[Dieser Beitrag war auch auf dem Server der "German Online Research", die derzeit aber einen neuen Auftritt vorbereitet: http:www.gor.de/. Er ist, etwas versteckt, zu erreichen unter: http://www.dgof.de/old/gor98/bericht.html.]
Bernd Wingert
Forschungszentrum Karlsruhe - Technik und Umwelt
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Die Metropole der Kurpfalz, Mannheim, die im heimischen Idiom wie ein "monm" klingt (und exakt, wie der offizielle Stadtplan in der Tagungsmappe kundtut, " " lautet), beherbergte vom 19. bis zum 20. November 1998 eine wahrhaft international klingende "community", die "German Online Research", deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich überwiegend, aber sicher nicht ausschließlich, aus der "gir-l" rekrutierten, der "german internet research [mailing] list". Doch was so international daherkommt und vielleicht in den kommenden Jahren tatsächlich internationalisiert, jedenfalls ein Stück weit europäiisiert werden soll (wie es abschließend diskutiert wurde), war in Wahrheit eine recht deutsche Versammlung der Online-Forscher, der an Online-Forschung Interessierten und der auf dieses neuartige Medium vielleicht auch nur Neugierigen. Es waren nach der Teilnehmerliste 170 Personen ausgewiesen, nach Auskunft der Organisatoren kamen 180. Gastgeber war das unweit des Bahnhofs im L7-Quadrat gelegene ZEW, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.
Die diesjährige Veranstaltung war nach jener in Köln im letzten Jahr die zweite; eine dritte ist fest geplant. Zu den Organisatoren gehörten zum einen die Gründer der "gir-l", Andreas Werner (Manhheim) und Bernad Batinic (nunmehr Erlangen/Nürnberg); starke Unterstützung gab es zum anderen vom Mannheimer ZUMA bzw. von zweien der dort beschäftigten Forscher, nämlich Wolfgang Bandilla und Michael Bosnjak; selbstverständlich war auch der letztjährige Kölner Mitorganisator, Lorenz Gräf, mit von der Partie.
In der Abschlußdiskussion wurde von einigen gemutmaßt, daß dieses Mal zu wenige Teilnehmer aus der Bereich der Marktforschung und der "Anwender" vertreten gewesen seien. Dies werden wir anhand des Teilnehmerverzeichnisses gleich auszählen. Aber zunächst ist vom subjektiven Eindruck her diese Spannweite zwischen "Wissenschaft" und "Praxis" eines jener Merkmale, die ich herausstreichen möchte; man sollte Anstrengungen unternehmen, diese beiden Teile auch künftig ungefähr gleichgewichtig für diese Veranstaltung zu gewinnen.
Tatsächlich war dieses Mal "die Wissenschaft" leicht im Übergewicht: 99 der 170 ausgewiesenen Teilnehmer/innen kamen aus dem Wissenschaft- und Forschungsbereich; dies wären 58%; dem Bereich kommerzielle Markt-/ Meinungsforschung habe ich 37 Personen (= 22%) zugeordnet; in etwa diese Zahl kam aus den Forschungsbereichen "Publizistik, Journalismus, Kommunikationswissenschaft und Soziologie"; je 24 bzw. 25 Personen habe ich der Psychologie bzw. dem Bereich "Betriebswirtschaft, Business, Marketing" zugeordnet (je ca. 14% bzw. 15%; vgl. die untenstehende Tabelle 1).
Tabelle 1: Teilnehmer/innen aus "Wissenschaft" und "Praxis"
Gesamtzahl nach Teilnehmerliste | Anzahl 170 |
Prozent 100 |
---|---|---|
davon - Psychologie - Publizistik, Journalismus, Komm-wiss. - Betriebswirtsch., Business, Marketing - unklare fachliche Zuordnung davon Universität Rest
Gesamt für "Wissenschaft" |
25 38 24 20 12 8 99 |
15 22 14 7 ger. 58 |
- Unternehmen, Industrie - Verlage - Verbände - Medien, Dienste, Politik - Martkforschung Gesamt für "Anwender, Praxis" |
8 9 3 6 37 63 |
5 5 2 4 22 ger. 37 |
Der fachlichen Spannbreite entsprach das Themenspektrum der Beiträge, das von Erfahrungsberichten aus der praktischen Marktforschung, über methodische Fragen der Online-Forschung bis hinein in eher grundlagentheoretische Arbeiten reichte, z.B. hinsichtlich der Charakteristik des Mediums "Online". Und sollte es gelingen, diese beiden Momente der Verständigung zwischen Forschung und Praxis einerseits und der Themenvielfalt andererseits in einem bei einer größeren Teilnehmerzahl immer noch "einspännigen" Kongreß weiter zu verwirklichen, dann wären die Organisatoren schon heute zu beglückwünschen, nicht nur für diesen Kongreß, der bemerkenswert diszipliniert und ohne Hektik, aber mit ausreichend Diskussionsanteilen über die Bühne ging.
Bevor wir auf die Beiträge näher eingehen, sei noch ein weiterer Versuch einer Gesamtbetrachtung unternommen, nämlich zu dieser thematischen Verteilung der Vorträge. Zu diesem Zweck gliedern wir für die nachfolgende Zusammenstellung (Tabelle 2) in vier grobe Kategorien:
Da es nicht um eine theoretisch begründetes Variablenmodell, sondern nur um eine inhaltliche Einteilung geht, dürfte eine solche Differenzierung genügen. Die Zuordnung erfolgte nach dem Schwerpunkt der Fragestellungen; aufgenommen wurde nur der Erstautor; ließ ein Beitrag erkennen, daß er über eine einzelne Kategorie hinausgriff, dann hätte man ihn über zwei Spalten hinweg ziehen müssen. Dies ist aber nur bei zwei Beiträgen der Fall, bei Urban, insofern er seine Befunde auf der Hintergrund einer allgemeineren Konkurrenzsituation zwischen Internet und klassischen Massenmedien interpretierte, und bei Wirth, der Gestaltungsmerkmale des Mediensystems als Bestimmungsfaktoren für das Rezipientenverhalten untersuchte. Eine doppelspaltige Anordnung für diesen beiden Beiträge kann in Tabelle 2 entfallen.
Insgesamt zeigt sich damit ein klares Übergewicht von methodischen Fragen und von Aspekten der Mediennutzung. Nur drei Beiträge würde ich im engeren Sinne der Spalte "Mediensystem" zuordnen; nur ein Beitrag war kommunikator-orientiert angelegt.
Für die nachfolgende Berichterstattung ist vorauszuschicken, daß ich den Einleitungsvortrag von Klaus Schönbach (Uni Amsterdam) gar nicht (kein Abstract in den Unterlagen), und die beiden Beiträge von Urban und Feierabend / Handel nur nach den Abstracts berichten kann; diese einführende Sequenz fiel dem morgentlichen Glatteis an jenem ersten Konferenztag zum Opfer.
Tabelle 2:
kommunikator- orientierte Themen |
Medienfunktionen, Mediensystem |
Mediennutzung Rezipienten |
methodische Fragen |
---|---|---|---|
Schandelmaier: Webauftritte v.Unternehmen; kommuniz. Image und Web-Gestaltung |
Rössler: Thematisierung d. Internet in klass. Medien u. Entw. des Internet |
Feierabend ...: Mediennutzung nach Expertenbefr., Regionalstudie u. in einer Jugendlichen-Studie |
Muz ...: Methodische Aspekte der IVW-Messung u. Eignung für Online-Medien |
Urban: Mediennutzung bei US CS-Nutzern u. Substitution zu TV-Nutzungszeit; inkl. allgemeiner Überlegungen zur Konkurrenzsituation Online- vs. Massenmedien |
Görtz: Auswertbarkeit u. Ergiebigkeit von Logfile-Daten für Interpretation von Nutzungszeiten |
||
Wirth: Nutzerverhalten im WWW in Abhängig. von Gestaltungsmerkmalen; Navigations- und Selektionsverhalten |
Fuchs: klassische computerunterst. Verfahren und Übertrag. auf Online; Fb-Struktur u. Benutzerverhalten |
||
Sassenberg: Art der Orientierung (thematisch / personal) in Internet-Channels |
Pfeiffer: Online u. Internet als Arbeitsmittel beim information broking; Selbsteinsch. von Qualifikationen |
Lander: Gütekriterien f. quantitat. Verfahren u. Übertragbarkeit auf Online-Medien; kritisch wg. Virtualität der soz. Rollen |
|
Hildebrandt ...: Probleme v. Rechnerkonfig. u. -leistung f. Java-basierte Reaktionszeitmess. |
Matzat: Internet als Kom-med. in wissensch. Gemeinschaften; Vgl. Länder u. Disziplinen |
Lukawetz: Faktoren f. Non-Response-Verhalten in einer "digitalen Stadt" (A) als Nutzungsumgebung |
|
Utz: Vergleich d. Verhaltens in realen und virtuellen Gruppen und Wechselwirkungen |
Bosnjak ...: Befolgen v. WWW-Bannern in Abhäng. von oberflächl. vs. intrinsischer Motivation u. Entw. von Schätzmodellen |
||
Stegbauer ...: Passive Nutzer von Mailing-Lists und deren Verhaltensmuster ("lurkers") |
Nienhaus ...: Befragungsverhalt. in Abh. von Zugangsseite, Info-Salienz und Item-Position |
||
Meyer: neurologische u. psycholog. Faktoren f. "Präsenzzeit" |
Wilhelm ...: Vergleichbarkeit v. Intelligenztests unter Labor- vs. Online-Erhebung (WWW) |
||
Musch ...: Logisches Schließen unter Labor- u. WWW-Bedingung |
Patrick Rössler (Uni München; Kommunikationswissenschaft) ging auf die Wechselwirkungen zwischen Medienberichterstattung und der Herausbildung neuer Medien wie Internet und Online ein und berichtete Ergebnisse einer Inhaltsanalyse der Internet-Berichterstattung in drei Magazinen im Zeitraum von Januar 1995 bis Sommer 1998. Sabine Feierabend und Ulrike Handel (beide beim Medienpädagogischen Forschungsvberbund Südwest, c/o SWR Baden-Baden) führten anhand dreier Untersuchungen vor, wie unterschiedlich die Nutzungsraten ausfallen können. Nach einer vor kurzem erst abgeschlossenen Expertenbefragung (u.a. unter Beteiligung des ISI) wird den Computer- und Online-Medien in Zukunft ein großer Bedeutungszuwachs zugesprochen; in einer repräsentatitiven Befragung in der Region Karlsruhe, Mannheim und Mainz ergab sich, daß nur 1% der Durchschnittsbevölkerung das Internet- bzw. Online-Dienste nutzt; und in einer bundesweit repräsentativ auf Jugendliche abstellenden Befragung zeigte sich, daß bereits 8% "wenigstens einmal die Woche" Online-Medien nutzen.
David Urban (Musikhochschule Hannover; Inst. für Journalistik und Kommunikationsforschung) trug Ergebnisse seiner Diplomarbeit vor, deren Erhebungen im Jahre 1996 liefen. Er befragte 1.100 US-amerikanische CompuServe-Nutzer/innen nach ihrem Medienbudget, nach den Medienbildern und nach Subsitutionseffekten in der Mediennutzung. 31% der Befragten, so eines seiner Resultate, gaben an, seit der Aufnahme einer Online-Nutzung weniger intensiv fernzusehen, ein Trend, der sich hierzulande u.a. auch im ARD-Online-Monitor zeigte. Diese Befragung erfolgte per E-Mail; der Autor versuchte anhand der öffentlich zugänglichen E-Mail-Adressen und mit Hilfe einer Auswahl aus Namenskürzeln eine Zufallsstichprobe zu realisieren. In seinem medientheoretischen Argument betonte er die Möglichkeit, daß "innerhalb von Online-Medien ... eine umfassende Integration aller heute bekannten inhaltllichen, strukturellen und funktionalen Merkmale traditioneller Massenmedien möglich ..." (zit.n. Abstract) sei und deshalb den traditionellen Massenmedien unweigerlich ein Konkurrent erwachse.
Alexandra Muz und Patrick Rössler (Institution s.o.) setzten sich kritisch mit der Reichweitenmessung auseinander, wie sie vom IVW-Verfahren an traditionellen Medien entwickelt und neuerdings auf Online-Medien übertragen wird. Das Verfahren sei noch zu statisch, erfasse Nutzung im engeren Sinne kaum und berücksichtige zu wenig die Dienste-Differenzierung, die man beim Internet beachten müsse; Internet sei schließlich mehr als nur WWW.
Werner Wirth (Uni Leipzig, Inst. f. empirische Kommunikationsforschung) untersuchte in einem Multi-Methoden-Design und einem mehrstufigen Ansatz, wie sich bestimmte Gestaltungsmerkmale (Auffälligkeit von Seiten und Links; Erkennbarkeit; Farbe, Formatierung usw.) auf die Aufmerksamkeitssteuerung und das Selektionsverhalten auswirken (welcher Link wird schließlich gewählt). Dabei konnten die Probanden in drei unterschiedlichen Nutzungssituationen agieren (15 Minuten ohne Aufgabe; dann eine offene Aufgabe, schließlich eine geschlossene Aufgabe); die Sitzungen wurden per Video aufgenommen, dann inklusive der Äußerungen inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Autor will auf diesem Wege "das Einflußpotential medialer (WWW-spezifischer) Merkmale" erkunden. In einer Regressionsanalyse zu den Merkmalen von "vivid links" konnten bislang aber erst 25% Varianz aufgeklärt werden.
Lutz Görz (Essen, Michel Medienforschung und Beratung) diskutierte anhand der Erfahrungen mit Online-Daten eines Providers, welche Probleme sich mit Logfile-Daten stellen und ob diese für eine Auswertung des Nutzungsverhaltens (insbes. der Nutzungszeiten) geeignet seien (was er bejahte). Vorteile dieser Daten sah er etwa darin, daß man hier ein passives Instrument habe, das sekundengenaue Messungen ohne weitere Kosten erlaube; Nachteile lägen darin, daß für die statistische Aufbereitung unterschiedliche Protokolle umgearbeitet werden müßten oder daß von den Klickzeitpunkten nicht unbedingt auf Anwesenheit zurückgeschlossen werden könne, ein Punkt, der in der Diskussion sofort aufgegriffen wurde. Es ist ähnlich wie bei der Erfassung von Fernsehnutzung: Ebensowenig wie dort geschlossen werden darf, daß man, selbst bei Anwesenheit im Raum und mit eingeschaltetem Fernsehgerät, aktiv sehen würde, darf nach einem Klick auf einen Link unterstellt werden, daß der Nutzer nun die Aufmerksamkeit auf die dann geöffnete Inhaltsseite richte. Erst eine prozeßbezogene Datenerhebung kann solche Nutzung (im Gegensatz zu bloßem Klicken) erfassen.
Einen etwas anderen Akzent als die sonst geläufige Analyse von Mediennutzung setzte Sabine Pfeiffer (Uni Ulm, Medizin) mit einer Befragung von Experten, die das Internet und die klassischen Online-Datenbanken als "information broker" (n=70) verwenden. Hier ist das Online-System also nicht Verteil- oder Kommunikationsmittel, sondern vor allem Arbeitsmittel. Es ging ihr u.a. um die Aufdeckung von für solche Arbeit kritischen Qualifikationen.
Von den an diesem ersten Tag noch gehaltenen Beiträgen möchte ich nur auf den letzten noch etwas näher eingehen, die anderen aber wenigstens erwähnen: so Carsten Theissen vom Emnid-Institut, der eine ganze Reihe von Studien vorstellte, ohne aber auf Ergebnisse mit Rücksicht auf die Klienten im Detail einzugehen (was zwar verständlich, für den neugierigen Zuhörer dann aber wenig ergiebig war); so Steffen Schandelmaier mit Hinweisen zur Web-Gestaltung von Firmenauftritten im Internet; Uwe Matzat mit einer eher wissenschaftssoziologischen und noch laufenden Untersuchung darüber, wie sich die Fachkommunikation bei Benutzung der diversen Kommunikationsdienste (discussion groups, newsgroups, mailing lists) verändert, und Sonja Utz, die sich mit den Unterschieden befaßte, die zwischen virtuellen sozialen einerseits und realen Kontakten andererseits bestehen und dazu 300 Personen befragte.
Christian Stegbauer und Alexander Rausch (Uni Frankfurt, Gesellschaftswissenschaften) beschäftigten sich mit einer bisher eher an den Rand geschobenen Internet-Species, den "Lurkers", die man wahlweise als Kiebitze, Voyeure oder Trittbrettfahrer einordnen könnte (to lurk - lauern; to lurk around - herumschleichen). Es gibt auf jeden Fall jene passiven Nutzer z.B. von Onlineforen, wo sie in der Regel die Mehrheit stellen und wo nur die Minderheit aktiv kommuniziert. Solche passiven Teilnehmer lassen sich in Newsgroups nicht, dagegen in Mailings-Lists gut erfassen, weil man sich dort als Subscribent anmelden muß. Die beiden Autoren gingen der Frage nach, "ob und unter welchen Bedingungen aus Lurkern aktive Teilnehmer werden". Diese Analyse war u.a. deshalb spannend, weil auf die notwendige Funktion solcher Teilnehmer für die Konstitution von Öffentlichkeit hingewiesen und so etwas wie ein "Lob der Passivität" herausgearbeitet wurde. Es können eben nicht alle mit allen kommunizieren; Kommunikation sequenziert, benötigt Zeit und verdrängt damit bestimmte Teilnehmer auf Randpositionen. Ein "lurker" wäre also ein Beobachter, dessen Beobachtung weder ausgeschlossen noch unerwünscht ist; ein Kiebitz wäre aber einer (vgl. Skatspiel), der zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dessen Beobachtungsverhalten aber unerwünscht ist (weil für die anderen Mitbeobachter hinweisträchtig), und ein Voyeur schließlich wäre ein unerwünschter und (i.d.R.) unerkannter Beobachter. So ergab sich hier ganz nebenbei noch eine interessante (wenn auch von den Vortragenden nicht ausgearbeitete) Typologie von Beobachterrollen.
Der zweite Veranstaltungstag war überwiegend den methodischen Beiträgen und den eher fachwissenschaftlichen Perspektiven gewidmet (mit entsprechend gelichteten Reihen, was aber von den Veranstaltern wohl einkalkuliert gewesen war). Man kann diese Beiträge in drei Gruppen einteilen, a) Fragen der Übertragbarkeit; b) medienimmanente und c) grundlagentheoretische Themen.
a) Es ging in mehreren Beiträgen immer wieder um die Frage der Übertragbarkeit, also etwa der klassischen Methoden und Ansätze auf dieses neue Online-Medium, dessen genaue Charakteristik man sich noch erarbeiten muß. Zu dieser Gruppe kann etwa der Beitrag von Marek Fuchs (Uni Eichstätt, Soziologie) gerechnet werden, der fragte, was man den klassischen computerunterstützten Befragungstechniken (wie CATI) für das Online-Medium lernen kann und beachten sollte, z.B. die fundamentale Tatsache, daß Fragenbogengestaltung auch Situationsgestaltung ist, sowohl für den Fragesteller, der nach Möglichkeit seine Orientierung im Gestrüpp der Frageverzweigungen nicht verlieren sollte, als auch für den Befragten, der in einer sozial adäquaten Weise angesprochen und nicht als Datenlieferant mißbraucht werden möchte. Zu diesem Block kann man weiter den Beitrag von Bettina Lander (Uni Düsseldorf, Soziologie) rechnen, die fragte, ob und inwieweit die klassischen Gütekriterien (Reliabilität, Validität usw.) bei Online-Verfahren erfüllt sind, und wie die genaue Charakteristik des neuen Mediums in Rechnung zu stellen ist; auch den Beitrag von Wilhelm, Witthöft und Grössler (Uni Mannheim, Psychologie) möchte ich in diese Gruppe nehmen; sie testeten, ob Intelligenz- und Wissenstests im Labor einerseits und dem Internet (WWW) andererseits verglichen werden können (wobei sie eine weitgehende Vergleichbarkeit fanden). Ähnlich gelagert die Frage von Musch, Naumer und Klauer zu Experimenten zum logischen Schlußfolgern unter WWW-Bedingungen (n=825) im Vergleich zum Labor (n=60).
b) Die zweite Gruppe von Beiträgen bleibt gewissermaßen innerhalb des Mediums und erforscht dort die diversen Zusammenhänge. So ging Gerhard Lukawetz (Wien) den Faktoren nach, die einem "non-response-Verhalten" in einer "digitalen Stadt" zugrundeliegen, wobei er je nach Aufgabe und Variable unterschiedlich starke Verzerrungen fand (z.B. geringe bei Einstellungs- und Interessenfragen). Bosnjak, Bandilla und Tuten (ZUMA, Mannheim) erforschten in einem Web-Experiment, wie sich die Art der Motivation (eher oberflächlich vs. eher intrinsisch) auf das Befolgen von WWW-Bannern auswirkte. Nienhaus und Batinic (Uni Gießen, Psychologie) gingen Kontextfaktoren bei Internet-Umfragen nach und untersuchten, wie sich die Gestaltung der Zugangsseiten oder die Position von Items und Antwortkategorien auf die Fragenbeantwortung auswirkten. Kai Sassenberg (Uni Göttingen, Sozialpsychologie) untersuchte die Art der Orientierung (an Themen vs. an Personen) in Internet-Channels; schließlich gingen Hildebrandt, Meyer und Janetzko (Uni Freiburg, Kognitionswissenschaft) sehr detailliert auf die technischen Bedingungen ein, die man beachten sollte, wenn in unterschiedlichen Rechner- und Softwareumgebungen Reaktionszeitmaße erhoben werden sollen.
c) Die dritte Gruppe wird von einem einzigen Beitrag dargestellt, der nicht nur deshalb hervorzuheben wäre, weil er lebendig vorgetragen wurde und gegen Ende der Veranstaltung nochmals die Aufmerksamkeit binden konnte. Es ging hier bei Herbert Meyer (Uni Kassel, Psychologie) um die "Bedeutung der psychischen Präsenzzeit bei der Rezeption von Online-Medien". Der Autor griff u.a. auf die Theorie Ernst Pöppels zurück, der aufgrund neurobiologischer Mechanismen der Reizverarbeitung zu einer Drei-Sekunden-Regel gelangte; diese drei Sekunden sind die psychische Präsenzzeit, sie sind die subjektive Gegenwart. Meyer eximentierte u.a. mit einer Kippfigur, deren "Umschlagszeit" sich nach einem guten Dutzend Betrachtungen und willentlicher Versuche, die Figur zu kippen, jenem Dreisekundeniveau annäherte. Man gewann den Eindruck, daß Meyer diese Regel sicher verstanden, aber noch nicht so recht internalisiert hatte, denn er sprach in einem Tempo, als wolle er in drei Sekunden sechs Sekunden Information unterbringen. Aber diese drei Sekunden sind so eine Sache. Ernst Pöppel hatte diesen zuhörer-freundlichen Redefluß auf einer Medientagung Ende Oktober in Stuttgart zwar gut drauf, aber mit der ihm zugemessenen Redezeit kam er auch nicht zurecht ...
Wenn ich abschließend drei Wünsche für die Veranstaltung im nächsten Jahr offen hätte, dann würde ich gerne diese vorlegen:
a) Unser Tableau und die Diskussion zeigte, daß m.E. in etlichen Vorträgen der Stellenwert der Medienvariable nicht so richtig klar war bzw. nicht so richtig deutlich wurde; dies müßte und sollte man sich als Referent genauer überlegen; an dieser Charakterisierung des "Neuen Mediums" muß sicher noch gearbeitet werden.
b) Es ist, auch wenn man die Details einer Arbeit nicht versteht oder sich dafür nicht interessiert, auf jeden Fall hilfreich, die übergeordnete Frage und den übergreifenden Zweck einer Forschung darzustellen. Solche "Verankerung" kostet gewiß Redezeit, hilft aber den Zuhörern enorm.
c) Die Moderation hätte gelegentlich noch etwas verbindlicher sein können, wenngleich das Publikum um Fragen nie verlegen war.
Mit diesen Wünschen und Hinweisen seien die Organisatoren in die Nachbereitung des Kongresses und die Vorbereitung des kommenden entlassen - und sie sollten m.E. versuchen, solange es irgend geht, bei einem "einspännigen" Konzept zu bleiben. So kommt am ehesten "serendipity" zustande, ein Effekt, den man vielleicht so umschreiben kann, daß ich etwas höre, von dem ich noch gar nicht wußte, daß es mich eigentlich interessiert.