Oliver Parodi

Technik am Fluss
Philosophische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen zum Wasserbau als kulturelle Unternehmung

München: oekom verlag, ISBN 978-3-86581-101-1, 437 S. - 24 x 17 cm, 49,90 Euro
[Inhalt]


Zusammenfassung

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In dieser transdisziplinären Arbeit wird eine umfassende Reflexion auf den Wasserbau realisiert. Im Mittelpunkt stehen dabei technikphilosophische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen zu Weltbildern, Technik, Natur, Nachhaltigkeit und Ethik.

Zur Technik - allgemein

Für eine solche umfassende Reflexion auf den Wasserbau - im Zuge derer sowohl nach dem "Warum Wasserbau heute und in Vergangenheit in der einen oder anderen Weise vollzogen wird und wurde" als auch nach dem "Wie Wasserbau in Zukunft betrieben werden soll" gefragt wird - genügt es nicht, allein die ingenieurtechnischen Artefakte, die Sachsysteme (Ropohl) zu betrachten. Wasserbau muss als kulturelle Unternehmung in den Blick genommen werden.

Dies geschieht vor dem Hintergrund eines zeitgenössischen Kulturverständnisses, in dem Kultur nicht mehr in der Abgrenzung zu Natur definiert, sondern über das gleichzeitige Vorhandensein der kulturellen Grundelemente Kollektivität, Kommunikation und Konvention (Hansen) beschrieben wird. Im Zuge des hier verwendeten Kulturbegriffs wird Technik als materiale, institutionelle und geistige Hervorbringung unter den Bedingungen von Kultur angesehen.

Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen zunächst nicht - wie häufig bei Reflexionen auf Technik - die gesellschaftlichen (sozialen, ökonomischen und politischen) Bedingtheiten und Auswirkungen von Technik, sondern jene Zusammenhänge, die sich zwischen Technik und den ‚Vorstellungen' von der Welt, den Weltbildern, erkennen lassen. Die Arbeit folgt somit gemäß dem Weizsäcker-Schema in jene geistige Region der sozialpsychologischen und kulturellen Verfasstheiten, in der Erkennen und (technisches) Handeln eingebettet in kulturelle Prozesse und einen weltbildhaften Hintergrund verstanden werden können. Sichtbar werden so nicht nur gesellschaftliche Funktionen, Ziele und Bedingtheiten von Technik, sondern auch die Werthaltungen und Vorstellungen (Weltbilder) der diese Technik gestaltenden und betreibenden Gemeinschaft.

Zur Ausarbeitung der Zusammenhänge zwischen Technik und Weltbild werden - im Rückgriff auf die ästhetische Theorie - Gestalt, Funktion und Gehalt von Wasserbautechnik ermittelt. Über diese Begrifflichkeiten werden das Erscheinungsbild der Technik, ihre gesellschaftlichen Funktionen (Kap. 2) und ihr weltbildhafter Hintergrund miteinander in Beziehung gesetzt (Kap. 3) und einer Interpretation zugeführt (Kap. 4). Technik tritt als kulturelles Phänomen, das technische Artefakt als kulturelle Hervorbringung in den Blick. Dieses kann als wert- und bedeutungsgeladener Ausfluss einer jeweils bestimmten Weltsicht erkannt werden.

Aktuelle philosophische, soziologische und ethische Betrachtungen von Technik stellen meist deren gesellschaftliche Aspekte (Funktionen, Bedingtheiten und Folgen) in den Vordergrund. Auf die Gestalt von Technik, deren äußere Erscheinungsform, wird meist genauso wenig reflektiert wie auf deren Gehalt. So wird in jenen Betrachtungen auch nicht deutlich, dass es nicht nur Werte als erstrebte Sachverhalte (Ropohl) oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind, die Technikgestaltung orientieren, sondern dass auch werthafte Gewissheiten im kulturellen Hintergrund und kollektiv Unbewusstes erheblich in Technikgestaltung einfließen und in Gestalt und Funktion zum Ausdruck kommen. Diese Aspekte werden in jenen gängigen, rationalitätsfokussierten Technikbetrachtungen nicht deutlich.

Mit der perspektivischen Weitung des Blicks auf Technik als kulturelle Unternehmung wird die Gestaltung und Produktion von Technik nicht nur als technisches Handeln, sondern auch als technisches Verhalten sichtbar. Es rücken nicht nur rationale, sondern auch arationale, weltbildhafte Elemente von Technik in den Blick.

Technik, insbesondere Großtechnik, spiegelt in hohem Maße die Gewissheiten einer Gesellschaft wieder, und zwar nicht nur in Form von erlangtem Wissen, sondern auch in Form von kollektiv geteilten Vorstellungen und unhinterfragten Überzeugungen. Technik kann - in Anlehnung an die Auffassung, Kunst sei Antithese der Gesellschaft (Adorno) - als These der Gesellschaft aufgefasst werden.

Technik kommt als kulturelle Unternehmung nicht nur in Bezug zur Gesellschaft, sondern vielmehr mitsamt dieser und in gewisser Hinsicht auch als Spiegel der Gesellschaft in den Blick. Die kulturelle Auffassung von Technik und die Fokussierung auf Weltbilder erlauben so einen komplementären Blick zur üblicherweise eingenommenen gesellschaftlichen Perspektive auf Technik. Hierfür werden in Kapitel 2 die technikphilosophischen und kulturwissenschaftlichen Grundlagen gelegt.

Wasserbau - Kapitel 2

In einer ingenieurtechnischen, artefaktfokussierten Auffassung kann Wasserbau als die Gesamtheit künstlicher Gegenstände und Verfahren, die die Nutzbarmachung des Wassers oder den Schutz vor Wasser zum Zweck haben, bestimmt werden (Sachse/ Parodi). In einer solch engen Lesart von Wasserbau geht es um die Sachsysteme. Technik erscheint hier vor allem als Auseinandersetzung mit Natur. In einem erweiterten Verständnis geraten die soziotechnischen (Ropohl) bzw. sozioökotechnischen Systeme (Lenk) in den Blick. In der vorliegenden Arbeit wird nun der Blick nochmals geweitet und eine kulturelle Perspektive auf Wasserbau entwickelt. Über eine damit einhergehende gesteigerte Sensibilität für die geistige und historische Dimension von Technik erkennt man schließlich den Anschluss konkreter Artefakttechnik und wasserbaulicher Institutionen (im weiten Sinne) an geistesgeschichtliche Gegebenheiten über kulturelle Prozesse.

Eine Beschreibung des heutigen Wasserbaus in Deutschland zeigt diesen als weithin unauffällige, aber basale, gesellschaftlich allerorts einverwobene Technik mit einem umfangreichen institutionellen Korpus aus Gesetzestexten, Verwaltungen und sonstigen Einrichtungen.

Neben der institutionellen Seite der kulturellen Unternehmung Wasserbau werden in Kapitel 2 auch und vor allem deren Artefakte beschrieben. Hierzu wird auf die bereitgestellten Begrifflichkeiten "Gestalt", "Funktion" und "Gehalt" zurückgegriffen und Wasserbau ferner in einer an historische Gegebenheiten angelehnten Idealtypisierung in die Technikstile "Massivwasserbau" und "Naturnaher Wasserbau" unterschieden.

In einer ausführlichen, beschreibenden Gegenüberstellung zeigen die Technikstile erhebliche Unterschiede, aber auch wesentliche Gemeinsamkeiten in Gestalt und Funktion. Unterschiede finden sich bezüglich der Gestalt von Wasserbautechnik im Einzelnen in Material, Größe, Form und Struktur der Artefakte, sowie in den realisierten artefakttechnischen Funktionen und dem Prozess der Gestaltung jener.

In den gesellschaftlichen Funktionen, die durch Wasserbau bedient werden, zeigen sich die beiden Wasserbaustile identisch bezüglich der diversen Nutzenfunktionen - wie beispielsweise bezüglich der Bereitstellung von Trink- und Brauchwasser, Energieumwandlung, Gewährleistung von Mobilität, der Kultivierung von Landflächen, Ermöglichung von Freizeitaktivitäten - sowie auch bezüglich der Schutzfunktionen: Hygiene und Hochwasserschutz. Die Art und Weise der Erfüllung dieser Funktionen differiert allerdings in mancher Hinsicht. Zudem lassen sich bei den Technikstilen in der Gewichtung der Zielsetzungen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen ausmachen.

Ein herausragender Unterschied besteht allerdings im Verfolgen eines diffusen ökologisch-naturnahen Zielbündels im Naturnahen Wasserbau. Im Massivwasserbau tauchen dagegen ökologische Gesichtspunkte oder ein Streben nach Naturnähe nicht auf. Die im Massivwasserbau verfolgten Ziele liegen allesamt im Wohl und Wehe von Menschen begründet. Massivwasserbau nimmt ausschließlich gesellschaftliche Funktionen wahr. Für den Naturnahen Wasserbau fällt diese Antwort weniger eindeutig aus. Zwar können auch die im Naturnahen Wasserbau verfolgten ökologischnaturnahen Ziele als Mittel zur Bewahrung der Existenzgrundlage einer Gesellschaft - also ebenfalls als gesellschaftliche Ziele - angesehen werden, dennoch weisen diese, wie Kapitel 4 zeigt, auch deutlich über den Bereich menschlicher Gesellschaft hinaus. So besteht im Zuge der Wertschätzung jedweden Lebens ein weiteres Ziel des Naturnahen Wasserbaus in der Unterstützung und Bewahrung außermenschlichen Lebens.

Zeigt sich Naturnaher Wasserbau im realen Vollzug und hinsichtlich der Artefakte meist als Entsorgungspraxis von Massivwasserbau (vorhandene massive Bauwerke werden eingerissen und durch naturnahe ersetzt), so zeigt ein genauerer Blick auf die technischen Funktionsweisen, die gesellschaftlichen Funktionen und letztlich auch auf den jeweiligen Gehalt der beiden Wasserbauarten eine differenziertere Gemengelage.

Hinsichtlich der Gestalt werden Artefakte (in Material und Form) ausgetauscht, erhalten eine neue äußere Gestalt, ihre technischen Funktionsweisen werden aber meist beibehalten und durch neue ergänzt. Zu den Funktionen des Massivwasserbaus kommt ein neues Zielbündel hinzu, löst aber das massivwasserbauliche nicht ab, sondern ergänzt es vorwiegend. Zudem werden Schwerpunkte der Zielsetzung verschoben - und eben die technischen Mittel (Artefakte) ausgetauscht. Wie in Kapitel 4 deutlich wird, zeigen die beiden Technikstile auch wesentlich andere Gehalte. Naturverständnis und damit auch Technik- und Selbstverständnis wandeln sich. Doch auch hier bleiben Gemeinsamkeiten, werden Teile der Weltbilder beibehalten.

Insgesamt zeigt sich Wasserbau im Wechsel von Massivwasserbau zum Naturnahen Wasserbau als kulturelle Unternehmung in allen Bereichen (Gestalt, Funktion und Gehalt) sowohl in Teilen kumulativ als auch revolutionär.

Weltbilder - Kapitel 3

Weltbildern kann in allen Bereichen menschlichen Lebens eine entscheidende Rolle zuerkannt werden, sei dies in Wissenschaft, Politik, Ökonomie oder auch in der Entwicklung von Technik. Ausgehend von zeitgenössischen Erläuterungen zum Weltbildbegriff werden in Kapitel 3 über ein eigens entwickeltes Weltbildkonzept Charakteristika von Weltbildern ausgewiesen. Es wird umfassend dargelegt, wie Weltbilder zustande kommen, welche Funktionen sie erfüllen und welche ‚Wirkungen' sie entfalten können.

Weltbilder entstehen im Umgang mit der Welt; und dieser Umgang ist wiederum (zielgerichtet) ohne ein weltbildhaftes Vorverständnis und Glaubenmüssen undenkbar. Ganz allgemein übernehmen Weltbilder in unserem Weltumgang eine orientierende, richtungweisende Funktion. Das gilt sowohl für Erkennen als auch für Handeln.

Weist Lenk im erkenntnistheoretischen Schemainterpretationismus nach, dass im Erfassen der Welt unumgänglich interpretiert werden muss, so wird im Weltbildkonzept aufgezeigt, was für Konsequenzen dies für den Weltumgang mit sich bringt. Weltbilder verweisen auf Interpretationsinhalte: auf Ergebnisse von Schemainterpretationen. Sie beschreiben - im weiten Sinne des Konzepts - die Gesamtheit an Schemainterpretationen über alle Interpretationsstufen. Sie umfassen somit das gesamte Spektrum menschlichen Interpretationsvermögens von den unsprachlichen Gewissheiten über Vorverständnis über implizites Wissen bis hin zum abstrakten und methodologischen Wissen (Metainterpretationen).

Weltbilder umfassen nicht nur den mythologischen Hintergrund des Denkens (Wittgenstein), sondern durchaus auch jene rationalen Bilder von der Welt, die bewusst und mitunter methodisch gesichert (wissenschaftlich) mit der Welt abgeglichen werden können. Was ‚wirkt' (Wirklichkeit), was uns zum Handeln veranlasst, wonach wir uns orientieren ist dabei nicht die Welt an sich (de re - diese bleibt als solche unerkennbar), sondern immer eine Interpretation dieser. Betrachtet man die Beziehung zwischen Weltbild und Wissen, so lässt sich erkennen, dass Weltbilder - in einem ständigen Prozess der Veränderung begriffen - sowohl Quell als auch Folge von Wissen darstellen.

Weltbilder entstehen im Weltumgang. In einer vergesellschafteten und kulturgeprägten Lebensweise, wie der heutigen modernen, entstehen somit Weltbilder auch wesentlich im (kulturellen) Umgang zwischen Individuum und Kollektiv. Individuen befüllen das kollektive Deutungsarsenal, aus dem Individuen wiederum Weltdeutungen schöpfen. Es lassen sich somit individuelle Weltbilder und kollektive Weltbilder unterscheiden. Allerdings lassen sich auch wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen diesen finden. Diese ergeben sich im Zuge kultureller Prozesse im Zuge des Austauschs zwischen Individuum und Kultur.

Als Ziel des interpretativen Welt-Erkennens über Weltbilder kann letztlich die Lebensbewältigung eines Individuums - oder auch bedingt die ‚Lebensbewältigung' eines Kollektivs - im umfassenden Sinne gesehen werden. Lebensbewältigung ist hierbei nicht im reduktionistischen Sinne eines puren biologischen Überlebens zu verstehen, sondern vielmehr als menschlicher Lebensvollzug in all seiner (auch kulturellen) Vielschichtigkeit. Lebensbewältigung vollzieht sich auch im kulturellen Raum und schließt potenziell alle Dimensionen menschlichen Seins mit ein - somit auch gerade jene typisch menschliche Sphäre der Bedeutung und des Sinns.

Unter dem Ziel der Lebensbewältigung werden neue Erlebnisse mit dem bereits bestehenden Weltbild abgeglichen, Neues mit weltbildhaft Bekanntem in Beziehung gestellt und anhand des Weltbildes in eine Ordnung gebracht. Über dieses In- Ordnung-Bringen wohnt Weltbildern eine Tendenz zur Konsistenz inne.

Dennoch bleiben Weltbilder oft fragmentarisch und inkonsistent. Dies lässt sich über die Komplexität und Zerrissenheit unseres Weltbezuges erklären. Weltbildfragmente können so durchaus zusammenhanglos oder gar widersprüchlich nebeneinander stehen. Auch sind Weltbilder stetig im Fluss und immer im Umbruch befindlich. Festgestellte, beispielsweise sprachlich fixierte Weltbilder können so immer nur eine Momentaufnahme darstellen.

Über das Weltbildkonzept lassen sich auch Berührungspunkte und Bezüglichkeiten von Weltbildern zu Sprache, Rationalität, Wissenschaft und Technik festmachen. Bezüglich Technik gilt allgemein, dass der technische Entwicklungsstand einer Gesellschaft (Kulturhöhe) Hand in Hand mit entsprechenden Aspekten kollektiver Weltbilder geht.

Des Weiteren lässt sich anhand des Weltbildkonzepts für den Bereich der Technik zum einen sagen, dass Weltbilder ob ihrer allgemein orientierenden und handlungsleitenden Wirkung auch großen Einfluss auf Technikentwicklung nehmen, und zum anderen, dass Technik und die mit Technik veränderte Welt als Vorfindliche über den Widerstand in der Wahrnehmung wiederum den Ausgangspunkt weiterer Weltbilder bilden. Technik erscheint im Wechselspiel von weltbildbehaftetem Welterkennen und -verändern. Diesem Zusammenhang kommt in dem Maße gesteigerte Bedeutung zu, wie die Technisierung unserer (Um-)Welt und auch die Technisierung unseres Weltumgangs (Medialität) zunehmen.

So wird deutlich, dass in einem kulturellen Kontext das Fragen nach spezifischen Techniken ohne das Fragen nach den entsprechenden Weltbildern wesentliche Aspekte von Technik ausblendet und der kulturellen Verfasstheit von Technik nicht gerecht werden kann.

Weltbilder im Wasserbau - Kapitel 4

Beim Fragen nach dem Gehalt der Technikstile stehen gemäß dem Tätigkeitsfeld des Wasserbaus Naturverständnisse und -verhältnisse sowie das jeweilige Technikverständnis im Vordergrund. Untersucht und interpretiert werden hierzu folgende Quellen aus der kulturellen Unternehmung Wasserbau: Gesetzestexte, Handbücher, Bauwerke, Lehrpläne, Prüfungsordnungen und Vorlesungsverzeichnisse, Interviews mit Wasserbauern, Sekundärliteratur.

Wie sich in Kapitel 2 bereits andeutet, zeigen sich hierbei nicht nur in Gestalt und Funktion, sondern auch im Gehalt der beiden Technikstile - in den zugehörigen Weltbildern - viele und erhebliche Unterschiede (vgl. hier auch die ergänzenden Ausführungen im Anhang). Wird beispielsweise im Massivwasserbau eine klar possessionistische Natureinstellung verfolgt, so zeigt sich im Naturnahen Wasserbau eine vorwiegend sympathetische. Natur ist im Massivwasserbau Gegenstand und Gegenbegriff, etwas Äußeres, das man nutzen kann und vor dem man sich zu schützen hat. Im Naturnahen Wasserbau dagegen übernimmt Natur Vorbildfunktion, ist erstrebenswert und wird positiv bewertet. Natur als Gegenbegriff (zu Mensch, Kultur, Technik) schwächt sich ab. Mit der possessionistischen bzw. sympathetischen Natureinstellung (Huber) lassen sich die Wasserbaustile als Teile je eines ideengeschichtlichen Stranges von Naturvorstellungen erkennen: Im Falle des Massivwasserbaus als Fortsetzung der Linie Descartes, Bacon, Materialismus, Ökonomismus, im Falle des Naturnahen Wasserbaus als Fortsetzung der ideengeschichtlichen Gegenentwürfe von Rousseau über die Romantik zum Ökologismus.

Allgemein zeigen sich im Wasserbau Vorstellungen, Ideen, Denkmuster (Weltbildmotive) aus der europäischen Geistesgeschichte, die sich teils bis in die Antike zurückverfolgen lassen. Vielfach sind diese aus ihren ‚ursprünglichen' Bedeutungszusammenhängen herausgelöst und liegen - eben motivisch - in den Technikstilen zu neuen Weltbildern rekombiniert vor.

Betrachtet man die einzelnen Motive, so steht im Naturnahen Wasserbau beispielsweise das natura-naturans-Motiv einer schöpferischen und bewegenden Natur im Vordergrund, wohingegen im Massivwasserbau vielmehr der Mensch als zentrales bewegendes Moment gesehen wird. Hierbei zeigt sich im Naturnahen Wasserbau stark aristotelisches Gedankengut, wobei im Massivwasserbau eher platonischchristliche Auffassungen fortgeführt werden. Geht der Naturnahe Wasserbau von einer vollkommenen Natur aus, welcher es nachzustreben gilt, so wird im Massivwasserbau Natur als unvollkommene betrachtet. Diese gilt es zu verbessern und in Ordnung zu setzen. Zeigt sich hier der Mensch als Krone der Schöpfung, so dort als ökologisches Mängelwesen, das Natur in ihrer Entwicklung behindert. Tauchen im Massivwasserbau Vorstellungen einer machina mundi auf, so ist im Naturnahen Wasserbau vielmehr die Ansicht einer systema mundi zu finden. So wird beispielsweise der (ausgebaute) Fluss im Massivwasserbau als Maschine betrachtet, wohingegen der naturnahe Fluss eher als Lebewesen und Individuum angesehen und beschrieben wird.

Die in den Technikstilen jeweils wirksamen Technikverständnisse korrelieren mit den jeweiligen Naturauffassungen. So lässt sich im Massivwasserbau eine klar eutope Einstellung zur Technik erkennen. Technik wird dort als Chance und Verheißung gesehen. Sie ist produktives Werkzeug des Wohlstandes, verbessert Lebensbedingungen und ist Ausdruck menschlicher Potenz. Im Naturnahen Wasserbau hingegen mischen sich Elemente dystopen und eutopen Technikverständnisses. Technik wird auch hier als Chance wahrgenommen, aber auch kritisch in ihrem Gefährdungspotenzial erkannt. Im Gegensatz zum Massivwasserbau wird Technik differenziert betrachtet und zwischen ‚guter' (naturnaher) und ‚schlechter' (massiver) Technik unterschieden. Die menschliche Kraft zur Veränderung wird auch in ihrer Destruktivität wahrgenommen. Entsprechend zurückhaltend wird sie eingesetzt. Bessere Lebensbedingungen können sich nach Vorstellung des Naturnahen Wasserbaus mitunter auch durch einen Verzicht auf technische Maßnahmen ergeben.

Im Massivwasserbau herrscht zudem deutlich ein mechanistisches Technikverständnis vor. Wasserbautechnik wird als eindeutiges, geometrisches, statisches und deterministisches System am Gewässer realisiert. Naturnaher Wasserbau hingegen weist ein komplexes Technikverständnis (Banse) auf. Großer Wert wird auf Dynamik und Vielfalt gelegt. Gewässer werden stochastisch gefasst und illustrierend beschrieben. Die Realisierung von Technik erfolgt interdisziplinär.

Generell lässt sich sagen, dass sich der Horizont des Erfassens vom Massivwasserbau zum Naturnahen Wasserbau hin geweitet hat. Neben geänderten Bewertungen und Präferenzen innerhalb des Weltbildes umfasst das Weltbild des Naturnahen Wasserbaus zudem schlicht mehr ‚Inhalt' als das des Massivwasserbaus. Das spiegelt sich beispielsweise in den erfassten Dimensionen der Technik (Ropohl) wieder. Im Naturnahen Wasserbau wurde gegenüber dem Massivwasserbau wesentlich die naturale Dimension um die biologische (ökologische) Perspektive erweitert. Auch hat sich der Schwerpunkt innerhalb der naturalen Dimensionen von der physikalischen (und chemischen) zur biologischen Perspektive verschoben. Die humane und die soziale Dimension spielen allerdings bei beiden Wasserbaustilen eine untergeordnete Rolle.

Unter dem Gesichtspunkt einer Typologie der menschlichen Naturverhältnisse (Oldemeyer) lässt sich im Massivwasserbau klar ein ausgeprägtes Ich-Es-Verhältnis des dritten Typus erkennen. Natur ist etwas dem Menschen Gegenüberstehendes. Als äußere ist sie ihm Objekt zur Bearbeitung und uneingeschränkten Nutzung. Die Welt wird im Massivwasserbau klar in die Bereiche "Natur" und "Kultur" aufgeteilt. Die erhabene Stellung des Menschen als verstandesbegabtes und kulturfähiges, von der Natur verschiedenes Subjekt wird deutlich herausgestellt. Autonomie und Getrenntsein von der Natur werden als wohltuend erfahren und sollen - auch mit massivwasserbaulichen Maßnahmen - gestärkt werden.

Im Naturnahen Wasserbau dagegen wird ein sich vollziehender Perspektivenwechsel von einem Typ-3- zu einem Typ-4-Naturverhältnis sichtbar. Ein Ich-Wir- Verhältnis des Menschen zur Natur etabliert sich. Das im Umbruch befindliche Verhältnis sorgt für Widersprüche und eine gewisse Orientierungslosigkeit. Im Übergang zu einem Wir-Naturverhältnis tritt die dichotome Trennung von Natur und Kultur zugunsten eines (hierarchischen, aber zumindest gedanklich allumfassenden) ökosystemaren Naturganzen in den Hintergrund. Der Mensch erkennt sich als - mitsamt seiner kulturellen Sphäre - einverwoben in einen ökologischen Seinsverband aller Naturdinge, erkennt sich selbst als Teil der "Ökonatur". Die Ausgestaltung der Beziehung zu den anderen Mitgliedern dieser öko-natürlichen Wir-Welt differiert allerdings. So werden im Naturnahen Wasserbau sowohl anthropozentrierte als auch ökozentrierte Positionen eingenommen.

Die Vorstellung der ökonatürlichen Welt zeigt sich im Naturnahen Wasserbau als eine totale. Dementsprechend wird die Ökonatur von innen aus der Teilnehmerperspektive erfasst und kann indes für den Menschen nie vollständig erkennbar sein. Der Wechsel zu einem Typ-4-Naturbezug vollzieht sich nicht in einer radikalen Negierung und vollständigen Überwindung des dritten Typus, sondern vielmehr in einer Überformung dessen.

Nachhaltigkeit und Ethik - Kapitel 5

In Kapitel 1 wird Wasserbau als ethisch sensibler Bereich ausgewiesen und dargestellt, inwiefern die beiden Technikstile jeweils einen Beitrag für oder wider eine nachhaltige Entwicklung zu leisten vermögen. Dies geschieht hauptsächlich in Anwendung des Integrativen Konzepts der Nachhaltigkeit (Kopfmüller et al.). Im Zuge der Betrachtungen werden Zielkonflikte offensichtlich. Diesen wird auf theoretischkonzeptioneller Ebene begegnet. Anschließend werden unter Einbezug von Aussagen der voran stehenden Kapitel (gemeinsame) Weltbildaspekte des Leitbildes "nachhaltiger Entwicklung" und der Technikstile erörtert.

In der Anwendung des Integrativen Konzepts wird für die Nachhaltigkeitsbewertung der Technikstile eine gesamtgesellschaftliche Perspektive eingenommen. Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte von Wasserbautechnik werden integrativ über Nachhaltigkeitsregeln (Kopfmüller et al.) abgefragt. Das explizit normative Konzept wird dabei als Konkretisierung (und Operationalisierung) der Ethik (Maring) aufgefasst.

Die Ergebnisse der anhand der Nachhaltigkeitsregeln vorgenommenen Bewertungen der Technikstile bleiben uneindeutig. Fest steht: Weder Massivwasserbau noch Naturnaher Wasserbau leisten per se einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Ein solcher Beitrag lässt sich indes nur im Konkreten, an je einzelnen Maßnahmen bzw. Maßnahmenbündeln ermitteln. Jedoch zeigen die Ergebnisse eine klare Tendenz in Richtung Naturnaher Wasserbau als dem nachhaltigeren Technikstil auf.

Darüber hinaus weist die umfangreiche Diskussion anhand der einzelnen Nachhaltigkeitsregeln auf immanente Schwachstellen und Stärken des jeweiligen Technikstils hin. Die Diskussionsergebnisse legen nahe, dass als Ausgangspunkt der Planung wasserbaulicher Maßnahmen jeweils eine möglichst naturnahe Bauweise zu wählen ist. Dieser erste, konkrete Entwurf ist dann hinsichtlich seines Beitrags zu einer nachhaltigen Entwicklung (anhand des Konzepts) zu bewerten. Auftretende Nachhaltigkeitsdefizite sind dann gegebenenfalls im Detail durch entsprechend massivere Ausführungen zu korrigieren. Im Ausnahmefall können sich durchaus auch massive wasserbauliche Eingriffe zum Erlangen einer nachhaltigen Entwicklung als notwendig erweisen. Diese Maßnahmen unterscheiden sich dann aber von massiv- wasserbaulichen Maßnahmen im Sinne des Technikstils auch grundsätzlich dadurch, dass ökologische Gesichtspunkte stets mitbedacht werden, auch wenn diese in Abwägung mit anderen Gesichtspunkten mitunter letztlich nicht realisiert werden.

Im Zuge der Durchführung von Nachhaltigkeitsbewertungen von konkreten Maßnahmen werden stets Zielkonflikte auftauchen. Zielkonflikte sind Nachhaltigkeitsbetrachtungen, die einem integrativen oder auch Mehr-Säulen-Konzept folgen, inhärent. In ihnen tritt das Problem unvereinbarer (disziplinärer) Rationalitäten in Form von Inkommensurabilitäten zutage. Zielkonflikte spiegeln als Rationalitätsprobleme den Kern und das eigentliche Anliegen von Nachhaltigkeitsbetrachtungen in ungelöster Weise wieder: Die rationale und wissenschaftliche Zusammenschau aller für ein nicht schlechtes Leben zu berücksichtigenden Aspekte einer Maßnahme (oder eines Zustandes) in einer ‚ethical theory of everything‘.

Zum Umgang mit Zielkonflikten bedarf es eines Verfahrens, mit dem begründet, auf rationalem Wege, eine Abwägung zwischen den konfligierenden Zielen möglich wird. Ein solches Verfahren dient letztlich dazu, getrennte, inkommensurable Rationalitätssysteme gegeneinander anschlussfähig zu machen und so ins (begründete) Abwägen kommen zu können. Indem mit Hilfe eines solches Verfahrens vergleichbar wird, was zuvor unvergleichbar nebeneinander stand, wird letztlich Rationalität erzeugt.

Konkret wird unter der Wahrung des Nachhaltigkeitsverständnisses als Konkretisierung der Ethik ein dreistufiges Verfahren zur Lösung von Zielkonflikten vorgeschlagen. Im ersten Schritt kommt das konzepteigene Lösungsverfahren (Brandl) zum Einsatz. Führt dies zu keiner hinreichenden Konfliktlösung, werden die „Prioritätsprinzipien zur moralischen Lösung von Konflikten“ (Lenk/Maring/Werhane) herangezogen. Gelingt eine Abwägung auch dann noch nicht, muss in einem dritten Schritt ein der Problemlage angemessenes und umfassendes Diskursverfahren durchgeführt werden. Dieses mehrstufige Verfahren ist als Leitlinie des Denkens aufzufassen. In der konkreten Abwägung sind zudem Sensibilität für die Problemlage und Urteilskraft gefragt.

Die in Kapitel 5.4 vollzogene Betrachtung des Integrativen Konzepts und der Technikstile unter Weltbildaspekten fördert unter anderem zutage, dass das Integrative Konzept bezüglich seiner moralischen Reichweite (Meyer-Abich) zwischen den Positionen des Massivwasserbaus und des Naturnahen Wasserbaus steht. Operiert der Massivwasserbau aus einem engen, so das Integrative Konzept aus einem erweiterten Anthropozentrismus heraus. Im Naturnahen Wasserbau wird eine erweitert anthropozentrische bis ökozentrische Position eingenommen. Diese mittlere Position des Integrativen Konzepts spiegelt sich auch in der Diskussion der Technikstile über die Nachhaltigkeitsregeln wieder. Insgesamt zeigt sich das Integrative Konzept in seinem weltbildhaften Hintergrund dem Naturnahen Wasserbau näher, sie entspringen dem selben Zeitgeist. So lassen sich Hinweise finden, dass auch der Nachhaltigkeitsgedanke am Übergang von einer anthropozentrischen zu einer trans-anthropozentrischen Weltsicht gedeiht. Aus Gründen der Wahrung von Rationalität (und politischer Anschlussfähigkeit) verbleibt das Integrative Konzept (in seiner Begründung) allerdings strikt anthropozentrisch.

Als Hemmnis zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung erweisen sich letztlich nicht politische oder ökonomische Unmöglichkeiten (Ott), sondern vielmehr die Gewohnheit der bislang gültigen Weltdeutungen. Zur Etablierung einer nachhaltigen Entwicklung bedarf es eines kollektiven Weltbildwandels. Diesen aber herbeizuführen, stellt eine prekäre Aufgabe dar und ist nicht allein durch Appelle oder Reglementierungen zu bewerkstelligen. Es sind an ganz verschiedenen Stellen Denkgewohnheiten und gesellschaftliche Praxen zu hinterfragen sowie diesen ‚nachhaltige‘ Gegenentwürfe entgegenzustellen, auch wenn diese in der Umsetzung nicht immer im strengen Sinne des Konzepts als „nachhaltig“ bezeichnet werden können.

Die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung ist kaum vorstellbar ohne die persönliche Betroffenheit vieler und muss letztlich demokratisch geschehen. Jenseits seiner ethischen (also wissenschaftlichen) Ausformulierung als Konzeption rührt der Gedanke der „Nachhaltigkeit“ an vielen bislang gültigen Gewissheiten, stellt diese und den damit verbundenen gewohnten Weltumgang vielerorts in Frage. Das Leitbild nachhaltige Entwicklung liefert als Gegenentwurf gängiger Praxis mannigfaltige Ansatzpunkte (auch) zur persönlichen Betroffenheit und damit wiederum Ansatzpunkt für einen (gemeinschaftlichen) Weltbildwandel.

Die Weiterentwicklung des Gedankens der Nachhaltigkeit als Leitbild, die konzeptionelle Ausgestaltung von Nachhaltigkeit sowie deren (politische) Umsetzung sind Schritte, die auf verschiedenen Ebenen jeweils in eine Richtung führen: in Richtung eines (gesamtgesellschaftlich) expandierenden Bewusstseins und diesem folgend einer Dehnung der Reichweite moralischer Verantwortung, die in ihre Mitte jeweils alle Mitmenschen wie auch künftige Generationen aufnimmt, sowie Zug um Zug auch der nichtmenschlichen Umwelt einen Platz als Mitwelt einräumt.

Ausblick und Umsetzung – Kapitel 6

Im sechsten Kapitel werden in einer gestalterischen Wendung der Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel Ausblicke und Vorschläge für den Fortgang der kulturellen Unternehmung Wasserbau gegeben. Diese Vorschläge richten sich teils an das Wasserbaukollektiv insgesamt, teils an spezifische Institutionen. Im Speziellen werden Ausblicke zur wasserbaulichen Forschung und Projektierung sowie zur Gestaltung wasserbaulicher Artefakte gegeben. Zuvor wird im Hinblick auf Nachhaltigkeit und dem diesbezüglichen Umgang mit Gewässern ein notwendig neues Naturverständnis ausgeführt.

Ein neues Naturverständnis und -verhältnis sind notwendige Voraussetzungen für die Lösung einer ganzen Reihe von Problemlagen globaler und anthropologischer Reichweite. Ein solches Naturverständnis muss grundsätzlich auf der Basis einer Typ-4-Naturbeziehung (Ich-Wir-Verhältnis) angelegt sein. Eine momentan immer noch den Lauf der Dinge bestimmende Ich-Es-Natureinstellung ist zu überwinden. Dabei vereint eine Ich-Wir-Beziehung in sich (kumulativ) alle bislang gelebten menschlichen Zugänge (Beziehungstypen) zur Welt. In einem neuen Naturverhältnis gilt es nun, allen diesen Zugängen einen angemessenen Platz einzuräumen. Insofern muss auch die im Zuge eines modernen rational-instrumentellen Naturverhältnisses unterdrückte Ich-Du-Beziehung in Form eines dialogischen Verhältnisses zur Natur wieder gestärkt werden. All diese Zugänge aber sind im Bewusstsein, einer diese Zugänge übergreifenden Ich-Wir-Beziehung zu praktizieren und einzuordnen.

Das erweiterte Naturverständnis und ein damit sich ausbildendes ökozentrisches Weltbild bedeuten nicht eine Abkehr von den geistigen Errungenschaften der Aufklärung, sondern vielmehr die Ausdehnung ihres Geltungsbereichs auf Nicht- Menschliches. Diese Rückung aber bedarf einer Neubestimmung des kulturellen Selbstverständnisses sowie eine Neuverortung der zentralen, anthropozentrierten Begrifflichkeiten der Philosophie.

Als erster Vorschlag an den Wasserbau ergeht allgemein, diesen vor dem Hintergrund des erweiterten Naturverständnisses im umfassenden Sinne vernünftig zu gestalten. Dazu bedarf es – mehr als nur eines verstandesmäßigen – eines ganzheitlichen Welterfassens sowie eines maßvollen Naturumgangs und Selbstverständnisses. So gilt es auch, gegebenenfalls auf die Realisierung von Handlungsmöglichkeiten zu verzichten. Wasserbauliche Leistung kann mitunter im Verzicht auf Technik bestehen. Vernünftiger, maßvoller Wasserbau verfolgt durchaus ein (aufklärerisch) emanzipatorisches Anliegen, nicht indem er – wie Massivwasserbau – den Menschen von der Natur zu befreien, sondern vielmehr von den einschränkenden Folgen seines eigenen, unvorsichtigen Tuns zu bewahren sucht.

Gefordert wird des Weiteren ein Wasserbau, der in seinem Weltumgang sowohl analytisch als auch vermehrt hermeneutisch verfährt. Ein hermeneutischer Wasserbau setzt zwei wesentliche Aspekte von Hermeneutik im technischen Schaffen um: Dialog und Distanz. Der Erkennende und Planende gelangt in der dialogischen Auseinandersetzung mit der Gewässerlandschaft einerseits zu einem vertieften Verständnis der vorliegenden Situation und andererseits zu Distanz zum Erkenntnisprozess und damit auch zu sich selbst. Mit dem Zurücknehmen des Ergebnis präformierenden (Erkenntnis-)Subjekts werden angemessene und reflektierte wasserbauliche Lösungen ermöglicht.

Ist Wasserbau als Technik bislang vom Umgang mit der Natur geprägt und wurde er fast ausschließlich über naturwissenschaftliches Wissen vollzogen und angeleitet, so gilt es zukünftig, in Form eines „kulturellen Wasserbaus“ der kulturellen Verfasstheit von (Wasserbau-)Technik sowie der zu gestaltenden Gewässerlandschaften vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Wie einst der Massivwasserbau aus einer mechanistisch geprägten Sicht in eine ökologische überführt wurde, so gilt es nun, neben ökologischen auch ein Sensorium für kulturelle Aspekte zu entwickeln. Dem kommt umso mehr Bedeutung zu, je mehr Kultur und Technisierung voranschreiten. Bei der Gestaltung von Gewässerräumen und Wasserbautechnik muss neben den technischen Funktionen vermehrt auch den gesellschaftlichen Funktionen sowie dem Gehalt von Technik Aufmerksamkeit geschenkt werden.

So ist auch in den Technikdisziplinen unter anderem die gesellschaftliche Entlastungsfunktion der Technik zu berücksichtigen. Letztlich bedeutet, die kulturelle Verfasstheit von Technik zu beachten, auch grundsätzlich jenen Weltbildgedanken zu verfolgen, der in Kapitel 1 dargelegt und in Kapitel 1 ausgeführt wurde. Mit dem Vorschlag eines kulturellen Wasserbaus ist zudem die Forderung nach einer Interdisziplinarität, die über die Grenzen der Wissenskulturen hinweg verläuft, eng verbunden.

In weiterführenden und konkretisierenden Überlegungen zum kulturellen Wasserbau wird für die wasserbauliche Projektierung ein umfassender Entwurf reflexiver Technik gefordert. Dem Gedanken des Technologischen Trichters (Reher/Banse) folgend lässt sich auf drei verschiedenen Wegen Einfluss auf die Entwicklung von Technik nehmen: Es kann a) der gesellschaftliche ‚Rahmen‘ inhaltlich gestaltet werden, b) die Verbindlichkeit der Restriktionen erhöht werden, oder es können c) umsichtig die Rahmenbedingungen bereits im Entwurf weitgehend antizipiert werden. Sollen auch a) und b) gestärkt werden, so ist speziell bei der Projektierung von Wasserbautechnik c) zu realisieren. Für die konkrete Gestaltung von Technik gilt es, alle Stufen des Trichters sowie die Wechselwirkung von Technik und Trichter im Entwerfen präsent zu haben und einsichtig vorwegzunehmen. Dies würde in jeder Projektierung die Umsetzung eines kulturellen Wasserbaus gewährleisten.

So bedeutet ein umfassender Entwurf von Technik auch, dass der mit Technik vollzogene Vorgang effektiver Isolierung – das Ausschalten der Welt-im-Übrigen (Luhmann) – in der Entwicklung von Technik nicht mehr entlang der Trennlinie Natur-Kultur geschieht. Das Verständnis von Technik ist diesbezüglich ebenso zu weiten wie der Funktionsbegriff von Technik. Von funktionierender Technik sollte zukünftig nur dann gesprochen werden, wenn diese nicht nur natürliche Sachverhalte korrekt abzubilden und zu kontrollieren vermag, sondern auch kulturelle. Technik funktioniert erst dann, wenn sie die ihr gesetzten gesellschaftlichen Funktionen erfüllt und letztlich auch erst dann, wenn sie im kulturellen Kontext Sinn ergibt.

Im Zuge einer integrativen Gewässerlandschaftsgestaltung ist eine konsistentere Raumplanung mit einer klaren Nachhaltigkeitskonzeption im Mittelpunkt zu fordern, die angesichts der sowohl sektoralen wie territorialen Parzellierung der Zuständigkeiten am Gewässer durchsetzungsstark Abhilfe schaffen kann. Dies würde unter anderem Verbesserungen im Katastrophen- und Hochwasserschutz sowie in der integrativen Flächenbewirtschaftung ermöglichen. Für eine Verbesserung des Hochwasserschutzes ist ferner zu überlegen, ob handelbare Hochwasserschutzzertifikate ein adäquates Mittel darstellen könnten.

Des Weiteren wird vorgeschlagen, wasserbauliche Gestaltung von Gewässerlandschaften stets auch nach ästhetischen Gesichtspunkten im weitesten Sinne vorzunehmen und Wasserbauwerke nicht nur als Gebrauchstechnik, sondern als Architektur zu schaffen. Gewässerlandschaften stellen innerhalb des Technotops (Erlach) sensiblen Wohn- und Lebensraum für Menschen und andere Lebewesen dar, der sich vom einfach nur Nützlichen oder Notdürftigen unterscheiden sollte. Diesen Unterschied aber baulich umzusetzen ist Kernaufgabe architektonischen Gestaltens. So ist – auch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung – die Gestaltung des Technotops nicht allein einer verkürzten technisch-ökonomischen Zweckrationalität zu überlassen. Zur Umsetzung von Gewässerarchitektur bedarf es in der Projektierung von Wasserbaumaßnahmen ästhetisch gestalterischer Kompetenz, die nicht allein durch die Zusammenarbeit von Landschaftsarchitekten und Wasserbauingenieuren gewährleistet werden kann, sondern (diese übergreifend) gesondert zu schulen ist.

Bezüglich wasserbaulicher Forschung wird zunächst vorgeschlagen, ein (minimales) wissenschaftstheoretisches Sensorium für die eigene Disziplin auszubilden, um einen Grundstock an selbstkritischer Reflexion der eigenen wissenschaffenden Erkenntnisbedingungen, Methoden und Theorien zeitnah und themenspezifisch zu gewährleisten. Des Weiteren sollen im Wasserbau alternative Forschungsansätze zur Anwendung kommen. Hier ist zum einen ein aristotelisches Forschungsprogramm (von Gleich) zu etablieren, wie zum anderen nachmaterialistisch-naturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen (Bechmann) auch im Wasserbau – kritisch – Beachtung zu schenken.

Grundgedanke des ersteren ist, durch die Betonung aristotelischer Erkenntnisprinzipien gegenüber den bislang vorherrschenden galileisch-cartesianischen eine ökologischere und naturgemäßere Technik zu ermöglichen. Ziel des zweiten Vorschlags ist es, umstrittenen ‚paranormalen‘ Phänomenen mit und am Wasser, die sich auch für den Wasserbau als relevant erweisen könnten, mit dem Ansatz nachmaterialistischer Naturwissenschaft nachzugehen. Dieser alternative Forschungsansatz wird gewählt, da sich jene Phänomene prinzipiell – so wird begründet vermutet – mit dem gebräuchlichen naturwissenschaftlichen Instrumentarium weder theoretisch noch empirisch fassen lassen können.

Weitere Vorschläge ergehen hinsichtlich der Gestaltung konkreter, artefaktischer Wasserbautechnik. Im Anschluss an die Ausführungen zu einer aristotelischen Forschung im Wasserbau wird vorgeschlagen, die Eingriffstiefe von wasserbaulichen Maßnahmen möglichst zu beschränken. Es empfiehlt sich, weniger wirkungsmächtige Techniken mit in Raum und Zeit einigermaßen überschaubaren Wirkungsketten zu bevorzugen. Über das Kriterium der „Eingriffstiefe“ (Gleich) kann dies ermittelt werden. Dieses Kriterium wird neben den Nachhaltigkeitskriterien bei der konkreten Entwicklung von technischen Artefakten anempfohlen, weil es sich als artefaktzentriertes dem gestaltenden Ingenieur wesentlich zugänglicher erweist als die auf gesellschaftliche Zustände verweisenden Nachhaltigkeitskriterien.

Technik als Artefakt ist zudem offen, für jedermann wahrnehmbar und zugänglich in der Welt zu installieren. Dies gilt in zweifacher Weise: Erstens sind technische Artefakte generell sinnlich wahrnehmbar (sichtbar, hörbar) zu installieren; Technik soll transparent in der Welt vorliegen. Zweitens soll die Gestalt von technischen Artefakten an sich, in ihrer inneren Struktur und ihren technischen Funktionen, transparent sein. Technik soll nicht nur offen sichtbar, sondern auch in ihrer jeweiligen Gestalt authentisch vorliegen. Zweck und Sinn, Funktion und Gehalt des technischen Artefaktes sind hierüber zugänglich zu machen. Dies gilt es zu realisieren, um ein breites, öffentliches Bewusstsein für Technik zu schaffen und Technik möglichst im Bewusstsein zu halten.

Denn Technik – vor allem Großtechnik wie Wasserbau – muss als ‚These der Gesellschaft‘ geäußert werden und zur Diskussion stehen. Artefaktische Technik legt Zeugnis ab über unseren kollektiven Umgang mit Natur, Umwelt, Nachwelt und Mitwelt, über unser Streben, unsere Werte, Präferenzen und Vorstellungen. Es ist stets zu fragen, ob dieser Umgang angebracht ist, ob die These auch weiterhin kollektiv getragen wird. Technik sollte uns als Gegenstand der (Selbst-)Erkenntnis, als Spiegel unserer Lebensweise und unseres kollektiven Welt- und Selbstverständnisses dienen. Nur über den erkennenden Kontakt zur Technik, zu deren Gestalt, Funktion und Gehalt, können wir urteilen, mit welchen Techniken wir leben und uns umgeben wollen, und mit welchen nicht.


Erstellt am: 30.04.2008 - Kommentare an: webmaster