Bettina-Johanna Krings
Vortrag am Forschungszentrum Karlsruhe, 12. November 2001
Die Geschichte vom Kugelmenschen wird häufig als Beispiel für den Gedanken einer ursprünglichen Androgynie des Menschen aufgeführt, die zu der Entstehung der Geschlechter und des Eros führte. Sie wird von Platon durch den Komödiendichter Aristophanes im 'Symposium' als fiktive Figur vorgetragen:
Es gab zu Anfang drei Geschlechter: die Männer, die Frauen und die Androgynen. Alle drei Geschlechter waren Doppelwesen und von runder Gestalt, so daß Rücken und Brust im Kreis herumgingen. Sie waren Mann-Mann- genauso wie Frau-Frau-oder Mann-Frau-Kugelwesen.
Diese Doppelwesen fühlten sich überaus stark und kräftig. Ihre Kraft machte sie den Göttern ebenbürtig. Sie wurden übermütig und wagten es, die Götter anzugreifen. Zeus strafte den Übermut, indem er die Menschen schwächte und sie in je zwei Hälften schnitt. Zeus befahl daraufhin Apollon, den Menschen das Gesicht und den halben Hals so zu drehen, daß er seine Zerrissenheit vor Augen habe. Durch diese Trennung in zwei Hälften und die dadurch möglich gewordene Sicht auf das 'eigene' Gegenüber entstand ein Bewußtsein vom Selbst und vom Anderen und damit die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung der anderen Hälfte. Zeus erbarmte sich diesen traurigen Zustandes und verlegte die Zeugungsorgane nach vorne, so daß die Fortpflanzung nun durch Zeugung ineinander erfolgen konnte und die getrennten Hälften wenigstens zeitweise in der Umarmung ihre Sehnsucht zu stillen vermochten.
Die Kugelwesen als androgyn ausgerichtete Gestalten versperren sich unserem Verständnis der Geschlechterverhältnisse. In Platons Bild sind sie völlig gleichgestellt, sehen gleich aus, sind Mann, Frau und Zwitterwesen gleichermaßen und darüberhinaus noch frech und aufsässig. Der ordnende Wille Zeus' schafft Differenz.
Differenz nicht nur innerhalb der Geschlechter, auch im zeitlichen Ablauf. Es gibt eine glückliche Zeit und eine Zeit des Verlustes. Die androgynen Wesen verschwinden langsam von der Bildfläche.
Zwar ging Platon ganz im Sinne der alten Griechen davon aus, daß die 'vollkommenste' Beziehung die zwischen zwei Männern war. Auch gehörten Frauen, Kinder und Sklaven der Haussphäre an, während die Männer die öffentliche Sphäre, die Polis, verwalteten. Dennoch weist die Geschichte der Kugelmenschen im klassischen Sinne auf den Geschlechterkonflikt hin:
Nach der Trennung fehlt beiden Geschlechtern etwas zur Vollkommenheit: sie bedürfen einander, suchen sich und entwickeln Neid aufeinander. Nur - das müßten sie erkennen. Denn die Voraussetzung der geschlechtlichen Anerkennung des Anderen ist die Anerkennung der eigenen Geschlechtsgebundenheit.
Der Ursprung des eigenen Daseins - Zeugung und Geburt - ist die Existenz und Verbindung beider Geschlechter.
Aber ich greife weit voraus, kommen wir zum ersten Teil:
In der fortschreitenden Aufklärung des 18. Jahrhunderts verlor 'Gott' als Bezugspunkt für den Menschen an Bedeutung. Der von dem französischen Philosophen René Descartes formulierte moderne Rationalismus, welcher der 'cogitatio' eine zentrale Stellung einräumte, trug noch scholastische Züge.
Erst die Idee 'Natur' läutete einen vollkommen anderen Modus des Denkens und Redens über den Menschen ein. Die Frage: 'Was ist die Natur des Menschen?' wurde zum Kern einer neuen Wissenschaft, der "science de l'homme" , einer Humanwissenschaft, die sich an der Leitwissenschaft 'Naturgeschichte' orientierte. Es entstand eine säkularisierte Anthropologie, die den Menschen unmittelbar zum Objekt der Forschung machte. An ihrem Wissen und ihren Erkenntnissen richteten sich nun fortan die Deutung der sozialen Welt aus.
Das Naturrecht bildete auch die Grundlage für die Menschen- und Bürgerrechte. Der Ausspruch Jean Jaques Rousseaus "Der Mensch ist frei geboren und doch in Ketten gelegt" zeugt von dem neuen Wissen, das mit den sozialen Verhältnissen nicht mehr in Einklang gebracht werden konnte. Aus diesem Wissen heraus entwickelte sich die Unrechtmäßigkeit jeglicher Unterdrückung von Menschen durch Menschen.
Während die 'Ungebundenheit der Geburt', wie es die Philosphin Hannah Arendt später nannte, für Männer konsequenterweise zur Aufhebung der Herrschafts-Knechtsverhältnisse führte, wurden die Frauen an die patriarchale Bevormundung und gesellschaftliche Minderbewertung gebunden. Über das Naturrecht entstand historisch ein verändertes Wissen über die Geschlechter und damit neue Asymmetrien hinsichtlich der Zuschreibung über die Natur des Mannes oder des 'Allgemein Menschlichen' und über die Natur der Frau.
Dies bekam Olympe de Gouges bitter zu spüren. Im Jahre 1791 legte sie der französischen Nationalversammlung ihre Déclaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne vor, um dem Paradox der 'natürlichen' Ungleichheit zwischen den Geschlechtern Ausdruck zu verleihen. In dieser Erklärung forderte sie die neu formulierten Menschenrechte auch für die Frauen ein. Die Gegenseite reagierte tyrannisch.
Im April 1793 erklärte die Nationalversammlung, daß Kinder, Irre, Minderjährige, Frauen und Kriminelle kein Bürgerrecht genießen.
Olympe de Gouges wurde am 3. November 1793 als Royalistin durch die Guillotine hingerichtet, die Partizipation der Frauen am politischen Leben wurde strikt verboten, geahndet und als 'naturwidrig' deklariert.
Zwei Prinzipien im männlichen Referenzsystems, denen Olympe de Gouges zum Opfer fiel, sind bis heute Bezugspunkte der Frauen- und Geschlechterforschung geblieben:
Natürlich haben sich im Laufe der Geschichte die Stereotypen gewandelt, sie sind in sich widersprüchlicher, vielfältiger geworden, rufen spontan eher Zweifel hervor. Aber ihre Produktion ist nie versiegt. Sie dienen nach wie vor dazu, Trennlinien und Rangordnungen, also eine Differenz, zwischen den Geschlechtern hervorzurufen.
Die Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir hat in ihrem 1949 erschienenen Buch 'Le deuxieme sexe' (das zweite Geschlecht) den berühmten Satz geprägt: Wir werden nicht als Mädchen geboren, sondern wir werden dazu gemacht. Dieser Ausspruch wurde 20 Jahre später der Auftakt der komplexen sex/gender-Debatte.
Diese Debatte zog eine strikte Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. Sex) und dem kulturellen Geschlecht (engl. Gender) und zog die als 'natürlich' definierte Unterscheidung zwischen Mann und Frau radikal in Zeifel.
Als sexuelles Geschlecht wurde die biologische Gegebenheit von Frauen und Männer definiert. Das kulturelle Geschlecht bezog sich auf die kulturelle Rollenerwartung von Männern und Frauen, die je nach Gesellschaft und historischer Epoche stark variiert. In der als Sex-Gender-Debatte bekannt gewordenen Diskussion geht es aus diesen Gründen um historische, erkenntnistheoretische und politische Aspekte sowie um die Verknüpfung dieser Unterscheidung.
(Ausführungen: Bedeutung von Differenz !!!)
Diese Institutionen mußten sich später in der feministischen Theorie einer bitteren Kritik unterziehen, was viele Themenfelder umfaßte und zunächst zu den sogenannten Bindestrich-Forschungsfelder führte wie beispielsweise Frauen-Arbeitsmarkt, Frauen-Geschichte, feminstisch ausgerichtete Politikwissenschaft u.a.
Es war noch ein langer und steiniger Weg bis den Frauen in den europäischen Ländern der auch ihnen gebührende Subjekt- und Rechtsstatus zugebilligt wurde. Erst im Jahre 1949 mit der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde in Deutschland der Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter eingeführt und es dauerte nochmals 25 Jahre bis durch die Vehemenz der Frauenbewegung, den Erkenntnissen der Frauenforschung sowie der steigenden Berufstätigkeitkeit der Frauen dieser Grundsatz ins öffentliche Bewußtsein drang.
Die Frauenforschung hat diese Entwicklung als eine Suchbewegung begleitet. Von dem Vorhaben, genuin eigene Forschungsmethoden zu entwickeln, hat sie sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts verabschiedet. Das Vorhaben feministische Theorie zu produzieren, existiert bis heute.
Was sind nun die Inhalte von Frauenforschung?
Kommen wir zum zweiten Teil:
Frauenforschung ist radikaler Perspektivenwechsel. Frauenforschung ist die Sicht auf die Welt durch die Brille der Geschlechterverhältnisse. Dieser Perspektivenwechsel im Sinne einer erweiterten Denkungsart, wie es einmal Hannah Arendt formulierte, ging in ihrer Geschichte immer wieder wechselnde Bündnisse mit anderen Theorieprojekten ein: mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, dem dekonstruktivistischen Denken, der Diskurstheorie hauptsächlich Michel Foucoults, der Psychoanalyse und neuerdings mit postkolonialen Theorieansätzen.
Grundsätzlich entfaltet sich Frauenforschung im kritischen Austausch mit anderen Theorien und nicht in einem Radikalentwurf gegen anderes Wissen. Frauenforschung stellt keinen Gegenentwurf des heutig gültigen Forschungs- und Wissenschaftssystem dar. Es bezieht sich darauf und unternimmt eher 'Kurskorrekturen', die aus der historischen Erfahrung damit resultieren.
Ich habe drei Aspekte herausgearbeitet, die meines Erachtens Frauenforschung charakterisieren und deren Wissensstand für die Fragen, die uns hier im Forschungszentrum bewegen fruchtbar sein kann: beispielsweise im Verhältnis Technikentwicklung und Gesellschaft, im Verhältnis von Forschung und Gesellschaft sowie im Versuch nachhaltige Entwicklungskonzepte für die Zukunft zu erschließen,:
Sie führte jedoch dazu, daß sich die Debatte um Differenz sehr stark von der Differenz zwischen Frauen und Männern auf die Differenz zwischen den Frauen verschob: die sex/gender-Debatte diskutierte nun intensiv die Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt von Frauen. Verschiedene Ethnien, Rassen, soziale Schichten, die sexuelle Identität von Frauen wurden nun in dem Ansatz berücksichtigt, trugen jedoch zur Unmöglichkeit bei, ein weibliches 'Ich', ein kollektives Subjekt zu entwickeln, in dessen Namen ein Forschungsprogramm formuliert werden könnte.
Aber aus diesen vielfältigen Auseinandersetzung enstand ein Wissen über 'die Anderen', also diejenigen sozialen Gruppen, die nicht an der aktiven Gestaltung des male- oder mainstream der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben. Ich würde sagen, hier entstand eine lebhafte Diskussion im Rahmen der Theorien sozialer Exclusion und Inclusion sowie Theorien der sozialen Partizipation.
Abgesehen von der glasklaren Analyse über den philosophisch sinvollen Gebrauch des Begriffs Differenz, zu deren Bearbeitung Luhmann den Logiker und Sportreporter George Spencer Brown heranzieht und nicht eine einzige Frauenforscherin, thematisiert sein Aufsatz zwei zentrale Themenbereiche im Verhältnis Theorie und Praxis.
Erstens: den ungebrochenen Legitimationsdruck, denen die Frauenforschung gegenüber den 'offiziellen' wissenschaftlichen Disziplinen ausgesetzt ist. Nach wie vor wird die Frauenforschung von den angestammten Disziplinen schlichtweg ignoriert. Mit Frauenforschung macht man hierzulande keine wissenschaftliche Karriere. Bis auf wenige Ausnahmen pendelt der Großteil der etablierten Forscherinnen zwischen dem Bemühen um akademische Qualitätssicherung, also der Sehnsucht nach Anerkennung aus der eigenen Zunft und anderen Forschungsthemen, die fest etabliert sind.
Darüberhinaus weist das Zitat von Niklas Luhmann auf den hohen Legitimationsdruck hinsichtlich der Forderung der Frauenforschung, den weiblichen Lebenskontext in die Theorien gesellschaftlicher Entwicklung miteinzubeziehen. Die Forderung nach Gleichheit erscheint ihm zwar irgendwie nachvollziehbar im Hinblick auf die Entwicklung moderner Gesellschaft, die innere Bedürfnislage von Frauen wird jedoch weitgehend ausgeblendet, ja sogar mit einem Makel versehen.
Der Begriff 'Gleichheit' bleibt ein normativ wünschenswerter Zustand, was völlig fehlt, ist die Anerkennung dieser Bedürfnisse und der Wille zur Selbstreflexion und zur Veränderung auf seiten der Männer.
Zweitens: das kritische Bündnis Feminismus und Wissenschaft. Frauenforschung und Frauenpolitik sind ein nahezu unauflöslicher Widerspruch.
In den letzten zehn Jahren haben sich die Stimmen gehäuft, die 'den Bedeutungsverlust von Frauenforschung in den wissenschaftlichen Disziplinen proklamiert haben. In den Massenmedien erscheint diese Diagnose auch wenig strittig: den einen erscheint sie als Zeichen des Generationenwechsels, den anderen als Konsequenz einer weitgehend durchgesetzten Frauenemanzipation. Als Argumente werden die steigende Individualisierung von Frauen sowie die großen soziokulturellen Unterschiede zwischen den Frauen herangezogen.
Schaut man sich jedoch beispielsweise die Entwicklung des Arbeitsmarktes für Frauen in der ehemaligen DDR nach 1989 an, so zeigt sich auf beeindruckende Weise, wie unglaublich fragil diese Errungenschaften sein können.
Dennoch muß festgestellt werden, daß sich die Lebensentwürfe von Frauen sehr stark verändern. Es bleibt nicht alles beim Alten im Geschlechterverhältnis.
(Frauengeneration, die sich sehr stark von Feminismus und Gleichstellungspolitik abgrenzen und eher die Integration über die Prinzipien 'Leistung' und 'Qualifikation im Beruf' suchen).
Neue Blickweisen müssen entwickelt werden, die diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Dieses Verfahren fordert auch von der Frauenforschung die Fähigkeit ein, sich selbstreflexiv diesen Veränderungen zu stellen, um die 'neuen Achsen der Differenz', wie es die Soziologin Gudrun-Axeli Knapp nennt, aufzuspüren und nur in diesem Spannungsfeld können Fortschreibungen der Geschlechterdifferenz bearbeitet werden.
Das Spannungsfeld Theorie und Praxis wird seit nunmehr fast dreißig Jahren in der Frauenforschung praktiziert. Wie die oberen Ausführungen zeigen, sind die Spannungsfelder vielfältig, auf der sozialen, institutionellen und psychologischen Ebene gleichermaßen angesiedelt.
Hier entstand ein Wissen, das - mit Hilfe sehr leidenschaftlich geführten Debatten - diese Brücke zwischen Theorie und Praxis immer wieder hergestellt hat.
Erkenntnistheoretisch entstanden hier logische Konstrukte, in denen das eine vom anderen unterschieden wurde. Diese Pole wurden zueinander in Beziehung gesetzt. Die Differenz dieser beiden Pole erscheinen in der europäischen Geschichte als Dualismen, die die Prinzipien Trennung und Hierarchien in den Blick rücken. So gilt 'Kultur' als das Höhere gegenüber der 'Natur', 'Privatheit' wird gegenüber der 'Öffentlichkeit' abgewertet, ähnlich wie 'Rationalität' gegenüber der 'Emotionalität'.
Das sind nur logische Konstrukte, sie haben jedoch lange Zeit ihren Zweck erfüllt. Denn durch dieses Verfahren konnte auf der wissenschaftlichen Ebene Widerspruchsfreiheit hergestellt werden. In der gesellschaftlichen Entwicklung haben sich diese Dichotomien als eine soziale Rangordnung etabliert, getreu dem Motto divide et impera, teile und herrsche.
Die Frauenforschung hat den Akt des 'Trennens' als hoch ambivalenten Prozeß entlarvt. Warum?
Weil diese Trennungen real und irreal gleichermaßen sind.
Wir sagen beispielsweise: mens sana in corpore sano: ein gesunder Geist steckt in einem gesunden Körper;oder: Theorie wird stumpf, wenn sie sich nicht auf konkrete Probleme einläßt oder: ist die Bevölkerung in Oppositionen gespalten, so sind diese doch durch soziale Konflikte miteinander verkettet und viele Beispiele mehr.
Entscheidend ist jedoch die Frage, welche Beziehungsgeflechte zwischen den Dichotomien existieren und vor allem welche Funktion diese einnehmen.
Wann werden diese Dualismen im Geschlechterverhältnis anstößig?
Die Soziologin Regina Becker-Schmidt gibt darauf, in Anlehnung an Theodor Adorno eine klare Antwort: 'Immer dann, wenn sie verschleiern sollen, daß sie geschichtlich auf Herrschaft zurückzuführen ist.'
Besonders die historische Rekonstruktion der außerhäuslichen Frauenarbeit hat das Beharrungsvermögen der Herrschaftsstrukturen sehr deutlich aufgezeigt. Noch heute erfahren die Frauen insgesamt wenig Unterstützung bei ihrer Anstrengung, das zusammenzubringen, was gesellschaftlich auseinandergerissen ist. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben sie selbst zu sorgen. Diese sind schwer zu harmonisieren, da die Privatsphäre gegen das Erwerbssystem abgeschottet ist. Die Verknüpfung dieser beiden Sphären findet weitgehend auf dem Rücken und hinter dem Rücken der Frauen, in ihrer individuellen Lebensplanung statt.
Dies ist eine Quelle ständiger Belastungen, die in der Paarbeziehung, in den Anstrengungen der Vereinbarkeit und inzwischen im Verzicht der Frauen auf Kinder ausgelebt wird. Dies verdeutlichen die drastischen Geburtenrückgänge in europäischen Ländern wie Deutschland, Italien, Spanien. Die öffentliche Diskussion um die Bevölkerungsentwicklung zeigt derzeit in beeindruckendem Maße, wie ein zentrales gesellschaftliches Problem, nämlich unsere Generativität, auf Frauen abgewälzt wird. Dieser Tatbestand wird unterschiedlich diskutiert:
bevölkerungspolitisch wie beispielsweise im Magazin Deutschland des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, das ausgerechnet hat, daß trotz jährlicher Zuwanderungsraten, die Geburtenrate bis 2050 auf das Niveau von 1950 sinken wird, was zu extremen Engpässen der Altersversorgung führen wird. Deswegen sollte den Frauen Möglichkeiten eröffnet werden, die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie besser zu bewältigen.
wirtschaftlich, wie die Süddeutsche Zeitung vom 10. April diesen Jahres berichtet. Hier haben sich wirtschaftliche Lobbyorganisationen beim Kanzler beschwert, weil sie Milliarden in die Ausbildung von Frauen investieren und diese dann im Falle der Familienplanung verlieren. Wirtschaftliche Vernunft überwindet jede Ideologie. "Die CSU hat da einen Schwenk gemacht", erklärt Bayerns Staatskanzleichef Erwin Huber "Wir sind da lernfähig. Denn wenn nicht die Frauen in die Wirtschaft strömen, dann müßte mehr Zuwanderung genehmigt werden - in diesem Fall ziehen wir die Frauen vor".
Psychologisch wie der bekannte Frankfurter Psychoanalytiker Michael Lucas Moeller schreibt: "der dramatische Rückgang der Geburten in Europa, ein erstes Alarmsystem für das Überwiegen der Leistungsorientierung gegenüber dem Prinzip der Lebendigkeit. Es folgen Zeichen des Paarsterbens, die genauso verleugnet werden wie das Waldsterben. Die Berufstätigkeit von Frauen beschleunigt diesen Prozeß in ungeahntem Maße. Frauen sind nicht mehr bereit, die emotionale Arbeit in Beziehungen zu übernehmen. Die Beziehungslosigkeit in der Beziehung ist nun bestenfalls ein glattes Nebeneinander als ein lebendiges Miteinander".
Eine klare Absage erklärt Niklas Luhmann aus der Zunft der Wissenschaft den Berufsbedürfnissen von Frauen:" Die Knappheit, man blicke nur auf den Arbeitsmarkt, vergrößert sich... Frauen streben in die Berufe der Männer, sie beanspruchen sexuelle Freiheiten, suchen gleiches Einkommen und gleiche Spendierfähigkeit, was auf Seiten der Männer zum Zwang des Abwartens, der Passivität der Trägheit, des Sichernährenlassens führt. Es gibt keine sinnvolle division du traivail sexuelle mehr, was zu einem Paradox führt: zu wenig und zu viel.
So wird Hausarbeit knapp, weil zu wenig für beide zu tun wird und jeder das Recht hat, auf die Mitwirkung des anderen zu hoffen. Faktisch werden damit individuelle Beziehungen zwischen Frau und Mann damit auf den schmalen Pfad geführt, auf dem Streit und ausgehandelte Ordnung nicht unterscheidbar sind."
Diese Diskussion zeigt, daß diese Veränderungen nicht in einen selbstreflexiven Prozeß münden, in dem Fragen im Vordergrund stehen, wie ein Umbau der Arbeitsgesellschaft stattfinden kann, wie Arbeit umverteilt werden kann oder wie Kinder in unseren gesellschaftlichen Ablauf integriert werden können. Sondern daß hier noch immer Mechanismen greifen, die versuchen, die Differenz der Rangordnung zwischen den Geschlechtern (oder zu neuen Populationen !!!) aufrecht zu erhalten.
Setzen sich Frauen in Bewegung, werden vielfältige und komplexe Interdependenzen sichtbar. Die ehemalige Konstruktion der 'Natur der Frau' kann nicht mehr als legitimer Gegenstand von Verteilungskonflikten herangezogen werden. Es entstehen neue Stereotypen, zu denen die Frauen auch selbst und aktiv beitragen. Die Gesellschaftsanalyse der Frauen- und Geschlechterforschung hält aus diesen Gründen noch an Prozessen fest, die gesellschaftliche Widersprüche und Herrschaftsansprüche offenlegen, die bis heute anhalten.
Hier hat sich ein Wissen entfaltet, das zwischen Ideologien und realen sozialen Zuständen auslotet.
Ein Wissen, das zwischen Anpassung und Widerstand vermittelt und vor allem die höchst umstrittene Posititon vertritt, daß Gleichheit nicht nur durch Übernahme des mainstreams oder malestreams erreicht werden kann, sondern nur durch die Auseinandersetzung damit. Aus dieser Debatte entstanden Theorien der Differenz sowie Theorien der politischen Anerkennung.
Obgleich dieser Ausspruch heute sehr krass erscheint, ist die Botschaft noch in vielerlei Hinsicht gültig: Ein Mädchen kann sich nicht einfach dadurch außer Kraft setzen, daß es lernt, auch das zu beherrschen, was Jungen tun. Kulturell festgelegte Kompetenzbereiche zwischen den Geschlechtern sind auch bei einer individuellen Überschreitung wirksam und wirken auf unterschiedlichen Ebenen weiter: in und durch die Institutionen, in und durch Beziehungen und auch vermittelt durch kulturelle Bilder und Leitvorstellungen von Traditionen.
Diese extrem vielschichtigen Muster, die im 'doing gender' von Männern und Frauen gleichermaßen tagtäglich aufs Neue vollzogen werden, sind sehr eindrücklich in der Frauenforschung und vor allem in der Genderforschung aufgearbeitet worden. Die Genderforschung ist von der Frauenforschung nicht zu trennen, ihre Grenzen sind fließend. Betont wird hier der 'kulturelle bias' zwischen und innerhalb der Geschlechter, wobei die eigene Beteiligung des 'doing gender' besonders ins Visier genommen wird. Das Geschlechterverhältnis wird als eine symmetrische Beziehung betrachtet, an dessen Gestaltung beide Geschlechter gleichermaßen beteiligt sind. (Queer-studies!)
Ich habe versucht aufzuzeigen, daß sich Frauenforschung im Laufe der Jahre zu einer wissenschaftlichen Praxis entwickelt, die die vielfältigen Ausgrenzungsprozesse der gesellschaftlichen Entwicklung in den Blick nimmt. Hierbei hat sich ein Wissen entwickelt, das ich als ein Vermittlungswissen charakterisieren würde: ein Wissen, das zwischen Theorie und Praxis, sozialer Inklusion und Exklusion vermittelt, zwischen den historisch vollzogenen Strukturen der Abwertung und zwischen neuen sozialen Formen der Anerkennung. Schaut man sich den heutigen rasanten gesellschaftlichen Wandel an oder auch die Probleme bei der Implementierung gesellschaftlich-technischer Innovationsmodelle -, so scheint, daß dies für die nahe Zukunft ein sehr bedeutsames Wissen werden kann.
Die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser hat darauf hingewiesen, daß Gleichheitsfragen weit über Gerechtigkeitsfragen hinausweisen, weil sie nicht nur Fragen von gleichen Rechten und Freiheiten, sondern auch Fragen, die das 'gute Leben' betreffen, ansprechen. Und dies sind Fragen, die von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind und auch sein sollten.
Es sind längst überfällige Fragen, wenn man darüber nachdenkt, wie eigentlich Menschen mit Kindern (und Alten und kranken oder behinderten Menschen) in unserer Gesellschaft leben wollen und leben können. Oder wie die Zukunft nachkommender Generationen in unserer Gesellschaft aussehen könnte.
Diese Fragen betreffen in besonderem Maße die Bewertung gesellschaftlich relevanter Arbeit und die Umverteilung von Pflichten, Belastungen und Chancen. Neue gesellschaftliche Konzepte werden benötigt, die diese Aspekte berücksichtigen und in die alle Menschen mit einbezogen werden müssen.
Schließen wir den Kreis und kehren wir zurück zu unseren Kugelwesen aus Platons 'Symposium'. Zuerst gab es Männer, Frauen und Androgyne, nach dem Akt des Trennens verschwanden die Androgyne von der Bildfläche.
Die übrigen Kugelwesen verloren ihre Wurzeln.
Beide, Mann und Frau kugeln seitdem orientierungslos herum. Nur im Konflikt oder in der sehnsüchtigen Umarmung erfahren sie ihre wahre Identität.
Die Trennung, das zeigt die Frauenforschung, kann aber auch eine Chance für beide sein, den anderen bewußt wahrzunehmen, anzuschauen, um so das eigene Selbst sowie die eigene Geschlechtlichkeit auszukundschaften.
Dies fand auch die Begründerin der ersten schwedischen Frauenbewegung Ende des 19.Jahrhundert, die sagte: "Erlaubt mir Mensch zu sein, und ich habe die größte Lust, Frau zu sein".
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