interdisziplinären Konferenz „Hello Tomorrow“ für junge Unternehmen in Paris. Zuvor muss es aber erst einmal möglich sein, In-vitro-Fleisch in großen Mengen im Labor herzustellen. Über die Probleme, die noch zu überwinden sind, berichtete die Fachzeitschrift New Scientist.
Stammzellkulturen als offene Quelle?
Eine Hürde stellt für die Forscher laut New Scientist zunächst überhaupt die Beschaffung der Stammzellen dar, um sie anschließend mit einem Nährmedium zu einem fertigen Burger kultivieren zu können. So ist es bislang nicht gerade einfach, an das Fleisch zu kommen und die Stammzellen zu entnehmen. Sie stammen derzeit in der Regel aus einem frischen Stück Fleisch vom Schlachthof oder lebenden Tieren – meist jungen Tieren, da diese noch zahlreiche Stammzellen in sich tragen. Datar schlägt deshalb vor, dass die Wissenschaftler die Kulturen untereinander teilen und möchte die Zelllinien sogar für Bestellungen in die Labore verfügbar machen.
Noch ist zudem unklar, auf welche Weise das im Labor gezüchtete Fleisch die Größe eines herkömmlichen Stückes Fleisch erreichen kann. Bestimmte „Gerüste“ dienen dazu, das Gewebe dreidimensional heranwachsen zu lassen. Dehnt sich das Gewebe beim Wachsen weiter aus, wird die Versorgung der einzelnen Zellen jedoch zunehmend schwieriger.
Stammzellen von Vögeln sind anpassungsfähiger
Paul Mozdziak und seine Kollegen vom Institut für Geflügelforschung der North Carolina State University (NCSU) präsentierten kürzlich eine mögliche Lösung für das Problem. Die von New Harvest finanziell unterstützten Wissenschaftler entdeckten, dass sich Stammzellen von Vögeln im Gegensatz zu solchen von Schweinen oder Rindern besser an unterschiedliche Umgebungen anpassen. Die Vogelstammzellen könnten daher auch in einem Bioreaktor oder in einem speziellen Fass ohne Gerüste kultiviert werden. Damit wäre es also leichter, große Fleischstücke heranzuzüchten. So käme man der Vision, Fleisch zu Hause zu züchten, ein ganzes Stück näher.
Auch der Geschmack von in vitro gezüchtetem Fleisch ist ein komplexes Thema. Verschiedenste Gewebe im Fleisch, also nicht nur die Muskelzellen, sondern auch der Fettanteil, sind für das Aroma und die Konsistenz von Fleisch entscheidend. Mozdziak und sein Team haben herausgefunden, dass bestimmte Puten-Zellkulturen auch Fettzellen entwickeln können, wenn sie spezifischen Bedingungen ausgesetzt werden. In Experimenten könnte man also Fett- und Muskelanteile variieren, um die gewünschte Kombination aus Geschmack und Textur zu erhalten.
Auch wenn viele Perspektiven bisher eher vage sind, zeigt sich doch, dass ein ständiger Forschungsprozess in Gange ist, um die Zukunft der Fleischversorgung zu verändern – wie auch immer diese letztlich aussehen mag.