Stand, Perspektiven und Folgen des E-Commerce

Ulrich Riehm (Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft), Carsten Orwat (ITAS), Thomas Petermann (Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Berlin)

In: Christof Weinhardt, Carsten Holtmann (Hrsg.): E-Commerce. Netze - Märkte - Technologien. Heidelberg: Physica 2002, S. 1-18 (Tabelle 4 im Folgenden leicht modifiziert.)


Zusammenfassung

Im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages führte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) in Kooperation mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in den Jahren 2000 bis 2002 das Projekt "E-Commerce" durch. Entsprechend dem Konzept der Technikfolgenabschätzung wurden die ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen des elektronischen Handels in einzelnen Wirtschaftsbereichen untersucht und politische Handlungsoptionen ausgearbeitet. In diesem Beitrag wird zunächst der gegenwärtige Stand des E-Commerce im Allgemeinen dargestellt und anschließend werden ausgewählte Branchen betrachtet. Anhand der Lebensmittelbranche wird mit einer Beispielrechnung auf die Verkehrsfolgen des E-Commerce hingedeutet. Mit dem elektronischen Versandhandel von Arzneimitteln verbinden sich einerseits Hoffnungen auf Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen, andererseits muss mit einer Verringerung der Zahl der Apotheken gerechnet werden, was eine andere Modellrechnung zeigt. Gegenläufige positive und negative Beschäftigungseffekte zeigen sich auch beim elektronischen Handel mit digitalisierten Informationsprodukten und Dienstleistungen.

Schlüsselworte

E-Commerce, Technikfolgenabschätzung, Branchenanalysen

1   Einleitung

Als im Sommer 2000 alle Fraktionen des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie eine Studie zu den "Wirtschaftlichen Perspektiven des elektronischen Handels" anregten und der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung diese Anregung aufgriff und das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) mit dieser Studie beauftragte, war die "E-Commerce-Welt" noch weitgehend in Ordnung. Die Erwartungen - auch im Deutschen Bundestag - waren hochgespannt und gerichtet auf mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, effizientere und komfortablere Einkaufsprozesse sowie günstigere Produkte und Dienstleistungen. Die Hoffnungen richteten sich auch auf positive verkehrliche und ökologische Effekte durch integrierte logistische Prozesse und eine bessere Bündelung und Auslastung des Güterverkehrs. Eingebettet war diese euphorische Debatte zum elektronischen Handel in eine übergreifende Diskussion zur "New Economy". Diese versprach anhaltendes Wirtschaftswachstum bei sinkender Arbeitslosigkeit und niedriger Inflationsrate durch ein außergewöhnliches, durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien bedingtes Produktivitätswachstum.

Heute, gut zwei Jahre später, ist nicht nur die Spekulationsblase an der Börse geplatzt, sondern es stellt sich auch heraus, dass die E-Commerce-Revolution, die die Wirtschaft auf eine grundlegend neue Basis stellen wollte, so nicht stattfand. Das heißt nicht, dass alles nur ein großer Bluff war.

Der elektronische Handel ist in einzelnen Bereichen fest etabliert - mal im größeren, mal im geringeren Umfang -, und er wird sich weiter ausbreiten, wenn auch nicht mehr in dem Tempo, wie zu Zeiten des Internetbooms.

Die Fragen nach den weiteren Perspektiven und nach den Folgen des E-Commerce sowie nach dem politischen Handlungsbedarf sind weiterhin aktuell.

2   Projekt "E-Commerce" des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)

Im Mittelpunkt des Projekts "E-Commerce" des TAB standen Analysen zum Realisierungsstand sowie den Entwicklungsmöglichkeiten des E-Commerce in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Die erwartbaren Diffusionsprozesse und Strukturveränderungen sowie weitergehende Folgenbetrachtungen sollten untersucht werden.

Das Projekt gliederte sich in zwei Phasen. In der ersten Phase bis Frühjahr 2001 erfolgte eine erste Bestandsaufnahme und eine Konzentration auf die Innovationsbedingungen des E-Commerce (Petermann 2001; Riehm 2002; Orwat 2002). In der zweiten Phase wurden vertiefende Analysen zum E-Commerce und seinen Wirkungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen erarbeitet. Der Endbericht wurde dem Bundestag im Juni 2002 vorgelegt und im Juli 2002 vom zuständigen Ausschuss abgenommen (Riehm et al. 2002). Das Projekt wurde in enger Kooperation zwischen MitarbeiterInnen des TAB und MitarbeiternInnen des Instituts für Technikfolgenabschätzung des Forschungszentrums Karlsruhe durchgeführt. Außerdem waren externe Gutachterinnen und Gutachter für das Projekt tätig.

Der elektronische Handel wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen nicht gleich gesetzt mit den umfassenderen Konzepten des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Business), der Internetwirtschaft oder der "Neuen Ökonomie". Unter "E-Commerce" wird ein Handelsgeschäft verstanden, das auf öffentlich zugänglichen Märkten und über ein interaktives elektronisches Medium abgeschlossen wird. Die Betrachtung ist demnach auf unternehmensexterne Transaktionen beschränkt.

Aber auch E-Commerce in dieser Abgrenzung ist nicht gleich E-Commerce. Je nach Branche, Art der gehandelten Güter, Handelstraditionen und gesetzlichen Rahmenbedingungen bilden sich unterschiedliche Formen des E-Commerce heraus und sind entsprechend das Entwicklungspotenzial und die Folgen differenziert einzuschätzen. So ist E-Commerce z. B. eingebunden in die komplexen, unternehmensübergreifenden Steuerungs- und Planungsprozesse der Fertigungsindustrie mit in der Regel nur wenigen dominierenden Abnehmern. Ganz anders ist die Problemlage in zersplitterten Märkten mit einer Vielzahl von Anbietern und Abnehmern. Hier kann der elektronische Handel, zumal bei Zeitknappheit der Nachfrager, sein Potenzial zur Herstellung von Markttransparenz und zur schnellen Abwicklung von Handelsprozessen entfalten. Wieder anders ist die Situation bei Massengütern mit einem umfassenden Sortiment. E-Commerce bietet hierfür hohe Rationalisierungspotenziale in der automatisierten Bestellabwicklung zwischen Hersteller, Groß- und Einzelhandel.

Für diese differenzierten Analysen hat sich der im TA-Projekt verfolgte Ansatz bewährt, einzelne Wirtschaftsbereiche zum Ausgangspunkt der Untersuchungen zu machen. Solche Analysen wurden in den folgenden acht Wirtschaftsbereichen vorgenommen:

Neben diesen auf Wirtschaftsbereiche ausgerichteten Themenfeldern wurden Folgebetrachtungen durchgeführt und Querschnittsfragen behandelt. Dazu zählen u.a.

3   Technikfolgenabschätzung

Was heißt aber Technikfolgenabschätzung (TA) und was kann sie leisten? In einer aktuellen Einführung zur Technikfolgenabschätzung definiert Grunwald wie folgt: "Unter Technikfolgenabschätzung werden wissenschaftliche und kommunikative Beiträge zur Lösung technikbezogener gesellschaftlicher Problemlagen verstanden" (Grunwald 2002, S 52). In dieser knappen Formulierung wird abgehoben auf zwei wesentliche Unterscheidungen: erstens geht es um Beiträge zur Lösung von Problemen, nicht um die Lösung selbst und zweitens geht es um wissenschaftliche und kommunikative Leistungen der Technikfolgenabschätzung (vgl. im Folgenden nach Grunwald 2002, S 52ff).

Technikfolgenabschätzung stellt im Wesentlichen Orientierungswissen bereit, um gesellschaftliches und politisches Handel zu unterstützen und um Entscheidungen informierter treffen zu können. Die Lösung der anstehenden Probleme kann aber nur die Gesellschaft mittels ihrer Institutionen vornehmen. Dazu ist die Technikfolgenabschätzung nicht legitimiert, will man nicht einer Expertokratie das Wort reden. Technikfolgenabschätzung ist zwar eine wissenschaftliche Tätigkeit und unterliegt den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens, sie steht aber in einer besonderen Verantwortung, ihre Ergebnisse an Politik und Gesellschaft zu vermitteln.

Ein besonderer Anspruch der Technikfolgenabschätzung besteht darin, dass sie ihre Themen "umfassend" behandeln soll. Die Betrachtung möglicher Folgen einer technischen Innovation richten sich z. B. nicht nur auf den ökonomischen Erfolg, sondern auch auf die ökologischen und sozialen Folgen sowie die politischen Rahmenbedingungen. Solche umfassenden Untersuchungsansätze sind nur in einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu bewältigen.

TA ist keine Zukunftsforschung in dem Sinne, dass sie konkrete Voraussagen über die Zukunft macht. Die Zukunft wird durch die gesellschaftlichen Akteure beeinflusst und gestaltet und ist in diesem Sinne immer offen und nicht vorhersehbar. TA kann aber bei gegebenen Voraussetzungen mögliche Folgen analysieren. Solche "Was-wäre-wenn-Analysen" sind z. B. hilfreich bei der Beurteilung bestimmter Entwicklungsprozesse, bei der Etablierung von Förderprogrammen oder bei politischen Regulierungsmaßnahmen.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Durchführung von TA-Studien klafft oft ein Widerspruch. Dies hängt an den begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen, aber auch an prinzipiellen Wissenslücken. Diese Restriktionen traten auch beim TA-Projekt "E-Commerce" auf. Bestimmte Folgedimensionen konnten nur in bestimmten Wirtschaftsbereichen untersucht werden, für einzelne Fragestellungen lagen weder aussagekräftige Studien vor noch konnten diese mit den vorhandenen Mitteln in Auftrag gegeben werden.

Im Folgenden werden aus dem umfangreichen Gesamtbericht (Riehm et al. 2002) exemplarisch einige Ergebnisse herausgegriffen. Zunächst wird eine Einschätzung des gegenwärtigen Stands des E-Commerce gegeben, danach werden Analysen zu den Folgen des E-Commerce in drei Wirtschaftsbereichen vorgenommen. Beim Online-Handel mit Lebensmittel interessieren die verkehrlichen Wirkungen, beim Internethandel mit Arzneimitteln die Auswirkungen auf den Bestand der Apotheken und beim Handel mit digitalen Medienprodukten und Dienstleistungen die Folgen für den Arbeitsmarkt. Die Auswahl dieser Folgedimensionen orientiert sich dabei an den Fragestellungen des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den derzeitigen Diskussionsschwerpunkten in Literatur und Praxis.

4   Zum Stand des E-Commerce

In einem ersten Überblick zum Stand des elektronischen Handels sollen die Bereiche elektronischer Handel zwischen Unternehmen (B2B) und zwischen Unternehmen und Privathaushalten (B2C) unterschieden werden und dabei die Situation in Deutschland mit derjenigen in den USA verglichen sowie die zeitliche Entwicklung betrachtet werden. Für die USA stehen dabei Zahlen der amtlichen Statistik zur Verfügung, während man in Deutschland auf Daten aus Erhebungen von Marktforschungsunternehmen zurückgreifen muss.

4.1   B2B-E-Commerce in Deutschland und den USA

Eine gute Quelle für einen internationalen Vergleich in Bezug auf Aktivitäten zum E-Commerce zwischen Unternehmen (B2B) stellt die Studie von Empirica (Empirica 2001) "Stand und Entwicklungsperspektiven des elektronischen Geschäftsverkehrs" dar. Die Datenerhebung, die im Juli 2001 durchgeführt wurde, basiert auf einer Zufallsstichprobe nichtlandwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland, Finnland, Großbritannien, Italien und den USA mit jeweils 500 Betrieben (Finnland nur 300). Diese Untersuchung stellt eine Aktualisierung einer fast identischen Untersuchung aus dem Jahr 1999 dar.

Beschränkt man sich auf die im gegebenen Zusammenhang besonders relevanten Angaben zur elektronischen Beschaffung und zum elektronischen Vertrieb, dann stellt sich die Situation im Jahr 2001 wie folgt dar (vgl. Tabelle 1): Fast jeder zweite Betrieb in Deutschland (49 Prozent) nimmt im Internet selbst Bestellungen vor. Mit diesem Wert liegt Deutschland in der gleichen Größenordnung wie die USA, bei denen 50 Prozent der befragten Unternehmen im "electronic procurement" aktiv sind. Über das Volumen sagt diese Zahl nichts aus. Man muss davon ausgehen, dass bei der Mehrzahl dieser Betriebe mit Online-Beschaffung nur ein geringer Anteil des gesamten Beschaffungsvolumens elektronisch abgewickelt wird. Empirica gibt an, dass es in Deutschland 21 Prozent der Betriebe sind, die mindestens 5 Prozent ihrer Wartungs-, Reparatur- und Verbrauchsmaterialien online bestellen.

Der elektronische Vertrieb ist in den Unternehmen weniger verbreitet als die elektronische Beschaffung. In Deutschland waren vertrieblich im Internet nur 20 Prozent der Unternehmen aktiv. Deutschland liegt damit allerdings knapp über den USA, bei denen erst 18 Prozent mit elektronischen Vertriebsaktivitäten aufwarten können. Auch hier ist das Volumen noch relativ gering: 8 Prozent der Betriebe in Deutschland wickeln mindestens 5 Prozent ihrer Verkäufe mit Geschäftskunden über das Internet ab (USA 6 Prozent).

Tabelle 1: Elektronische Beschaffung und Vertrieb in Deutschland und den USA im Jahr 2001

  Deutschland
(%)
    USA    
(%)
Anteil der Betriebe, die im Internet selbst Bestellungen vornehmen 49 50
Anteil der Betriebe, die mindestens 5 % ihrer Wartungs-, Reparatur- und Verbrauchsmaterialien elektronisch bestellen 21 29
Anteil der Betriebe, die im Internet selbst verkaufen 20 18
Anteil der Betriebe, die mindestens 5 % ihrer Verkäufe mit Geschäftskunden über das Internet abwickeln 8 6

Quelle: Empirica 2001, S 39 und eigene Berechnungen

Der "E-Commerce Multi-Sector Report" des U.S. Census Bureau (U.S. Census Bureau 2002) gibt genauere Auskunft über das Volumen und die jeweiligen Anteile, die der elektronische Handel an einzelnen Handelssegmenten hat. Danach lag der E-Commerce-Anteil im Jahr 2000 am Handel der Fertigungsindustrie bei 18,4 Prozent, im Großhandel bei 7,7 Prozent, in ausgewählten Dienstleistungsindustrien bei 0,8 Prozent und im Einzelhandel bei 0,9 Prozent. Nach diesen Zahlen liegt der B2B-Anteil am gesamten E-Commerce in den USA bei 94 Prozent, während der elektronische Handel mit Privatkunden, obwohl er viel stärker das Interesse der Öffentlichkeit auf sich lenkt, demgegenüber mit 6 Prozent fast marginal erscheint. Die amerikanischen Erhebungen führen auch zu einer zweiten Klarstellung: Es ist nicht in erster Linie das Internet, über das der elektronische Handel zwischen Unternehmen abgewickelt wird, sondern es sind die meist schon länger etablierten Verfahren des Electronic Data Interchange (EDI). 88 Prozent des elektronischen Handels an dem der Großhandel in den USA beteiligt ist, erfolgt über EDI. Die Steigerungsraten im elektronischen Handel mit Geschäftskunden liegen im Vergleich zur ersten Erhebung im Jahr 1999 in der Fertigungsindustrie bei 7 Prozent und im Großhandel bei 17 Prozent.

4.2   B2C-E-Commerce in Deutschland und den USA

Folgt man den Daten der Allensbacher Computer- und Telekommunikations-Analyse (ACTA) dann haben im Jahr 2002 unter der deutschen Bevölkerung von 14 bis 64 Jahren bereits fast die Hälfte das Internet "egal ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder anderswo" genutzt. Fast ein Drittel "haben schon einmal etwas über das Internet bestellt". "Schon häufiger" haben im Internet allerdings nur 5,9 Prozent der Bevölkerung eingekauft (vgl. Tabelle 2).

Über das Volumen und die Struktur der Einkäufe im Internet gibt die Webscope-Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) Auskunft. Beim GfK-Webscope werden seit Juli 2000 kontinuierlich die Käufe und Bestellungen von Waren und Dienstleistungen per Internet bei einer repräsentativen Stichprobe von 10.000 Internetnutzern ab 14 Jahren erhoben. Die Erhebung erfolgt mittels eines "Tagebuchs", in das jeder Online-Kauf eines Haushalts eingetragen wird. Nach dem GfK-Webscope wurden im Jahr 2001 von 11,9 Mio. Internetkäuferinnen und -käufern bei insgesamt 54 Mio. Online-Kaufvorgängen ein Umsatz von 4,3 Mrd. Euro erzeugt. Im Durchschnitt tätigte ein Internetkäufer 4,4 Interneteinkäufe im Jahr und gab pro Kauf beachtliche 81 Euro aus.

Tabelle 2: Internetnutzer und Internetkäufer 1998 bis 2002 in Deutschland

  1998
(%)
1999
(%)
2000
(%)
2001
(%)
2002
(%)
Internetnutzer 11,8 16,9 28,6 40,0 45,7
Internetkäufer 1,3 3,7 9,7 25,3 29,6
Schon häufiger im Internet eingekauft nicht erhoben 2,0 1,7 3,8 5,9

Legende: In Prozent der Bevölkerung von 14 bis 64 Jahren. Zahlen für 2002 beziehen sich auf die erste von zwei Erhebungswellen und sind deshalb vorläufig.
Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach 1998-2002

Nach der Anzahl der Kaufvorgänge stehen an der Spitze der verkauften Produkte Bücher und CDs. Diese beiden Produktkategorien deckten im 4. Quartal 2001 rund 40 Prozent aller Kaufvorgänge ab. Relativ oft gekauft wurden auch Bekleidung und Schuhe mit einem Anteil von 11,4 Prozent unter allen Verkaufsvorgängen. Digitale Dienste ("kostenpflichtige Downloads, Shareware und Dienstleistungen") wurden dagegen gerade bei 2,1 Prozent der Kaufvorgänge in Anspruch genommen.

Betrachtet man den Anteil einzelner Produktkategorien am Umsatzvolumen ergibt sich ein gewisse Verlagerung. Angeführt wird diese Rangliste von Buchungen von Reisen, Flug- und Fahrscheinen sowie Hotels mit 15,7 Prozent des Gesamtwerts der Internetbestellungen. Es folgen Computer und Computerzubehör (11,8 Prozent) sowie Bekleidung und Schuhe (11,5 Prozent) und erst auf Platz vier Bücher (9,1 Prozent). Dieser Unterschied erklärt sich aus der unterschiedlichen Preisstruktur der Produkte. Reisen, Computer und Bekleidung sind hochwertigere Produkte als Bücher und Tonträger.

Aber welchen Anteil hat der elektronische Handel zwischen den Online-Anbietern und den Privathaushalten am gesamten Einzelhandel? Hierfür kann man auf amtliche Zahlen aus den USA sowie auf Angaben des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) zurückgreifen. Nach Schätzungen des HDE wurden in Deutschland im Jahr 2001 ein Online-Umsatz von rund 5 Mrd. Euro im B2C-Segment des elektronischen Handels erreicht (HDE 2001). Dieser Internetumsatz entspricht rund 1 Prozent des Einzelhandelsumsatzes insgesamt. Für das Jahr 2002 erwartet der Einzelhandel einen Anstieg der Internetumsätze auf 8,5 Mrd. Euro. Der Anteil am gesamten Einzelhandel stiege damit auf 1,6 Prozent.

Die E-Commerce-Anteile der umsatzstarken Einzelhandelssegmente, wie Lebensmittel, Bekleidung und Konsumartikel, sind insgesamt noch sehr gering. Sie liegen nach Schätzungen des HDE für das Jahr 2000 im Lebensmittelhandel unter 0,15 Prozent, im Bekleidungshandel unter 0,5 Prozent und bei der Konsumelektronik bei unter 1 Prozent (HDE 2001). Selbst im Buchhandel, der "Vorzeigebranche" des Online-Handels, haben die Online-Umsatz-Anteile im Jahr 2000 nach einer Umfrage des Branchenverbandes erst 2,3 Prozent erreicht (Riehm et al. 2001, S 74). Bei Medienprodukten, bei denen die Verkaufsstellenanzahl, Beratungsintensität und -qualität im stationären Einzelhandel vergleichsweise geringer ist als im Buchhandel, konnte der Online-Handel im Jahre 2001 wesentlich höhere Anteile erreichen. So beträgt der Online-Umsatz bei Tonträgern immerhin 6,4 Prozent und bei Videokassetten und Video-DVDs sogar 13,6 Prozent des jeweiligen Gesamtumsatzes (Riehm et al. 2002, S 195f).

In den USA werden seit dem 4. Quartal 1999 durch das U.S. Census Bureau des Department of Commerce Zahlen zum B2C-E-Commerce veröffentlicht. Sie beruhen auf monatlichen Erhebungen von 11.000 repräsentativ ausgewählten Einzelhandelsunternehmen. Danach wurden im Jahr 2000 28,9 Mrd. US-Dollar und im Jahr 2001 35,9 US-Dollar im B2C-E-Commerce umgesetzt. Der E-Commerce-Anteil am Einzelhandelsumsatz lag im Jahr 2001 bei 1 Prozent (im Jahr 2000 bei 0,9 Prozent). Bemerkenswert ist, dass es in den ersten drei Quartalen des Jahrs 2001 zum ersten Mal zu einem absoluten Rückgang bzw. zu einer Stagnation der E-Commerce-Umsätze kam. Im vierten Quartal 2001 wurde allerdings ein neuer Spitzenwert erreicht. Insgesamt gehen die jährlichen Wachstumsraten, die im Jahr 2000 noch bei fast 100 Prozent gelegen haben, deutlich zurück auf Werte um die 20 Prozent (U.S. Department of Commerce 2002).

Zusammenfassend kann man den Stand des B2C-Handels wie folgt beschreiben:

5   Mögliche Folgen des E-Commerce in ausgewählten Branchen

Im folgenden Teil wird der Stand des E-Commerce in drei Wirtschaftsbereichen - Handel mit Lebensmitteln, Arzneimitteln sowie digitalen Medienprodukten und Dienstleistungen - dargestellt und die Folgen für Verkehr, stationäre Handelsbetriebe und Arbeitsmarkt untersucht. Diese Auswahl ist u.a. dadurch begründet, dass für diese Branchen im Rahmen des Projekts und durch einzelne Gutachten Folgeabschätzungen vorgenommen wurden. Eine umfassende Darstellung der Situation in den jeweiligen Branchen und eine umfassende Folgenabschätzung kann im Rahmen dieses Beitrages jedoch nicht gegeben werden.

5.1   Führt der Online-Handel mit Lebensmitteln zum Kollaps auf den Straßen?

Routineeinkäufe gelten gemeinhin als besonders geeignet für den elektronischen Handel. Lebensmitteleinkäufe gehören zu dieser Sorte von regelmäßigen Einkäufen, die eher Mühsal als Einkaufsfreude bereiten. Trotzdem hat sich der elektronische Handel mit Lebensmitteln nicht so entwickelt, wie erhofft. So musste eine ambitionierte und zunächst relativ erfolgreiche Neugründung in den USA, Webvan, im Juli 2001 nach fünf Jahren Betrieb Konkurs anmelden und rund 2.000 Angestellte entlassen. Webvan verfolgte ein anspruchsvolles logistisches Konzept mit hochtechnisierten Distributionszentren unabhängig von lokalen Filialbetrieben.

In Deutschland ist dieses Marktsegment noch mehr oder weniger in einer Experimentierphase. Einige Anbieter haben mangels Rentabilität ihren Betrieb wieder eingestellt, andere haben die Liefergebiete oder das Sortiment deutlich eingeschränkt. Es gibt nur ganz wenige Anbieter, die ein Vollsortiment an Lebensmitteln - in der Regel ohne Tiefkühlkost und Mehrweggetränke - bundesweit ausliefern. Bei nahezu allen Anbietern kann man nicht nur per Internet, sondern auch per Telefon und Telefax bestellen. Dabei liegt der Anteil der Internetbestellungen, so eine Umfrage von Flämig et. al (Flämig et. al 2002), in der Regel deutlich unter 50 Prozent. Nach der gleichen Umfrage unter Lebensmittel-Online-Anbietern liegt der Wert einer Online-Bestellung im Durchschnitt über demjenigen Wert eines Einkaufs im Ladengeschäft. Für die Anlieferung wird meist eine Pauschale zwischen 5 und 10 DM verlangt, auf die ab einem bestimmten Bestellwert (etwa 150 DM) verzichtet wird. Meist wird innerhalb eines zu wählenden Lieferzeitfensters von 1 bis 4 Stunden ausgeliefert und zwar - je nach Anbieter und Liefergebiet - nach der Bestellung innerhalb eines Zeitraums von wenigen Stunden bis zu drei Tagen. Die Zusammenstellung der bestellten Waren (Kommissionierung) erfolgt in den meisten Fällen in örtlichen Filialgeschäften. Bei den reinen Online-Händlern ohne solche Filialen wird beim Großhandel kommissioniert und über einen bundesweiten Paketdienst zugestellt. Nach Schätzungen des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (HDE) lag im Jahr 2000 der Online-Anteil am Lebensmitteleinzelhandel unter 0,15 Prozent.

Insgesamt gehen alle Experten davon aus, dass auf absehbare Zeit, der Online-Handel mit Lebensmitteln höchstens 10 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels insgesamt erreichen wird. Im Folgenden wird diese Annahme zur Grundlage einer Abschätzung der verkehrlichen Folgen gemacht. Dabei können die komplexen Zusammenhänge zwischen Einkaufsverhalten und Verkehrswahl - man denke an Kombinationsverkehre aus Fahrt zur Arbeit und Einkaufsfahrt, an die ganz unterschiedlichen Entfernungen zur Einkaufsstätte in der Großstadt und auf dem Land, an die unterschiedlichen Zustellsysteme und viele andere Faktoren - nur vereinfacht modelliert werden.

Entwicklung des Sendungsaufkommens

Wie entwickelt sich das Sendungsaufkommen bei einer angenommen Zunahme des Internethandels mit Lebensmitteln von 10 Prozent (bzw. 5 oder 1 Prozent)? Dies ist die Ausgangsfrage der folgenden Analyse, die auf einem Gutachten von Flämig et al. (Flämig et al. 2002) beruht.

Neben dem E-Commerce-Anteil wird in dieser Modellbetrachtung des weiteren das Gewicht bzw. der Wert einer Sendung berücksichtigt und variiert. Nach der Umfrage unter Lebensmittelanbietern im Internet beträgt der durchschnittliche Bestellwert 125 DM. Diese Bestellung hat ein durchschnittliches Gewicht von 30 kg. Daraus ergibt sich ein Wert von 4,20 DM pro kg einer Online-Bestellung von Lebensmitteln. Bei einer weiteren Verbreitung des E-Commerce von Lebensmitteln ist damit zu rechnen, dass der Bestellwert sinkt. Es werden deshalb zwei weitere Sendungsgrößen berücksichtigt. Zum einen eine Sendung, die sich an dem derzeitigen Mindestbestellwert orientiert, der typischerweise bei 50 DM liegt (entspricht 12 kg). Zum anderen am durchschnittlichen Gewicht eines Pakets im Bereich der Kurier-, Express- und Paketzustellung (KEP-Markt) von 8 kg (entspricht einem Bestellwert von 33 DM).

Im Jahr 2000 wurden im Lebensmitteleinzelhandel 364,5 Mrd. DM umgesetzt. Ein E-Commerce-Anteil von 10 Prozent würde 36,45 Mrd. DM entsprechen. Dies führte bei einer Bestellsumme von 125 DM zu insgesamt 291,6 Mio. zusätzlichen Paketsendungen, bei einer Bestellsumme von 33 DM (8 kg Durchschnittspaket) zu 1.092 Mio. zusätzlichen Paketen, denn bei kleineren Sendungen muss öfter ausgeliefert werden. Bezogen auf das Marktvolumen der Paketzusteller im Jahr 1999 (1.053 Mio. Pakete, KEP-Markt insgesamt 1.659 Mio. Sendungen) führte die Zustellung von online bestellten Lebensmitteln bei einem maximal zu erwartenden Online-Anteil von 10 Prozent und einem Bestellwert von 125 DM zu einen Zuwachs beim Paketaufkommen von 27,7 Prozent und bei einem Bestellwert von 33 DM zu einen Zuwachs von 103,7 Prozent (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3: Zunahme des Sendungsaufkommen durch E-Commerce bei den Paketzustellern im Vergleich zum Status 1999

Sendungscharakteristik E-Commerce-Anteil am Lebensmitteleinzelhandel
(%)
Gewicht
(kg)
Bestellwert
(DM)
1 % 5 % 10 %
8 33 10,4 51,9 103,7
12 50 6,9 34,6 69,1
30 125 2,8 13,8 27,7

Lesehilfe: Bei einem E-Commerce-Anteil am Lebensmitteleinzelhandel von 10 % und einem Sendungsgewicht von 30 kg bzw. einem Bestellwert von 125 DM steigt das Sendungsaufkommen bei den Paketzustellern im Vergleich zum Stand von 1999 um 27,7 %.
Quelle: Flämig et al. 2002, S 182

Ist der KEP-Markt in der Lage, diese Zuwächse zu absorbieren und welche Folgen hätte dies für den Straßenverkehr? Diese Fragen können hier nur in relativ allgemeiner Form behandelt werden. Betrachtet man zunächst die Zuwächse im KEP-Markt der letzten Jahre so zeigen sich im Zeitraum von 1995 bis 1999 eine Zunahme der Sendungen von 23,5 Prozent (durchschnittliches jährliches Wachstum von 5,4 Prozent) (Klaus et al. 2002, S 79). Da die durch E-Commerce erwartete Steigerung des Paketaufkommens sich über mehrere Jahre verteilen wird, ist erkennbar, dass Steigerungsraten im zweistelligen Bereich über mehrere Jahre verteilt schon bisher bewältigt werden konnten. Berücksichtigt man allerdings, dass auch das allgemeine Wirtschaftswachstum den KEP-Markt weiter anwachsen lassen wird und hier nur ein kleines Segment des B2C-E-Commerce, der Lebensmittelhandel, berücksichtigt wurde, dann zeigen sich eventuell doch Grenzen des E-Commerce auf der Straße. Eine entscheidende Variable, die das Sendungsaufkommen beeinflusst, ist ihr Wert (bzw. Gewicht). Selbst bei einem maximalen E-Commerce-Anteil von 10 Prozent erscheint das Sendungsaufkommen verkraftbar, wenn der Wert der Einzelsendung ausreichend hoch ist. Dominieren allerdings Kleinbestellungen führt dies allein durch die Lebensmittelzustellung zu einer Verdoppelung des Paketverkehrs insgesamt auf den Straßen. Aus der Tatsache, dass dieser Verkehr sich im wesentlichen in Wohngebieten abspielt, erwächst eine weitere kritische Bedingung für die Entwicklung des E-Commerce.

Wichtig sind solche Überlegungen deshalb, weil sie exemplarisch auf Folgedimensionen hinweisen, die in der Regel bei der euphorischen Beschwörung der Vorteile des E-Commerce nicht bedacht werden. Ein hoher E-Commerce-Anteil ist ja keineswegs ein positiver Wert an sich.

5.2   Führt der elektronische Arzneimittelhandel zum Apothekensterben?

Im Arzneimittelhandel ist nach dem deutschen Arzneimittelrecht der Versandhandel an Endkunden mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verboten. E-Commerce als eine besondere Variante des Versandhandels findet deshalb nicht statt. Allerdings ist dies nur die halbe Wahrheit, denn ausländische Online-Apotheken, wie das niederländische Unternehmen "Doc-Morris", die nicht dem deutschen Arzneimittelrecht unterliegen, verkaufen verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Deutschland. Versuche, dies auf juristischem Wege zu unterbinden, sind bisher gescheitert. Der Europäische Gerichtshof, der mittlerweile in diesen Fall eingeschaltet ist, wird demnächst sein höchstrichterliches Urteil sprechen. Aus der Politik gibt es Signale, dass das Versandhandelsverbot für Medikamente in Deutschland aufgehoben werden könnte. Der Streit um diese Frage ist jedenfalls voll entbrannt. Auf der einen Seite verteidigen die Mehrzahl der Apotheker und ihre Verbände ihre Handelsprivilegien und sprechen sich vehement gegen den Internethandel aus, während Krankenkassen und Vertreter der Gesundheitspolitik für eine Liberalisierung eintreten, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen versprechen.

Diese kurze Skizze der Ausgangssituation zeigt schon, in welch komplexen Bezügen der elektronische Handel mit Arzneimitteln eingebunden ist. Die Interessenlagen und Folgedimensionen sind vielfältig. Es werden Fragen des grenzüberschreitenden Handels und der Möglichkeiten bzw. Begrenzungen nationaler Regulierungen aufgeworfen. Es geht um eine besondere Form des Handels, die eingebunden ist in den stark regulierten Gesundheitsbereich. Kennzeichen dieser "Handelsform" ist, dass der Endkunde in der Regel kaum Einfluss auf die "Produktauswahl" hat, da diese vom Arzt vorgenommen wird. Außerdem zahlt der Endkunde die Kosten des Arzneimittelkaufs nicht direkt beim Apotheker - mit Ausnahme bestimmter Pauschalbeträge -, da diese Kosten zwischen Apotheken und Krankenkassen "auf Rezept" abgerechnet werden. Aus Sicht des Endkunden geht es beim "Arzneimittelhandel" eher um ein Besorgungs- als um ein Handelsproblem mit Produktauswahl, Preis- und Leistungsvergleich und Kauf. Tangiert sind die besonders sensiblen Ziele der Versorgungssicherheit, des gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verbraucherschutzes und die Berücksichtigung der berechtigten Interessen von Verbrauchern, Apotheken und Großhandel (so festgelegt im Apothekengesetz, im Sozialgesetzbuch und im Arzneimittelgesetz).

Eine der Kernfragen nach den Folgen einer Freigabe des Arzneimittelhandels bezieht sich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Apotheken. Auf eine kurze Formel gebracht: Führt der Internethandel zum Apothekensterben? In einem Gutachten, das im Rahmen des TA-Projektes "E-Commerce" für den Deutschen Bundestag erstellt wurde, sind Prinz und Vogel (Prinz u. Vogel 2002) dieser Frage nachgegangen. Die prinzipiellen Annahmen und Ergebnisse dieser Modellrechnungen sollen in aller Kürze dargestellt werden.

Es fließen im Wesentlichen drei Annahmen in die Berechnungen ein. Zum ersten wird eine Abschätzung der Entwicklung der Ausgaben für apothekenpflichtige Arzneimittel differenziert nach Indikationsgruppen bis 2010 vorgenommen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Arzneimittelverbrauch um den Faktor 1,3 bzw. 1,5 schneller als das Bruttoinlandsprodukt wächst. Zum zweiten werden, differenziert nach Altersgruppen, vier Varianten der Verbreitung der Internetnutzung in der Bevölkerung angenommen. Variante 1 beschreibt den Status quo, Variante 4 geht von maximal erreichbaren Werten aus (z. B. bei den 14- bis 29-Jährigen eine Internetnutzung von 90 Prozent, bei den über 70-Jährigen von 30 Prozent). Die Varianten 2 und 3 liegen zwischen diesen Extremwerten. Die altersspezifische Betrachtung wird mit dem stark altersabhängigen Arzneimittelverbrauch begründet. Zum dritten wird auf Basis von Expertenschätzungen der Arzneimittelverbrauch aufgeteilt in die Gruppe der akut benötigten und in die Gruppe der vorhersehbaren Arzneimittel. Die Begründung dafür lautet, dass eine Bestellung von Arzneimitteln über das Internet, wegen der längeren Lieferzeiten, nur für den vorhersehbaren, aber nicht für den akuten Arzneimittelbedarf in Frage komme.

Die Gutachter gehen davon aus, "dass alle Medikamente über das Netz gehandelt werden können und die Beschränkung nur darin liegt, dass ein mehr oder weniger großer Teil der Konsumenten das Internet nicht nutzt" (Prinz u. Vogel 2002, S 175). Internetnutzung wird, entgegen den bisherigen Erfahrungen, gleichgestellt mit der Nutzung des Internets auch zum Einkaufen. Damit geht eine kritische Annahme in die weiteren Überlegungen und Berechnung ein, die die erwartbaren Effekte maximal verstärkt. Es wird eine Überschätzung des möglichen Arzneimittelvertriebs über das Internet vorgenommen, was für die Folgenbetrachtung durchaus eine sinnvolle Strategie sein kann.

Der durch das Internet substituierbare Arzneimittelhandel wird berechnet als Produkt aus dem gesamten Arzneimittelkonsum in den jeweiligen Altersgruppen, mit dem Anteil der Internetnutzer in den Altersgruppen (nach den Varianten 1 bis 4) und dem Anteil des nicht akut benötigten Arzneimittelkonsums.

Daraus ergibt sich ein "realisierbarer potenzieller Internethandel" als Anteil des Apothekenumsatzes mit verschreibungspflichtigen Medikamenten von 12 Prozent (in der Status-quo-Variante 1) bis 28 Prozent (in der Maximalvariante 4) (Prinz u. Vogel 2002, S 187). Aus Sicht der Autoren hängen die Ergebnisse im Wesentlichen davon ab, "wie der Arzneimittelkonsum über das Alter verteilt ist und wie hoch der Anteil der Internetnutzer in der jeweiligen Altersgruppe ist" (Prinz u. Vogel 2002, S 179).

In einem weiteren Schritt wird dann berechnet, wie sich der Umsatzverlust bei den Apotheken auswirken würde. Es wird angenommen, dass insbesondere die kleineren Apotheken (unter 2 Mio. DM Umsatz) durch Umsatzverluste in eine bedrohliche wirtschaftliche Situation kommen werden. Verteilt man die Umsatzverluste durch Internethandel proportional auf die Apotheken unterschiedlicher Umsatzgrößenklassen und reduziert die Anzahl der Apotheken in der Umsatzgrößenklasse bis 2 Mio. DM Jahresumsatz so lange, bis diese kleinen Apotheken wieder einen Umsatz wie bisher erreichen, dann müssten, je nach Modellvariante, 1.606 bis 3.211 Apotheken ausscheiden, was 7,1 Prozent bzw. 14,2 Prozent aller derzeitigen Apotheken entspricht. Die Versorgung der Bevölkerung mit Apotheken würde sich von 3.640 Einwohner je Apotheke im Jahr 1998 auf 3.919 (Status-quo-Variante) bzw. 4.245 (Maximal-Variante) verschlechtern.

Deutlich wird, dass der Internethandel mit Arzneimitteln die flächendeckende Versorgung und die Interessen der stationären Apotheker tangiert. Auf die Größenordung dieser Effekte gibt die vorgenommene Modellrechnung begründete Hinweise. Wie dies im Kranz der anderen Ziele (gesundheitlicher und wirtschaftlicher Verbraucherschutz) zu bewerten ist, würde weitere Untersuchungen notwendig machen, entzieht sich aber letztlich der Sphäre der wissenschaftlichen Technikfolgenabschätzung. Die Bewertung vorliegender Ergebnisse und die daraus folgenden politischen Handlungen lassen sich nur im gesellschaftlichen Diskurs und durch politisch legitimierte Entscheidung vornehmen.

5.3   Führt der Handel mit digitalen Produkten und Diensten zum Verlust von Arbeitsplätzen?

Wie jede sozio-technische Innovation im Bereich der Wirtschaft zielt auch der elektronische Handel auf eine Effizienzsteigerung. Dieser Effekt wird besonders deutlich beim Handel mit digitalen Produkten und Dienstleistungen. Hier wird nicht nur ein neuer Bestellweg für den Kunden, das Internet, bei sonst weitgehend identischen Abläufen eingeführt, sondern der gesamte Handelsprozess kann elektronisch abgewickelt werden. Insbesondere kann die Distribution der digitalen Güter und die Erbringung der Dienstleistung digital über das Internet oder andere Telekommunikationsnetze erfolgen. Bedeutende Rationalisierungspotenziale sind dadurch zu erwarten, die sich nicht zuletzt auf die Beschäftigten und den Arbeitsmarkt auswirken werden.

Der Handel mit digitalen Produkten und Dienstleistungen ist jedoch noch kaum entwickelt. Digitale Musik und Videos werden zwar massenhaft im Internet "getauscht", aber nur in sehr geringem Maße gekauft. Elektronische Bücher haben in noch viel größerem Maße mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Dagegen ist der Handel mit digitalen Dienstleistungen einerseits schon relativ weit fortgeschritten (z. B. im Finanzsektor). Andererseits sind z. B. persönliche Beratungsdienstleistungen oder Dienstleistungen im Bereich der Gesundheit prinzipiell nur schwer digitalisierbar. Nach Seufert (Seufert 2001, S 36f) differenzieren sich die Rationalisierungspotenziale im Bereich der digitalen Güter und Dienste wie folgt:

Aus diesen allgemeinen Überlegungen schätzt Seufert das Substitutionspotenzial durch die Digitalisierungseffekte und den elektronischen Handel (vgl. Tabelle 4).

Nach der Modellrechnung von Seufert (Seufert 2001) muss bei einer vollständigen Ausschöpfung der Digitalisierungspotenziale und des elektronischen Handels im Bereich digitalisierbarer Produkte und Dienstleistungen mit einem Verlust von insgesamt rund 1 Mio. Arbeitsplätzen in den betreffenden Branchen und den Bereichen der Vorleistung gerechnet werden. Die höchsten Rationalisierungspotenziale werden im Bereich der Vervielfältigung und des Vertriebs von Inhaltsprodukten (75 Prozent der derzeit dort Beschäftigten) erwartet, während im Bereich der Dienstleistung die Substitutionseffekte eher gering sind (7,5 Prozent der derzeit dort Beschäftigten).

Bei einer weitergehenden Betrachtung wären auch die Effekte durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch neue Produkte und Dienstleistungen und durch internetspezifische neue Tätigkeitsbereiche für den elektronischen Handel zu berücksichtigen. Eine solche quantitative Bilanzierung wird bei Seufert nicht durchgeführt. Trotzdem wird erkennbar, dass die Prozesse der Digitalisierung und dass der elektronische Handel nicht einfach als "Job-Maschine" betrachtet werden können, wie dies teilweise geschehen ist.

Tabelle 4: Substitutionspotenziale und Verlust von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung und E-Commerce

  Erwerbstätige
(1998)
geschätztes Substitutionspotenzial
(%)
möglicher Verlust an Arbeitsplätzen
Medienproduktion (Verlage, Studios etc.) 521.000 5 26.050
Vervielfältigung 250.000 75 187.500
Handel mit Verlagserzeugnissen 175.000 75 131.250
Filmwirtschaft (Verleih, Kino, Videotheken) 11.000 30 3.300
Telekommunikationsdienste und Rundfunk 14.000 0 0
Medienwirtschaft insgesamt 971.000 35,85 348.100
Vorleistungsstufe (Papierherstellung, Druckmaschinen etc.) k.A. - 197.000
Medienwirtschaft mit Vorleistung     545.100
Kredit- und Versicherungsgewerbe 1.256.000 15 188.400
Verkehrsgewerbe 1.507.000 5 73.350
Grundstückswirtschaft, Vermietung, Unternehmensdienste (ausgewählte Wirtschaftszweige) 129.000 5 6.450
Erziehung und Unterricht 1.947.000 5 97.350
Sonstige öffentliche und private Dienstleistung (ausgewählte Wirtschaftszweige) 7.000 10 700
Dienstleistung insgesamt 4.846.000 7,56 366.250
Vorleistungsstufe k.A.   172.000
Dienstleistung mit Vorleistung     538.250
Medienprodukte und Dienstleistung mit Vorleistungsstufen     1.083.350

Quelle: Seufert 2001, S 11, 37 und eigene Berechnungen

6   Fazit

Die in diesem Beitrag dargestellten Teilergebnisse aus den Wirtschaftsbereichen Lebensmittelhandel, Arzneimittelhandel und Handel mit digitalen Informationsprodukten und Dienstleistungen deuten darauf hin, dass Hoffnungen, die mit dem E-Commerce z. B. für Beschäftigung und Verkehrsentlastung verbunden sind, nicht ohne Weiteres erfüllt werden können.

Die Branchenbetrachtungen im Rahmen des Projekts "E-Commerce" haben darüber hinaus gezeigt, dass je nach Wirtschaftsbereich und Anwendungsfeld extreme Unterschiede in der E-Commerce-Durchdringung bestehen. Es lassen sich sowohl Handelsbereiche finden, die mehr oder weniger vollständig durch E-Commerce geprägt sind, wie z. B. einzelne Börsenhandelsstufen des Wertpapierhandels (Holtmann et al. 2002) und des Stromhandels (Strecker u. Weinhardt 2002), als auch Handelsbereiche, in denen E-Commerce ein Nischenphänomen ist oder überhaupt keine Rolle spielt. Die Branchenbetrachtungen haben verdeutlicht, dass auch bestehende (handels-)rechtliche Rahmenbedingungen die Entfaltungen des E-Commerce behindern können, wie beispielsweise das Versandhandelsverbot bei Arzneimitteln, standesrechtliche Regeln bei den freien Berufen, die Buchpreisbindung oder die Gruppenfreistellung im Autohandel. Die möglichen politischen Zielkonflikte zwischen der Förderung des E-Commerce und den ursprünglichen Zwecken der (handels-)rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch hinsichtlich Verkehrsreduzierung und Beschäftigungsförderung verweisen nicht nur auf einen dringenden Forschungsbedarf, sondern auch auf die Notwendigkeit, mögliche Zielkonflikte diskursiv in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld zu lösen.


Literatur

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Online-Buchhandel in Deutschland - Die Buchhandelsbranche vor der Herausforderung des Internet. Forschungszentrum Karlsruhe

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TA-Projekt "E-Commerce". Endbericht. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Berlin (TAB-Arbeitsbericht Nr. 78)

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Retail E-Commerce sales in first quarter 2002 were $ 9.8 billion, up 19.3 percent from first quarter 2001, Census Bureau reports. Presseerklärung vom 30.5.2002. Washington abgerufen am 31.05.2002 unter
http://www.census.gov/mrts/www/data/pdf/20021q.pdf


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Stand: 18.09.2002 - Kommentare an:     Ulrich Riehm