Ulrich Dewald
Energieversorgung im Wandel -
|
Einleitung1. Einleitung1.1 Erneuerbare Energien als Baustein der EnergieversorgungDie gegenwärtige Debatte zum Klimawandel hat sich zu einem zentralen Thema in der politischen Diskussion auf vielfältigen räumlichen Ebenen, also sowohl in der Regionalpolitik wie auch in der internationalen Politik entwickelt. Als zentrale Herausforderung gilt dabei die Entwicklung zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Energieerzeugung zur Deckung des Strom- und Wärmebedarfs und zur Versorgung der Verkehrssektoren. Der Stand der Umsetzung dessen – also die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien – ist dabei in unterschiedlichen Staaten sehr ungleich vorangeschritten. Einzelne Staaten schauen bereits auf langjährige Entwicklungspfade zurück, in denen Anstrengungen hinsichtlich der Technologieentwicklung als auch deren Anwendung unternommen wurden. Entsprechend ungleich stellt sich die bisherige Verbreitung erneuerbarer Energien dar. Beispielhaft sei dies zunächst für die Anwendung der Windenergie aufgezeigt, wo der USamerikanische, der deutsche, der spanische und der chinesische Markt im Jahr 2008 gemeinsam 64,9 Prozent der weltweit installierten Leistung ausmachten (GWEC 2009). Setzt man eine Betrachtung eine Ebene tiefer innerhalb der Nationalstaaten fort, offenbaren sich dort ebenfalls große räumliche Unterschiede, die zunächst durch die spezifischen naturräumlichen Anforderungen an eine Technologie erklärt werden können. So liegen die norddeutschen Bundesländer in der Statistik der installierten Leistung aufgrund der Windhöffigkeit vorne, alleine in Niedersachsen waren bis Mitte 2009 mit über 6200 MWp 25,1 Prozent der gesamten Leistung Deutschlands installiert (ibid.). Allerdings verwundern die Unterschiede bezogen auf die Bundesländer in den Mittelgebirgen. So weist Rheinland-Pfalz über 1200 MWp installierter Leistung auf, während Hessen mit 518 MWp deutlich darunter liegt (DEWI 2009). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem ersten Blick auf den Markt für Photovoltaiksysteme. Hier zeigen Statistiken über einen längeren Zeitraum hinweg ebenfalls die Dominanz weniger nationaler Märkte. Alleine in Deutschland, Spanien, Japan und die USA waren im Jahr 2008 insgesamt knapp 90 Prozent der weltweiten Anlagenkapazität installiert (IEA-PVPS 2010a). Gleichzeitig gelten diese Staaten auch als Ausgangspunkte der frühen industriellen Entwicklung (Jacobsson et al. 2004). Eine räumliche Differenzierung ergibt sich dabei ebenfalls aus spezifischen naturräumlichen Voraussetzungen einzelner Technologien. Die größten Anteile sind in Deutschland erwartungsgemäß in den süddeutschen Bundesländern, die eine höhere Sonneneinstrahlung aufweisen, installiert. Dabei wies Bayern im Jahr 2010 einen Anteil von 36 Prozent an der gesamten in Deutschland installierten Leistung auf (Photon 2010; Bundesnetzagentur 2011). Auch hier zeigt der Vergleich von Bundesländern mit ähnlicher naturräumlicher Ausstattung jedoch auffällige Unterschiede. So betrug die installierte Leistung in Baden-Württemberg im Jahr 2010 258,5 Watt/Einwohner, während dieser Wert in Bayern mit 501,2 Watt/Einwohner deutlich höher ausfiel. Waren in Schleswig-Holstein im Jahr 2010 226,4 Watt/Einwohner installiert, betrug der Wert für Mecklenburg-Vorpommern nur 154,3 Watt/Einwohner (ibid.). Am Beispiel der Wind- und Photovoltaiktechnologie wird damit deutlich, dass sowohl zwischen als auch innerhalb der Staaten Unterschiede im Zubau von Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen zu beobachten sind. Diese Beobachtung stellt den Ausgangspunkt der Arbeit dar. Deutschland nimmt mit erfolgreichen Bemühungen zur Einführung der erneuerbaren Energien für die Stromversorgung, die in dieser Arbeit im Fokus steht, international eine Vorreiterrolle ein. Dies gilt neben der Windenergie etwa auch für die Nutzung von Biogasanlagen zur Stromerzeugung oder eben die Photovoltaik-Technologie. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung ist dabei von 6,4 Prozent im Jahr 2000 auf 16,8 Prozent im Jahr 2010 angestiegen (BMU 2011) und dieser Erfolg ist maßgeblich auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 zurückzuführen (Reiche 2004; Hirschl 2008; Jacobsson/Lauber 2006). Eine Reihe von Faktoren hat dazu geführt, dass die Photovoltaik-Technologie heute ernsthaft als ein Baustein einer zukünftigen Energieversorgung diskutiert wird und ein stetig steigender Anteil an der Bruttostromerzeugung, der im Jahr 2010 zwei Prozent erreichte (BMU 2011), zu verzeichnen ist. Die Entwicklung der Photovoltaik und ihre heutige Bedeutung bezogen auf den deutschen Betrachtungsraum basieren jedoch auf einem bereits mehr als fünfzigjährigen Entwicklungsprozess, setzten also weit vor der Implementierung des EEG ein. Dieser Entwicklungsprozess vollzog sich nicht nur hinsichtlich der Technologien, indem Forschung und Entwicklung in Unternehmen und Forschungsinstituten als grundlegende Voraussetzung der Marktentwicklung funktionierende Anlagen hervorbrachten. Ebenso wie die Technologieentwicklung zeigt auch die Entwicklung der Politik einen langjährigen Lernprozess auf, der durch eine Sequenz variierender Fördermodelle mit unterschiedlichem Erfolg gekennzeichnet ist und an dessen vorläufigen Ende das so erfolgreiche EEG steht (Jacobsson et al. 2004). Technologieentwicklung und Fördermodelle trafen auf einen Raum, der in vielerlei Hinsicht für die Anwendung der Technologie sehr unterschiedliche Voraussetzungen aufweist. Neben den naturräumlichen Bedingungen wirkt ein vielfältiger Mix von Faktoren auf die Marktentwicklung, etwa die Siedlungsstruktur, die politische Ausrichtung und die damit verbundene Förderpolitik auf verschiedenen Verwaltungsebenen oder die sozio-ökonomische Ausstattung der Bevölkerung. So wird deutlich, dass vielfältige Einflussfaktoren für ein Verständnis des Entstehungspfades neuer Technologien mit berücksichtigt werden müssen. Dies führt zur übergeordneten Fragestellung dieser Arbeit: Es stellt sich die Frage, welche Merkmale den Entstehungspfad neuer Technologien der Energieerzeugung charakterisieren und wie sich diese Technologien im bestehenden Energieversorgungssystem etablieren. Dies wird am Beispiel der Photovoltaiktechnologie ausgeführt, da diese, wie angedeutet, einen mehrere Jahrzehnte andauernden Entwicklungsprozess aufweist. Damit lässt sich die Arbeit einbetten in eine innerhalb der Wirtschaftsgeographie breiter geführte Debatte um nachhaltigkeitsorientierte Transitionen (Truffer/Coenen 2012). Ziel ist es dabei, eine konzeptionelle Fundierung zum nachhaltigen Wandel von Produktion, Konsum und Lebensstilen als wichtiges thematisches Betätigungsfeld für die Wirtschaftsgeographie anzubieten, in dem der Wandel der Energieversorgung ein wichtiges thematisches Feld darstellt. Dies erfolgt vor dem Hintergrund einer bisher zögerlichen Annäherung an den Themenkomplex durch die Raumwissenschaften (vgl. Kap. 2.1 f.). Die dabei vorgeschlagene konzeptionelle Fundierung basiert auf Erkenntnissen aus Nachbardisziplinen, die das Themengebiet früher entdeckt haben und dort Konzeptionen und Fallbeispiele platziert haben. Konkret verweisen Truffer/Coenen (2012) auf den Ansatz technologischer Innovationssysteme (TIS) und soziotechnischer Systeme. So bestehen auch bereits einige Untersuchungen zur Entwicklung des technologischen Systems der Photovoltaik in Deutschland (Jacobsson et al. 2004; Jacobsson/Lauber 2006). Diese identifizieren wichtige Wechselwirkungen aus einer systemischen Betrachtung heraus. Allerdings spezifizieren diese nicht die räumliche Einbettung verschiedener Prozesse in Innovationssystemen. Darauf einzugehen ist jedoch erforderlich. So steht das EEG als erfolgreiches Politikinstrument, wie oben bereits thematisiert, am vorläufigen Ende eines Entwicklungsprozesses, in dem verschiedene Förderprogramme auf verschiedenen administrativen Ebenen zur Anwendung kamen. Betrachtet man von vorneherein die nationale Ebene als wesentliche Wirkungsebene, kann dies leicht übersehen werden. Dies ist gerade vor dem Hintergrund wichtig, dass viele Staaten gegenwärtig das EEG als erfolgreiches Modell kopieren. Dabei treten jedoch Schwierigkeiten auf. Fördermechanismen, die sich in einem räumlichen Kontext als äußerst effektiv bewähren, mögen womöglich anderswo kaum zu den gewünschten Ergebnissen führen. Um den Erfolg in Deutschland verstehen zu können, ist es daher erforderlich, Wirkungszusammenhänge für Teilprozesse des Innovationssystems aufzuzeigen und diese in ihre jeweiligen räumlichen Wirkungszusammenhänge einzuordnen. 1.2 Ziele und Fragestellungen der ArbeitMit der eingangs thematisierten räumlichen Variabilität neuer Formen der Energieerzeugung und der Hinwendung zu systemischen Ansätzen ist nun eine weitere Annäherung an die Forschungsfragen möglich. Überlegungen zu räumlichen, technologischen und sektoralen Innovationssystemen haben gemeinsam, dass sie die Durchsetzung von Technologien von einer Grundperspektive aus betrachten, die neben der Technologie auch die Bedeutung von formellen und informellen Institutionen, und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung die Rolle der Konsumenten, die politischen Rahmenbedingungen und den Einfluss verschiedener Intermediäre auf die Innovationstätigkeit einbezieht (Edquist 2005). Sie decken damit die Bandbreite der eingangs bereits angedeuteten Einflüsse auf Entstehungspfade neuer Technologien ab. Sie versuchen, die Entwicklung und Durchsetzung neuer Technologien gerade aus den Wechselwirkungen verschiedener Akteure, Netzwerke und Institutionen (Carlsson/Stankiewicz 1991) zu verstehen. Allerdings, und dies führt zum wesentlichen konzeptionellen Ziel der Arbeit, kann eine Ungleichgewichtung beobachtet werden: viele Studien fokussieren die Entstehungs- und Produktionsseite neuer Technologien, setzen diese jedoch nur ungenügend mit Prozessen der Diffusion in Märkte und der Anwendung der Technologien in Beziehung. Für die Arbeit bedeutet dies, dass hier die Marktformierung genauer betrachtet wird. Gerade im Zusammenhang mit einer nachhaltigkeitsorientierten Transition der Energieversorgung stellt sich die Frage, welche Strategien erforderlich sind, um die Verbreitung erneuerbarer Energien zu unterstützen und die Anwendung zu beschleunigen. Und es stellt sich die Frage, warum und wo dieser Wandel einsetzte und wie sich Bedingungen der Marktformierung im Zeitablauf wandeln. Dies aus systemischer Perspektive vorzunehmen, erfordert dabei auch, Rückwirkungen der Marktformierung auf vorgelagerte Prozesse der Wissensgenerierung und Unternehmensdynamik aufzuzeigen. Die Förderung der erneuerbaren Energien erfolgt ja gerade auch aus dem Motiv heraus, industriepolitische Ziele zu realisieren. Aus diesem übergeordneten Ziel einer systemischen Betrachtung der Photovoltaiktechnologie können nun Teilfragen entwickelt werden, die im Zentrum dieser Arbeit stehen. Dabei werden konzeptionelle Fragestellungen formuliert, an die sich jeweils auf das Fallbeispiel bezogene thematische Fragestellungen anschließen.
Tendenziell steht in Ansätzen zu Innovationssystemen die Seite der Generierung neuer Technologien im Vordergrund, wenngleich marktseitige Prozesse und damit die Nutzer und politische Rahmenbedingungen ebenfalls entscheidend Einfluss auf die Struktur und Entwicklung von Innovationssystemen nehmen (Bergek et al. 2008; Grabher et al. 2008). Daher erfolgt hier eine Verschiebung der Perspektive hin zum Markt und Marktentstehungsprozess, der bisher in vielen Ansätzen innerhalb der Wirtschaftsgeographie vernachlässigt wird (Schamp 2000; Martin/Sunley 2007). Die Formierung von Märkten und die Rückwirkungen auf die Produktionsseite werden daher genauer betrachtet. Erforderlich ist dabei, die Ebene einzelner Marktsegmente ins Auge zu fassen und deren Bedeutung für das Innovationssystem zu analysieren (Dewald/Truffer 2011). Die Photovoltaiktechnologie kommt in unterschiedlichen Größendimensionen zum Einsatz. Hinsichtlich der netzintegrierten Photovoltaik haben sich unterschiedliche Marktsegmente von Einfamilienhaus-Anlagen bis hin zu MW-Anlagen auf Freiflächen etabliert. Diese Marktsegmente sind durch jeweils unterschiedliche Akteure, Netzwerke und Institutionen gekennzeichnet. Es gilt, die Funktionsweise und Gründe für die Herausbildung dieser Marktsegmente in verschiedenen Phasen der Technologieentwicklung herauszuarbeiten. Außerdem stellt sich die Frage, ob und wie diese unterschiedlich auf die Funktionsweise des Innovationssystems einwirken. Bisherige Innovationssystemansätze binden Marktentstehungsprozesse nicht hinreichend ein. Vereinfachend wird die Entwicklung vom Nischen- über einen Brückenmarkt hin zu einem Massenmarkt beschrieben (Jacobsson/Bergek 2004), ohne jedoch Prozesse der Marktformierung im Detail zu betrachten. Dies ist auch der Entwicklung einer funktionalen Perspektive auf technologische Systeme geschuldet, in der einzelne Funktionen in einem technologischen System (Wissensgenerierung, Unternehmensdynamik, Marktformierung, Entstehung von Legitimität, Zugang zu Ressourcen, Koordination der Akteure, siehe auch Bergek et al. 2008) in ihren Wechselwirkungen betrachtet werden. Dies erfolgt jedoch zu Lasten eines Detailverlustes in der Erklärung einzelner Prozessfelder. In dieser Arbeit wird hingegen ein Fokus auf Kernprozesse gelegt, die vertieft betrachtet werden. Für die Marktformierung bedeutet dies, dass auf Arbeiten zu einer sozialen Konstruktion von Märkten zurückgegriffen wird (Möllering 2009; Aspers 2009), in denen die Analyse der Marktformierung anhand verschiedener Prozesse strukturiert wird. Dabei wird eine akteurs- und handlungszentrierte Sichtweise vorgeschlagen, die komplementär ist zu einer relationalen Perspektive der Wirtschaftsgeographie. In Erweiterung zu Frage 1, die strukturelle Merkmale einzelner Marktsegmente ins Auge fasst, erfolgt somit eine Ausweitung auf Prozesse der Marktformierung. Die strukturelle wird somit um eine dynamische Betrachtung erweitert. Um diese Prozesse zu konkretisieren, wird eine zentrale Akteursgruppe vertieft betrachtet, lokale und regionale Solarinitiativen. In systemischen Ansätzen erfolgt eine Hinwendung zu den Akteuren. Neben den Produzenten, den Politikern, den Anwendern oder Akteuren aus der Verwaltung wird dabei verstärkt die Rolle von Intermediären fokussiert (Howells 2006; Boon et al. 2011). Intermediäre nehmen vielfältige Koordinationsaufgaben war, die an unterschiedlichen Schnittstellen in einem Innovationssystem angesiedelt sein können und verschiedene Teilprozesse in Innovationsprozessen verbinden. Eine empirische Fokussierung auf die Rolle solcher Intermediäre ist daher aus verschiedenen Gründen sinnvoll. In einem breiteren Kontext des Wandels der Energieversorgung ist zu beobachten, dass vielfältige Impulse der Entstehung und Durchsetzung neuer Technologien von Anwenderpionieren ausgingen, die sich in verschiedenen Formen von Zusammenschlüssen organisiert haben (Garud/Karnøe 2003; Mautz et al. 2008). Dies wird im Fallbeispiel anhand sogenannter Solarinitiativen vertieft. Dies sind Zusammenschlüsse zumeist von Privatpersonen, die sich mit vielfältigen Aktivitäten der Anwendung und Ausbreitung der erneuerbaren Energien verschrieben haben. Hier wird der Frage nachgegangen, durch welche Aktivitäten sie auf die Formierung von Marktsegmenten (Frage 1) und auf die Ausgestaltung verschiedener Prozesse der Marktentwicklung (Frage 2) Einfluss nehmen. Wichtig ist dabei die Frage, ob sich deren Einfluss im Verlauf der Marktformierung wandelt. Mit dem Wachstum des Marktes ist zu erwarten, dass sich die Rolle von Akteuren wandelt, was somit anhand einer Akteursgruppe nachvollzogen werden soll. Die einseitige Fixierung auf bestimmte räumliche Ebenen wird in der Diskussion um nationale oder regionale Innovationssysteme kritisiert. Hier wird gefordert, die räumliche Einengung aufzugeben und der Realität der gleichzeitigen Einbindung von Akteuren in vielfältigen räumlichen Wirkungszusammenhängen gerecht zu werden (Bunnell/Coe 2001; Bathelt/Depner 2003; Fromhold-Eisebith 2007). Die Relevanz dieser konzeptionellen Beobachtung erschließt sich gerade dann, wenn der Blick nicht nur auf die Entstehungsseite der Technologien gerichtet wird, sondern auch die Anwendungsseite einbezieht. Entstehung und Anwendung von Technologien sind, davon ist auszugehen, räumlich unterschiedlich eingebettet, womit sich die Frage stellt, ob „komplette“ Innovationssysteme (Entstehung + Anwendung + Nutzung der Technologie) überhaupt auf regionaler Ebene konzeptualisiert werden können. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich räumliche Ausprägungen und Wirkungsgefüge für verschiedene Prozesse in Innovationssystemen unterscheiden. Weiterhin wird beanstandet, dass viele Arbeiten eher statisch eine Bestandsaufnahme bestehender Institutionen und Akteure abbilden. Sie sind damit einer strukturellen Perspektive verhaftet, werden aber dem evolutionären Ursprung des Ansatzes nicht gerecht, da Wandlungsprozesse in Innovationssystemen vernachlässigt werden (Geels 2004; Bergek et al. 2008). Daher ist es erforderlich, neben der Struktur die Dynamik zu erfassen, die sich eben auch im Wandel räumlicher Wirkungsgefüge ausdrückt. Bezogen auf das Fallbeispiel wird der Frage nachgegangen, welche räumlichen Bindungen das technologische System kennzeichnen. Während oftmals unhinterfragt von einem national abgrenzbaren Innovationssystem ausgegangen wird, soll hier der Blick auf unterschiedliche räumliche Bindungen verschiedener Teilprozesse in Politik, Unternehmensdynamik und Marktformierung gerichtet werden. Und es stellt sich die Frage, wie sich diese Bindungen im Zeitablauf wandeln. Daraus sind wichtige Hinweise für die Funktionsweise des technologischen Systems zu erwarten, die wiederum technologiepolitische Aussagen erhoffen lassen. Eingangs wurde auf räumliche Unterschiede der Anwendung von neuen Technologien zur Stromerzeugung hingewiesen. Diese sind nicht nur durch technologische oder räumliche Voraussetzungen bedingt. Wesentlich für die Durchsetzung dieser neuen Technologien ist auch die Frage, welche Impulse sich durch die sektorale Einbettung in die Stromerzeugung ergeben. Damit wird eine wesentliche Schwäche im TIS-Ansatz aufgegriffen. Die Wechselwirkungen von Technologien und Sektoren sind bisher unzureichend ausgelotet, jedoch für den spezifischen Formierungspfad der erneuerbaren Energien vermutlich ganz bedeutend. Es ist zu erwarten, dass durch unterschiedliche institutionelle, technologische und akteursbezogene Merkmale der konventionellen Elektrizitätswirtschaft wesentliche Barrieren der Einbindung neuer, von diesen bestehenden Merkmalen abweichenden Technologien, ausgehen. Dies ist im Hinblick auf verschiedene Teilprozesse der Entstehung des Photovoltaik-TIS genauer aufzuarbeiten. 1.3 Wahl des ForschungsgegenstandesDie dargestellten Fragekomplexe werden am Beispiel der Entwicklung der Photovoltaiktechnologie in Deutschland untersucht. Die Wahl dieser Technologie zum Forschungsgegenstand ergibt sich aus verschiedenen Erkenntnissen, ausgehend von einer ersten Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung. Einerseits wurde die Entstehung und Funktionsweise der Photovoltaik bereits in verschiedenen Arbeiten untersucht, zum Teil unter Verwendung des TIS-Ansatzes (Jacobsson et al. 2004). Damit ist es möglich, Ergebnisse einer stärker auf räumliche Zusammenhänge ausgerichteten Forschung mit Ergebnissen bereits bestehender Arbeiten zu vergleichen. Die Photovoltaik-Technologie ist darüber hinaus für die Betrachtung auch interessant, da die Anwendung der Technologie in höchst unterschiedlichen Formen möglich ist. Allein die netzintegrierte Photovoltaik kommt in so unterschiedlichen Anwendungsformen wie kleinen Gebäudesystemen mit der Größe weniger kWp als auch in großen Freiflächenparks von 20, 30 und mehr MWp zur Anwendung. Damit kann gerade die Frage der Bedeutung der Marktformierung auch entlang dieser verschiedenen Anwendungsformen thematisiert werden. Sie ist als Erzeugungstechnologie der Stromversorgung diejenige Technologie, die die deutlichsten Unterschiede zu Merkmalen der konventionellen Energieversorgung aufweist. Dezentralität bedeutet, dass Eigenheimbesitzer zu Stromerzeugern und gewissermaßen Konkurrenten großer Kraftwerksbetreiber werden. Somit können vielfältige Spannungsverhältnisse zur sektoralen Ebene erwartet werden, die in ihren Wirkungen auf den Technologiepfad zu betrachten sind. Weiterhin ergab sich eine ursprüngliche Motivation aus der Beobachtung der Industriedynamik in Ostdeutschland. Diese erfolgte jedoch erst in einem bemerkenswerten Umfang, nachdem umfassende Marktfördermaßnahmen implementiert wurden. Doch schon zuvor existierten Pionierunternehmen, die seit den 1960er Jahren Forschung betrieben. Warum erfolgte die TIS-Entwicklung daher nicht stärker, wie in anderen Technologiefeldern auch, von der Unternehmensseite her? Warum haben sich Produkte für die netzintegrierte Photovoltaik nicht schon früher durchgesetzt? Vielfältige Barrieren und systemische Defizite, sog. „system weaknesses“ (Jacobsson/Bergek 2011), sind daher zu erwarten. Somit ergeben sich aus der Kopplung an den sektoralen Kontext und spezifische Merkmale der Technologie vermutlich ganz spezifische, auch räumliche spezifische Formierungsdynamiken des TIS, die sich von anderen Technologien wohl unterscheiden. Diese Argumente sprechen für eine Fokussierung der Ebene einzelner Technologien (Ibert/Hassink 2009). Letztlich sind gegenwärtig Verschiebungen der räumlichen Merkmale zu beobachten. Viele Staaten haben Marktförderprogramme aufgelegt, oftmals ähnlich dem deutschen EEG. Zugleich wird mit dem Wachstum des deutschen Marktes auch der Aufbau der Industrie in anderen Staaten gefördert. Daher ergeben sich potenziell interessante räumliche Verflechtungsmuster und es stellt sich auch die Frage, welche Erkenntnisse aus der Betrachtung der Marktformierung in Deutschland für die Implementierung anderswo gezogen werden können. 1.4 Aufbau der ArbeitUm die skizzierten Fragestellungen zu beantworten, ist die Arbeit in einen konzeptionellen und einen empirisch-thematischen Teil gegliedert. Im folgenden Kap. 2 werden zunächst bisherige Zugänge zu Fragen des Wandels der Energiesysteme thematisiert. Anschließend erfolgt in Kap. 3 eine Vorstellung verschiedener Ansätze zu Innovationssystemen. Ausgehend aus einer kritischen Auseinandersetzung wird der konzeptionelle Rahmen für diese Arbeit – der Ansatz technologischer Systeme – definiert. In Kap. 4 wird dieser vertieft betrachtet und konzeptionelle Schwächen herausgearbeitet. Insbesondere wird dabei die Marktformierung betrachtet, die als eine zentrale Funktion von technologischen Systemen zwar definiert wird, jedoch innerhalb der Innovationssystem-Literatur oftmals unzureichend behandelt wird. Eine auf Prozesse der Marktentstehung ausgerichtete Systematik wird entwickelt, die Erkenntnisse aus verschiedenen wirtschaftsgeographischen Ansätzen zum technologischen Wandel integriert und räumlich differenzierende Prozesse identifiziert. In Kapitel 5 werden Aufbau der Fallstudie und die empirische Vorgehensweise beschrieben. Anschließend folgt der thematische und empirische Teil. Dabei wird zunächst ein Überblick über die Umbruchsituation der Energieversorgung und die regulatorischen Rahmenbedingungen gegeben (Kap. 6). Anschließend erfolgt die Fokussierung zentraler Prozesse innerhalb technologischer Systeme. Zunächst wird die Unternehmensdynamik betrachtet (Kap. 7), mit der Frage, welche Unternehmen zu welchen Phasen die Entwicklung des TIS beeinflusst haben. Kap. 8 widmet sich der Marktformierung, wobei nach einer Einordnung des deutschen Marktes im internationalen Vergleich zunächst eine strukturelle Analyse verschiedener Marktsegmente im Mittelpunkt steht. Die Funktionsweise einzelner Marktsegmente wird diskutiert, wobei der Einfluss verschiedener Akteure auf die Herausbildung der Marktsegmente dargestellt wird. Empirisch werden Marktformierungsprozesse mit einer Analyse der Aktivitäten und Wirkweise von Solarinitiativen als Intermediären vertieft. Hier werden Ergebnisse einer schriftlichen und mündlichen Befragung zur Zusammensetzung der Solarinitiativen, zu ihrer Wirkung auf institutionelle Rahmenbedingungen der Marktformierung, zu ihren konkreten Projekten und ihren Formen der Vernetzung dargestellt. Diese Ergebnisse zur Struktur und Dynamik der Marktformierung werden in Kap. 9 hinsichtlich der Wechselwirkungen zur Politik und Produktion betrachtet, womit die Frage systemischer Wirkungen aufgegriffen wird. Kap. 10 fasst Ergebnisse der Arbeit zusammen. |