Armin Grunwald (Hrsg.)
Berlin: edition sigma 2002 (Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland, Bd. 4), ISBN: 3-89404-574-4, 420 Seiten, 25,90 Euro
Einleitung und Überblick
Armin Grunwald
Die Suche nach Leitlinien, Kriterien, Indikatoren und Umsetzungsstrategien für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit ist in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem beherrschenden Thema in den Wissenschaften sowie in der nationalen und internationalen Umwelt-, Forschungs- und Entwicklungspolitik geworden. Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro auf der Ebene politischer Programmatik weltweit anerkannt. Auf dem „Rio+10“-Gipfel in Johannesburg im September 2002 wurden der bisherige Weg zu diesem Ziel dargestellt und bewertet sowie weitere Schritte beschlossen.
Der Einsatz von Technik entscheidet maßgeblich darüber mit, wie nachhaltig unsere Wirtschaftsweise ist. Das Verhältnis von Technik und Nachhaltigkeit ist jedoch ambivalent. Viele Nachhaltigkeitsprobleme sind auf Technik und ihre Nutzung zurückzuführen. Besonders ist hier die Problematik der nicht erneuerbaren Ressourcen und der Umwelt als Senke für Emissionen zu nennen. Innovative Technik bietet aber auch die Chance, als Bestandteil von Nachhaltigkeitsstrategien wesentlich zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise beizutragen. Durch eine Effizienzrevolution in der Bereitstellung und Nutzung von Energie sowie im Stoffstrommanagement, aber auch durch eine größere Verträglichkeit der anthropogenen Stoffströme mit der natürlichen Umwelt ist eine Annäherung an eine dauerhaft-umweltverträgliche Entwicklung möglich.
Die Ambivalenz der Technik in Bezug auf Nachhaltigkeit ist auch daran zu erkennen, dass bestimmte Nachhaltigkeitskonzeptionen technikkritisch eingestellt sind, während andere gerade auf technische Innovationen setzen. Skeptische Haltungen gegenüber der Rolle der Technik erwarten mehr Nachhaltigkeit von einem zurückhaltenderen Technikeinsatz: Nachhaltigkeit soll durch weniger Technik und eine entsprechend bescheidenere Lebensweise erreicht werden (Suffizienz). Auf der anderen Seite wird erwartet, dass weitere und beschleunigte Technikentwicklung und Nutzung ein wesentlicher Schlüssel für eine Entwicklung in Richtung auf mehr Nachhaltigkeit hin ist. Nachhaltigkeit sei nur möglich durch innovative und effizientere Technik.
Die erste Ausgangshypothese dieses Buches besteht in der letztgenannten Einstellung. Angesichts der weiter wachsenden Weltbevölkerung, der nachholenden Industrialisierung und Technisierung vieler Entwicklungs- und Schwellenländer und auch angesichts der Akzeptanzprobleme von Askesestrategien in den industrialisierten Ländern muss es die erste Aufgabe sein, die Möglichkeiten einer „nachhaltigeren“ Technik und ihrer entsprechenden Nutzung auszuloten, bevor dramatische Eingriffe in bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Dann stellt sich die Frage nach einer Technikgestaltung unter Nachhaltigkeitsaspekten. Wie kann Technik so gestaltet werden, dass mehr Nachhaltigkeit möglich wird? Welche und wie große Beiträge können Erforschung, Entwicklung und Nutzung neuer Technologien leisten? In welchen Zeiträumen können nachhaltigkeitsrelevante Auswirkungen innovativer Technik erwartet werden? Wie kann Technik auf ihre Nachhaltigkeitsrelevanz hin bewertet werden? Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind erforderlich, damit „nachhaltigere“ Technik sich durchsetzt? Nur die Beantwortung dieser Fragen wird erlauben, etwas darüber zu erfahren, wie groß der Beitrag wirklich sein kann, den Technik zur Erreichung des Ziels einer global nachhaltigen Gesellschaft leisten kann.
Die zweite Ausgangshypothese des vorliegenden Buches besteht darin, dass die Autoren in innovativer Technik und in der entsprechenden Gestaltung der die Technikentwicklung prägenden Rahmenbedingungen noch ganz erhebliche Potenziale für den gesellschaftlichen Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit sehen. Die Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) betreibt seit langem Vorsorgeforschung und entsprechende Technologieentwicklung in gesellschaftlichem Interesse. Vor allem in den Bereichen Energietechnik, Klimaschutz, Schutz und Regenerierung natürlicher Ressourcen, innovative Prozesstechnik, Stoffstrommanagement und Verkehr hat sie Technikentwicklung im Hinblick auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie Wirtschaftlichkeit betrieben, eingebettet in systemanalytische Arbeiten zu Bedarf, Folgen, Implikationen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer Nutzung.
In Zukunft sollen diese Arbeiten auf das Leitbild der Nachhaltigkeit fokussiert werden. Im Rahmen des Programms „Nachhaltigkeit und Technik“ zielen die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf die Bereitstellung von gesellschaftlichen Handlungsstrategien und innovativen Technologien in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung. Diese Ziele umfassen sowohl Technikentwicklungen zu Vorsorgezwecken als auch die Erarbeitung praktischer Maßnahmen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Da letztlich erst die gesellschaftliche Nutzung von Technik darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang mehr Nachhaltigkeit erreicht wird, ist eine enge Wechselwirkung zwischen konzeptionellen Überlegungen, sozioökonomischer Forschung und wissenschaftlich-technischen Arbeiten erforderlich.
Die dritte Ausgangshypothese dieses Buches ist daher, dass das Ziel, Technik für mehr Nachhaltigkeit zu entwickeln, nur im kohärenten Zusammenklang und in gegenseitiger Kooperation zwischen konstruktiver Technikentwicklung, der Entwicklung entsprechender Verfahren der Nachhaltigkeitsbewertung, der Berücksichtigung sozioökonomischer Entwicklungen und Zusammenhänge, systemanalytischer Querschnittsbetrachtungen und naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung erreicht werden kann.
Eine wesentliche Vorbereitung auf das genannte HGF-Programm bildet das HGF-Verbundprojekt „Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland“. Dort wurden konzeptionelle Überlegungen angestellt sowie Modellierungen und empirische Analysen durchgeführt, um eine Operationalisierung von global verstandener Nachhaltigkeit auf die spezifisch deutsche Situation wissenschaftlich zu begründen. Dies wurde einerseits für die gesellschaftlichen Aktivitätsfelder Mobilität und Verkehr, Wohnen und Bauen, Ernährung und Landwirtschaft sowie Freizeit und Tourismus durchgeführt. Andererseits, und dies führt zum Thema dieses Buches zurück, wurde die Nachhaltigkeitsrelevanz bestimmter Schlüsseltechnologien untersucht. Einer vertiefenden Betrachtung wurden regenerative Energietechnologien, Bio- und Gentechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Mikro- und Nanotechnologie unterzogen. Vorläufige Ergebnisse dieses Projektes in Bezug auf das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Technik werden in diesem Buch aufgenommen und um weitere Aspekte von Technologieentwicklung selbst sowie zur Rolle von Technik in gesellschaftlichen Zusammenhängen ergänzt; der Endbericht des Projektes wird in dieser Buchreihe Anfang 2003 erscheinen.
Das vorliegende Buch beansprucht, den gegenwärtigen Diskussionsstand zum Verhältnis von Technik und Nachhaltigkeit darzustellen und darüber hinausgehende Perspektiven für Forschung und Entwicklung, aber auch für die Gestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen aufzuzeigen. Dieses wird in folgenden Schritten bearbeitet:
Die Autoren stammen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und sind mit Forschung für Technikentwicklung, Technikfolgenabschätzung sowie Technikgestaltung unter Nachhaltigkeitsaspekten in verschiedener Weise befasst. Der Erfahrungshintergrund besteht in
Das Buch wendet sich vor allem an diejenigen, die mit Forschung und Technikentwicklung in Wissenschaft und Wirtschaft befasst sind, um die Möglichkeiten und Probleme einer Technikentwicklung für Nachhaltigkeit in einem größeren Umfeld deutlich zu machen. Darüber hinaus werden Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft angesprochen, die über zukünftige Forschung und Technikentwicklung zu befinden haben.
Dank gebührt an erster Stelle den Autoren für ihre Bereitschaft, sich auf das Abenteuer einzulassen, einen Bogen von ökonomischer Analyse über Technikfolgenabschätzung bis hin zu konkreten Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu spannen. Dieser ganze Bogen ist es letztlich, der darüber entscheidet, ob die Hoffnungen, mit innovativer Technik zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen, auch eingelöst werden können. Insofern ist das Spannen dieses Bogens sowohl eine Einübung in die zukünftige Forschung der HGF zu Nachhaltigkeit und Technik als auch bereits ein erstes Ergebnis und eine Verpflichtung für die weiteren Arbeiten.
Für engagiertes und sorgfältiges Korrekturlesen gebührt Dank den ITAS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Matthias Achternbosch, Klaus Rainer Bräutigam, Reinhard Coenen, Torsten Fleischer, Günter Halbritter, Maren Heincke, Juliane Jörissen, Sigrid Klein-Vielhauer, Jürgen Kopfmüller, Volkhard Schulz sowie Sylke Wintzer. Dank gebührt darüber hinaus Frau Laier, die mit bekannter Unermüdlichkeit und Schnelligkeit maßgeblich zu der qualitativ hochwertigen Gestaltung beigetragen hat.
Armin Grunwald
Karlsruhe, August 2002