Gunnar Kappler

Systemanalytische Untersuchung zum Aufkommen und zur Bereitstellung von energetisch nutzbarem Reststroh und Waldrestholz in Baden-Württemberg
Eine auf das Karlsruher bioliq®-Konzept ausgerichtete Standortanalyse

Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe 2008 (Wissenschaftliche Berichte, FZKA 7416), 169 Seiten
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EINLEITUNG

Die Gestaltung und Sicherstellung einer nachhaltigen Energieversorgung bilden die Voraussetzung für die Existenz- und Entwicklungsmöglichkeit einer modernen Volkswirtschaft und bleiben demnach nach wie vor eines der wichtigsten politischen Handlungsfelder unserer Zeit.

Da die Energieressourcen der Europäischen Union stark begrenzt sind, ist die Union ganz erheblich von Energieimporten abhängig (Stand 2005: 56 %; Eurostat, 2006) und diese werden unter den gegebenen Umständen voraussichtlich bis zum Jahre 2020 auf rund 70 % ansteigen (Europäische Kommission, 2000). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass durch das Voranschreiten der wirtschaftlichen Entwicklung in vielen Regionen der Welt der Energieverbrauch weiter zunehmen wird, weshalb eine weitere Verknappung und Verteuerung fossiler Energieträger unvermeidlich scheint. Die Europäische Union verfügt hierbei nicht über ausreichende Möglichkeiten, auf diese Entwicklungen am Weltmarkt Einfluss zu nehmen. Demzufolge haben sich durch die Ölpreisentwicklung der jüngsten Zeit auf dramatische Weise die strukturellen Energieversorgungsschwächen der Europäischen Union und die Notwendigkeit energiepolitischer Innovationen offenbart.

Neben Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit stellt die Umweltverträglichkeit ein weiteres maßgebliches Handlungsfeld in diesem energiepolitischen Zielpolygon dar. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Union im Rahmen eines Energiewendeszenarios sowohl die Steigerung der Energieeffizienz (Europäische Kommission, 2005a) als auch einen fortgesetzten Ausbau des Anteils regenerativer Energien an der Energieversorgung "proklamiert".

Aus Sicht der Europäischen Kommission bietet die Nutzung von Biomasse gegenüber konventionellen und auch anderen erneuerbaren Energien einige wesentliche Vorteile, und wird insbesondere aufgrund des gegebenen Mengenpotenzials und der leicht realisierbaren Erschließungsmöglichkeiten als derjenige erneuerbare Energieträger angesehen, welcher - sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene - künftig den größten Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte. Deshalb hat die Kommission im Aktionsplan für Biomasse (Europäische Kommission, 2005b) Maßnahmen zur Förderung einer verstärkten Biomassenutzung vorgestellt. Demzufolge sollen schon in naher Zukunft, neben der klassischen Bereitstellung von Wärme und Strom, für die es hinsichtlich der Erzeugungstechniken bereits vielfältige Nutzungsmöglichkeiten gibt, verschiedenartige Biomasseträger verstärkt auch für die Kraftstofferzeugung verwendet werden (Europäische Kommission, 2006).

In Deutschland besitzt die energetische Biomassenutzung bis dato keinen allzu bedeutsamen Stellenwert, schließlich beträgt deren Anteil am Gesamtprimärenergiebedarf derzeit lediglich 4,3 %. Allerdings stellt die Bioenergie, bezogen auf die gesamte erzeugte regenerative Primärenergie, mit einem Anteil von 71 % die derzeit bedeutsamste erneuerbare Energiequelle dar - ähnliche Verhältnisse finden sich auch in anderen europäischen Mitgliedsländern (BMU, 2007).

Aktuellen Schätzungen zufolge könnte für Deutschland der Anteil der Bioenergie am gesamten Primärenergieverbrauch auf bis zu 10 % erhöht werden, wenn es gelänge, das bisher weitestgehend ungenutzte Aufkommen (vgl. Abbildung 3.2, S. 41) an Biomasse einer energetischen Nutzung zuzuführen (Leible et al., 2006).

Dieses Aufkommen verschiedenartiger Biomasse wird dabei gegenwärtig wie auch voraussichtlich künftig vorwiegend von den halm- und holzartigen Festbrennstoffen dominiert, welche im Zuge eines Hauptnutzungspfades als energetisch nutzbare Rückstände bzw. Nebenprodukte in der Land- und Forstwirtschaft anfallen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um das bei der Getreideerzeugung in großen Mengen anfallende Reststroh[1], sowie das bei der Waldbewirtschaftung neben dem stofflich genutzten Stamm- bzw. Industrieholz anfallende und bisher kaum verwertete Waldrestholz[1]. Dabei lässt ein Blick auf die statistisch dokumentierten Entwicklungen[2]; der Land- und Forstwirtschaft vermuten, dass das Aufkommen bzw. Potenzial in der Zukunft - sofern sich der bisher beobachtbare Trend weiterhin in dieser Weise fortsetzt - tendenziell sogar noch weiter ansteigen wird.

Die Gründe, weshalb diese großen und relativ leicht zugänglichen Potenziale bisher nur unzureichend genutzt werden, sind mannigfaltiger Art. Im Allgemeinen fehlen für diese halm- bzw. holzartigen Nebenprodukte profitable Verwertungsmöglichkeiten, weshalb diese oft am Ort der Entstehung verbleiben. Im Hinblick auf eine verstärkt energetische Nutzung wird eine Mobilisierung des Potenzials aber auch behindert, da in vielen Fällen die Nutzung im Vergleich zu fossilen Energieträgern mit Wettbewerbsnachteilen[3]  und technischen Problemen verbunden ist (BMU, 2004). Zwar forcieren aktuelle politische Rahmenbedingungen die energetische Nutzung von Stroh und Holz - hierdurch hat sich deren Wettbewerbsfähigkeit auch merklich verbessert -, doch ist eine wirtschaftliche Nutzung in großem Umfang, insbesondere im Falle des Waldrestholzes, aufgrund der relativ hohen Brennstoffbereitstellungskosten nach wie vor als problematisch anzusehen.

Aus technologischer Sicht bieten sich für die in dieser Arbeit ausgewählten Bioenergieträger Waldrestholz und Reststroh grundsätzlich mehrere Konversionspfade[4]; einer energetischen Nutzung an. Die Bandbreite reicht hierbei von der Wärme- /Stromerzeugung über die Herstellung von festen, flüssigen oder gasförmigen Sekundärenergieträgern/ Brennstoffen bis hin zur Herstellung von Kraftstoffen (vgl. Anhang 6.1, S. A-119). Doch in Anbetracht der eingangs erwähnten energie- und umweltpolitischen Zielsetzungen, vor allem aber im Hinblick auf die Sicherstellung einer nachhaltigen Mobilität, richtet sich aktuell das Augenmerk auf die Herstellung bzw. den weiteren Ausbau der Verwendung von biogenen Kraftstoffen (Specht et al., 2003).

Auf europäischer Ebene wurde dem Ziel, den Anteil erneuerbarer Kraftstoffe zu erhöhen, bereits im Jahr 2003 mit Einführung der Biokraftstoff-Richtlinie (Europäisches Parlament, 2003) Rechnung getragen; folglich soll bis zum Jahr 2010 der Absatz von Biokraftstoffen auf einen Anteil von 5,75 % des gesamten Kraftstoffmarktes ansteigen. Da Biokraftstoffe als Pioniere auf dem Kraftstoffmarkt gelten, wurden von der Europäischen Union flankierende Maßnahmen veranlasst, mit der die Markteinführung entsprechend erleichtert werden soll. Hierzu gehört u.a. die Energiesteuerrichtlinie (Europäischer Rat, 2003), die es den Mitgliedsstaaten erlaubt, Biokraftstoffe von der Mineralölsteuer zu befreien; dies gilt gleichermaßen für Reinkraftstoffe wie auch anteilig für die Beimischung biogener Komponenten zu den fossilen Kraftstoffen.

In Deutschland wurden biogene Reinkraftstoffe bereits in den 1990er Jahren von der Mineralölsteuer befreit und diese Steuerbefreiung im Jahr 2004 durch eine Änderung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG, 1992) anteilig auch auf Beimischungen erweitert. Doch wurde ab dem Jahr 2006 die bisher gültige Mineralölsteuerbefreiung auf Biokraftstoffe durch das neue Energiesteuergesetz (EnergieSTG, 2006) teilweise wieder aufgehoben und entsprechend des ab Januar 2007 geltenden Biokraftstoffquotengesetzes (BioKraftQuG, 2006) durch eine Beimischungspflicht ersetzt. Demzufolge müssen die dem fossilen Kraftstoff beigemischten Biokraftstoffanteile voll versteuert werden. Der Mineralölsteuerverzicht für Biokraftstoffe außerhalb der Quote wird nun stufenweise reduziert und dürfte langfristig gänzlich auslaufen. Allerdings wird für die derzeit noch in Entwicklung befindlichen Biokraftstoffe der zweiten Generation eine Steuerbegünstigung voraussichtlich noch bis zum Jahr 2015 erhalten bleiben (HKH, 2006; Benkwitz, 2006).

Momentan werden in Deutschland jährlich insgesamt ca. 52 Mio. Mg Benzin und Dieselkraftstoff verbraucht[5], wobei die genutzten Kraftstoffe fast ausschließlich auf Erdöl basieren, welches zu mehr als 96 % aus Importen stammt (MWV, 2007). Da in Deutschland im Kraftstoffsektor gegenwärtig fast ein Drittel der Endenergie eingesetzt wird, steht der Straßenverkehr als CO2-Verursacher damit ganz oben in der Statistik und bildet mit rund 164 Mio. Mg/a einen Anteil von ca. 21 % an den gesamten CO2- Emissionen (BMU, 2007).

Bei den heute in relevanten Mengen erzeugten regenerativen Kraftstoffen handelt es sich hauptsächlich um Ethanol und die Pflanzenöle bzw. Pflanzenölester - in erster Linie als Rapsölmethylester ("Biodiesel") (BMVEL, 2005a). Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2006 durch biogene Kraftstoffe bereits ca. 6 % des gesamten Kraftstoffverbrauchs abgedeckt (BEE, 2007) und damit die Zielvorgaben der Europäischen Union deutlich übertroffen. Da allerdings mit den vorhandenen bzw. geplanten Produktionskapazitäten das aus Fruchtfolge- und Umweltschutzgründen begrenzte, inländische Biodieselerzeugungspotenzial nahezu ausgeschöpft ist, kann der für das Jahr 2020 festgelegte Referenzwert von 20 % (vgl. BMVEL, 2005a) nur erreicht werden, wenn weitere biogene Kraftstoffe am Markt zur Verfügung stehen.

Erhebliche Erwartungen werden deshalb an die bereits erwähnten "Biokraftstoffe der zweiten Generation" und hierbei vor allem an die Erzeugung und Verwendung von synthetischen Kraftstoffen aus Biomasse (BtL-Kraftstoffe) geknüpft, obgleich diese noch nicht marktreif verfügbar sind und deren technische Machbarkeit erst noch demonstriert werden muss (Bundesregierung, 2004).

Nach ersten Schätzungen übertrifft deren Potenzial das anderer Biokraftstoffe bei weitem, da für die Herstellung von synthetischen Biokraftstoffen einerseits auf das große und bisher weitestgehend ungenutzte Aufkommen an verschiedensten biogenen Restund Abfallstoffen zurückgegriffen werden kann und andererseits eine effizientere Verwendung (Ganzpflanzennutzung) von gezielt angebauten Energiepflanzen[6]  möglich wäre. Demnach gehen Experten davon aus, dass bis zum Jahr 2020 allein durch synthetische Biokraftstoffe ca. 25 % des Kraftstoffverbrauchs substituiert werden könnte (Schütte, 2006).

Im Gegensatz zur Strom- und Wärmebereitstellung, zu der sich viele Verfahren mittlerweile in der Praxis etabliert und bewährt haben, befindet sich die Bereitstellung von synthetischen Kraftstoffen aus Biomasse noch weitgehend im Forschungs- und Entwicklungsstadium. Aus diesem Grund hat auch die gegenwärtige Regierungskoalition beschlossen, die Markteinführung synthetischer Biokraftstoffe gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft - durch die Errichtung und den Betrieb von Anlagen im industriellen Maßstab - zu forcieren (CDU/CSU und SPD, 2004).

Vor diesem Hintergrund wird am Forschungszentrum Karlsruhe gegenwärtig ein Verfahrenskonzept[7]  verfolgt, mit dem die Nutzung von Biomasse[8]  zur Kraftstofferzeugung sowohl technisch als auch logistisch und wirtschaftlich erleichtert werden soll. Es handelt sich hierbei um ein in dieser Form neuartiges BtL-(Biomass-to-Liquid)- Verfahren, welches eine effiziente thermochemische Umwandlung von Stroh und Holz in Synthesegas, als Ausgangsstoff für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen oder organischen Chemikalien, ermöglicht (Henrich und Dinjus, 2004).

Dieses sogenannte bioliq®-Konzept (hinsichtlich seiner technischen Auslegung auch bioliq®-Verfahren genannt) basiert auf einer Kombination von regional verteilten dezentralen Anlagen zur Schnellpyrolyse (50 - 100 MWin) und der anschließenden Vergasung der produzierten Pyrolyseöl-Koks-Suspension (Slurry[9]) in einer zentral gelegenen großen Vergasungs- und Syntheseanlage (500 - 5000 MWin) gekoppelt mit einer Kraftstoffsynthetisierung und -aufbereitung.

Eine genauere, überwiegend technische Beschreibung zu diesem Verfahren und die Erläuterung einiger Charakteristika finden sich in Anhang 6.2 (S. A-120).

Anmerkungen

[1]  Eine genaue Erklärung zu diesen Begrifflichkeiten erfolgt in Kapitel 2.2.

[2]  Einige wesentliche, aktuelle Entwicklungen der Land- und Forstwirtschaft, werden in Kapitel 3.1 näher erläutert.

[3]  Es gibt bereits Bioenergieanlagen, die insbesondere wegen der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG, 2006), die Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben (vgl. Anhang 6.51, S. A-169).

[4]  Es sind nicht alle Biomassearten gleichermaßen für alle Konversionsverfahren geeignet, da sich die einzelnen biogenen Energieträger in ihrer Art bzw. Zusammensetzung zum Teil erheblich voneinander unterscheiden.

[5]  Nach Schätzungen des Mineralölwirtschaftverbandes dürfte dieser Bedarf in den nächsten Jahrzehnten tendenziell deutlich rückläufig sein (MWV, 2007a).

[6]  Für den Anbau von Energiepflanzen könnte Schätzungen zufolge im Jahr 2020 eine Fläche von bis zu 3,45 Mio. ha zur Verfügung stehen; hierbei handelt es sich insbesondere um landwirtschaftliche Brachflächen (FNR, 2005a).

[7]  Auf dem Gelände des Forschungszentrums Karlsruhe wird derzeit eine Pilotanlage (2 MW) errichtet.

[8]  Neben Stroh und Holz eignen sich für dieses Verfahren u.a. auch Heu, Papier, Pappe sowie eine Reihe weiterer ligninhaltiger und trockener Stoffe.

[9]  Dieser Begriff wird in Kapitel 2.2 näher erläutert.

 

Erstellt am: 28.11.2008 - Kommentare an: webmaster